Filmbuch-Rezension: Jörg Buttgereit “Japan – Die Monsterinsel (erweiterte Neuauflage)“

Vor einigen Jahren ließ ich mir – kurz bevor es Out-of-Print ging – zu Weihnachten Jörg Buttgereits Buch „Japan – Die Monsterinsel“ von 2006 schenken. Eines, welches ich umgehend verschlungen habe, und das mir endlich mal einen vernünftigen Überblick über die Welt das Kaiju, also des japanischen Monsterfilms, gab. Die „Godzilla“-Reihe war mir natürlich bekannt. Wie viel Filme es da gab, konnte man auch locker im Internet recherchieren. Aber wie das so ist, manchmal braucht man einfach etwas haptisches. Ein schönes, altmodisches Nachschlagewerk, das man auf den Nachttisch legen kann oder bei Bedarf aus dem Regal ziehen, um darin herum zu schmökern. Zudem wollte ich einmal wissen, was es denn über die beliebte Riesenechse hinaus noch so in der bunten Welt der Kaiju gab. Wie diese Filme eventuell zusammenhingen und welche spannenden Hintergründe es da gab. All dies lieferte mir „Die Monsterinsel“.

Natürlich ist das Buch aufgrund der Herangehensweise – Japan-Experte Jörg Buttgereit sammelte Freunde um sich, die dann über einen dieser Filme ein kurzes Essay schreiben – teilweise sehr heterogen. Unter den klingenden Namen derjenigen, die sich am Buch beteiligten sind der leider viel zu früh verstorbene Hans Schifferle, Christian Keßler, Markus Stiglegger und Olaf Möller; „Splatting Image-Recken wie Bodo Traber, Stefan Höltgen und Ingo Strecker; sowie Buttgereit-Weggefährten wie Daktari Lorenz und Franz Rodenkirchen und noch viele andere. Da reiht sich Fachwissen und Liebe zum Kaiju, neben die erste Entdeckungen dieser Welt und das manchmal etwas spöttische Erstaunen darüber. Daraus ergibt sich aber ein bunter und abwechslungsreicher Reigen. Auch wenn ich vorgezogen hätte, dass Jörg Buttgereit alle Texte selber geschrieben hätte, da er nicht nur über einen lebendigen Schreibstil, sondern auch viel Hintergrundwissen verfügt.

Das Buch selber gibt einen hervorragenden Überblick über die Welt der „Kaiju“ und wird mit zahlreichen Interviews aufgewertet. Teils mit den Machern hinter den klassischen Kaijus, aber auch Jan de Bont, der Kameramann des US-“Godzilla“ von 1994 steht Rede und Antwort. In Deutschland ist „Die Monsterinsel“ sicherlich DAS Standardwerk und daher jedem Liebhaber dieser Filmgattung ans Herz gelegt. Aber lohnt sich auch das „Upgrade“, wenn man bereits die Ausgabe von 2006 besitzt? Die Antwort ist ein klares J-ein. Im Vergleich zur älteren Ausgabe ist das Buch stark geschrumpft, dafür aber auch dicker geworden. Gewichen ist das schöne Hardcover, dafür wirkt „Die Monsterinsel“ nun sehr viel kompakter. Dadurch sind die Bilder auch kleiner geworden, dafür jetzt aber auch besser über das ganze Buch verteilt. Hauptgrund für einen Neukauf wäre die Aufnahme einiger Titel, die zuvor nicht berücksichtigt wurden (wie der nordkoreanische „Pulgasari“, der mit einem Interview mit Special-Effects-Regisseur Teruyoshi Nakano daherkommt), sowie natürlich aller relevanten Filme, die nach 2006 erschienen sind. Hier sind vor allem die US-Filme aus dem „Monsterverse“ genannt, wie der aktuelle „Godzilla Vs. Kong“. Aber auch die neuen „Godzilla“-Animes oder „Der große Japaner“ von Hitoshi Matsumoto. Verzichtet wurde auf den DVD-Index, wann und wo welcher Film in Deutschland erschienen ist. Höchstwahrscheinlich, da die meisten Scheiben mittlerweile nicht mehr (zumindest zu bezahlbaren Preisen) zu bekommen sind. Fazit: Wer sich für japanische Monsterfilme interessiert und „Die Monsterinsel“ von 2006 noch nicht im Regal stehen hat, für den ist diese Neuauflage ein klares „must have“. Ein „Upgrade“ kann man machen, ist aber nicht zwingend notwendig.

Jörg Buttgereit Japan – Die Monsterinsel (erweiterte Neuauflage), Martin Schmitz Verlag, 432 Seiten, € 30,-

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Filmbuch-Rezension: Christian Keßler „Hollywood Blackout – Sternstunden des amerikanischen Noir-Kinos (1941 – 1961)“

Letztes Jahr um diese Zeit hatte es mich dahingerafft. Irgendwo hatte mich dieses Corona-Virus erwischt, und ich lag erst einmal tagelang danieder und war danach zur Selbstisolation gezwungen. Zu dieser Zeit half mit Christian Keßlers Buch „Gelb wie die Nacht – Das italienische Thrillerkino von 1963 bis heute“, um die Tage gut über die Runden zu bekommen. Meine täglichen Gänge vom Bett zum Sessel und zurück verbrachte ich häufig mit diesem Buch unter dem Arm. Nun ist fast genau ein Jahr später ein neues Buch von Christian Keßler auf den Markt gekommen. Diesmal ist es nicht gelb, sondern seinem Thema angemessen in tiefes Schwarz gehüllt.

Denn es geht um den „Film Noir“. Ein weites, sehr fluides Thema. Denn in der Vergangenheit wurde so unterschiedliche Filme wie „Tote schlafen fest“, „Todsünde“ und „Unter Verdacht“ diesem „Genre“ zugeordnet. Dies in Anführungszeichen, weil es gar kein echtes Genre ist, sondern wie man an den genannten Filmen sieht, eher eine Unterart vielfältiger Genres wie Detektivfilm, Drama und Kostümfilm. Aufgestülpt wurde dieser Begriff einer bestimmten Art von Filmen erst Jahre nachdem diese in die Kinos gekommen waren. Wie man am Namen hört, von den Franzosen. „Film Noir“ ist ein faszinierendes Thema, welches in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen eine Nischendasein fristet. Was daran liegen mag, dass die Hochzeit des Noir, nämlich die 40er und 50er, leider zu jenen Jahrzehnten gehören, die abseits einiger Nischenveröffentlichungen (oder billiger Ramsch-DVDs) gerne totgeschwiegen wird. In den einschlägigen Streaming-Portalen finden diese so gut wie gar nicht statt, die großen Studios bringen ihre klassischen Filme nicht mehr für das Heimkino heraus. Vielleicht noch die allseits bekannten Vertreter, aber gerade die kleinen B-Produktionen (oder heute unbekannteren A-Produktionen) fallen dabei unter den Tisch. Zwar gab es hierzulande einmal von Koch Media eine Reihe namens „Film Noir“-Collection in der 25 sehr unterschiedliche Filme, wie der britische „Chicago Joe und das Showgirl“ von 1990 oder der grandiose Gruselfilmklassiker „Der unheimliche Gast“ erschienen, aber eben auch viele Noir-„Must-have“ wie „Rächer der Unterwelt“ oder „Die Narbenhand“. Kürzlich brachte UCM.ONE die Reihe Édition Film Noir heraus, die bisher neun Filme umfasst, deren thematische Brandbreite manchmal auch den Rahmen des Film Noir sprengt. In der „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ beschäftigten sich in der Vergangenheit Oliver Nöding und vor allem auch Noir-Experte Matthias Merkelbach (auf dessen vorbildliche Homepage Der Film Noir ich hier gerne verweisen möchte) immer wieder mit dem Film Noir, und Robert Zion trug dort eine Reihe zum Noir-Western (quasi die Nische in der Nische) bei.

Nun also gibt es auch „Hollywood Blackout – Sternstunden des amerikanischen Noir-Kinos (1941 – 1961)“ von Christian Keßler, welches sicherlich noch einmal eine ganz neue Gruppe zu Noir-Fans konvertieren kann. Denn Christian Keßler ist vor allem für seine großartigen Verdienste um den italienischen Exploitationfilm der 70er Jahre bekannt. Mit seinen heute legendären Kolumnen in der „Splatting Image“ hat er den Filmgeschmack vieler Filmfreunde positiv beeinflusst und Filme ins Rampenlicht geschoben, die vorher keine große Lobby hatten. Auch wichtig: Das Buch „Die läufige Leinwand“ über den US-Pornofilm der 70er, sein erstes Buch für seinen heutigen Stamm-Verlag Martin Schmitz. Diesem folgten viele weitere höchstempfehlenswerte Bücher, die ich hier im Blog auch alle mit größtem Vergnügen besprochen habe. Zuletzt – wie oben erwähnt – das Buch über den Giallo-Film. Dass sich Christian Keßler nun dem Film Noir zuwendet, also dem US-amerikanischen Film der 40er und 50er Jahre, mag da zunächst einmal (angenehm) überraschend erscheinen. Was es allerdings nicht ist, führt man sich vor Augen, dass Christian Keßler selber schon mal einen Fuß in das „Noir“-Genre bzw. in die Hardboiled-Romanen, die oftmals die Grundlage der Filme lieferten, gestellt hatte. An dieser Stelle sei darum auf seine beiden wunderbaren humoristischen Krimis um den Bremer Kommissar Ernst hingewiesen: „Aalglatt über Leichen“ und „Elfmeter für Ernst“, die auf extrem unterhaltsame Weise die Tradition des harten amerikanischen Detektivromans ala Chandler oder Hammett persiflieren und mit typischen „Keßlerismen“ würzen.

„Hollywood Blackout“ beginnt anders als „Gelb wie die Nacht“ mit einer Einführung, die den Begriff Noir zunächst einmal erklärt und zeitgeschichtlich einordnet. In der aber auch klar gemacht wird, wie vielfältig der Begriff „Film Noir“ angewandt wird, dass „Hollywood Blackout“ keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und zudem die Grenzen des Begriffes auch mal dehnt, wenn es dem Autoren angebracht scheint. Wobei dies nicht als Arroganz oder Besserwisserei auszulegen ist, sondern hier Christian Keßler einfach seinem Herzen folgt. An dieser Stelle muss generell einmal ein großes Lob ausgesprochen werden (welches nicht nur für „Hollywood Blackout“ sondern all seine Filmbücher gilt): Im Internet hat sich leider eine teilweise recht aggressive Form der Rechthaberei durchgesetzt. Es wird mit Absolutismen um sich geworfen. Was der Experte nicht mag ist per se schlecht. Wer etwas anderes behauptet, der wird niedergemacht und ihm schlichtweg die Kompetenz sich zu äußern abgesprochen. Ein andauerndes eitles „Ich, ich, ich“, welches auf die Dauer extrem zermürbend ist. Von solchen narzisstischen Ausfällen ist Christian Keßler weit, weit entfernt. Man merkt seinen Texten zu jeder Zeit die tiefe Liebe zum Thema an und die unbedingte Freude, diese mit seinen Leser*innen zu teilen. Das ist nicht nur wunderbar entspannt zu lesen, sondern reizt einen auch weit mehr sich selber auf Entdeckungsreise zu begeben, als ein autoritäres Predigen der eigenen Ansichten. Gerade dieses neugierige und ergebnisoffene an die Hand nehmen des Lesers und dieses „das Feuer weitergeben“ ist es, was Christian Keßler – im Gegensatz zu anderen, die immerfort nur ihre eigene absolute Wahrheit verkünden wollen – relevant macht. Insbesondere, wenn er sich in Genres begibt, die möglicherweise einer Vielzahl seiner treuen Stammleser*innen noch unbekannt sind. Wie hier eben der Film Noir.

Das Buch ist chronologisch nach Datum der Erstaufführung aufgebaut. Christian Keßler bespricht in mal längeren, mal kürzeren Texten über 200 Filme von „Entscheidung in der Sierra“ („High Sierra“, 1941) bis „Alles auf eine Karte“ („Underworld, U.S.A.“, 1961). Wie gewohnt mischen sich dabei seine eigenen Einschätzungen zum Film mit filmhistorischer Einordnung und Wissenswertes/Anekdoten über die beteiligten Personen mit einer lebensfrohen Freude daran, dies in eine sehr lebendige und humorvolle Sprache zu gießen. Was zu einem abwechslungsreichen, niemals langweiligen Lesefluss führt. Und auch dazu, dass man das Buch schlecht aus der Hand legen kann, weil man ständig denkt „Über einen Film lese noch, dann klappe ich es aber zu. Ist ja schon spät.… Okay, noch einen… aber wirklich nur noch einen“. Zudem – und das ist wie immer das größte Kompliment – macht es eine unbändige Lust darauf, sich die Filme auch anzusehen. Gerade jetzt vor Weihnachten dürften die Wunschzettel vieler Leser*innen mit Film-Noir-Boxen aus dem In- und Ausland gefüllt sein. Mission erfüllt, Herr Keßler! Ich freue mich schon auf das nächste Buch und bin sehr gespannt, in welche Gefilde mich der Kapitän dann schippern wird.

Christian Keßler „Hollywood Blackout – Sternstunden des amerikanischen Noir-Kinos (1941 – 1961)“, Martin Schmitz Verlag, 376 Seiten, gebunden, farbige Abbildungen, € 35,00

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Blu-ray-Rezension: „Krieg und Frieden“

1805, Sankt Petersburg: auf einer Soiree der Hofdame Anna Pawlowna trifft sich die Gesellschaft zum Plausch über die politische Lage. Napoleon hält Europa weiter in Atem, während Russland sich rüstet, um an der Seite Österreichs schließlich in die Schlacht bei Austerlitz zu ziehen. Und so beginnt eines der größten Historienepen der Literatur- und Filmgeschichte, das uns vom Kaiserpalast bis in eine Bauernhütte und von den großen europäischen Schlachtfeldern über eine weihnachtliche Schlittenfahrt bis hinein ins brennende Moskau führt und uns dabei vom russischen Leben und der russischen Seele in all ihren Facetten erzählt. (Quelle: Bildstörung)

Als Bildstörung ankündigte Sergei Bondartschuks „Krieg und Frieden“ als Nummer 40 ihrer Drop-Out-Reihe zu veröffentlichen, war ich erst einmal überrascht. Passt das? Normalerweise zeichnet sich diese Reihe ja durch ungewöhnliche Filme jenseits des Mainstreams aus. Mit Namen wie Borowczyk, Zulawski, Jodorowsky oder Magenschwingern wie „Komm und Sieh“ oder „Der Boxer und der Tod“. Ein 7-stündiges, großbudgetiertes, Oscar-prämiertes Epos nach einem berühmten Bestseller der Literaturgeschichte passt da erst einmal nicht ins Bild. Doch vertrauend auf die Kuratoren dieser Reihe, welche mich bisher nie enttäuscht haben, habe ich mich dann doch an dieses gewaltigen Brocken gewagt. Und mir wurden die Augen geöffnet, was für ein Meisterwerk ich ohne den Einsatz der Bildstörung-Macher verpasst hätte. Auch, was „geöffnet“, neun, aufgerissen ist das besser Wort. Von der ersten Sekunde an habe ich mich in diesen ungewöhnlichen Monumental-Film verliebt. Daher mag meine Rezension hier an manchen Stellen nicht mehr objektiv sein (aber welche ist das schon?) und mein enthusiastischer Überschwank hier und da mit mir durchgehen. Um es kurz zu machen: Über die seine ganze Länge von 422 Minuten marschierte „Krieg und Frieden“ unaufhaltsam in die ganz oberen Regionen meiner Allzeit-Lieblingsfilme.

Was macht „Krieg und Frieden“ so besonders? Zum einen ist es das schiere Ausmaß des Aufwands, der hier betrieben wurde. Sergei Bondartschuk konnte sichtlich aus dem Vollen schöpfen. Ich zitiere hier mal das Label: „Sieben Jahre Produktionszeit, vier Jahre Dreharbeiten, hunderte Schauspieler, über 12.000 Statisten, tausende Kostüme und 23 Tonnen Schwarzpulver lassen das monumentale Ausmaß der teuersten Filmproduktion der Sowjetunion, die Sergei Bondartschuk 1962-67 als Regisseur, Autor und Hauptdarsteller verantwortete, dennoch nur erahnen. Allein die Schlacht bei Borodino, bei der Bondartschuk seinen ersten von zwei Herzinfarkten während der Dreharbeiten erlitt, verschlang zwei Jahre Drehzeit.“ Der Film war also oberste Staatssache. Die sowjetische Armee unterstützte ihn, Geld schien keine Rolle zu spielen. Da würde man befürchten, dass das Ergebnis glatt und staatshörig würde. Ein Werbefilm für die UdSSR unter dem Banner „Tolstoi“. Doch weit gefehlt. „Krieg und Frieden“ hat Ecken und Kanten und hält sich sehr dicht an die literarische Vorlage von Leo Tolstoi, die in ihrer endgültigen Form 1869, also mitten in der zaristischen Zeit, erschien. Natürlich singt „Krieg und Frieden“ eine Hohelied auf den russischen (nicht sowjetischen, das ist ein Unterschied) Geist. Nun könnte man argumentieren, dass das Projekt den sowjetischen Machthabern schon von daher gut gefallen haben muss, weil es ja zeigt, dass Russland sich nie vom mächtigen Westen (Napoleon) einnehmen lässt. Vielleicht auch, weil die Abwehr des napoleonischen Feldzuges auch Assoziation zum Sieg über Nazideutschland weckt. Wie man liest war der Hauptgrund aber, dass Tolstoi auch in der UdSSR ein hochverehrter Dichter der Nation blieb und Hollywood in den Augen der Sowjets mit seiner Version der Geschichte von „Krieg und Frieden“ 1958 vieles falsch gemacht hat. Nun wollte man zeigen, dass man es besser kann.

Obwohl mir die US-Fassung von King Vidor mit Audrey Hepburn, Mel Ferrer und Henry Fonda (immerhin auch mit 208 Minuten von beachtlicher Länge) bei meiner bisher einzigen und nunmehr über 30 Jahre zurückliegenden Sichtung gut gefallen hatte, verblasst sie doch gegen Bondartschuks Vision. Das Faszinierende an seinem „Krieg und Frieden“ ist, welche Experimentierfreudig Bondartschuk an den Tag legen durfte. Wenn die Kamera in die Wolken aufsteigt oder wie ein Irrwisch über Schlachtfelder oder Ballsäle rauscht. Wenn seine Farbgestaltung häufig Erinnerungen an die in Italien zu selben Zeit entstehenden Gothic-Horror-Filme erinnert. Oder an das japanische Kino dieser Zeit. Bondartschuk nutzt auch das Split-Screen-Verfahren, wie man es später dann bei Brian de Palma sieht. Wenn Figuren nächtens durch kalte, leere Paläste wandern, dann ist das manchmal schon ein ganz eigener Film. Stanley Kubrick muss sich den Film sehr genau angeschaut haben, auch wenn er in einem Interview in dem Buch „The Filmdirector as Superstar“ über Bondartschuks „Krieg und Frieden“ harsch urteilt: „It was a cut above the others, and did have some very good scenes, but I can’t say, I was overtly impressed. (…) It was a disappointing film, and doubly so because it had the potential to be otherwise.“ Dabei entdeckt man in „Krieg und Frieden“ zahlreiche Bilder, die auch vom späteren Kubrick hätten stammen können. Von der Detailbesessenheit und der akkuraten Nachbildung von Schlachten in „Barry Lyndon“ als offensichtlich seelenverwandten mal abgesehen. Aber Bondartschuk nutzt, wie Kubrick, häufig geometrisch exakte Einstellungen. Beim Spiel mit den Distanzen zwischen den Figuren oder die Einsamkeit von Personen in großen, kahlen, abweisenden Räumen ist man häufig an die später entstandenen „2001“ oder „The Shining“ erinnert. Vielleicht spricht Kubrick deshalb so herablassenden von Bondartschuks Film, damit niemand auf die Idee kommt, das Genie hätte sich von jemand anderem inspirieren lassen.

Neben seinen perfekt komponierten Bildern, weiß Bondartschuk aber auch Emotionen und Wärme in seinen Film zu bringen. Unvergesslich die Szene, in der Natascha Rostowa in einer Jagdhütte zum Spiel der Musik beginnt zu tanzen und ihr alter Onkel sie auf der Geige begleitet. Soviel Lebensfreude, soviel Liebe und Intimität traut man einem Film, in dem die Menschen zu tausenden auf dem Schlachtfeld massakriert oder böse manipuliert werden, gar nicht so. Eine Szene für die Ewigkeit. Was auch an der fantastischen Darstellerin der Natascha, der wundervollen Ljudmila Saweljewa, liegt. Kaum zu glauben, dass diese junge Frau zuvor nur als Ballerina gearbeitet hatte und so gut wie keine Filmerfahrung besaß. Wie sie Natascha als naiv-romantischen Wildfang, später dann als heißblütige Geliebte und am Ende als von Schicksalsschlägen gezeichnete Frau spielt ist großes Kino. In ihrer Art und Ausstrahlung ähnelt sie sehr der US-Natascha Audrey Hepburn, behält dabei aber immer etwas zerbrechlich-enthusiastisch-kindliches. Regisseur Bondartschuk schlüpft selber in die wichtige Hauptrolle des Pierre Besuchow und wirkt mit seiner massigen, aber doch etwas linkischen Gestalt, den traurig-zweifelnden Augen und der verdrucksten Art sehr viel überzeugender in seiner Rolle als es der etwas zu gut aussehenden, ein Tick zu selbstsichere Henry Fonda in King Vidors Film tat. Wjatscheslaw Tichonow kann es als kühler, etwas steifer und zu verkniffener Fürst Andrei Bolkonski locker mit Mel Ferrer aufnehmen, der allerdings als Bolkonski ebenfalls sehr gut besetzt war. Auch wenn ihn nicht so sehr der innere Zwang ansieht, den Tichonow in jeder Szene verströmt. Aber auch die anderen Darsteller reihen sich mühelos in die Riege großartiger Verkörperungen der vielen, vielen wichtigen Rollen ein. Jeder Einzelne hätte seinen eigenen Film verdient.

Trotz seiner enormen Länge verfliegt die Zeit bei „Krieg und Frieden“ wie im Fluge. Mit offenem Mund starrt man die aufwändigen Massenszenen an, staunt über die bildgestalterischen Experimente, genießt die perfekte Choreographie der zahlreichen atemberaubenden Plansequenzen, lässt sich von Wjatscheslaw Owtschinnikow gewaltiger und trotzdem intimer Musiker mitreißen. Und die Schlachtszenen gehören eh mit zum intensivsten und mitreißensten, aber auch gleichzeitig desillusionierensten was die Filmgeschichte hier zu bieten hat. Kein Wunder also, dass Bondartschuk 1970 für Dino de Laurentiis‘ Produktion „Waterloo“ unter Vertrag genommen wurde. Doch auch jenseits dieser beeindruckenden Kriegsaufnahmen, bleibt so manches für immer im Gedächtnis haften: Nataschas erster Ball, Besuchows Duell im Schnee mit Dolochow, die bereits angesprochene Szene in der Jagdhütte und vor allem das brennende Moskau. Wenn die heiße Glut für einen unheimlichen Sturm sorgt, der schwarzen Ruß durch die Luft wirbelt, das Chaos herrscht und Besuchow verzweifelt versucht das Leben eines Kindes zu retten. Oder die Hinrichtungen, die bei der bloßen Erinnerung einen Kloß im Hals verursachen. Diese Liste könnte noch immer weiter und weiter fortgeführt werden. Ich möchte aber hier mit der unbedingten Empfehlung enden, sich dieses monumentale Meisterwerk selber anzuschauen. Wenn es irgendwie geht, dann auf der großen (je größer, je besser) Leinwand (der großartige Verleih Drop-Out bringt ihn noch einmal in einige wenige Kinos). Denn da gehört er eigentlich hin. Aber diese äußerst gelungene Blu-ray von Bildstörung ist eine durchaus wirksame Ersatzdroge.

Wie gewohnt, ist auch diese Veröffentlichung durch Bildstörung eine Rundum-Sorglos-Paket. Der Film ist in die vier Teile aufgeteilt, die zwischen 1965 und 1967 in die Kinos kam, und die auch so in der DDR liefen. Teil Teil 1: Andrej Bolkonski (146 Minuten) und Teil 2: Natascha (97 Minuten) befinden sich auf der ersten Blu-ray. Teil 3: Das Jahr 1812 (81 Minuten) und Teil 4: Pierre Besuchow (96 Minuten) auf der zweiten Blu-ray. Alle Teile haben einen Vor- und Abspann. Vor dem ersten Teil ertönt noch vor schwarzem Bild eine 2,5-minütige Ouvertüre. Die Restaurierung ist sehr gut gelungen. Nur bei ganz schwarzen Bildern (meistens nach dem Titel) gibt es leichte Wolkenbildung. Sonst sieht das alles sehr gut aus. Der Ton ist auch großartig, besonders in der russischen Originalfassung, die ich empfehlen würde um das russisch-französisch-deutsche Sprachgewirr (welches wichtig ist) mitzubekommen. Höchst interessant sind die Extras, die auf einer Bonus-DVD zu finden sind. Gleich am Anfang gibt es einen schwarz-weißen, 47-minütigen zeitgenössischen Dokumentarfilm des WDR, bei dem ein deutsches Team die Dreharbeiten zum zweiten Teil begleitet. Im Team u.a. Thomas Schamoni. Der Ton ist etwas herablassend und „Krieg und Frieden“ wird auch schon mal als „Kostümschinken“ bezeichnet, doch der Blick von außen ist recht spannend. Die 29-minütige russische „Making-Of Doku“ (überwiegend schwarz-weiß) ist reinste Propaganda und erzählt davon wie grandios und enorm wichtig der Film ist. Da sich die Macher des Filmes gleich zu Beginn als Vertreter des Studios, welches „Krieg und Frieden“ dreht, vorstellen, ist das aber auch zu erwarten. Interessanterweise tauchen hier Material aus der WDR-Doku auf, was die Frage aufwirft, wer sich bei wem bedient hat. Der vierteilige Dokumentarfilm „Sergei Bondartschuk“ ist mit 104 Minuten das längste Extra. Auch dieses ist eine russische Produktion. Man erfährt viel über Bondartschuk und vor allem auch seine politischen Probleme in den späten 80ern. Allerdings ist die Doku von seiner Tochter mitgedreht worden, die auch viel über ihn erzählt. Das Ganze nimmt eine solche übersteigerte Form der Heldenverehrung an, dass man denkt, der gute Sergei hätte mindestens eine Heiligsprechung verdient. Das stört etwas. Dann folgen noch Interviews mit dem genialen Kameramann Anatoli Petrizki (25 Minuten), Co-Drehbuchautor Wassili Lanowoi (9 Min.) und schließlich ein kürzeres Essay über Sergei Bondartschuk, indem er selber zu Wort kommt (14 Min.) Abgeschlossen werden die Extras mit einer älteren, russischen Doku über Lew Tolstoi (22 Min.). Unbedingt erwähnt werden sollte aber auch das exzellente 24-seitige Booklet mit einem Essay von Christine Engel. Hier schreibt sie über Tolstoi, sein Leben und seine philosophischen Ansichten und bettet dies in die Zeit ein, in der Tolstoi lebte und die jene in der sein Mammut-Roman spielt. Und wie das eine durchaus das andere beeinflusst. Eine höchst spannende und aufschlussreiche Lektüre.

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Blu-ray-Rezension: „Kin-Dza-Dza!“

Der Vorarbeiter Vladimir Mashkov (Stanislav Lyubshin) verlässt nach Feierabend noch schnell einmal das Haus, um Besorgungen für die Familie zu machen. Dabei wird er von dem georgischen Studenten Gedevan Alexandrovich Alexidze (Levan Gabriadze) angesprochen, der einem seltsamen, offensichtlich verwirrten Mann (Anatoli Serenko) helfen möchte, der in einem alten Mantel und ohne Schuhe durch Moskau läuft. Dieser behauptet, zurück auf seinen Planeten zu wollen. Dazu habe er eine elektronische Vorrichtung, nur wisse er nicht, welche Nummer die Erde habe und diese bräuchte er, um zurückzukehren. Als Vladimir auf den Knopf der Vorrichtung, drückt, werden er und Gedevan sich plötzlich auf den Wüstenplaneten Plück transportiert. Dort gegebenen sie dem seltsamen Duo Uef (Jewgeni Leonow) und Bi (Juri Jakowlew), die sie mit den merkwürdigen Gepflogenheiten auf Plück vertraut machen…

Wieder einmal bringt das über alle Maße zu lobende Label einen Film auf den deutschen Markt, den man selbst als Freund der Materie nicht unbedingt auf dem Zettel hat. In diesem Fall die sowjetische Science-Fiction-Komödie „Kin-dza-dza!“, welche in ihrem Heimatland zwar Kultcharakter genießt, hierzulande aber so gut wie unbekannt ist. Da der Film auch nicht den Weg in deutsche (weder Ost, noch West) Kinos fand, gibt es auch keine deutsche Synchronisation. Was aber auch nicht so viel ausmacht, da einerseits der Film sowieso seine eigene Sprache entwickelt mit Fantasiewörtern wie „Kyu“ für „Mist“ und „Ku“ (angeblich) für alle anderen Worte. Zudem geht höchstwahrscheinlich eh schon eine Menge Wortwitz durch die Übersetzung verloren. Eine Vermutung, die mangels Kenntnis der russischen Sprache nicht belegt werden kann, allerdings nahe liegt, denn die deutschen Untertitel sind relativ humorlos.

Generell muss ich zugeben, trotz einer großen Affinität zum osteuropäischen Film oftmals meine Probleme mit dem Humor dieser Werke zu haben. So entlockt mir z.B. der polnische „Seksmisja“ nur ein leichtes Lächeln, während er in seinem Heimatland Lachsalven erntet. Zum ebenfalls polnisches „Rejs“ – einem Kultfilm par excellence – wurde mir gesagt, dass jemand außerhalb von Polen den Film gar nicht verstehen könnte, da er viel mit Wortspielen und typisch polnischen Situationen arbeitet. Interessanterweise geht es mir aber auch beim italienischen und Hongkong-Kino so, dass ich dem lokal extrem erfolgreichen Humor von z.B. Franco & Ciccio oder Stephen Chow sehr häufig ratlos gegenüberstehe. Trotz meiner tiefen Liebe für das Kino dieser Länder. Nun möchte ich „Kin-dza-dza!“ nicht mit beiden letztgenannten vergleichen. Aber der auf dem Cover getätigte Vergleich mit Monty Python und Douglas Adams wird dem Film weder gerecht, und führt zunächst einmal auf die falsche, temporeichere Fährte.

Denn „Kin-dza-dza!“ ist eine überraschend ruhige Satire, die ganz unterschiedliche Lesarten zulässt. Im empfehlenswerten Booklet von Gleb Albert und Daniel Wagner wird die Ambivalenz des Filmes öfter erwähnt. Warnt er nun vor den Gefahren des Kapitalismus und macht sich über die Geldgier der „Westler“ lustig? Oder nimmt er eher die Lebensrealitäten in der sozialistischen Sowjetunion aufs Korn? Um die Frage zu beantworten: In meinen Augen beides, wobei der Schwerpunkt dann doch auf den lokalen Gegebenheiten liegt. So gibt es zwar die „Ecilop“ (rückwärts für das englische Wort „Police“), die einen Schlagen dürfen und Strafen verteilen, aber es gibt auch eine Geheimpolizei. Während die Ecilop Lampen auf dem Kopf tragen, gibt es Gestalten, die ihre Lampen im Inneren ihres Mantels verstecken. Es gibt Mangelwirtschaft, eine Hierarchiesystem, dessen Herkunft niemand kennt oder hinterfragt. Die Aufteilung in Tschatlanen und Patsaken als Herrschende und Beherrschte, welches an die Rassentrennung in den USA erinnert, aber ebenso gut für die Privilegierten im sowjetischen System und an die, welche das von diesen misstrauisch beäugte Fußvolk bilden. Letztendlich ist es aber auch egal, da Georgiy Daneliyas Film einfach in alle Systeme passt, in denen sich Menschen tummeln, die vor allem auf ihren eigenen Vorteil aus sind.

Der Film spielt fast ausschließlich in der Karakum Wüste in Turkmenistan. Dementsprechend karg ist die Landschaft, aber von Daneliya und seinen Ausstattern mit bizarren, aber dennoch vertrauten Bauten und Requisiten bestückt. Nach kurzer Irritation lebt sich der Zuschauer doch schnell in diese Welt ein, in der es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Wer allerdings schenkelklopfenden Klamauk erwartet, ist hier fehl am Platze. Der Film lebt von von seinen satirischen Elementen, die durchaus subtil und niemals allzu plump daherkommen. Aber auch von seinen sympathisch-skurrilen Figuren, die zwar alle sehr speziell und nicht unbedingt ein Zier für eine genossenschaftliche Gemeinschaft sind, denen man aber gerne durch ihre eigenartigen Abenteuer folgt.

Dabei sind vor allem die Figuren Uef und Bi sehr interessant, da sich an ihnen das ganze Absurdum der Plückschen Hierarchie zeigt. Eine elektronische Vorrichtung von der niemand mehr weiß wie sie funktioniert, zeigt an, ob jemand ein herrschender Tschatlan (klingt wie „Charlatan“) oder ein geknechteter Patsak ist. Der ungestüme und weniger kluge Uef wird dadurch zum Herrscher, während der besonnenere und klügere Bi zum Diener wird. Hier entscheidet ein undurchsichtiges und ungerechtes System, wer in der Gesellschaft oben, wer unten ist. Unabhängig von den Qualitäten, die eine Person vorweisen kann. Angesichts dessen, dass auch in unserem Land noch immer die Herkunft – für die man nichts kann – über Bildungsweg und Chancen entscheidet und oftmals die dafür ungeeignetsten, gierigsten Leutchen an der Spitze von Politik oder Unternehmen sitzen, eine auch heute (leider!) gültige Allegorie.

Mit seinen 133 Minuten ist „Kin-dza-dza!“ etwas lang geraten. Doch hat man sich erst einmal an die langsam dahintreibende, oftmals Schleifen drehende Erzählweise gewöhnt, so vergeht die Zeit wie im Fluge. Gegliedert ist der Film in zwei in etwa gleichlange Teile. Wobei der erste Teil mit einer seltsamen Szene endet, die scheinbar nach dem zweiten Teil spielt und den Studenten nach dem Abenteuer zeigt, wie er mit einer seiner Professorinnen über seine Erlebnisse auf Plück redet, einige nichtssagende Beweise für die Existenz des Planeten präsentiert und ihm unterstellt wird, dass er sich das nur ausgedacht habe, um seine lange Abwesenheit und den Verlust der kostbaren Geige zu erklären. Seltsamerweise wird dies weder im zweiten Teil des Filmes, noch im Finale wieder aufgenommen. Die Szene bleibt ein Fremdkörper, der irgendwie nicht wirklich in den Film passt. Die Frage ist, wieso sie dann dort auftaucht? Gab es vielleicht Ideen, den Film nach dem ersten Teil enden zu lassen? Dramaturgisch hätte man das so machen können. Aber weshalb hat man sie dann noch drinnen gelassen, als der zweite Teil vorlag? Weder im Internet, noch in der einschlägigen Literatur habe ich hierzu Informationen gefunden. Mehr noch, nirgendwo wird auf dieses merkwürdige Zwischenspiel, welches den ganzen Film als Fantasie des Studenten entlarven könnte, eingegangen.

Wie dem auch sei. „Kin-dza-dza!“ ist ein sehr interessanter, einfallsreicher und humorvoller Film, dessen vollständigen Qualitäten vielleicht erst bei einer zweiten Sichtung offensichtlich werden. Sich ein wenig intensiver mit der Zeit seiner Entstehung und den damaligen Verhältnissen in der UdSSR zu beschäftigen, hilft möglicherweise auch und ist generell eine lohnende Tätigkeit. Aber auch ohne diese Kenntnisse kann man „Kin-dza-dza!“ genießen und sich in seinen ebenso kargen, wie fantasiereichen Bildern und der seltsamen, aber doch irgendwie allzu vertrauten Absurditäten der „Plückschen“ Gesellschaft verlieren.

Die Blu-ray des Labels Bildstörung ist mal wieder makellos. Auch wenn sicherlich der eine oder andere wieder über den nicht vorhandenen Ton meckert. Was für mich aber kein Manko darstellt, da ich eh Filme fast immer im Original mit Untertiteln schaue. Das Bild ist schlicht und ergreifend perfekt. Besser geht es bei einem fast 40-jährigen Film nicht. Das wirkt sehr frisch ohne dabei den Kino-Look zu töten. Die sehr klare und natürlich klingende russische Tonspur wurde nicht künstlich aufgemotzt, sondern liegt im Linear PCM 2.0 vor. Während auf der Blu-ray mit dem Film lediglich Trailer als Bonus zu finden sind, schöpft die beiliegende Bonus-Blu-ray aus dem Vollen. Was immer man auch über den 2019 verstorbenen Regisseur Georgiy Daneliya wissen möchte, erfährt man hier. Sei es in einem 14-minütigen Interview oder zwei TV-Specials des russischen Fernsehens (39 und 44 Minuten), Leben und Schaffen werden von allen Seiten beleuchtet, wobei Schwerpunkte immer auch auf seinem bekanntesten Werk „Kin-Dza-Dza!“ liegen. Und das empfehlenswerte 28-seitige Booklet mit aufschlussreichen Texten von Gleb Albert und Daniel Wagner erwähnte ich ja bereits.

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Das Bloggen der Anderen (02-11-21)

Ungewohnter Weise gibt es „Das Bloggen der Anderen“ diesmal auf einem Dienstag. Wie ich schon schrieb, ist der Montag bei mir aktuell immer voll mit anderen Aktivitäten, sodass das eigene Bloggen sich hinten anstellen muss. Zudem gab es auch wieder einmal nicht so viel zu berichten.

– Auf Schattenlichter wird wieder ein sehr schöner Vergleich „Drehorte früher“ – „Drehorte heute“ gemacht. Diesmal für Jean Rollins schönen „Les raisins des mortes“, dessen sehr phantasiereichen deutschen Titel ich hier nicht wiederhole.

– Okay, Das Wes-Anderson-Portrait ist wieder so halbe Promo mit Einkaufs- und Streaminglinks, aber immerhin von Christian Neffe auf kino-zeit.de kompetent geschrieben, weshalb ich das hier mal mit aufnehme. Auch, weil es diese Woche fast nichts anderes gibt.

– Zviad Gamsachurdia stellt auf critic.de Robert Bressons „Lancelot, Ritter der Königin” vor, der nun endlich bei uns auf DVD und Blu-ray erscheinen ist.

– Wie auch ich, war Volker Schönenberger von Die Nacht der lebenden Texte sehr von „Pig“ mit Nicolas Cage begeistert. Danke hier auch für die Erwähnung. Und apropos „Erwähnung“. Jede Kritik die den tollen „Die Farbe“ von Huan Vu erwähnt, muss natürlich auch verlinkt werden.

– Hätte ich „Sukkubus – Den Teufel im Leib“ nicht zusammen mit dem demnächst erscheinenden „Abwärts“ bestellt, läge die Scheibe mit diesem 1989 von Georg Tressler inszenierte Almen-Grusler auch schon bei mir. So macht funxton begeisterter Text die Wartezeit noch härter. Und Danke an dieser Stelle für seine überschwängliche Empfehlung (10/10) von „Mr. Klein“, der damit umgehend auf meinen Einkaufszettel wanderte.

– Zum Abschluss noch zwei Filme aus Italien, die Bluntwolf auf Nischenkino vorstellt. Von „Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen“ habe ich schon viel Gutes gehört und Bluntwolfs Besprechung bestätigt dies noch einmal. „Deep Red“ braucht man nicht mehr groß vorstellen und lustigerweise ist mir heute auch die neue UHD aus England ins Haus getrudelt. Da lese ich das doch gerne noch einmal zur Einstimmung.

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Es ist da! 70 Millimeter – Das Retro-Film-Magazin Nr. 1

Es ist vollbracht und liegt nun nach meinem kleinen Urlaub bei mit Zuhause. Die erste reguläre Ausgabe des „70 Millimeter“-Magazins. Eine Zeitschrift, die sich ganz auf die Filmgeschichte zwischen den Jahren 1966 und 1975 (dem Jahr in dem mit „Der weiße Hai“ das Blockbuster-Kino moderner Prägung seinen Anfang nahm) konzentriert. Und zugleich das erste Heft überhaupt, welches ich als Chefredakteur verantworte.

Der Weg zu dieser Ausgabe war nicht immer einfach, manchmal sogar schmerzhaft – aber das Resultat hat sich in meinen Augen vollauf gelohnt. Ich bin superstolz auf „das Baby“ und danke unserem Herausgeber Jörg Mathieu und „35 Millimeter“-Chefredakteur Clemens Williges für die Unterstützung und manchem guten Rat.

Ich mache mich jetzt gedanklich schon mal an die Nr.2 und empfehle derweil die Artikel von Bernward Knappik über den Biker-Film, Matthias Merkelbach über Gene Hackmans Neo-Noirs, Tonio Klein über die Frage der Selbstjustiz in „Dirty Harry“, Christoph Seelinger über das Kino des Senegals, Roman Widera über die „Sasori“-Serie, Lars Johansen über das Jahr 1968 im Italo-Western, Clemens Williges über den wunderbaren Film „Viy“ und Christian Keßlers Kolumne „Christians Pizza-Stüberl“. Ich selbst habe mir erlaubt etwas über den frühen Klaus Lemke beizusteuern.

Ich hoffe sehr, den Leserinnen und Lesern gefällt die Nr.1 ebenso sehr wie mir und freue mich auch gespannt auf Feedback.

Heft #1 kann man HIER für € 4,80 zzgl. Versand beziehen.

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Das Bloggen der Anderen (18-10-21)

Bevor ich Ende der Woche wieder in den Urlaub verschwinde, wollte ich diese kleine Rubrik zumindest für heute wieder mit Leben füllen. Und da die bloggenden Kolleginnen und Kollegen derzeit auch eher still sind, ist das auch schnell gemacht.

– Auf kino-zeit.de hat Maria Wiesner einen Zweiteiler über die Kulturschaffenden der Weimarer Republik verfasst, die in den 30er Jahren nach Hollywood geflüchtet sind. Für Filminteressierte, die da nicht so tief im Thema sind sehr interessant und gut geschrieben. Teil 1 gibt es hier, Teil 2 dort.

– Bluntwolf erinnert auf Nischenkino an Mario Bavas großartigen „Planet der Vampire“ (von dem ich mir so langsam mal eine Blu-ray wünsche).

– Den 1959 entstandenen „Terror is a Man“ kenne ich zwar noch nicht, bin nach Heikos Besprechung auf Allesglotzer aber durchaus neugierig darauf geworden. Dr.-Moreau-Geschichten gehen bei mir ja immer und Filme von den Philippinen sowieso.

– An „Ex-Drummer“ habe ich mich bisher heute nicht so recht ran getraut. Dass dies ein Versäumnis ist, ist mir durchaus bewusst. Nicht erst nach der Kritik auf Filmsucht.org.

– Wo ich mich durchaus ran trauen würde ist „Willy’s Wonderland“ mit Nicolas Cage. Nicht nur weil ich den Nic ins Herz geschlossen habe, sondern weil der Film auch extrem polarisiert. Die Review von Volker Schönenberger auf Die Nacht der lebenden Texte ist eine der ganz wenigen positiven Reaktionen auf den Film. Und klingt nach etwas, was mir durchaus Freude bereiten könnte. Ich bin gespannt.

– Als ich den Trailer von „Malignant“ im Kino gesehen habe, habe ich gedacht „Mann, mann, mann… das ist nix“. Mittlerweile habe ich von einigen vertrauenswürdigen Quellen gehört, dass mein erster Eindruck hier wohl viel zu negativ war. Auch was funxton über James Wans Werk schreibt, klingt durchaus interessant.

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„Argoman – Der phantastische Supermann“ von Ostalgica erschienen

Spannend, wenn man einmal mitbekommt, wie lange es von der Planung bis zur endgültigen Veröffentlichung eines Titels dauert. Bei „Argoman – Der phantastische Supermann“ von Ostalgica hat es aus diversen Gründen, die der Verlag nicht zu verantworten hatte, wirklich eine gefühlte Ewigkeit gedauert. Jetzt ist das Ding aber da, und ich bin sehr zufrieden mit dem Resultat. Besonders das Cover und Artwork, welches wie ich hörte nicht nur zufällig an „Captain Berlin“ erinnert (leider findet sich nirgendwo der Name des genialen Künstlers), ist toll geworden.

Ich durfte diesmal das Booklet beisteuern (in das sich zu meiner großen Überraschung noch ein kürzerer zweiter Text eines anderen Autoren geschmuggelt hat, der seltsamerweise exakt dasselbe Thema beackert wie ich) und mit dem wunderbaren Lars Johansen den Audiokommentar einsprechen. Lars hat auch ein schönes Videofeature beigesteuert. Daneben gibt es die nur in der US-Fassung enthaltene Pre-Credits-Sequence und das verlängerte Ende.

Das war eine sehr schöne und lohnende Arbeit, in deren Verlauf ich sehr tief in die mir vorher unbekannte Welt der italienischen Superhelden eingetaucht bin. Gerne wieder!

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„35 Millimeter“-Magazin: Ausgabe 43 erhältlich

Ich bin mal wieder sehr spät dran, um auf die (noch) aktuelle Ausgabe der 35 Millimeter hinzuweisen. In der Nummer 43 geht es im Titelthema diesmal um „Das Tier im Film“. Da habe ich mich mal etwas zurückgehalten und den großartigen Kollegen den Vortritt gelassen. Und da ist eine sehr runde und spannende Sache draus geworden.

Ich durfte dieses Mal wieder etwas zur Kolumne „Operation: Europloitation“ beitragen. Und dies habe ich genutzt, um den letzten Jess-Franco-Film aus den Jahren vor 1965 vorzustellen, den ich bisher weder in meinem großen Franco-Artikel in der Nummer oder eben in dieser Kolumne eingehend behandelt habe. Es handelt sich um den sehr raren „El llanero“ aka „Le jaguar“ von 1963, der oftmals als Francos „Western“ verkauft wird. Dazu eine Anmerkung: Ja, das im Artikel verwendete Bild hat nichts, aber auch so rein gar nichts mit dem Film zu tun. Ja, habe ich auch angemerkt und alternatives Bildmaterial gesammelt und zur Verfügung gestellt. Ist offensichtlich trotzdem vor dem Druck noch durchgerutscht. Fehler passieren. Und letztendlich kommt es ja auch auf den Inhalt des Textes an.

Hier der komplette Inhalt des Heftes:

 

 

 

 

 

Heft #43 kann man HIER für € 6,00 zzgl. Versand beziehen.

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Bericht vom 28. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 3

Am dritten und letzten Tag erwartete mich eine schöne Überraschung, denn auch an diesem Sonntag hatte ich Gesellschaft. Mein Weird-Xperience-Mitstreiter Stefan entschloss sich spontan direkt nach seinem Urlaub auch Oldenburg einen Besuch abzustatten.

Gemeinsam wollten wir uns zunächst „Pig“ ansehen. Ich hatte dafür schon seit Freitag ein Ticket, was auch gut war, denn die Vorstellung in der Exzerzierhalle war ausverkauft. Da ich wusste, dass neben meinem Platz in der ersten Reihe noch ein Platz am Rand aufgrund der Hygenieregeln frei war, sollten wir es direkt vor Ort versuchen, diesen Platz quasi nachzubuchen. Doch die wirklich sehr nette Dame an der Exzerzierhalle sagte uns, dass das nicht möglich sei, da – obwohl auf den Tickets Sitzplätze angeben waren – es frei Platzwahl gäbe und damit rechnerisch kein Platz mehr frei sei. Und sie riet davon ab, darauf zu spekulieren, ob jemand kurzfristig seine Karte zurückgäbe.

Also machte sich Stefan auf, im cineK noch innerhalb der Ovidio-G.-Assonitis-Retrospektive den grandiosen „Who Saw Her Die?“ (den ich hier schon mal unter seinem deutschen Titel „The Child – Eine Stadt wird zum Albtraum“  besprochen hatte) zu sehen. An dieser Stelle gebe ich mal seine Worte wieder: Der Film war toll, die digitale Projektion sehr gut und ein Extra-Sternchen gab es für die tolle Einführung in den Film.

In der Exerzierhalle war derweilen tatsächlich die „Platzbindung“ aufgehoben. Jeder zweite Platz war durch ein Tuch als gesperrt ausgeflaggt. Selbst Pärchen mussten immer diesen einen Platz zwischen sich frei lassen, was aber nur zu wenigem und ganz vereinzelten Murren führte. Es wurde auch streng darauf geachtet, dass der Abstand eingehalten wurde. Für mich war das ein großer Vorteil, da ich eigentlich einen Platz ganz außen in der ersten Reihe gehabt hätte und mir nun einen Galaplatz aussuchen konnte. Was mich allerdings wunderte: Die ersten drei Reihen waren fast komplett leer blieben – obwohl die Vorstellung doch ausverkauft gewesen sein sollte. Da hat sich entweder jemand bei der Kapazität verrechnet oder so viele Ticketkäufer waren an diesem Sonntagnachmittag nicht erschienen. Seltsam.

Vor „Pig“ gab es noch den Kurzfilm „Wall #4“ des Niederländers Lucas Camps. Eine nette Geschichte zwischen „Purple Rose of Cairo“, „Im Augenblick der Angst“ und „Demoni“. Im Kino kommentieren einige Zuschauer lautstark und „witzig“ den Film auf der Leinwand, was den beiden Figuren auf der Leinwand (zu Recht!) gar nicht gefällt. Fand ich hübsch.

Pig – Ich hatte vorher nicht viel über den Film gehört. Nur, dass Nicolas Cage die Hauptrolle spielt. Einen Einsiedler, dem sein geliebtes Trüffelschwein gestohlen wird, und der sich nun aufmacht es sich zurück zu holen.

Erwartet habe ich einen kompromisslosen Action-Film in Richtung „John Wick“ mit Nicolas Cage in Selbstjustiz-Modus. Vor allem, weil Regisseur Michael Sarnoski in der Einführung zum Film als „der Regisseur von ‚Love of the Dead‚“ vorgestellt wurde. Das klang irgendwie nach einem Indie-Low-Budget-Zombie-Funsplatter-Film, ist aber wie ich jetzt gesehen habe ein 10 Jahre alter Kurzfilm, der – glaubt man den spärlichen Reviews – eine morbide und ruhige Liebesgeschichte erzählt.

Tatsächlich macht „Pig“ zunächst den Eindruck genau in diese angenommene „I Will Find You And I Will Kill You“-Richtung zu gehen. Denn Rob – die Figur die Cage spielt – begibt sich auf der Suche nach seinem Schwein in die Stadt, wo er geheime Verstecke und zwielichtige Typen kennt. Dann gerät er noch in eine Art Underground-Fight-Club. „Okay, jetzt weiß man wo der Hase hinläuft“, denkt man da bei sich. „Habe ich es doch gewusst!“ Doch dann schlägt der Hase einen Haken und „Pig“ läuft eine völlig andere Richtung.

Denn mitnichten ist Rob ein ehemaliger Gangster oder Killer, sondern ging früher einer völlig anderen Profession nach. Welcher möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, um nicht zu viel zu spoilern. Eigentlich ist es auch egal, denn im Grunde ist Rob auch nur der Katalysator der Geschichte, in der sein junger Trüffel-Kunde Amir – ein glatter, hipper Geschäftsmann mit Sportwagen und Klassik-Vorliebe – die eigentliche Hauptrolle inne hat. Denn er lebt im Schatten seines dominanten Vaters, der ihm gegenüber keine Liebe mehr entgegenbringen kann. Der nicht an ihn glaubt und seit einem schweren Unfall, der seine Frau und damit Amirs Mutter in ein lebenslanges Koma schickte, zu keinen Gefühlen mehr fähig ist. Der sich in seiner Villa vergräbt und hinter seinem Geld und seiner Macht versteckt.

Generell geht es in „Pig“ um nicht verarbeitete Trauer. Der Unfähigkeit nach einem Verlust ins Leben zurückzufinden. Abzuschließen und weiter zu machen. Die unterschiedlichen Arten, wie man mit Verlust umgeht. Aber auch mit dem Verlust der eigenen Träume und Ideale, wie eine großartige Szene in einem fancy Restaurant zeigt, in der Rob den Chefkoch damit konfrontiert, was aus ihm geworden ist und wie sehr er sein früheres Ich betrogen hat. Sich verkauft an etwas, woran er nie glaubte. Das ist ganz großartig gespielt von Cage und David Knell.

Überhaupt Cage. Weit entfernt von seinem Markenzeichen des mega acting. In diesem Film verzieht kaum einmal das Gesicht. Und wenn er wirklich zweimal die tiefen Gefühle Wut und Trauer zeigt, so ist dies ausgesprochen effektiv und wirkt sehr echt. Kein larger than life, sondern real life. Cage ist brillant als Rob, der sich stoisch durch den Film schiebt. Von seiner beeindruckenden Präsenz her erinnert er (auch von den Pfunden, die er hier – neben langen Rauschebart und Haaren – mit sich herumträgt) an den späten Depardieu, der auch wie ein wanderndes Bergmassiv durch seine reine Physis die Leinwand ausfüllt und einfach nur da sein muss, um den Film zu tragen. Die Nebenrollen sind ebenfalls exzellent besetzt. Von Alex Wolff als Amir, der als Stereotype beginnt, um sich dann zum emotionalen Mittelpunkt des Filmes zu entwickeln, über eben David Knell in seiner kleinen Rolle, hin zu Adam Arkin als Amirs Vater.

Regisseur Michael Sarnoski weiß in seinem Langfilmdebüt genau, was er da tut und widersteht der Versuchung, den Film zu einem typischen „ein Mann holt sich sein Eigentum zurück“-Film werden zu lassen. Ganz ruhig und mit viel Wärme erzählt er seine Geschichte. Unaufgeregt, aber mitreißend. Das Einzige was man aussetzten könnte ist, dass Cage vom Anfang bis zum Ende mit blutverschmiertem Gesicht und Bart herumläuft, obwohl sich die Geschichte über mehrere Tage zieht und er mehr als einmal die Gelegenheit hätte, sich endlich mal das Gesicht zu waschen.

Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Spannend auch, dass sich der Film (wie ein Freund ganz richtig bemerkte) bei seinem Finale an einem sehr populären Pixar-Film orientiert. Welcher das ist, sei hier aus oben genannten Gründen nicht verraten. „Pig“ ist eine große und sehr gelungene Überraschung. Ein sehr gefühlvoller Film, der einen noch lange beschäftigt, und der alles richtig macht.

Anmoderation „Pig“

Nach „Pig“ ging es rüber ins cineK, wo ich wieder mit Stefan zusammentraf, der wie gesagt sehr begeistert von „Who Saw Her Die“ war. Wir konnten uns bei einem schönen Bier über die gerade gesehen Filme austauschen, dann ging es gemeinsam ins Kino.

Alien On Stage – „Alien On Stage“ ist ein recht konventioneller Dokumentarfilm. Gedreht von zwei Debüt-Regisseurinnen. Lucy Harvey war vorher bei anderen Produktionen für die Kostüme zuständig. Danielle Kummer hat immer mal mit der Kamera gearbeitet.

Dass Beide noch keine große Erfahrung haben und vorher noch keinen Dokumentarfilm gedreht hatten, merkt man etwas. Es fehlt bei „Alien On Stage“ etwas die Konzentration und der rote Faden. Und es fällt sehr auf, dass hier die Ereignisse nicht chronologisch gefilmt wurden, diese Chronologie aber behauptet wird. Auch fehlt es etwas an einer ausgefeilten Dramatik. Dies mag daran liegen, dass es die in der Realität auch nicht gab. Alles läuft schon sehr glatt ab und der einzige Reibungspunkt ist die (verständliche) Nervosität der Protagonisten. Sonst gibt es keine Konflikte oder größere Missgeschicke.

Natürlich soll hier die Realität nicht für ein paar Lacher oder etwas Thrill verbogen werden. Aber man hätte „Alien On Stage“ sicherlich auch emotional packender und interessanter erzählen können. Stattdessen wird all dem eine Pseudo-“Alien“-Mission mit im Weltall fliegenden Bussen aufgepfropft, die lustig gemeint und liebevoll gemacht ist, aber nicht ganz zum Film passt. Aber dies nur am Rande, denn Spaß macht der Film schon. Und das liegt an seinen wundervollen und liebenswerten Figuren und ihrer schier unglaublichen Geschichte.

Jedes Jahr führen die Angestellten der lokalen Busgesellschaft in Dorset in Südengland ein Amateur-Theater-Stück auf, um etwas Geld zu sammeln. Nachdem ihr „Robin Hood“ im Vorjahr ein Erfolg war, wagen sich die Busfahrer und Busfahrerinnen, Kontrolleure und Büroangestellten nun einen Bühnenadaption von Ridley Scotts „Alien“. Bei der einzigen Aufführung interessiert das in Dorset fast niemanden. Aber ein paar „Alien“-Fans aus London (darunter die beiden Filmemacherinnen) haben Wind von der Sache bekommen, sich auf den Weg nach Dorset gemacht und sind begeistert von dem Amateur-Stück und seinem sympathischen Cast. Also wird per Crowdfunding das renommierte Leicester Square Theatre im Londoner West End für einen einmalige Aufführung von „Alien“ klar gemacht, und die Truppe fährt nach London.

Um es vorweg zu nehmen: Die Aufführung vor einem vollen Haus wird ein voller Erfolg für alle Beteiligten. Wer könnte diese Geschichte nicht lieben? Und die Amateur-Theater-Gruppe ist schlichtweg liebenswert. Hat Spaß an der Sache und kann selber kaum glauben, was da gerade passiert. Ein wenig die Hauptperson ist der Regisseur des Stückes (im wahren Leben ebenfalls Busfahrer), der mit einem wunderbar trockenen Humor glänzt. Aber auch der Einfallsreichtum bei den Bühnenbildern, Kostümen und dem titelgebenden Alien ist beeindruckend und hübsch anzusehen.

Dass fast alle Darsteller und Darstellerinnen die 50 zum Teil weit überschritten haben, so ganz und gar überhaupt nicht wie die Vorbilder aus dem Film aussehen und auch keine brillanten Schauspieler und Schauspielerinnen sind, trägt noch mehr zu der guten Laune und Herzlichkeit dieses Filmes bei. Es macht einfach einen Riesenspaß diesen Leuten zuzusehen, und sich mit ihnen über diese verrückte einmalige Gelegenheit zu freuen. Auch wenn das alles filmisch leider eher einfallslos ist, reißen die verrückten Dorsetter das alles wieder raus. Und wenn man am Ende dann der Aufführung im Leicester Square Theatre beiwohnt, möchte man am liebsten aus dem Sitz aufspringen und lautstarken Applaus spenden.

Den nächsten Film wollten wir auf gar keinen Fall verpassen, denn am 3. Oktober zeigen wir in unserer Weird-Xperience-Reihe George A. Romeros „Zombie“. Und da möchte man natürlich schon dabei sein, wenn es die Gelegenheit gibt, endlich Romeros „verschollenen“ Film „The Amusement Park“ zu sehen. Und die Erwartung war natürlich auch groß.

The Amusement Park – Wikipedia bezeichnet „The Amusement Park“ als „psychological thriller“ was ein ziemlich Blödsinn ist. George A. Romeros Film ist ein „educational film“ (was auf Deutsch „Unterrichtsfilm“ heißt, aber es nicht ganz trifft) über „elderly abuse“. D.h. der Ausgrenzung, Misshandlung und Vernachlässigung älterer Mitmenschen. In Auftrag gegeben und finanziert wurde das Ganze von der „Lutheran Service Society of Western Pennsylvania“. Für Romero war es also eine reine Auftragsarbeit, die er für ein paar Fingerübungen nutzen konnte.

Gedreht an drei Tagen im Jahre 1973 zwischen „Season of the Witch“ und „The Crazies“, wurde der nur 57 minütige Film dann 1975 gezeigt. Wenn man der Trivia trauen kann, war die Lutheran Service Society of Western Pennsylvania überhaupt nicht begeistert, dass Romeros Film stellenweise einem surrealen Horrorfilm glich. Auf jeden Fall landete „The Amusement Park“ im Regal und wurde erst 2017 als 16mm-Kopie wiederentdeckt und restauriert. Nun kann man das verschollen geglaubte Werk sehen und sich selbst ein Bild machen.

Geschrieben von Walton Crook, der scheinbar zu der Zeit mit Laurel, der Produktionsgesellschaft von Romero und Richard P. Rubinstein (die auch „The Amusement Park“ produzierte), zu tun hatte, aber vorher und später nicht weiter auffiel. Das Drehbuch ist von der Marke „Holzhammer“ und Subtilität ist nicht seine Stärke. Ein alter Mann sitzt ziemlich derangiert, verdreckt und verletzt in einem weißen Raum. Ein gut gelaunter Doppelgänger in makelloser Kleider erscheint und will den Raum trotz der Warnung des Anderen, da draußen wäre nichts, verlassen. Als er dies dann trotzdem tut, landet er in einem Freizeitpark. Dort muss er feststellen, dass die älteren Menschen als Störfaktoren angesehen werden, von der Gesellschaft ausgeschlossen, misshandelt und ignoriert werden. Am Ende kommt er ziemlich derangiert, verdreckt und verletzt zurück in den weißen Raum und das Spiel scheint von vorne zu beginnen.

Damit auch der letzte begriffsstutzige Mensch im Kino versteht, was diese Metapher aussagen soll, und wie das alles zu verstehen ist, sind dem Film ein Prolog und ein Epilog vorgeschaltet, in dem der Schauspieler des alten Mannes dem Zuschauer erklärt, worum es in dem Film geht, und dass der Zuschauer selber irgendwann ein alter Mensch sein wird, und dann ebenso von der Gesellschaft geächtet wird, wie der Protagonist des Filmes. Das ist ärgerlich und unnötig. Aber ich vermute mal, Romero war gezwungen das so zu drehen, weil die Lutheran Service Society of Western Pennsylvania den Zuschauern ihres Filmes nicht besonders vertraut hat. Oder wollte, dass ihre Botschaft auch GANZ KLAR ist. So oder so, stören und ja, auch nerven Pro- und Epilog gewaltig.

Ein weiteres Problem des Filmes ist der Hauptdarsteller Lincoln Maazel. Dieser sollte zwar wenig später eine große und wichtige Rolle in Romeros Meisterwerk „Martin“ übernehmen, hier jedoch ist das was er abliefert großes Laientheater. Maazel SPIELT den alten Mann in einer Deutlichkeit, die durchaus zum Pro- und Epilog passt. In jeder Szene scheint er dem Publikum zuzurufen: „Versteht ihr, wie die Figur sich fühlt? Versteht ihr?“. Da der Film nicht viel Dialog hat, wähnte er sich wohl in einem Stummfilm.

Davon abgesehen hat „The Amusement Park“ aber durchaus auch seine Meriten. Romero nutzt die Gelegenheit, um ein wenig zu experimentieren. Mit Michael Gornick, hier für den Sound verantwortlich, und S. William Hinzman (ja, der berühmte erste Zombie aus „Night of the Living Dead“) der hier erstmals an der Kamera tätig war, arbeitete er in denselben Funktionen auch bei „The Crazies“ zusammen. Überhaupt erinnert der Film in manchen Szenen an eine Vorstudie zu dem weitaus berühmteren Film. Das Gefühl der Desorientierung und der Bedrohung durch die Anderen kommt bereits hier gut zur Geltung.

Bedingt durch das Setting, das sichtbar niedrige Budget und die surrealen Einsprengsel erinnert „The Amusement Park“ in seinen besten Momenten aber auch an den Klassiker „Carnival of Souls“. Und der Angriff einer Rockerbande nimmt irgendwie schon „Dawn of the Dead“ vorweg. Betrachtet man „The Amusement Park“ vor diesem Hintergrund, so ist das Ergebnis vielleicht nicht immer überzeugend, aber für den Romero-Fan höchst interessant.

Wenn sich der alte Mann mit einem kleinen Mädchen anfreundet und ihr eine Geschichte vorlesen will, das Mädchen aber von der Mutter fortgezerrt wird und der alte Mann verzweifelt versucht das Märchen weiterzulesen, dann gelingt Romero sogar eine Szene, die einem ans Herz geht. Am Ende halten sich bei „The Amusement Park“ Stärken und Schwächen die Waage.

Damit endete dann für mich das 28. Internationale Filmfest Oldenburg. Dieser Jahrgang gehörte mit Sicherheit zu den stärksten, die ich in meiner langen Zeit als Besucher erleben durfte. Auch vom Drumherum konnte wieder an die Vor-Corona-Zeit angeknüpft werden, und man merkte es allen Beteiligten und dem Publikum an, wie nötig es war, dass es wieder richtig losging.

Dementsprechend lag eine durchweg positive Stimmung und auch so eine Art Aufbruch in bessere Zeiten in der Luft. Dafür nimmt man 3G-Regeln, Maskenpflicht und Sicherheitsabstand doch gerne in Kauf. Auch wenn ich hoffe, dass sich jenes im nächsten Jahr dann endgültig erledigt haben wird. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Nein, es war eine tolle Zeit mit großartigen Filmen. Wenn ich etwas zu meckern habe, dann nur die diesjährige Pressebetreuung. Hier wurde nicht auf Emails reagiert, die Akkreditierungsbestätigung kam extrem spät, und die Pressemitteilungen waren zum Ende hin nicht mehr existent. Die Gewinner der Preise erfuhr man nicht wie üblich per Email am Sonntag, sondern wenn man Glück hatte Tage später zufällig via Facebook. Auch gab es in diesem Jahr ohne weitere Erklärung für die Presse keine Möglichkeit mehr, die Filme auch digital zu sichten. ABER… das sind Dinge von denen der „normale Zuschauer“ nichts mitbekommt, und für den war es ein perfekt organisiertes, durchgeführtes und kuratiertes Festival. Und genau darauf kommt es an!

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