Blu-ray-Rezension: “5 Kämpfer aus Stahl“

Der Clan der Eisernen Flagge setzt sich für das Gute, Recht und Ordnung ein. Sein Gegenspieler ist der kriminelle Adler-Clan, der die Spielcasinos und Bordelle unter seiner Kontrolle hat. Als der Meister der Eisernen Flagge bei einem Treffen mit dem Adler Clan aus dem Hinterhalt ermordet wird, wird Chow Feng (Feng Lu) zum neuen Anführer der Eisernen Flagge bestimmt. Lo Hsin (Phillip Kwok), der eigentlich vom verstorbenen Meister als neuer Chef des Clans auserkoren wurde, nimmt die Schuld an den Vorkommnissen auf sich und verlässt den Clan. Er nimmt auswärts eine Arbeit als Kellner an, um dort erst einmal abzuwarten. Doch bald schon stehen die Attentäter Schlange, um Lo Hsin zu eliminieren. Los Hsin gelingt es mit Hilfe des geheimnisvollen „weißen Wanderers“ (Tien-Hsiang Lung) die zahlreichen Angriffe abzuwehren und macht sich auf den Weg zurück. Doch bei seiner Rückkehr erwartet ihn eine Überraschung…

1978 hatte Chang Cheh für die Shaw Brothers den Film „Five Deadly Venoms“ (dt. „Die unbesiegbaren Fünf“) gedreht und dafür eine Gruppe taiwanesischer Stuntleute und Ex-Peking-Oper-Schüler verpflichtet. Diese wurden in der Folgezeit als „Venom Mob“ in zahlreichen Shaw Brothers-Produktionen eingesetzt. Nun ist „Venom Mob“ eine Bezeichnung, die vor allem von nordamerikanischen Fans und Filmhistorikern verwendet wurde. Die Gruppe nannte sich nie selber so. doch es macht schon Sinn, die Darsteller als Gruppe zu betrachten, da die „Venoms“ zwischen 1978 und 1981 immer wieder zusammen in Shaw-Brothers-Filmen auftraten. Manchmal alle zusammen, manchmal nur ein paar von ihnen. In „5 Kämpfer aus Stahl“ sind es Philip Kwok, der die Hauptrolle des Lo Hsin spielt, Chiang Sheng als sein Verbündeter und Freund Yun Liang und Lu Feng als ihre großer Gegenspieler Chow Feng.

Mit den „Venoms“ hielt auch ein etwas anderer Stil in Chang Chehs Filmen Einzug. Seine Filme, die er um 1980 herum drehte, machen keinerlei Hehl mehr aus seinen Vorlieben. Seine Kämpfer zeichnen sich dort durch sichtbares (besonders gut nun in HD zu erkennen) Make-Up, ausufernden Haarwuchs und vor allem exzentrischer Kleidung aus. Letzter war immer darauf bedacht, möglichst viel von den glänzenden und muskulösen männlichen Körpern zu zeigen. Die durch das schwere Make-Up und die beeindruckenden Perücken fast schon leicht androgyn wirkenden Darsteller in Satin-Roben, Netzhemden und Leder wie aus einem Sci-Fi-Film gewandet. Zudem ist die Action sehr blutig. Man glaubt es kaum, aber sie scheint sogar noch brutaler als in den auch nicht gerade zimperlichen David-Chiang/Ti-Lung-Filmen einige Jahre zuvor. Da werden Leiber komplett durchbohrt und der rote Saft spritzt in Fontänen, wie man es aus japanischen Samurai-Filmen kennt. Auch die Kämpfe haben jede Form des Realismus verloren und sind nun nicht mehr nur Todesballett, sondern Todes-Akrobatik. Da wird der Gegner hoch in die Luft getreten und dann im Fall aufgespießt. Aus den exotischen Waffen kommen Kugeln, Splitter und kleine Dolche geschossen. Genutzt werden neben den mit großen Flaggen (der englische Titel lautet dann auch „Flag of Iron“) verzierten Sperren noch Äxte, Sicheln, ein Abakus (!!!) und allerlei weitere Stich- und Schlitzwaffen.

Dies wird durch den Kniff des Drehbuchs ermöglicht, dass sich der verstoßene Lo Hsin in der ersten Hälfte des Filmes immer wieder einem Killerclan erwehren muss, welcher aus acht Attentätern besteht, die selbstverständlich alle ihre eigenen Marotten und ausgefallenen Mordmethoden haben. Sehr zum Vergnügen des Zuschauers, der hier einiges an einfallsreichen Kampfszenen geboten bekommt. Nach Lo Hsins Rückkehr verlegt sich der Film zunächst auf die Intrigen und Schachzüge Chow Fengs mit denen er Lo Hsin Mund- oder gleich ganz tot machen möchte. Sowie die Planungen Lo Hsins, Yun Liangs und des geheimnisvollen fremden Wanderers, die eben jene durchkreuzen wollen. Dabei steht die Action meistens im Hintergrund. Doch weiß Chang Cheh einerseits auch diese eher dialoglastigen Passagen so zu inszenieren, dass die Spannung hochgehalten wird. Andererseits wird der Zuschauer mit mindestens zwei spektakulären Kampfszenen belohnt, von der gerade das Finale mit seiner blutigen Intensität beeindruckt. Die Idee mit den Flaggen an den Sperren sorgt dabei gerade in den Zeitlupenaufnahmen für einige visuell sehr hübsche Einstellungen.

In der Rolle des Wanderers ist Tien-Hsiang Lung zu sehen. Ein taiwanesischer Schauspieler, der nicht zu den „Venoms“ gehörte und vor „5 Kämpfer aus Stahl“ vor allem in preisgünstiger taiwanesischer B-Ware zu sehen war. „5 Kämpfer aus Stahl“ ist seine erste Rolle bei den Shaw Brothers und sein erster Film mit Chang Cheh, der ihn daraufhin noch öfter einsetzen sollte. Der leicht wie Elvis in den 70ern aussehende Tien-Hsiang Lung hat hier die vielleicht interessanteste und vielschichtigste Rolle. Da ist es fast schade, dass er zwar einen wichtigen Part in der Geschichte, aber doch nur eine größere Nebenrollen innehatte. Man hätte sich hier auch gut Ti Lung vorstellen können, dem dann sicherlich mehr Raum gegeben worden wäre. Tien-Hsiang Lung ist weder kämpferisch, noch darstellerisch auf einem Level wie Ti Lung, aber macht seine Sache zwar stoisch, aber gut.

Auf der Blu-ray von filmArt befindet sich unter den Extras die kurze deutsche Kinofassung, welche ich mir nicht angesehen habe. Diese musste gegenüber die Originalfassung eine halbe Stunde an Handlung lassen und man fragt sich unwillkürlich, wie das funktioniert haben soll. Die lange chinesische Fassung springt bei den in der deutschen Kinofassung nicht enthaltenen Passagen immer wieder und wieder auf die Mandarin-Tonspur, sodass man einen guten Eindruck erhält, was damals alles fehlte. Und dies ist sehr viel und auch wichtige Handlung, die rausgeworfen wurde. Teilweise wird in den Dialogen geschnitten, wenn in diesen auf Ereignisse eingegangen wird, die man in der deutschen Fassung nicht zu sehen bekam – oder auf deren Basis neue Pläne geschmiedet werden. Da die Tonspur wirklich häufig und schnell hintereinander wechselt, ist es empfehlenswert gleich auf Mandarin zu wechseln. Es sei denn man ist neugierig, was in Deutschland alles fehlte. Ansonsten ist noch ein Booklet mit dem kompletten deutschen Aushangfotosatz des Films dabei, sowie eine Bildergalerie, eine Trailer-Show, der deutsche Kinotrailer sowie einen Promo-Trailer. Ein Wendecover mit dem deutschen Kinoplakat gibt es auch.

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Blu-ray-Rezension: „Dealer Connection – Die Straße des Heroins“

Der coole Drogenschmuggler Fabio (Testi) wird am Flughafen erwischt und von einer getarnten Interpol-Einheit unter der Führung des Briten Mike Hamilton (David Hemmings) inhaftiert. Im Gefängnis trifft Fabio auf den drogensüchtigen Gilo (Wolfango Soldati), der dort sitzt, weil er vor einer Schule versucht hat zu dealen. Fabio gelingt es gemeinsam mit Gilo zu fliehen, und Kontakt mit den Männern hinter den Drogengeschäften aufzunehmen.

Nach seinen beiden Meisterwerken „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ und „Tote Zeugen singen nicht“, sowie seinem eher durchschnittlichen „Der Tag der Cobra“ ist „Dealer Connection – Die Straße des Heroins“ nun schon der vierte Filme von Enzo G. Castellari, der in der Polizieschi Edition von filmArt erscheint. Und dieser reiht sich irgendwo zwischen den beiden erstgenannten und dem letzterem ein. Kein Meisterwerk, aber weit davon entfernt nur „solides Handwerk“ (wie ich hier über „Der Tag der Cobra“ schrieb) zu sein. Statt Franco Nero sehen wir diesmal Fabio Testi (mit dem Castellari im Jahr zuvor „Racket“ gedreht hat) in der Hauptrolle.

Testi passt auch gut in die Rolle des angeblichen Drogenschmugglers/Undercover-Cop Fabio (hier war man mit der Namensfindung eher pragmatisch). Er hat etwas leicht überhebliches und trotz seinen verdammt guten Aussehens auch dezent schmieriges an sich. Und wer immer auch für das Kostüm zuständig war und den großen, athletischen Testi in viel zu enge Jeans gesteckt hat, ihm Cowboystiefel verpasst hat, die eine Nummer zu groß scheinen, und neben einer Jeansjacke mit der seltsamen und schlecht gestickter Aufschrift „Matt“ (wer immer das auch sein soll) noch ein hübsch zerschlissenes Capi auf den Kopf gesteckt hat, der meinte es nicht gut mit ihm. Denn dadurch sieht er weniger wie ein Drogenschmuggler, als vielmehr eine Karikatur auf die Gay-Culture der 70er aus und reizt heutzutage mehr zu schmunzeln. Natürlich nimmt man ihm als Zuschauer von Anfang an nicht ab, dass er einen skrupellosen Drogenschmuggler spielt, der – wie er im Film behauptet – selber an der Nadel hängt. Man riecht den Cop quasi einige Meilen gegen den Wind. Aber das macht nichts, denn „Dealer Connection“ ist kein Film, der von raffinierten Wendungen lebt. Vielmehr bemüht er sich – ähnlich wie „Opium Connection“ – zunächst um ein semi-dokumentarischen Stil, der aufzeigt, wie die Drogenrouten in Europa verlaufen. Wird Testi allerdings geschnappt, dann ist es damit schnell vorbei. Wobei sich Castellari und seine Drehbuchautoren tatsächlich bemühen, ein abschreckendes Bild des Drogensumpfes im Italien der 70er Jahre zu zeichnen. Dass dabei manch ein Charakter zum übertriebenen Zerrbild gerät, wie beispielsweise Sergio Ruggeri, der einen übergewichtigen, in Leder gewandeten Dealer spielt, nimmt man scheinbar gerne in Kauf.

„Dealer Connection“ führt seine Botschaft, dass Drogen das abgrundtief böse sind und den Menschen zum verabscheuungswürdigen Bodensatz der Menschheit machen, manchmal etwas allzu plakativ vor sich her. Da leckt ein Drogenopfer in Ekstase die dreckige Kloschüssel ab, auf die eine Prise Koks gefallen ist. Der Aushilfs-Dealer und Junkie Gilo lauert skrupellos vor einer Schule Schulkindern auf, um diesen seinen Stoff anzudrehen. Worauf ihn der gerechte Zorn des Volkes trifft. Später nässt er sich ein, als er von seinen Drogen abgeschnitten wird. Der Weg der Drogen (so der Originaltitel des Filmes) führt ohne Wenn und Aber in den Abgrund. Flankiert von abartigen Dealer, die das Böse in Person sind. Hier wird die Welt eben recht simpel in Schwarz und Weiß aufgeteilt.

Insgesamt wirkt der Film teilweise etwas zerfahren. Der bereits angesprochene semi-dokumentarische Stil wird schnell fallen gelassen. Die Guten sind eine Interpol-Undercover-Organisation mit britischem Anführer, welche sich als Firma tarnt. Wieso und weshalb bleibt im Dunkeln. Auch, warum Interpol quasi als Geheimpolizei mit einem inoffiziellen Gefängnis mitten in Italien agieren kann und in wie weit sie mit den italienischen Behörden zusammenarbeiten, bleibt im Dunkeln. Dann konzentriert man sich auf das Paar Gilo und seiner Freundin Vera (Sherry Buchanan aus „Zombies unter Kannibalen“), welches eine seltsame Beziehung pflegt. Vera prostituiert sich für Gilo indem sie mit einer schönen, reichen Frau (eine viel zu kleine Rolle für Patrizia „Malabimba“ Webley) schläft, während er vor der Tür warten muss. Daraufhin greift sich Gilo die Bezahlung, um sich Drogen zu kaufen, was für Vera scheinbar okay ist. Dann wird dieser Handlungsstrang auch eingestellt und der Film nimmt eine neue Wendung.

Denn die letzte halbe Stunde ist eine einzige Verfolgungsjagd, bei der sich Katz und Maus ständig ändern. Dabei verwundert ein wenig die große Zurückhaltung Castellaris, was sein Markenzeichen der Zerdehnung der Actionszenen und die Stilisierung der Gewalt angeht. Das ist alles doch sehr straight inszeniert. Schnell und direkt, aber eben ganz ohne die wuchtigen und emotional aufwühlenden Slow-Motion-Shoot-Outs und Action-Pieces, wie man sie z.B. aus „Ein Bürger setzt sich zu Wehr“ kennt. Vielleicht wollte sich Castellari einfach mal von einer anderen Seite zeigen und etwas Neues ausprobieren. Vielleicht war er nach dem massiven Einsatz dieses Stilmittels in den vorangegangenen Filmen auch diesem müde geworden. Immerhin baut er hier und dort in seine Actionszenen einige nette Spielereien ein, die dem Film sehr gut tun.

Zwei Höhepunkte, die den Film definitiv sehenswert machen sind David Hemmings und die Musikgruppe Goblin. Hemmings hat sichtlich Freude an der Rolle, die ihn auch körperlich einiges abverlangt, da er in den die Actionszenen stark involviert wird. Nur zwei Jahre nach „Deep Red“ sieht Hemmings sehr viel älter und auch schwerer aus. Ist aber in bester Spiellaune und absolut fit. Die Musik von Goblin (ein der wenigen Arbeiten, die nicht für Argento entstanden) ist düster und geht sofort ins Ohr. Vielleicht liegt es daran, dass man ihre Musik vor allem mit Psychothrillern und Horrorfilmen assoziiert, dass sie hier recht bedrohlich wirkt. Auf jeden Fall wertet sie den Film noch einmal kräftig auf. Zudem macht es große Freude viele bekannte Gesichter des italienischen Actionsfilms wiederzusehen, die vor allem in Castellaris Filmen immer wieder auftauchen, wie Romano Puppo oder Massimo Vanni. Mysteriös ist der Schauspieler Joshua Sinclair, der laut IMDb und Wiki 1953 in den USA geboren wurde, einige Drehbücher (u.a. für Fassbinder „Lilli Marleen“, so für David Hemmings recht verunglückte Regiearbeit „Schöner Gigolo, armer Gigolo“) schrieb. Hier soll er – wie öfters bei Castellari – als „Johnny Loffredo“ den Gianni gespielt haben. Es gibt aber auch Quellen, die den Schauspieler einfach nur als „Gianluigi Loffredo“ führen. Ob es trotzdem dieselbe Person ist? Die IMDb führt „Gianluigi“ auch als Alternativnamen. Bleibt die Frage, weshalb sich ein Amerikaner zum Italiener macht. In der Regel war es in Cinecittà ja immer andersherum.

Die Polizieschi Edition Nummer 19 von filmArt weiß wieder einmal durch ein sehr gutes Bild zu gefallen, welches weder weichzeichnet noch tot filtert. Vorbildlich! Der Ton liegt auf Deutsch, Italienisch und Englisch vor. Alle drei Spuren können sich hören lassen. Deutsche Untertitel erlauben es auch der italienischen Fassung zu lauschen. An Extras ist nicht viel dabei. Trailer, Bildergalerie, der italienische Vor- und Abspann (der auf der Disc enthaltene ist sonst der englische). Ein Video mit Filmauschnitten und der Filmmusik und ein Booklet mit dem deutschen Fotoaushang runden diese Veröffentlichung ab.

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Gast-Rezension: „Im Banne des Kalifen“

von Carsten Henkelmann

Der Junge Majeed (Puneet Sira) kommt in eine Stadt, über die der Kalif Alquazar (Christopher Lee) herrscht. Mit magischen Fähigkeiten und gnadenloser Härte macht er sein Volk untertan. Als der Prinz Hasan (Oliver Tobias) in die Stadt kommt und um die Hand der hübschen Stieftochter Zuleira (Emma Samms) bittet, gewährt Alquazar ihm diese nur, wenn es Hasan gelingt ihm eine magische Rose zu bringen, die Alquazar selber nicht pflücken kann. Natürlich hat Alquazar niemals vor, dem Prinzen seine Stieftochter zur Frau zu geben. Derweil hat Majeed Ärger mit Banditen in der Stadt und kann nur durch eine Fee gerettet werden. Ungewollt landet er auf dem fliegenden Teppich, mit dem Hasan zu seiner Reise aufgebrochen ist, außerdem ist auf Wunsch Alquazars der angebliche Leibwächter Khasim (Milo O’Shea) noch dabei. Zu dritt versuchen sie nun, diverse Gefahren zu überleben und die Rose zu finden.

Auch wenn vieles an den großartigen Fantasy-Klassiker DER DIEB VON BAGDAD (The Thief of Bagdad, 1940) erinnert, so hat man es doch nicht mit einem direkten Remake zu tun. Viele Handlungselemente sind ähnlich, aber variieren doch noch sehr stark. Wer allerdings den alten Film mag, wird sich sicher auch mit diesem Werk anfreunden können. Es beginnt ganz klassisch mit einem Märchenbuch, das den Titel des Films auf seiner Vorderseite eingedruckt hat, und einer Figurenkonstellation, die so ganz typisch Märchen ist. Der tapfere Held, der böse König bzw. Kalif, die schöne, aber unterdrückte Prinzessin, der zwielichtige Gehilfe des Herrschers und der stets gutgelaunte Begleiter des Heldes sind allesamt keine unbekannten Charakterzüge. Tricktechnisch arbeite man vor allem viel mit Miniaturen und Rückprojektionen, wobei man allerdings manchen Effekten auch ansieht, dass ihnen ein wenig mehr Budget nicht unbedingt geschadet hätte. Gerade wenn aus der Ferne Menschen auf fliegenden Teppichen gezeigt werden, sieht es doch ein wenig nach Puppentheater aus und die orientalische Stadt, über die öfters hinweg geflogen wird, wäre mit mehr Detailarbeit etwas glaubwürdiger gelungen. Aber sei’s drum, dafür gibt es eine Geschichte, die zwar relativ vorhersehbar und altbekannt abläuft, aber immerhin gut zu unterhalten weiß und es gibt Luftkämpfe auf fliegenden Teppichen! Mir ist bislang kein anderer Film bekannt, der sowas zu bieten hat!

Auf Seiten der Darsteller sticht natürlich Christopher Lee heraus, der zwar mal wieder “nur” den Bösewicht mimt, aber nicht so blass wirkt wie sein filmischer Gegenspieler Oliver Tobias in der Rolle des Hasan. Zwar ein gutaussehendes Kerlchen und sportlich, allerdings fehlt es ihm deutlich an Leinwandpräsenz. Emma Samms darf vor allem hübsch aussehen, verkörpert aber allzu erwartbar nur die “Damsel in Distress”. Und auch wenn Puneet Sira mit damals 12 Jahren seinen Majeed mit viel Witz und Empathie verkörpert, ist er aber auch kein Sabu, der Hauptdarsteller aus dem 1940er Film. Dafür ist Majeed noch etwas zu sehr Kind und ängstlich, aber definitiv der Sympathieträger des Films. In einer kleinen Nebenrolle ist außerdem noch Peter Cushing zu sehen, als ins Verlies geworfener ehemaliger Großwesir der Stadt und kurzzeitiger Mithäftling Hasans. Allerdings haben er und Christopher Lee leider keine gemeinsame Szene in diesem Film.

Auf Blu-ray gibt es den Film mittlerweile von Cinestrange, eine eigentlich eher ungewöhnliche Wahl für dieses Label. Erhältlich ist er bislang in drei Mediabook-Varianten, wobei Covervariante A nur in einem wattierten, und damit auch teureren, Mediabook angeboten wird. Gegen die Bild- und Tonqualität gibt es nichts zu sagen, beides sieht und hört sich gut an. Neben der deutschen Synchronisation werden auch der englische Originalton und optionale deutsche Untertitel angeboten. Beim Bonusmaterial gibt es eine gut 40-minütige Dokumentation namens “Exploring an Arabian Adventure” sowie die Super-8-Version, die ca. 31 Minuten lang ist. Weitere Infos werden abschließend noch in dem dicken, 52-seitigem Booklet vermittelt.

Wer auf klassische Abenteuer in klassischer Inszenierung steht, der wird mit IM BANN DES KALIFEN sicher seinen Spaß haben. Er ist vielleicht nicht wirklich gut gealtert, sorgt aber an einem entspannten Sonntagnachmittag für gute Unterhaltung und ist auch ein Film, den Kinder sich ohne Probleme anschauen können. (Carsten Henkelmann)

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Blu-ray-Rezension: „Hanussen“

Im 1. Weltkrieg wird Klaus Schneider am Kopf verletzt und in das Krankenhaus des Dr. Bettelheim eingeliefert. Dieser findet heraus, dass Schneider eine hellseherische Gabe besitzt. Nach dem Krieg tut sich Schneider mit seinem ehemaligen Hauptmann Nowotny zusammen, der sein Berater und Manager wird. Schneider ändert seinen Namen in Erik Jan Hanussen und startet in den 20er Jahren eine erfolgreiche Karriere als Varieté-Star…

Nein, mit dem realen Erik Jan Hanussen alias Herschel Steinschneider (oder Klaus Schneider, wie er im Film heißt), hat der Film „Hanussen“ nicht sehr viel zu tun. Im Gegenteil. Hier wird eine andere, fiktive Persönlichkeit porträtiert als der – wie man nachlesen kann – äußert zwielichtige, kriminelle, betrügerische und sich den Nazis andienende reale Hanussen. Dessen Herkunft wurde schnell mal neu erfunden und seine jüdische Abstammung aus dem Drehbuch getilgt. Ganz am Anfang wird der gute Hanussen im 1. Weltkrieg als Gruppenführer in Kampfgefechte verwickelt und schwer verwundet, während der echte Hanussen es mit allerlei schmutzigen Tricks vermeiden konnte, an die Front geschickt zu werden. Dass Hanussen tatsächlich über übersinnliche Fähigkeiten verfügt, daran lässt der Film keinerlei Zweifel, während Hanussen selber in seiner – ebenfalls sehr geschwindelten – Autobiographie zumindest ab und an zugeben hat, nur Tricks und Leichtgläubigkeit genutzt zu haben. Der Film-Hanussen ist ein charismatischer Prophet, ein Märtyrer, eine Unschuldiger, der unpolitisch sein möchte. Doch durch seine Naivität, seine Eitelkeit, seine Arroganz und trotz seherischer Fähigkeiten ist er blind für die Gefahr in seinem sozialen Umfeld, von welchem er manipuliert, ausgenutzt und entsorgt wird.

Vor allem ist Hanussen eine Paraderolle für seinen Darsteller Klaus Maria Brandauer. Die ganze „neue“ Geschichte um Hanussen ist so geschrieben worden, dass Brandauer eine große Bühne geboten wird. So kann Brandauer noch einmal seine Glanzrolle als Hendrik Höfgen aus „Mephisto“ wiederholen, den ersten Film einer Trilogie, die er mit dem ungarischen Regisseur István Szabó drehte (vor „Hanussen“ bildet „Oberst Redl“ das Mittelstück). In allen drei Filmen spielt Brandauer den Emporkömmling, der sich an das System verkauft, um dann von ihm gebrochen zu werden. Interessanter und eine weitaus größere Herausforderung für Brandauer wäre es sicherlich gewesen, ihn den echten Hanussen spielen zu lassen. Den schmierigen, opportunistischen Betrüger und Kollaborateur. Doch das war scheinbar weder in Brandauers noch Szabós Interesse. Sie wollen Hanussen als tragisch-mythische Gestalt porträtieren und dementsprechend ist „Hanussen“ vor allem eine große Brandauer-Show. Die hat es dann auch einfacher Applaus zu finden, und die Oscar-Nominierung und die vielen Preise zeigen, dass der Plan aufging.

Findet man sich damit ab, akzeptiert, dass hier historische Fakten solange ge- und verbogen werden bis sie in die Geschichte passen, findet man auch einiges sehenswertes. Doch darf die Frage gestellt werden, ob es angebracht ist, eine reale Figur wie Hanussen auf eine derart überhöhte Weise zu zeigen. Wäre es nicht angebrachter gewesen, sich allein von seinem Wirken inspirieren zu lassen und der Hauptfigur einen anderen Namen zu geben (und damit meine ich nicht nur den – eh unbekannten – Geburtsnamen zu ändern)? Bei Leni Riefenstahl (alias Henni Stahl) und dem namenlosen Propagandaminister klappt das ja auch. So wird ein Großteil des Publikums die Geschichte und den Charakter Hanussens als bare Münze nehmen und für jemanden Sympathie empfinden, der es nicht verdient hat. Doch befreien wir uns nun von diesen Bedenken und betrachten den Film als komplett fiktives Werk. Und dort ist Hanussen natürlich die Weiterführung von Höfgen und Redl. Ein Mensch, der in seinem Machtstreben von den Verhältnissen, deren er sich an- und bedienen will, zerstört wird.

Den langsamen Aufstieg des Nationalsozialismus, der von der Ausweglosigkeit der Massen begünstigt wird, hat Szabó gut seziert. Wie von den herrschenden Oberschicht ignoriert wird, dass sich die Schere in der Weltwirtschaftskrise immer weiter öffnet, das Volk und die Mittelschicht in Armut und Ausweglosigkeit gleitet und dabei sich der Hass auf „die da oben“ wie eine Seuche ausbreitet. „Das Volk will Ordnung“ sagt Hanussen einmal. Und so kann das braune Geschwür sich der Ängste, Frustration und der Hilflosigkeit der Armen bedienen und seine Macht scheinbar widerstandslos mehren. Heute leider prophetischer als alles, was der echte Hanussen je weissagte. Der Film-Hanussen sieht dies alles, aber will „unpolitisch“ bleiben. Und eigentlich passt es ihm ebenfalls ganz gut, denn von den selben Gefühlen lebt auch seine Hellseher-Show. Szabó zieht dabei oftmals einen Vergleich zwischen Hanussen und Hitler. Sei es, dass er beiden dasselbe Geburtsdatum unterstellt oder sie sich in den gleichen Posen ablichten lassen. Wobei man sich fragt, ob Szabo dadurch, dass er Hanussen zu einer mythischen Figur erhöht, nicht dasselbe für Hitler (der hier nur in Archivaufnahmen auftaucht) tut. Konkreter wäre es gewesen – wenn man die beiden schon miteinander vergleicht, bzw. nebeneinanderstellt – Hanussen als den Trickbetrüger, Schwindler und Manipulator darzustellen, der er war. Weniger als „besonderen“ Menschen mit hellseherischen, hypnotischen und gedankenlesenden Eigenschaften. Denn diese werde im Film nie wirklich in Frage gestellt und gerade dadurch, dass unterschwellig Hitler als eine Art Alter Ego oder zumindest gleiches Symptom der Zeit dargestellt wird, geht das Mythische in diesem Film auch auf diese Gestalt über.

Klaus Maria Brandauer passt perfekt in die Rolle des Hanussen. Dass er von der Bühne kommt, merkt man bei Brandauer immer. Er ist kein klassischer Filmschauspieler. Seine Darstellung hat immer etwas leicht überzogenes, theaterhaftes. Monologe werde von ihm nie gesprochen, sondern deklamiert. Dialog gerne geschrien, geflüstert und in ein melodisches Singsang gepackt. Diese Künstlichkeit passt gut zu einem Mann wie Hanussen, der ja auch vor allem schauspielert. Demgegenüber spielt der große Bergman-Schauspieler Erland Josephson sehr zurückhaltend, aber letztendlich effektiver. Eigentlich ist seine Figur auch die interessantere. Ein jüdischer Arzt, der Schneider erst zu Hanussen macht. Der darüber hinwegsehen muss, dass Hanussen ihm seine Geliebte ausspannt. Und der – obwohl er ahnt, was ihn erwartet – Deutschland nicht verlassen kann und will. Spannend auch die im Film nur angedeutete, aber leider nicht ganz ausgespielte homosexuelle Beziehung zwischen den Beiden (auf die Frage wen er liebt nennt Hanussen drei Männer, später erklärt er einer seiner vielen Geliebten, er könne nicht lieben). Leider gerät diese Figur sehr in den Hintergrund. Ähnliches gilt für den schneidigen Hauptmann Nowotny, der erst Vorgesetzter, dann Manager Hanussens ist. Eine Paraderolle für Károly Eperjes, der nicht nur häufig mit Szabó zusammenarbeitete, sondern auch aller bestens als unheimlicher Kindermörder in Robert Siegels großartigem „Laurin“ im Gedächtnis geblieben ist. Überhaupt sind allein die Nebendarsteller den Film wert, auch wenn sie von Brandauers Omnipräsenz an den Rand gedrängt werden.

Szabó arbeitet viel mit Gegenlicht, Großaufnahmen und Räumen. So bleibt vieles im Undeutlichen, da man förmlich geblendet wird. So wie das Publikum im Film die wahre Natur Hanussens nicht erkennt, da es durch sein Charisma geblendet wird. Bis auf den Anfang und das Finale gibt es zudem kaum Szenen, die im Freien spielen. Hanussen bleibt in Gebäuden. In Restaurants, Hotels, Clubs und Theatern. Hier kann er sich seine eigene Welt erschaffen. Hier kann sein Macht über andere ausspielen. Wenn er ins Freie gerät, dann gibt es dann nichts mehr, was ihn schützt. Hier wartet nur der Tod auf ihn und Hanussen besitzt keine Macht mehr, um ihm ein Schnippchen zu schlagen. Außerhalb der Masse, außerhalb des sicheren Raumes, ist auch ein Eric Jan Hanussen nur ein ganz normaler, ängstlicher und schutzloser Mensch.

Die Bildqualität der UMC One Blu-ray ist schwer zu beurteilen. Da Szabó viele helle Gegenlichtaufnahmen nutzt, franst das Bild häufig aus und wird sehr weich. Teilweise sieht das dann extrem körnig und verwaschen aus. Ob dies eine bewusste künstlerische Entscheidung des Regisseurs war und bereits im Ursprungsmaterial so vorhanden – oder ob man bei der 4K-Restaurierung noch etwas hätte rausholen können, das vermag ich nicht zu sagen. Daher enthalte ich mich auch einer Wertung. Grundsätzlich schwanken die Intensität der Farben und die Schärfe von Szene zu Szene, woraus man den Schluss ziehen kann, dass Szabo auch unterschiedliches Material und/oder Kameras nutze. Womöglich ist dies also ein gewollter Effekt. Der Ton liegt lediglich auf Deutsch vor und ist gut verständlich. An Extras gibt es bis auf Trailer nicht viel. Das im Mediabook eingeklebte Booklet hat schöne Bilder, der Text zur historischen Figur, den Schauspielern und dem Regisseur gibt allerdings nur wider, was man auch auf Wikipedia hätte lesen können. Ein kleines Rätsel bleibt die Laufzeit. Diese beträgt 119 Minuten. Im der IMDb wird aber 140 Minuten angegeben. Wobei unklar ist, worauf sich diese bezieht. Die deutsche Kinofassung betrug auch 119 Minuten. UMC One hat aber auch für diese Tage eine „besondere Langfassung“ auf einfacher Blu-ray angekündigt. Ob dies die 21 Minuten längere Fassung ist und wenn ja, weshalb diese nicht im bereits im deutlich teureren Mediabook inkludiert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.

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Neue Veröffentlichungen aus dem 35-Millimeter-Verlag

Die neue 70MM ist da! Zum fünften Mal durfte ich diese Zeitschrift als Chefredakteur betreuen, und ich bin auch diesmal wieder durchaus zufrieden mit dem Ergebnis. Ich selber habe auch einen Artikel über die „Street Fighter“-Trilogie mit Sonny Chiba beigetragen.

Ferner erhältlich: Die neunte Sonderausgabe der 35MM zum Thema 3-D- Film (mit einem Text von mir zu „The Mad Magician“) und die reguläre Ausgabe 51 mit Schwerpunkt Western (hier schrieb ich über die Western von Jack Arnold).

Also sehr viel Lesestoff für die interessierten Filmfreunde.

Die 70 Millimeter #5 gibt es HIER für 4,80 zzgl. Versand.

Die 35 Millimeter Sonderausgabe #9 findet man HIER für € 7,20 zzgl. Versand.

Die 35 Millimeter #51 kann man HIER für € 7,20 zzgl. Versand beziehen.

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Blu-ray-Rezension: “Der Schrei des gelben Adlers“

Chi Ming-Sing (Ti Lung) ist auf der Flucht. Erschöpft und halb verhungert wird er von einem Fremden (Alexander Fu Sheng) gefunden, der ihn wieder aufpäppelt. Statt Dankbarkeit zu zeigen, stiehlt im Chi Ming-Sing dem Fremden allerdings das Pferd und den Proviant. Bald schon aber hat der Fremde Chi wieder eingeholt. Just in diesem Moment erscheinen vier Männer, die Chi an den Kragen wollen. Gemeinsam können Chi und der Fremde diese erledigen. Langsam fasst Chi Vertrauen zu dem Fremden und erzählt ihm seine Geschichte. Er wuchs als Waisenkind auf und wurde zusammen mit zwölf anderen Kindern von dem brutalen Kung-Fu Meister Yoh Xi-Hung (Feng Ku) zu skrupellosen Killern und Räubern erzogen. Nun sorgen sie als die 13 Adler für Angst und Schrecken. Doch Chi hat dem allen nun den Rücken gekehrt und damit sein Todesurteil unterschrieben…

Chung Sun ist kein Regisseur, der einem sofort einfällt, wenn man an die Shaw Brothers Produktionen denkt. Sein bekanntester Film hier dürfte „Chun Fang – Das blutige Geheimnis“ aka „Human Lanterns“ von 1982 sein. Doch unter Experten verfügt Chung Sun über einen hervorragenden Ruf und sein „Der Schrei des gelben Adlers“ wird hoch gelobt. Zu Recht! Chung Suns Stil unterscheidet sich deutlich von den drei großen Regie-Stars der Shaw Brothers. Er hat weder das epische Blutvergießen eines Chang Cheh, noch die akrobatische Eleganz eines Liu Chia-Liang oder gar die geheimnisvolle, fantasiereiche Atmosphäre eines Chu Yuan.

Vor 10 Jahren schrieb ich über „Die Todeshand des gelben Adlers“, der ebenfalls von Chung Sun inszeniert wurde und damals in der zweiten Shaw-Brothers-Box von Koch Media erschien: „(Der Film) besticht vor allem durch seine originelle Kameraführung, die eher untypisch für eine Shaw Brothers-Produktion ist. Immer wieder wird der ungewöhnliche Winkel gesucht und die Kamera dynamisch eingesetzt. Durch die häufige Verwendung von Zeitlupen und eingefrorene Bilder glaubt man fast schon, dass hier John Woo in irgendeiner Form seine Finger mit im Spiel gehabt hätte.“ Exakt dies waren auch meine Gedanken, als ich nun „Der Schrei des gelben Adlers“ sah. Einmal mehr suchte ich in den Credits nach dem Namen John Woo und fand ihn nicht. Somit dürfte bewiesen sein, dass Chung Sun seinen ganz eigenen Stil entwickelt hat, der heute um einiges moderner wirkt, als die Film (natürlich auch großartigen) Film der genannten anderen Regisseure. Selbst vor dem Einsatz der Handkamera schreckt Chang Sun nicht zurück. Zudem wird vor allem in der Natur und weniger in den bekannten Kulissen der Shaw Brothers Studios gedreht, was dem Film ebenfalls zeitloser erscheinen lässt. Einmal nutzt Chang Sun die Enge eines realen Waldes, um zu zeigen, dass es sich mit einem Sam Jit Gwun (Dreistock) dort aufgrund der vielen Bäume schlecht kämpfen lässt. Und die Kampfszenen mag es an ballettähnlicher Eleganz fehlen, doch sie strahlen eine große Direktheit und Intensität aus.

Mit Ti Lung arbeitete Chang Sun regelmäßig zusammen. Beispielsweise in dem bereits in erwähnten, ein Jahr später entstandenen „Die Todeshand des gelben Adlers“, dessen Titel womöglich eine Fortsetzung des hier vorliegenden „Der Schrei des gelben Adlers“ suggerieren soll. Beide Filme haben aber – bis auf den Regisseur und den Hauptdarsteller – rein gar nichts miteinander zu tun. Die „gelben Adler“ (ja, es sind mehrere) sind 13 Kämpfer, die von einem bösen und skrupellosen Meister – Feng Ku in einer für ihn typischen Rollen – ausgebildet wurden, um ihm bedingungslos zu dienen. Der von Ti Lung ist einer von ihnen, der aber schon früh Skrupel ob dem mörderischen Treiben seiner „Brüder“ hat und sich letztendlich gegen sie stellt. Eine Rolle wie gemacht für den schauspielerisch talentierten Herrn Lung, der in allen Facetten dieses Charakters glaubwürdig erscheint.

Ihm zur Seite steht der leider viel zu früh verstorbene Alexander Fu Sheng. Dieser befand sich Ende der 70/Anfang der 80er auf dem Höhepunkt seiner kurzen Karriere und beerbte – zusammen mit Gordon Lui – die erste und zweite Generation der Shaw Brothers Stars. Häufig spielte er den humorvollen, leicht naiven Helden und kann damit als Vorbild für die Persona gelten, welche Jackie Chan zur Perfektion führte. Zwischen beiden besteht auch eine physische Ähnlichkeit, welche diese Assoziation natürlich verstärkt. Hier ist Alexander Fu Sheng einerseits für die humorvollen Momente zuständig, darf aber auch ein dunkles Geheimnis mit sicher herumtragen, welches ihm auch ermöglicht eine andere Seite von sich zu zeigen. Damit ähnelt Alexander Fu Sheng dem früheren Partner von Ti Lung: David Chiang, der sicherlich bei Chang Cheh diese Rolle übernommen hätte und ebenfalls häufig gutaussehende Sunnyboys mit dunklen Flecken auf der Seele gespielt hat. Doch gerade das unbekümmert jugendlich-weiche, das Alexander Fu Sheng ausstrahlt, passt perfekt zu der Rolle des „Namenlosen“.

Wie bei Chang Cheh weht ein nicht zu kleiner Hauch von Todessehnsucht durch den Film – für die (natürlich) Ti Lungs „Wanderer“ zuständig ist. Hierfür ist mit sicherlich Drehbuchautor Kuang Ni, der unzählige Filme in Zusammenarbeit mit Chang Cheh geschrieben hat. Doch im Gegensatz zum Werk eines Chang Cheh gibt es hier mit Alexander Fu Sheng einen Widerpart, der das Leben liebt und genug Größe hat, um zu verzeihen. Und obwohl die Geschichte das Rad nicht neu erfindet und man den Twist der Story sehr früh erahnt, gelingt es Chung Sun bestens diese packend, ohne Leerlauf und eben aufgrund der besonderen Beziehung zwischen seinen Figuren für den Zuschauer interessant umzusetzen. Zusammen mit der besonderen Ästhetik des Filmes ist „Der Schrei des gelben Adlers“ ein Höhepunkt im schier überbordenden Shaw Brothers Oeuvre.

Die 13. Folge der Shaw Brothers Collector’s Edition von filmArt präsentiert den Film in gewohnt hoher Bildqualität. Der deutsche Ton klingt ein wenig zu tief, als ob er einen Tick zu langsam abgespielt würde. Dies kann aber auch täuschen. Die Mandarin-Tonspur ist heller und klarer, aber auch künstlicher. Der Film liegt in der ungekürzten Fassung vor, die in der deutschen Kinofassung herausgeschnitten Handlungsstellen liegen in Mandarin mit deutschen Untertiteln vor. Wer das nicht mag und den Film nicht in Mandarin schauen möchte, der kann in den Extras auf die (etwas verwirrend „Deutsche „Langfassung“ betitelte) um neun Minuten gekürzte deutsche Kinofassung (leider ohne den deutschen Vorspann) zurückgreifen. Die filmArt-Fassung ist übrigens länger als die intentionale Fassung von Celestine auf der diese Blu-ray größtenteils beruht. Denn hier wurden 1,5 Minuten einer Kampfszene eingefügt, die dort fehlt und hier von einer deutschen 35mm-Fassung eingefügt wurde. Schade, dass diese dann nicht auch für die „Deutsche Langfassung“ als „Grindhouse-Fassung“ verwendet wurde. Sonstige Extras beinhalten ein hübsch illustriertes Booklet mit Aushangfotos, eine Bildgalerie und Trailer.

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Filmbuch-Rezension: Cornelius Hartz und Marco Mewes „Glücksorte für Filmfans“

Bei manchen Ideen fragt man sich, weshalb nicht schon jemand anderes darauf gekommen ist. Es ist doch so naheliegend. Genau das waren meine Gedanken als ich das schöne Buch „Glücksorte für Filmfans“ in der Hand hielt. Ein Reiseführer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz für Filmfreund. Es gibt einen Blog im Internet, der einen ähnlichen Anspruch (okay, hier dann eher international gedacht) formuliert. Aber dieser hält meiner Meinung nach genau das nicht, was ich als Einzelperson mir darunter vorstellen würde. Drehorte aktueller Mainstream-Blockbuster ist doch mehr hübscher Reise- denn interessanter Filmblog.

Das Buch der beiden Autoren Cornelius Hartz und Marco Mewes erfüllt demgegenüber perfekt meine eigenen Ansprüche an einen Reiseführer für Filmfreunde. Auf 168 Seiten werden 80 Orte vorgestellt, an denen man seiner Leidenschaft frönen kann. Darunter sehenswerte Kinos (z.B. die Lichtburg in Essen, das Savoy in Hamburg), Filmmuseen (Düsseldorf, Frankfurt, aber auch kleinere wie das Kinomuseum in Vollbüttel), Festivals (Berlinale als Selbstgänger – aber auch „Exoten“ wir das Darßner Naturfilmfestival) und – klar – auch mal Drehorte. Ob die Schwarzwaldklinik und das Landarzt-Haus jetzt „Glücksorte für Filmfans“ sind, sei mal dahingestellt, die James-Bond-Drehorte in Sölden und die von „Nosferatu“ in Lübeck und Wismar aber auf jeden Fall.

Die Autoren machen bei ihrer Definition von „Glücksorten für Filmfreunde“ keinen Unterschied zwischen Kinofilm und Fernsehserie, was sie im Vorwort damit begründen, dass in das Genre „Fernsehserie“ mittlerweile so viel Produktionsmittel gepumpt werden, dass man sie problemlos neben die großen Kinofilmen gestellt werden könnten. Eine These, die man sicherlich kontrovers diskutieren kann. Und natürlich kann man auch bei der subjektiven Auswahl der beiden Autoren (die selbstverständlich nicht jede Stadt in Deutschland, Österreich oder der Schweiz nach Glücksorten absuchen können) auch gut darüber herum mosern, dass der eine oder andere wichtige Glücksort (an dieser Stelle sei nur kurz darauf hingewiesen, dass das älteste Programmkino Deutschlands in Bremen zu finden ist) fehlen würde und Hamburg im Buch möglicherweise etwas zu überrepräsentiert ist. Aber es gibt bei 80 Tipps eine solche Menge zu entdecken, dass man dies locker verschmerzen kann.

Und wer sagt, dass es nicht vielleicht irgendwann einmal ein Buch mit weiteren 80 Glücksorte geben könne? Ich würde dies sehr begrüßen und habe für meinen Teil bereits einige Reiseziele ins Notizbuch geschrieben. So werde ich im nächsten Jahr auf jeden Fall einmal „Görliwood“ einen Besuch abstatten.

Cornelius Hartz und Marco Mewes „Glücksorte für Filmfans“, Droste Verlag, 168 Seiten, € 15,99

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Bericht vom 30. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 3

Am für mich dritten und letzten Tag musste ich auf meinen Begleiter Stefan verzichten. Dafür legte ich mir den ersten Film so früh, dass ich ausnahmsweise mit dem Zug (Deutschlandticket sei Dank!) fahren konnte, da der letzte Filme um 20:40 zu Ende war und ich bequem zurückreisen konnte. Überraschenderweise lief mit der Bahn auch alles glatt. Sogar so glatt, dass ich fast den Oldenburger Hauptbahnhof verpasst hatte, weil ich mich gerade in eine Lektüre versenkt hatte.

Der erste Film des letzten Tages lief wieder im kleinen cineK Muvi, wo der Herr, den ich bereits in meinem Bericht vom ersten Tag erwähnt hatte, wieder seinen großen Auftritt hatte. Hier verkündete er, dass er keinen einzigen Film auf dem Filmfest gesehen hätte – er sich diesen aber nicht entgehen lassen würde, da der Regisseur ihm auf der Filmfest-Party am Vorabend den Film so schmackhaft gemacht habe.

The Nothingness Club – Über den Schriftsteller Fernando Pessoa wusste ich vor diesem Film so gut wie gar nichts. Nur die Bröckchen aus der Filmankündigung – dass er unter unzähligen Pseudonymen schrieb und für jedes dieser von ihm „Heteronyme“ genannten „Autoren“ eine eigene Biographie und einen eigenen Stil erfand. Vielleicht kann man Edgar Pêras Film mehr genießen und mit ihm anfangen, wenn man sich zuvor eingehend mit Pessoa und seinen Schriften beschäftigt hat. Denn eben jene legt Pêra seinen Figuren in den Mund. Im Großen und Ganzen handelt „The Nothingness Club“ von den vielen Heteronymen, die für Pessoa in einem großen Büro arbeiten und schreiben. Und von einer Femme Fatale, die auf einmal auftaucht und einiges durcheinander bringt. Und von einem geheimnisvollen Mörder, der die Heteronyme umbringt. In einem weiteren Strang befindet sich Pessoa scheinbar in einer psychiatrischen Anstalt. Oder auch nicht. Das bleibt alles vage. Regisseur Edgar Pêra erklärte in der Q&A, dass er ein „What if“ erschaffen hätte. Also ein „Was wäre passiert, wenn. Fernando Pessoa länger gelebt hätte“. Pessoa starb nämlich 1935 im Alter von nur 47 Jahren. Deshalb eine Texttafel am Beginn, die behauptet, Pessoa wäre 1939 bereits zum Nobelpreisträger für Literatur gekürt worden, doch durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges wäre die Vergabe ausgefallen und Pessoa leer ausgegangen“. Was den Film für Eingeweihte bereits als „What if“ entlarvt, denn Pessoa starb ja bereits 1935. Allerdings muss man das wissen. Ebenso wie die Tatsache, dass Pessoa nie in psychiatrischer Behandlung war und Pêra dieses Szenario nur für wahrscheinlich hielt, wenn Pessoa länger gelebt hätte. Von der Inszenierung her machen es einerseits die durchgehend aus aus dem Zusammenhang gerissenen Pessoa-Zitate als Dia- und Monologe schwer einen Zugang zu finden. Andererseits wird so viel Insider-Wissen vorausgesetzt, dass man sich schnell verliert und fragt, was das alles soll. Pêra nutzt verschiedene Verfremdungstricks und cineastische Spielereien, die dann aber auch ermüden. Auf mich machte „The Nothingness Club“ den Eindruck einer Parodie auf prätentiöse Kunstfilme, die völlig verkopft den Kontakt zum Zuschauer verloren haben. Doch die Q&A machte unmissverständlich klar, dass Pêra für den Autoren Pessoa brannte und voll hinter seinem Film stand. Weshalb ich dann auch ein wenig traurig war, dass ich zu „The Nothingness Club“ auf keiner Ebene einen Zugang gefunden habe, und auch einige ZuschauerInnen während des Filmes das Kino verließen. Schade. Schade fand ich auch, dass der Herr, welcher nun das Q&A moderieren sollte, nach der Vorstellung des Regisseurs und einer ersten Frage plötzlich kommentarlos das Kino verließ und den armen Edgar Pêra völlig allein zurückließ. Dieser wirkte daraufhin auch etwas verwirrt, machte aber souverän das Beste daraus. Leider uferte auch dies (unmoderiert) zeitlich komplett aus, so dass ich noch inmitten von Pêras interessanten Ausführungen mich raus stehlen (okay, das ist in dem kleinen Kino nicht wirklich unauffällig möglich), da im Studio bereits mein nächster Film startete.

Edgar Pêra mit Moderator

Regisseur Edgar Pêra

The King of Algier – „The King of Algier“ von Elias Belkeddar war ein kleiner Crowdpleaser, der keine wirklich neue Geschichte erfand und den man so oder so ähnlich schon öfter mal gesehen hat. Der französischer Gangster Omar (genannt „die Erdbeere“) muss in die Heimat seiner Eltern, nach Algerien fliehen. Hier wird er als lebende Legende bereits von Roger, seinem besten Freund aus Kindertagen, empfangen. Obwohl Omar sich nichts zu schulden kommen lassen darf, da ihm sonst der Knast in Frankreich droht, juckt es ihm bald in den Fingern, seine alten Tätigkeiten wieder aufzunehmen. Wogegen Roger auch nicht das geringste hat. Zu zweit sorgen sie dafür, dass Omar so etwas wie der King of Algier wird. Nebenbei übernimmt er eine Firma, die Kuchen herstellt und verliebt sich in eine der Mitarbeiterinnen, die ihm ordentlich Paroli bietet. Aber natürlich schläft die Konkurrenz nicht und es wird am Ende blutig. Immerhin mutiert Omar am Schluss nicht vom Saulus zum Paulus, sonder bleibt mehr oder weniger im Geschäft. Das ist alles sehr gefällig und mit viel Lokalkolorit gefilmt. Die Darsteller sind durch die Bank weg großartig. Angefangen mit Reda Kateb als Omar, den man aus zahlreichen französischen Filmen kennt. Als sein alter Kumpel Roger stiehlt ihm allerdings Benoît Magimel die Show. Den jungen, unverschämt gutaussehenden Liebhaber von Isabelle Huppert in Michael Hanekes „Die Klavierspielerin“ erkennt man allerdings nicht unbedingt wieder. Meriem Amiar gibt eine junge Frau, die weiß was sie will, und der Rest der Riege scheint aus algerischen Amateuren zu bestehen, die dementsprechend echt wirken und dem Film ganz sanft etwas beinahe dokumentarisches geben. Gute und empfehlenswerte Unterhaltung. Perfekt für ein größeres Publikum, welches sicherlich noch nicht so viele ähnlich gelagerte Filme gesehen hat und sein Auge gerne an „exotischen“ Schauplätzen ergötzt.

Charcoal – Der letzte Film „Charcoal“ – das erstaunliche Langfilmdebüt von Carolina Markowicz – war dann zum Abschluss noch einmal ein ungeheurer Magenschwinger vor dem Herrn. Als schwarze Komödie angekündigt, war er in der Tat tiefschwarz und in seiner bitteren Konsequenz unheimlich erschütternd. In einem ärmlichen Barackendorf irgendwo im brasilianischen Hinterland lebt die Familie von Irene. Ihr Mann Jairo leben von der Herstellung von Holzkohle, der 9-jährige Sohn muss das Zimmer mit dem dem totkranken Opa teilen. Da erscheint eines Tages eine neue Pflegekraft, um nach dem Opa zu schauen und macht Irene und Jairo ein unmoralischen Angebot. Wenn der Opa verschwindet, dann könne die Familie an seiner statt einen argentinischen Drogenbaron aufnehmen, der untertauchen muss und ein Versteck sucht, bis er ins nächste Land fliehen kann. Das Ganze könnte jetzt als Culture-Clash-Komödie inszeniert werden, wenn der Luxus gewöhnte Gangster bei der einfachen und armen Familie untertaucht. Tatsächlich hat der Film auch immer leichte Anflüge in diese Richtung. Aber wenn Irene und Jairo zu Beginn den hilflosen Alten skrupellos entsorgen, dann bleibt doch ein Kloß im Hals und man ahnt, dass es in dieser Welt eben nicht lustig zugeht. Die Armut und Jagd nach Geld hat hat die Familie korrumpiert und von „Armutsromantik“ ala Dickens ist hier nichts zu spüren. Auch ist der Gangster nicht gerade umgänglich und gewiss kein Sympathieträger. So scheut er sich nicht, den Sohn des Hauses für ihn harte Drogen kaufen zu schicken. Hier kommt im Grunde niemand mit niemandem klar. Die Kirche bietet auch keinen halt, sondern fordert ihren Obolus. Jairo hat ein heimliches Verhältnis mit seinem Nachbarn und die frustrierte Irene versucht den Gangster zu verführen. Dass sie dazu ein Bild verwendet, auf dem sie einst die Wahl zur „Miss Werwolf“ gewann, ist dabei auch nur auf den ersten Blick witzig, wenn man sich verdeutlicht, dass dieser Sieg ihr einziges Erfolgserlebnis blieb. Immer, wenn man denkt, dass der Film vielleicht doch noch einen heiteren oder zumindest versöhnlichen Ton anschlägt, wird man schnell eines besseren belehrt. Das bittere, aber konsequente Ende lässt einen mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengegend zurück, welches sich noch einmal verstärkt, wenn das Schlussbild klar macht, dass die menschenverachtende Haltung der Eltern sich auch auf die nächste Generation überträgt, und es im Grunde keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt. Im Gegenteil. Ein sehr starker, authentisch gespielter Film, der sich einbrennt und mich auf der Rückfahrt im Zug noch sehr beschäftigte.

Fazit: Trotz all der eingangs in meinem Bericht vom ersten Tag angemerkten, extremen Sparmaßnahmen, den organisatorischen Merkwürdigkeiten hier und dort, und einer dadurch ein wenig leidenden Festivalatmosphäre, war es wieder ein extrem gutes Filmfest in Oldenburg. Den auch wenn das Drumherum vielleicht nicht ganz unwichtig ist, was zählt sind am Ende die Filme. Und die waren mal wieder exzellent ausgesucht. Ich ziehe einmal mehr meinen Hut vor den Leuten, die diese großartigen Filme Jahr für Jahr für das Festival aussuchen. Qualitativ befindet sich das Filmfest Oldenburg schon seit vielen Jahren auf einem extrem hohen Niveau – und übertrifft sich dann doch auch immer wieder selber. Nun hoffe ich, dass man nächstes Jahr bei der 31. Ausgabe nicht wieder das an allen Ecken und Enden fehlende Geld bemerkt – und freue mich darauf, hoffentlich wieder dabei zu sein.

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Bericht vom 30. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 2

Am zweiten Tag traf ich mich bereits in Bremen mit Stefan, und wir stellten verblüfft fest, dass wir diesen Tag komplett im Theaterhof verbringen sollten. Vor ein paar Jahren wäre dies noch ein Grauen gewesen, doch in den letzten Jahren wurde ordentlich in die Technik investiert. Statt eines altersschwachen Beamers, der mehr grau als schwarz konnte und auch mit höheren Auflösungen so seine Probleme hatte, gibt es nun einen DCP-Projektor, welcher eine ganz hervorragendes Bild auf die Leinwand wirft. Auch der Ton ist mittlerweile satter und kräftiger – weniger blechern. Wenn die sehr unbequeme Bestuhlung nicht wäre, würde der Theaterhof ein wirklich hervorragendes Kino abgeben. Insbesondere auch, weil man scheinbar jetzt auch seine Getränke mit in den Saal nehmen darf.

The Wait – „The Wait“ von F. Javier Guttierrez ist ein ziemliches Brett von dem man eher weniger als mehr wissen sollte. Meine Erwartung in Richtung Western mit surrealen Untertöten. Nun, die Erwartungen wurden genauso erfüllt, wie gleichzeitig auch unterlaufen. Der Film handelt von Eladio, einem Mann der 1973 mit seiner Frau und seinem Sohn für ein großes, wüstenartiges Stück Land zuständig ist, welches dem Großgrundbesitzer Don Francesco gehört. Eladios Aufgabe ist es vor allem, Jagdgesellschaften zu betreuen. Dabei hat Don Francesco das Gesetz aufgestellt, dass nie mehr als 10 Jagdstände aufgebaut werden dürfen, da es sonst zu gefährlich wird. Allerdings hat Don Carlos, der Mann, der die Jagdgesellschaften für Don Francesco organisiert, seinen Kunden diesmal 14 Jagdstände versprochen. Mit Geld überzeugt er die in Armut lebende Familie, ein Auge zuzudrücken. Eladio ahnt nicht, welch schreckliche Konsequenzen es für ihn haben wird, dass er sich auf den Handel einlässt. Und diese Konsequenzen haben es wirklich in sich. Stück für Stück wird Eladios Leben zerrissen und zur Hölle gemacht. Man leidet mit ihm mit, wenn eine Katastrophe nach der anderen über ihn hereinbricht. Und wenn dann noch langsam und kriechend immer mehr seltsame Dinge passieren, die man nicht wirklich zuordnen kann, dann läuft einem bald auch eine Gänsehaut über den Rücken. Beim Grundplot scheint sich Guttierrez von einem Horrorthriller-Klassiker der 80er Jahre inspirieren lassen zu haben. Welcher dies ist, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten. The Wait ist voller fieser Schläge in die Magengrube, besticht durch eine ausserweltlich-bedrohliche Atmosphäre und einer eindrucksvoll schroff-kärglichen Landschaft, die sich in den Gesichtern der Hauptfiguren widerspiegelt. Insbesondere in dem des brillanten Hauptdarstellers Víctor Clavijo.

Nach dem Film berichtete der freundliche und sympathische Regisseur davon, dass ihn einerseits seine Kindheit in Spanien, die er in einer ähnlichen Gegend verbracht in welcher auch der Film spielt, zu „The Wait“ inspiriert hätte. Andererseits seien es aber auch die Horrorfilme der 70er Jahre gewesen, die noch Zeit gelassen haben, um eine dichte Atmosphäre aufzubauen und nicht gleich in die Vollen gegangen sind. Man kann hier nur attestieren, dass er seine Lektionen sehr erfolgreich gelernt hat. Vielleicht mein Highlight des diesjährigen Programms.

F. Javier Guttierrez mit Moderator

Regisseur F. Javier Guttierrez

Einmal kräftig durchgeatmet, dann ging es etwas leichter weiter.

The Book of Solutions – Michel Gondrys hat in meinem Herzen immer einen großen Platz, inszenierte er doch – wenn auch ausnahmsweise nicht nach eigenem Drehbuch, sondern nach einem von Charlie Kaufman – einen meiner Lieblingsfilme: „Vergiß mein nicht“. In seinem neuen Film lässt Gondry autobiographische Details einfließen und verarbeitet hier seine scheinbar auch mental sehr anstrengenden Dreharbeiten zu „Der Schaum der Tage“. Sein Alterego Marc Becker hat ebenfalls gerade einen Film abgedreht, der ihm nun vom Studio weggenommen werden soll. Kurzentschlossen entführt er das Rohmaterial und flüchtet mit seiner Cutterin Charlotte und deren beiden Mitarbeitern Sylvia und Carlos aufs Land zu seiner Tante Danielle. Doch der kreative Prozess wird zur Qual. Marc weigert sich sich sein eigenes Filmmaterial anzuschauen, was natürlich dem Prozess des Schneidens nicht gerade einfach macht. Gleichzeitig bombardiert er sein zunehmend frustriertes Team mit immer fantastischeren, absurderen und größenwahnsinnigen Ideen. Dass diese – so verrückt sie auch sein mögen – tatsächlich funktionieren und seine fixe Idee Sting für den Soundtrack zu gewinnen ebenso von Erfolg gekrönt ist, wie jene, selber als musikalische Unerfahrenerer ein ganzes Orchester rein mit Körperbewegungen zu leiten und ganz im Vorbeigehen den Score zu komponieren, mag mit einer generellen Selbstverliebtheit Gondrys zu tun zu haben. Den mag Marc für seine Mitmenschen noch so eine große Last und in Sachen Empathie und zwischenmenschlicher Kommunikation ein Militant sein, so macht Gondry doch klar, dass Marc – bei allen Schwächen – ein Genie ist. Eines, dessen unaufhörliche Energie andere mitreißt und letztendlich der Zweck die Mittel heiligt. Grundsätzlich ist es da problematisch, dass sich Marc oftmals wie ein Arschloch benimmt, doch durch Pierre Nineys liebenswerte Darstellung, kindliche Begeisterung und humorvollen Macken funktioniert die Figur dann doch. Auch wenn man sich fragt, wie es seine Mitstreiter so lange mit ihm aushalten. Für mich ist Marc Becker ein klassischer Fall von ADHS. Alle Symptome kommen in der Figur zusammen. Große Intelligenz und Kreativität, sowie die Fähigkeit sich total auf Dinge zu konzentrieren die einen interessieren und diese – so verrückt und wenig erfolgversprechend sie auch erscheinen – bis zum Ende durchzuziehen. Gleichzeitig die komplette Unfähigkeit sich mit Dingen zu befassen, die einen nicht interessieren. Ferner mangelnde Impulskontrolle, hohe Ablenkbarkeit und Sprunghaftigkeit. Damit beschreibt man sowohl ADHS als auch Marc ganz gut. Gleichzeitig sollte man aber auch erwähnen, dass der Film abgesehen von diesen eher dunklen Themen, voller sehr humorvollen Szenen ist, er ein gutes Gefühl vermittelt und gerade die Darstellerinnen ihre Sache großartig machen. Eine Entdeckung ist Camille Rutherford, die zunächst eine kleine, dann aber wichtige Rolle hat und der man gerne sein Herz schenken würde. Nach dem knüppelharten „The Wait“ tat dieser Film sehr gut.

Nach einer kleinen Stärkung im nahegelegenen Kumpir (wo wir von einer sehr netten Dame bedient wurden) ging es weiter mit dem letzten Film des Tages.

Mars Express – „Mars Express“ ist ein wunderbar klassischer Zeichentrickfilm, der an seine großen Kollegen wie „Herrscher der Zeit“ oder „Heavy Metal“ erinnert. Mit klaren Zeichnungen zwischen Manga und Ligne claire. Die Geschichte erfindet das Rad nicht neu, sondern mixt viele bekannte Bausteine aus Science Fiction, Film Noir und Buddy-Cop-Film. Die ehemalige Alkoholikerin – und weiter mit ihren Dämonen kämpfende – und Polizistin Aline Ruby, sowie ihr bereits verstorbener, als elektronische Erinnerung in einem künstlichen Körper weiterlebender Partner Carlos (der auch einige dunkle Stellen in der Vergangenheit hat) kommen einem Komplott auf die Spur, welches die für die Menschen fast schon unentbehrlichen Roboter und KI betrifft. Bald schon finden sie sich zwischen den Fronten wieder und kämpfen nicht nur um das Leben ihrer wichtigsten Zeugin, sondern auch um ihr eigenes. Der Film geizt nicht mit Action-Momenten und überraschenden Wendungen, die einen mehr als einmal auf dem falschen Fuß erwischen. Assimovs Robotergesetze spielen da genau so eine Rolle, wie die Entwicklung künstlicher Intelligenzen, die Emanzipation der „Sklaven“ und persönliche Traumata. Damit überlädt Regisseur Jérémie Périn sein Werk aber nicht. Über das Ende kann man dann noch diskutieren, nicht aber darüber, dass „Mars Express“ 85 Minuten große Zeichentrick-Unterhaltung, eine spannende Story und interessante Figuren aufbietet.

Eigentlich hatten wir noch überlegt uns im cineK noch um 0:00 Uhr die Dokumentation „Enter the Clones of Bruce Lee“ anzuschauen. Doch das hätte noch eine Stunde Wartezeit bedeutet. Da wir aber beide recht müde waren und darauf spekulierten, dass dieser vom Chef des US-Labels „Severin“ gedrehte Film irgendwann auf einer Veröffentlichung dieses Labels seine Heimat finden wird, traten wir dann doch bereits den Heimweg an. Ein toller zweiter Tag.

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Bericht vom 30. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 1

Jubiläum! Zum nunmehr 30. Mal öffnete das Internationale Filmfest Oldenburg seine Tore. Hatte ich aus diesem Grund ein besonders rauschendes Filmfest erwartet, so wurde ich enttäuscht. Nein, nicht direkt enttäuscht, sondern es verblüffte mich, dass das Filmfest ausgerechnet in diesem Jahr ein wenig karg daher kam. Offensichtlich musste sehr viel Geld eingespart und das Budget auf ein Minimum reduziert werden. Dies fiel schon im Vorfeld auf. Es gab keine zugkräftigen Namen als Stargäste. Gut, damit kann ich ausgezeichnet leben, aber dass die Retrospektive ersatzlos gestrichen wurde, tat dann doch weh. Gerade hier hatte ich in den Vorjahren viele tolle Entdeckungen machen dürfen. Die Spielzeiten im Casablanca erschienen mir auch reduziert. Ebenso entfielen diesmal die traditionellen Vorstellungen in der JVA, welche immer ein Alleinstellungsmerkmal des Filmfest Oldenburg waren. Mir persönlich sauer aufgestoßen war der Verzicht auf ein physisches Programmheft. Scheinbar war der Druck zu teuer, so dass man es nur über die Homepage des Festivals aufrufen konnte. Am Handy eine Qual. Überhaupt die Webseite. Aus welchem Grund die Filterfunktion für die Filme plötzlich verschwunden ist, kann ich nicht nachvollziehen. So ist es von heute auf morgen nicht mehr möglich gewesen, das Programm nach Tagen, Kinos oder Reihen zu filtern. Überhaupt die Reihen – zumindest auf der Webseite existierten sie nicht mehr. Der Grund dahinter erschließt sich mir nicht. Die Pressebetreuung war auch nicht ideal. Ich kam am Freitag extra früh in Oldenburg an, um in Ruhe alles nötige zu organisieren. Da wurde mir im Pressezentrum mitgeteilt, dass man eigentlich erst um 16:00 Uhr öffnen würde und sich dementsprechend nicht um mich kümmern könne. Die Journalistin vor mir würde noch bedient, aber dann „habe ich eigentlich anderen Dinge zu tun“. Jene Journalistin raunte mir dann zu, dass die junge Dame völlig überfordert sei, weil einfach viel zu wenig Personal angestellt worden sei. Es gelang mir dann doch noch, die junge Dame zu überreden, mich noch „abzufertigen“, da mein erster Film bereits um 16:30 starten würde und es doch sehr knapp werden könne, wenn ich dann erst um 16:00 Uhr meine Akkreditierung und Tickets bekommen würde, und zudem möglicherweise in einer Schlange stehen müsse. Zudem merkte ich an, dass es etwas unglücklich sei, dass man keine Info vorab erhalten habe, dass das Pressezentrum erst um 16:00 Uhr öffnen würde. Woraufhin sie meinte, das stehe doch an der Tür. Tja, die kann man von Bremen nur so schlecht sehen, entgegnete ich. Aber immerhin war die junge Dame zwar sichtlich überarbeitet, aber sehr freundlich und letztendlich ging ja alles gut aus.

Also dann nach einem kleinen Ausflug in die Oldenburger City rüber ins cineK wo im größeren „Studio“ der für mich erste Film wartete. Und dort merkte ich dann auch, was die Journalistin mit „viel zu wenig Personal“ meinte. Während früher hier mindestens zwei junge Leute vom Filmfest standen, hatte diese Aufgabe diesmal ein Herr übernommen, den ich zuvor – soweit ich mich erinnere – hier noch nie gesehen habe, und der einen ganz eigenen Humor pflegte. So stürmte er vor dem Film ins Kino, verkündete, dass er eh nichts zum Film sagen können und man doch lieber den Films sehen als ihn quatschen hören würde. Daraufhin stürmte er mit einem lauten „Also! Film ab!“ wieder heraus. Kam bei einigen im Publikum gut an, ich fand es etwas befremdlich. Aber gut.

Little Girl Blue – Der Ansatz von Mona Achaches Film ist ein sehr interessanter gewesen. Carole Achache, die Mutter der Filmemacherin, war eine in Frankreich offenbar bekannte Autorin, die mit einem autobiographischen Roman großen Erfolg hatte und mit 63 Jahren Selbstmord beging. Die Tochter versucht nun mit ihrem Meta-Film das Leben ihrer Mutter anhand von Tonbandaufnahmen, Filmen und Bildern zu rekonstruieren. Dazu hat sie Schauspielerin Marion Cotillard mit ins Boot geholt, die in die Rolle der Mutter schlüpft. Und dies so perfekt, dass man tatsächlich völlig vergisst, dass man hier „nur“ eine der erfolgreichsten französischen Schauspielerinnen der Gegenwart vor sich hat, sondern nur noch Carole Achache sieht. Die Metamorphose ist komplett. Erst spät im Film fiel mir auf, dass Marion Cotillard gar nicht selber sprach, sondern zu den realen Tonbandaufnahmen von Carolin Achache lediglich die Lippen bewegte. So spannend dieser Ansatz ist und so großartig das Spiel von Marion Cotillard, so ist der Film aufgrund seiner ungeheuren Monologlastigkeit (französisch mit englischen Untertiteln, die man permanent mitlesen muss) sehr anstrengend. Erschwerend kommt hinzu, dass hier einiges an Wissen um die Pariser Intellektuellenszene der 50er, 60er und 70er vorausgesetzt wird. Denn wie ihre Tochter an ihr, arbeitete sich auch Carole Achache an ihrer Mutter Monique Lange ab, die ebenfalls eine bekannte Autorin war und – wie sie – in eben jenen Kreisen Zuhause war. Ohne das im besten Falle vor dem Film angelesene Wissen um Monique Lange und Carole Achache, sowie ihre Zeitgenossen schwirrt, einem schnell der Kopf ob der Vielzahl an Namen und Persönlichkeiten, die einem da maschinengewehrartig um die Ohren gefeuert werden. Es macht auch Sinn, sich vorher einmal mit Jean Genet beschäftigt zu haben, der für Monique Lange und Carole Achache eine große Rolle im Leben spielte. So wächst der Film, wenn man sich im Nachgang mehr mit den realen Protagonisten beschäftigt. So fühlt man sich als „Uninformierter“ erst einmal – trotz der Brillanz einer Marion Cotillard und den aufregenden Lebenswegen der Hauptfiguren – komplett erschlagen, erschöpft und oftmals etwas ratlos.

Danach ging es ins weitaus kleinere, aber gemütlichere und charmantere cineK Muvi, wo ich meinen Weird-Xperience-Kollegen und Mit-Cineasten Stefan traf, mit dem ich ab jetzt alle weiteren Filme am Freitag und Samstag schauen sollte. Was wie immer eine große Freude war.

Behind the Haystacks – Der Film der griechischen Regisseurin Asimina Proedrou erzählt die Geschichte einer im Norden Griechenlands, nahe der nordmazedonischen Grenze lebenden Familie und wie diese zerfällt, als der Vater einen Job als Schleuser von syrischen Flüchtlingen annimmt. Erzählt wird der hochinteressante Film in drei Teilen. Der erste – welcher durchaus Anleihen im Gangster – und Noirfilm nimmt – konzentriert sich auf den Vater und erzählt die Geschichte aus dessen Perspektive. Im zweiten Teil liegt der Fokus auf der Mutter, und der letzte widmet sich der Tochter. Zunächst verwirrt diese Struktur etwas, dass die einzelnen Geschichten immer wieder Leerstellen aufweisen, bei denen sich der Zuschauer zunächst fragt, ob er eventuell eine wichtige Information verpasst hat. Diese Leerstellen werden dann aber in den weiteren Abschnitten aufgefüllt, wobei sich interessanterweise tatsächlich keine Szene wiederholt. Also Handlungsabschnitte nicht einfach nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln gezeigt werden. Obwohl keine der Figuren – wenn, dann vielleicht die Tochter – als Sympathieträger taugt, so ist man doch so nah an den Charakteren dran, dass man zumindest eine Verständnis und auch Mitgefühl für sie entwickelt. So würde beispielsweise der Vater – wenn man seine Geschichte nicht kennen würde – oftmals einfach nur wie ein jähzorniges Monstrum wirken. Und die Mutter erscheint im ersten Teil noch als um Balance bemühte Seele, während sie im zweiten – und vielleicht interessantesten Teil – sich als von Verpflichtungen, Rollenmodellen und religiösem Druck Getriebene entpuppt, um ihm letzten Teil autoritär das Interesse der Familie und hier vor allem der Tochter dem gesellschaftlichen Ansehen unterordnet. Wobei sie ihre Auge vor den Bedürfnissen und Gefühlen ihrer Familie verschließt, um letztendlich im alten, nur scheinbar harmonischen Trott weiterleben zu können. Der Film reißt auch Themen wie die Flüchtlingsproblematik an, formuliert diese aber nicht unbedingt aus. Vielmehr nutzt er sie, um einem die Handelnden näherzubringen und sie zu charakterisieren. Getragen wird der Film von seinen fantastischen Schauspieler und Schauspielerinnen, die komplett mit ihren Rollen verschmelzen.

Die überaus sympathische Regisseurin war zur Vorstellung anwesend. Die Q&A übernahm ein mir nicht bekannter Filmemacher, dessen Name mir nicht geläufig war, und den ich daher leider vergessen habe. Dies war ein neues Konzept, welches das Filmfest ausprobiert hat: „Filmmakers on Filmmakers“. Meine Vermutung: Dieses Konzept war sehr wahrscheinlich auch dem Sparzwang geschuldet. Denn während in all den Vorjahren die Q&A vor allem von jungen Mitarbeitern des Filmfests geleitet wurde, so sparte man dieses Personal in diesem Jahr komplett ein. Tatsächlich fiel mir niemand auf, der wie in den Vorjahren im Filmfest-T-Shirt für Kartenkontrolle, Ansagen und eben die Q&A anwesend war. Dies wurde von einem absoluten Minimum an Personal und eben den „Filmmakers on Filmmakers“ erledigt. Was zur Folge hatte, dass eigentlich jede Q&A zeitlich völlig aus dem Rahmen lief und vor allem Fragen gestellt wurden, die für einen Filmemacher, aber nicht zwangsläufig für das Publikum interessant sind. Zumindest unterstelle ich mal, dass den Durchschnittszuschauer nicht interessiert, mit welcher Kamera der Film gedreht wurde.

Regisseurin Asimina Proedrou mit den Produzenten ihres Filmes

Asimina Proedrou

Asimina Proedrou

Asimina Proedrou mit dem Moderator bei der Q&A

Die Q&A ging dann auch so lange, dass man sofort zurück ins Studio fiel und keine Zeit zum Verschnaufen blieb.

The Belgian Wave – Die belgische Mockumentary „Spit’n‘Split“ von um die – real existierende – „The Experimental Tropical Blues Band“ war eins der Highlights des 24. Internationalen Filmfests Oldenburg im Jahre 2017. Über diesen Film schrieb ich damals er sei „durchaus harter, unangenehm realistischer, dreckiger Punkfilm mit rabenschwarzhumorigen Untertönen“. Umso gespannter war ich nun auf den zweiten Spielfilm des Regisseurs Jérôme Vandewattyne, welche nun sechs Jahre später ebenfalls in Oldenburg lief. Und ich wurde nicht enttäuscht. Vandewattyne vermischt in „The Belgian Wave“ wie im Vorgänger Realität und Fantasie und lässt seine Figuren in eine absurd-surreale Situation nach der anderen schlittern. Grundlage sind die (tatsächlich stattgefundenen) gehäuften UFO-Sichtungen in Belgien, die im November 1989 begannen und ihren Höhepunkt Ende März 1990 erreichten. Vandewattyne nutzt altes TV-Material, mischt dies mit Fake-Found-Footage eines auf dem Höhepunkt der Welle angeblich verschwundenen Reporters, dessen Erlebnisse (und geistige Gesundheit) graduell in den Wahnsinn driften. In der Gegenwart versucht sein stetig unter Drogeneinfluss stehender Patensohn und die kleinwüchsige Tochter seines Kameramanns die Schicksal des Journalisten herauszufinden. Ihre Reise führt ebenfalls durch ein seltsames Traumland in knalligen Farben in dem es von Star-Trek-Süchtigen Anwälten, einer voll-tätowierten Notarin mit Welthass und Kuchensucht, einer geheimnisvollen Sekte und vielem anderen mehr wimmelt. Garniert wird alles mit einem knalligen Soundtrack, der ordentlich aus den Boxen knallt. Klar, manches erinnert an Terry Gilliams „Fear and Loathing in Las Vegas“ oder Lynch light. Aber man merkt, dass die Macher ihren Spaß hatten und dieser überträgt sich auf das Publikum. Nach dem Film kommt man einmal ordentlich durchgeschüttelt und mit einem ähnlich seligen Lächeln wie Hauptfigur Elzo nach einem seiner LSD-Trips aus dem Kino.

Der sehr sympathische Regisseur Jérôme Vandewattyne war mit seinen Hauptdarstellern anwesend und die nahmen gemeinsam gleich das Publikum für sich ein. Es wurden lustige und interessante Anekdoten vom Low-Budget-Dreh erzählt, von den Schwierigkeiten des Filmemachens berichtet und der gute Zusammenhalt aller gelobt. Schade war, dass Hauptdarstellerin Karen De Paduwa nicht einmal zu Wort kam. Faszinierend fand ich, dass Hauptdarsteller Karim Barras im wirklichen Leben ganz anders aussah wie im Film, nämlich exakt wie Checker Tobi vom Kika! Und in Nebendarstellerin Séverine Cayron (die scheinbar eine enge Beziehung zu Vandewattyne hat) konnte man sich schon ein wenig verlieben. Starker Film und würdiger Abschluss des ersten Tages.

Moderator mit Jérôme Vandewattyne

Jérôme Vandewattyne, Séverine Cayron, Karen De Paduwa, Karim Barras

Moderator, Jérôme Vandewattyne, Séverine Cayron, Karen De Paduwa, Karim Barras

Séverine Cayron, Karen De Paduwa, Karim Barras

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