Blu-ray-Rezension: „Hanussen“

Im 1. Weltkrieg wird Klaus Schneider am Kopf verletzt und in das Krankenhaus des Dr. Bettelheim eingeliefert. Dieser findet heraus, dass Schneider eine hellseherische Gabe besitzt. Nach dem Krieg tut sich Schneider mit seinem ehemaligen Hauptmann Nowotny zusammen, der sein Berater und Manager wird. Schneider ändert seinen Namen in Erik Jan Hanussen und startet in den 20er Jahren eine erfolgreiche Karriere als Varieté-Star…

Nein, mit dem realen Erik Jan Hanussen alias Herschel Steinschneider (oder Klaus Schneider, wie er im Film heißt), hat der Film „Hanussen“ nicht sehr viel zu tun. Im Gegenteil. Hier wird eine andere, fiktive Persönlichkeit porträtiert als der – wie man nachlesen kann – äußert zwielichtige, kriminelle, betrügerische und sich den Nazis andienende reale Hanussen. Dessen Herkunft wurde schnell mal neu erfunden und seine jüdische Abstammung aus dem Drehbuch getilgt. Ganz am Anfang wird der gute Hanussen im 1. Weltkrieg als Gruppenführer in Kampfgefechte verwickelt und schwer verwundet, während der echte Hanussen es mit allerlei schmutzigen Tricks vermeiden konnte, an die Front geschickt zu werden. Dass Hanussen tatsächlich über übersinnliche Fähigkeiten verfügt, daran lässt der Film keinerlei Zweifel, während Hanussen selber in seiner – ebenfalls sehr geschwindelten – Autobiographie zumindest ab und an zugeben hat, nur Tricks und Leichtgläubigkeit genutzt zu haben. Der Film-Hanussen ist ein charismatischer Prophet, ein Märtyrer, eine Unschuldiger, der unpolitisch sein möchte. Doch durch seine Naivität, seine Eitelkeit, seine Arroganz und trotz seherischer Fähigkeiten ist er blind für die Gefahr in seinem sozialen Umfeld, von welchem er manipuliert, ausgenutzt und entsorgt wird.

Vor allem ist Hanussen eine Paraderolle für seinen Darsteller Klaus Maria Brandauer. Die ganze „neue“ Geschichte um Hanussen ist so geschrieben worden, dass Brandauer eine große Bühne geboten wird. So kann Brandauer noch einmal seine Glanzrolle als Hendrik Höfgen aus „Mephisto“ wiederholen, den ersten Film einer Trilogie, die er mit dem ungarischen Regisseur István Szabó drehte (vor „Hanussen“ bildet „Oberst Redl“ das Mittelstück). In allen drei Filmen spielt Brandauer den Emporkömmling, der sich an das System verkauft, um dann von ihm gebrochen zu werden. Interessanter und eine weitaus größere Herausforderung für Brandauer wäre es sicherlich gewesen, ihn den echten Hanussen spielen zu lassen. Den schmierigen, opportunistischen Betrüger und Kollaborateur. Doch das war scheinbar weder in Brandauers noch Szabós Interesse. Sie wollen Hanussen als tragisch-mythische Gestalt porträtieren und dementsprechend ist „Hanussen“ vor allem eine große Brandauer-Show. Die hat es dann auch einfacher Applaus zu finden, und die Oscar-Nominierung und die vielen Preise zeigen, dass der Plan aufging.

Findet man sich damit ab, akzeptiert, dass hier historische Fakten solange ge- und verbogen werden bis sie in die Geschichte passen, findet man auch einiges sehenswertes. Doch darf die Frage gestellt werden, ob es angebracht ist, eine reale Figur wie Hanussen auf eine derart überhöhte Weise zu zeigen. Wäre es nicht angebrachter gewesen, sich allein von seinem Wirken inspirieren zu lassen und der Hauptfigur einen anderen Namen zu geben (und damit meine ich nicht nur den – eh unbekannten – Geburtsnamen zu ändern)? Bei Leni Riefenstahl (alias Henni Stahl) und dem namenlosen Propagandaminister klappt das ja auch. So wird ein Großteil des Publikums die Geschichte und den Charakter Hanussens als bare Münze nehmen und für jemanden Sympathie empfinden, der es nicht verdient hat. Doch befreien wir uns nun von diesen Bedenken und betrachten den Film als komplett fiktives Werk. Und dort ist Hanussen natürlich die Weiterführung von Höfgen und Redl. Ein Mensch, der in seinem Machtstreben von den Verhältnissen, deren er sich an- und bedienen will, zerstört wird.

Den langsamen Aufstieg des Nationalsozialismus, der von der Ausweglosigkeit der Massen begünstigt wird, hat Szabó gut seziert. Wie von den herrschenden Oberschicht ignoriert wird, dass sich die Schere in der Weltwirtschaftskrise immer weiter öffnet, das Volk und die Mittelschicht in Armut und Ausweglosigkeit gleitet und dabei sich der Hass auf „die da oben“ wie eine Seuche ausbreitet. „Das Volk will Ordnung“ sagt Hanussen einmal. Und so kann das braune Geschwür sich der Ängste, Frustration und der Hilflosigkeit der Armen bedienen und seine Macht scheinbar widerstandslos mehren. Heute leider prophetischer als alles, was der echte Hanussen je weissagte. Der Film-Hanussen sieht dies alles, aber will „unpolitisch“ bleiben. Und eigentlich passt es ihm ebenfalls ganz gut, denn von den selben Gefühlen lebt auch seine Hellseher-Show. Szabó zieht dabei oftmals einen Vergleich zwischen Hanussen und Hitler. Sei es, dass er beiden dasselbe Geburtsdatum unterstellt oder sie sich in den gleichen Posen ablichten lassen. Wobei man sich fragt, ob Szabo dadurch, dass er Hanussen zu einer mythischen Figur erhöht, nicht dasselbe für Hitler (der hier nur in Archivaufnahmen auftaucht) tut. Konkreter wäre es gewesen – wenn man die beiden schon miteinander vergleicht, bzw. nebeneinanderstellt – Hanussen als den Trickbetrüger, Schwindler und Manipulator darzustellen, der er war. Weniger als „besonderen“ Menschen mit hellseherischen, hypnotischen und gedankenlesenden Eigenschaften. Denn diese werde im Film nie wirklich in Frage gestellt und gerade dadurch, dass unterschwellig Hitler als eine Art Alter Ego oder zumindest gleiches Symptom der Zeit dargestellt wird, geht das Mythische in diesem Film auch auf diese Gestalt über.

Klaus Maria Brandauer passt perfekt in die Rolle des Hanussen. Dass er von der Bühne kommt, merkt man bei Brandauer immer. Er ist kein klassischer Filmschauspieler. Seine Darstellung hat immer etwas leicht überzogenes, theaterhaftes. Monologe werde von ihm nie gesprochen, sondern deklamiert. Dialog gerne geschrien, geflüstert und in ein melodisches Singsang gepackt. Diese Künstlichkeit passt gut zu einem Mann wie Hanussen, der ja auch vor allem schauspielert. Demgegenüber spielt der große Bergman-Schauspieler Erland Josephson sehr zurückhaltend, aber letztendlich effektiver. Eigentlich ist seine Figur auch die interessantere. Ein jüdischer Arzt, der Schneider erst zu Hanussen macht. Der darüber hinwegsehen muss, dass Hanussen ihm seine Geliebte ausspannt. Und der – obwohl er ahnt, was ihn erwartet – Deutschland nicht verlassen kann und will. Spannend auch die im Film nur angedeutete, aber leider nicht ganz ausgespielte homosexuelle Beziehung zwischen den Beiden (auf die Frage wen er liebt nennt Hanussen drei Männer, später erklärt er einer seiner vielen Geliebten, er könne nicht lieben). Leider gerät diese Figur sehr in den Hintergrund. Ähnliches gilt für den schneidigen Hauptmann Nowotny, der erst Vorgesetzter, dann Manager Hanussens ist. Eine Paraderolle für Károly Eperjes, der nicht nur häufig mit Szabó zusammenarbeitete, sondern auch aller bestens als unheimlicher Kindermörder in Robert Siegels großartigem „Laurin“ im Gedächtnis geblieben ist. Überhaupt sind allein die Nebendarsteller den Film wert, auch wenn sie von Brandauers Omnipräsenz an den Rand gedrängt werden.

Szabó arbeitet viel mit Gegenlicht, Großaufnahmen und Räumen. So bleibt vieles im Undeutlichen, da man förmlich geblendet wird. So wie das Publikum im Film die wahre Natur Hanussens nicht erkennt, da es durch sein Charisma geblendet wird. Bis auf den Anfang und das Finale gibt es zudem kaum Szenen, die im Freien spielen. Hanussen bleibt in Gebäuden. In Restaurants, Hotels, Clubs und Theatern. Hier kann er sich seine eigene Welt erschaffen. Hier kann sein Macht über andere ausspielen. Wenn er ins Freie gerät, dann gibt es dann nichts mehr, was ihn schützt. Hier wartet nur der Tod auf ihn und Hanussen besitzt keine Macht mehr, um ihm ein Schnippchen zu schlagen. Außerhalb der Masse, außerhalb des sicheren Raumes, ist auch ein Eric Jan Hanussen nur ein ganz normaler, ängstlicher und schutzloser Mensch.

Die Bildqualität der UMC One Blu-ray ist schwer zu beurteilen. Da Szabó viele helle Gegenlichtaufnahmen nutzt, franst das Bild häufig aus und wird sehr weich. Teilweise sieht das dann extrem körnig und verwaschen aus. Ob dies eine bewusste künstlerische Entscheidung des Regisseurs war und bereits im Ursprungsmaterial so vorhanden – oder ob man bei der 4K-Restaurierung noch etwas hätte rausholen können, das vermag ich nicht zu sagen. Daher enthalte ich mich auch einer Wertung. Grundsätzlich schwanken die Intensität der Farben und die Schärfe von Szene zu Szene, woraus man den Schluss ziehen kann, dass Szabo auch unterschiedliches Material und/oder Kameras nutze. Womöglich ist dies also ein gewollter Effekt. Der Ton liegt lediglich auf Deutsch vor und ist gut verständlich. An Extras gibt es bis auf Trailer nicht viel. Das im Mediabook eingeklebte Booklet hat schöne Bilder, der Text zur historischen Figur, den Schauspielern und dem Regisseur gibt allerdings nur wider, was man auch auf Wikipedia hätte lesen können. Ein kleines Rätsel bleibt die Laufzeit. Diese beträgt 119 Minuten. Im der IMDb wird aber 140 Minuten angegeben. Wobei unklar ist, worauf sich diese bezieht. Die deutsche Kinofassung betrug auch 119 Minuten. UMC One hat aber auch für diese Tage eine „besondere Langfassung“ auf einfacher Blu-ray angekündigt. Ob dies die 21 Minuten längere Fassung ist und wenn ja, weshalb diese nicht im bereits im deutlich teureren Mediabook inkludiert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.

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