Bericht vom 30. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 3

Am für mich dritten und letzten Tag musste ich auf meinen Begleiter Stefan verzichten. Dafür legte ich mir den ersten Film so früh, dass ich ausnahmsweise mit dem Zug (Deutschlandticket sei Dank!) fahren konnte, da der letzte Filme um 20:40 zu Ende war und ich bequem zurückreisen konnte. Überraschenderweise lief mit der Bahn auch alles glatt. Sogar so glatt, dass ich fast den Oldenburger Hauptbahnhof verpasst hatte, weil ich mich gerade in eine Lektüre versenkt hatte.

Der erste Film des letzten Tages lief wieder im kleinen cineK Muvi, wo der Herr, den ich bereits in meinem Bericht vom ersten Tag erwähnt hatte, wieder seinen großen Auftritt hatte. Hier verkündete er, dass er keinen einzigen Film auf dem Filmfest gesehen hätte – er sich diesen aber nicht entgehen lassen würde, da der Regisseur ihm auf der Filmfest-Party am Vorabend den Film so schmackhaft gemacht habe.

The Nothingness Club – Über den Schriftsteller Fernando Pessoa wusste ich vor diesem Film so gut wie gar nichts. Nur die Bröckchen aus der Filmankündigung – dass er unter unzähligen Pseudonymen schrieb und für jedes dieser von ihm „Heteronyme“ genannten „Autoren“ eine eigene Biographie und einen eigenen Stil erfand. Vielleicht kann man Edgar Pêras Film mehr genießen und mit ihm anfangen, wenn man sich zuvor eingehend mit Pessoa und seinen Schriften beschäftigt hat. Denn eben jene legt Pêra seinen Figuren in den Mund. Im Großen und Ganzen handelt „The Nothingness Club“ von den vielen Heteronymen, die für Pessoa in einem großen Büro arbeiten und schreiben. Und von einer Femme Fatale, die auf einmal auftaucht und einiges durcheinander bringt. Und von einem geheimnisvollen Mörder, der die Heteronyme umbringt. In einem weiteren Strang befindet sich Pessoa scheinbar in einer psychiatrischen Anstalt. Oder auch nicht. Das bleibt alles vage. Regisseur Edgar Pêra erklärte in der Q&A, dass er ein „What if“ erschaffen hätte. Also ein „Was wäre passiert, wenn. Fernando Pessoa länger gelebt hätte“. Pessoa starb nämlich 1935 im Alter von nur 47 Jahren. Deshalb eine Texttafel am Beginn, die behauptet, Pessoa wäre 1939 bereits zum Nobelpreisträger für Literatur gekürt worden, doch durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges wäre die Vergabe ausgefallen und Pessoa leer ausgegangen“. Was den Film für Eingeweihte bereits als „What if“ entlarvt, denn Pessoa starb ja bereits 1935. Allerdings muss man das wissen. Ebenso wie die Tatsache, dass Pessoa nie in psychiatrischer Behandlung war und Pêra dieses Szenario nur für wahrscheinlich hielt, wenn Pessoa länger gelebt hätte. Von der Inszenierung her machen es einerseits die durchgehend aus aus dem Zusammenhang gerissenen Pessoa-Zitate als Dia- und Monologe schwer einen Zugang zu finden. Andererseits wird so viel Insider-Wissen vorausgesetzt, dass man sich schnell verliert und fragt, was das alles soll. Pêra nutzt verschiedene Verfremdungstricks und cineastische Spielereien, die dann aber auch ermüden. Auf mich machte „The Nothingness Club“ den Eindruck einer Parodie auf prätentiöse Kunstfilme, die völlig verkopft den Kontakt zum Zuschauer verloren haben. Doch die Q&A machte unmissverständlich klar, dass Pêra für den Autoren Pessoa brannte und voll hinter seinem Film stand. Weshalb ich dann auch ein wenig traurig war, dass ich zu „The Nothingness Club“ auf keiner Ebene einen Zugang gefunden habe, und auch einige ZuschauerInnen während des Filmes das Kino verließen. Schade. Schade fand ich auch, dass der Herr, welcher nun das Q&A moderieren sollte, nach der Vorstellung des Regisseurs und einer ersten Frage plötzlich kommentarlos das Kino verließ und den armen Edgar Pêra völlig allein zurückließ. Dieser wirkte daraufhin auch etwas verwirrt, machte aber souverän das Beste daraus. Leider uferte auch dies (unmoderiert) zeitlich komplett aus, so dass ich noch inmitten von Pêras interessanten Ausführungen mich raus stehlen (okay, das ist in dem kleinen Kino nicht wirklich unauffällig möglich), da im Studio bereits mein nächster Film startete.

Edgar Pêra mit Moderator

Regisseur Edgar Pêra

The King of Algier – „The King of Algier“ von Elias Belkeddar war ein kleiner Crowdpleaser, der keine wirklich neue Geschichte erfand und den man so oder so ähnlich schon öfter mal gesehen hat. Der französischer Gangster Omar (genannt „die Erdbeere“) muss in die Heimat seiner Eltern, nach Algerien fliehen. Hier wird er als lebende Legende bereits von Roger, seinem besten Freund aus Kindertagen, empfangen. Obwohl Omar sich nichts zu schulden kommen lassen darf, da ihm sonst der Knast in Frankreich droht, juckt es ihm bald in den Fingern, seine alten Tätigkeiten wieder aufzunehmen. Wogegen Roger auch nicht das geringste hat. Zu zweit sorgen sie dafür, dass Omar so etwas wie der King of Algier wird. Nebenbei übernimmt er eine Firma, die Kuchen herstellt und verliebt sich in eine der Mitarbeiterinnen, die ihm ordentlich Paroli bietet. Aber natürlich schläft die Konkurrenz nicht und es wird am Ende blutig. Immerhin mutiert Omar am Schluss nicht vom Saulus zum Paulus, sonder bleibt mehr oder weniger im Geschäft. Das ist alles sehr gefällig und mit viel Lokalkolorit gefilmt. Die Darsteller sind durch die Bank weg großartig. Angefangen mit Reda Kateb als Omar, den man aus zahlreichen französischen Filmen kennt. Als sein alter Kumpel Roger stiehlt ihm allerdings Benoît Magimel die Show. Den jungen, unverschämt gutaussehenden Liebhaber von Isabelle Huppert in Michael Hanekes „Die Klavierspielerin“ erkennt man allerdings nicht unbedingt wieder. Meriem Amiar gibt eine junge Frau, die weiß was sie will, und der Rest der Riege scheint aus algerischen Amateuren zu bestehen, die dementsprechend echt wirken und dem Film ganz sanft etwas beinahe dokumentarisches geben. Gute und empfehlenswerte Unterhaltung. Perfekt für ein größeres Publikum, welches sicherlich noch nicht so viele ähnlich gelagerte Filme gesehen hat und sein Auge gerne an „exotischen“ Schauplätzen ergötzt.

Charcoal – Der letzte Film „Charcoal“ – das erstaunliche Langfilmdebüt von Carolina Markowicz – war dann zum Abschluss noch einmal ein ungeheurer Magenschwinger vor dem Herrn. Als schwarze Komödie angekündigt, war er in der Tat tiefschwarz und in seiner bitteren Konsequenz unheimlich erschütternd. In einem ärmlichen Barackendorf irgendwo im brasilianischen Hinterland lebt die Familie von Irene. Ihr Mann Jairo leben von der Herstellung von Holzkohle, der 9-jährige Sohn muss das Zimmer mit dem dem totkranken Opa teilen. Da erscheint eines Tages eine neue Pflegekraft, um nach dem Opa zu schauen und macht Irene und Jairo ein unmoralischen Angebot. Wenn der Opa verschwindet, dann könne die Familie an seiner statt einen argentinischen Drogenbaron aufnehmen, der untertauchen muss und ein Versteck sucht, bis er ins nächste Land fliehen kann. Das Ganze könnte jetzt als Culture-Clash-Komödie inszeniert werden, wenn der Luxus gewöhnte Gangster bei der einfachen und armen Familie untertaucht. Tatsächlich hat der Film auch immer leichte Anflüge in diese Richtung. Aber wenn Irene und Jairo zu Beginn den hilflosen Alten skrupellos entsorgen, dann bleibt doch ein Kloß im Hals und man ahnt, dass es in dieser Welt eben nicht lustig zugeht. Die Armut und Jagd nach Geld hat hat die Familie korrumpiert und von „Armutsromantik“ ala Dickens ist hier nichts zu spüren. Auch ist der Gangster nicht gerade umgänglich und gewiss kein Sympathieträger. So scheut er sich nicht, den Sohn des Hauses für ihn harte Drogen kaufen zu schicken. Hier kommt im Grunde niemand mit niemandem klar. Die Kirche bietet auch keinen halt, sondern fordert ihren Obolus. Jairo hat ein heimliches Verhältnis mit seinem Nachbarn und die frustrierte Irene versucht den Gangster zu verführen. Dass sie dazu ein Bild verwendet, auf dem sie einst die Wahl zur „Miss Werwolf“ gewann, ist dabei auch nur auf den ersten Blick witzig, wenn man sich verdeutlicht, dass dieser Sieg ihr einziges Erfolgserlebnis blieb. Immer, wenn man denkt, dass der Film vielleicht doch noch einen heiteren oder zumindest versöhnlichen Ton anschlägt, wird man schnell eines besseren belehrt. Das bittere, aber konsequente Ende lässt einen mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengegend zurück, welches sich noch einmal verstärkt, wenn das Schlussbild klar macht, dass die menschenverachtende Haltung der Eltern sich auch auf die nächste Generation überträgt, und es im Grunde keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt. Im Gegenteil. Ein sehr starker, authentisch gespielter Film, der sich einbrennt und mich auf der Rückfahrt im Zug noch sehr beschäftigte.

Fazit: Trotz all der eingangs in meinem Bericht vom ersten Tag angemerkten, extremen Sparmaßnahmen, den organisatorischen Merkwürdigkeiten hier und dort, und einer dadurch ein wenig leidenden Festivalatmosphäre, war es wieder ein extrem gutes Filmfest in Oldenburg. Den auch wenn das Drumherum vielleicht nicht ganz unwichtig ist, was zählt sind am Ende die Filme. Und die waren mal wieder exzellent ausgesucht. Ich ziehe einmal mehr meinen Hut vor den Leuten, die diese großartigen Filme Jahr für Jahr für das Festival aussuchen. Qualitativ befindet sich das Filmfest Oldenburg schon seit vielen Jahren auf einem extrem hohen Niveau – und übertrifft sich dann doch auch immer wieder selber. Nun hoffe ich, dass man nächstes Jahr bei der 31. Ausgabe nicht wieder das an allen Ecken und Enden fehlende Geld bemerkt – und freue mich darauf, hoffentlich wieder dabei zu sein.

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