Blu-ray-Rezension: „Kin-Dza-Dza!“

Der Vorarbeiter Vladimir Mashkov (Stanislav Lyubshin) verlässt nach Feierabend noch schnell einmal das Haus, um Besorgungen für die Familie zu machen. Dabei wird er von dem georgischen Studenten Gedevan Alexandrovich Alexidze (Levan Gabriadze) angesprochen, der einem seltsamen, offensichtlich verwirrten Mann (Anatoli Serenko) helfen möchte, der in einem alten Mantel und ohne Schuhe durch Moskau läuft. Dieser behauptet, zurück auf seinen Planeten zu wollen. Dazu habe er eine elektronische Vorrichtung, nur wisse er nicht, welche Nummer die Erde habe und diese bräuchte er, um zurückzukehren. Als Vladimir auf den Knopf der Vorrichtung, drückt, werden er und Gedevan sich plötzlich auf den Wüstenplaneten Plück transportiert. Dort gegebenen sie dem seltsamen Duo Uef (Jewgeni Leonow) und Bi (Juri Jakowlew), die sie mit den merkwürdigen Gepflogenheiten auf Plück vertraut machen…

Wieder einmal bringt das über alle Maße zu lobende Label einen Film auf den deutschen Markt, den man selbst als Freund der Materie nicht unbedingt auf dem Zettel hat. In diesem Fall die sowjetische Science-Fiction-Komödie „Kin-dza-dza!“, welche in ihrem Heimatland zwar Kultcharakter genießt, hierzulande aber so gut wie unbekannt ist. Da der Film auch nicht den Weg in deutsche (weder Ost, noch West) Kinos fand, gibt es auch keine deutsche Synchronisation. Was aber auch nicht so viel ausmacht, da einerseits der Film sowieso seine eigene Sprache entwickelt mit Fantasiewörtern wie „Kyu“ für „Mist“ und „Ku“ (angeblich) für alle anderen Worte. Zudem geht höchstwahrscheinlich eh schon eine Menge Wortwitz durch die Übersetzung verloren. Eine Vermutung, die mangels Kenntnis der russischen Sprache nicht belegt werden kann, allerdings nahe liegt, denn die deutschen Untertitel sind relativ humorlos.

Generell muss ich zugeben, trotz einer großen Affinität zum osteuropäischen Film oftmals meine Probleme mit dem Humor dieser Werke zu haben. So entlockt mir z.B. der polnische „Seksmisja“ nur ein leichtes Lächeln, während er in seinem Heimatland Lachsalven erntet. Zum ebenfalls polnisches „Rejs“ – einem Kultfilm par excellence – wurde mir gesagt, dass jemand außerhalb von Polen den Film gar nicht verstehen könnte, da er viel mit Wortspielen und typisch polnischen Situationen arbeitet. Interessanterweise geht es mir aber auch beim italienischen und Hongkong-Kino so, dass ich dem lokal extrem erfolgreichen Humor von z.B. Franco & Ciccio oder Stephen Chow sehr häufig ratlos gegenüberstehe. Trotz meiner tiefen Liebe für das Kino dieser Länder. Nun möchte ich „Kin-dza-dza!“ nicht mit beiden letztgenannten vergleichen. Aber der auf dem Cover getätigte Vergleich mit Monty Python und Douglas Adams wird dem Film weder gerecht, und führt zunächst einmal auf die falsche, temporeichere Fährte.

Denn „Kin-dza-dza!“ ist eine überraschend ruhige Satire, die ganz unterschiedliche Lesarten zulässt. Im empfehlenswerten Booklet von Gleb Albert und Daniel Wagner wird die Ambivalenz des Filmes öfter erwähnt. Warnt er nun vor den Gefahren des Kapitalismus und macht sich über die Geldgier der „Westler“ lustig? Oder nimmt er eher die Lebensrealitäten in der sozialistischen Sowjetunion aufs Korn? Um die Frage zu beantworten: In meinen Augen beides, wobei der Schwerpunkt dann doch auf den lokalen Gegebenheiten liegt. So gibt es zwar die „Ecilop“ (rückwärts für das englische Wort „Police“), die einen Schlagen dürfen und Strafen verteilen, aber es gibt auch eine Geheimpolizei. Während die Ecilop Lampen auf dem Kopf tragen, gibt es Gestalten, die ihre Lampen im Inneren ihres Mantels verstecken. Es gibt Mangelwirtschaft, eine Hierarchiesystem, dessen Herkunft niemand kennt oder hinterfragt. Die Aufteilung in Tschatlanen und Patsaken als Herrschende und Beherrschte, welches an die Rassentrennung in den USA erinnert, aber ebenso gut für die Privilegierten im sowjetischen System und an die, welche das von diesen misstrauisch beäugte Fußvolk bilden. Letztendlich ist es aber auch egal, da Georgiy Daneliyas Film einfach in alle Systeme passt, in denen sich Menschen tummeln, die vor allem auf ihren eigenen Vorteil aus sind.

Der Film spielt fast ausschließlich in der Karakum Wüste in Turkmenistan. Dementsprechend karg ist die Landschaft, aber von Daneliya und seinen Ausstattern mit bizarren, aber dennoch vertrauten Bauten und Requisiten bestückt. Nach kurzer Irritation lebt sich der Zuschauer doch schnell in diese Welt ein, in der es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Wer allerdings schenkelklopfenden Klamauk erwartet, ist hier fehl am Platze. Der Film lebt von von seinen satirischen Elementen, die durchaus subtil und niemals allzu plump daherkommen. Aber auch von seinen sympathisch-skurrilen Figuren, die zwar alle sehr speziell und nicht unbedingt ein Zier für eine genossenschaftliche Gemeinschaft sind, denen man aber gerne durch ihre eigenartigen Abenteuer folgt.

Dabei sind vor allem die Figuren Uef und Bi sehr interessant, da sich an ihnen das ganze Absurdum der Plückschen Hierarchie zeigt. Eine elektronische Vorrichtung von der niemand mehr weiß wie sie funktioniert, zeigt an, ob jemand ein herrschender Tschatlan (klingt wie „Charlatan“) oder ein geknechteter Patsak ist. Der ungestüme und weniger kluge Uef wird dadurch zum Herrscher, während der besonnenere und klügere Bi zum Diener wird. Hier entscheidet ein undurchsichtiges und ungerechtes System, wer in der Gesellschaft oben, wer unten ist. Unabhängig von den Qualitäten, die eine Person vorweisen kann. Angesichts dessen, dass auch in unserem Land noch immer die Herkunft – für die man nichts kann – über Bildungsweg und Chancen entscheidet und oftmals die dafür ungeeignetsten, gierigsten Leutchen an der Spitze von Politik oder Unternehmen sitzen, eine auch heute (leider!) gültige Allegorie.

Mit seinen 133 Minuten ist „Kin-dza-dza!“ etwas lang geraten. Doch hat man sich erst einmal an die langsam dahintreibende, oftmals Schleifen drehende Erzählweise gewöhnt, so vergeht die Zeit wie im Fluge. Gegliedert ist der Film in zwei in etwa gleichlange Teile. Wobei der erste Teil mit einer seltsamen Szene endet, die scheinbar nach dem zweiten Teil spielt und den Studenten nach dem Abenteuer zeigt, wie er mit einer seiner Professorinnen über seine Erlebnisse auf Plück redet, einige nichtssagende Beweise für die Existenz des Planeten präsentiert und ihm unterstellt wird, dass er sich das nur ausgedacht habe, um seine lange Abwesenheit und den Verlust der kostbaren Geige zu erklären. Seltsamerweise wird dies weder im zweiten Teil des Filmes, noch im Finale wieder aufgenommen. Die Szene bleibt ein Fremdkörper, der irgendwie nicht wirklich in den Film passt. Die Frage ist, wieso sie dann dort auftaucht? Gab es vielleicht Ideen, den Film nach dem ersten Teil enden zu lassen? Dramaturgisch hätte man das so machen können. Aber weshalb hat man sie dann noch drinnen gelassen, als der zweite Teil vorlag? Weder im Internet, noch in der einschlägigen Literatur habe ich hierzu Informationen gefunden. Mehr noch, nirgendwo wird auf dieses merkwürdige Zwischenspiel, welches den ganzen Film als Fantasie des Studenten entlarven könnte, eingegangen.

Wie dem auch sei. „Kin-dza-dza!“ ist ein sehr interessanter, einfallsreicher und humorvoller Film, dessen vollständigen Qualitäten vielleicht erst bei einer zweiten Sichtung offensichtlich werden. Sich ein wenig intensiver mit der Zeit seiner Entstehung und den damaligen Verhältnissen in der UdSSR zu beschäftigen, hilft möglicherweise auch und ist generell eine lohnende Tätigkeit. Aber auch ohne diese Kenntnisse kann man „Kin-dza-dza!“ genießen und sich in seinen ebenso kargen, wie fantasiereichen Bildern und der seltsamen, aber doch irgendwie allzu vertrauten Absurditäten der „Plückschen“ Gesellschaft verlieren.

Die Blu-ray des Labels Bildstörung ist mal wieder makellos. Auch wenn sicherlich der eine oder andere wieder über den nicht vorhandenen Ton meckert. Was für mich aber kein Manko darstellt, da ich eh Filme fast immer im Original mit Untertiteln schaue. Das Bild ist schlicht und ergreifend perfekt. Besser geht es bei einem fast 40-jährigen Film nicht. Das wirkt sehr frisch ohne dabei den Kino-Look zu töten. Die sehr klare und natürlich klingende russische Tonspur wurde nicht künstlich aufgemotzt, sondern liegt im Linear PCM 2.0 vor. Während auf der Blu-ray mit dem Film lediglich Trailer als Bonus zu finden sind, schöpft die beiliegende Bonus-Blu-ray aus dem Vollen. Was immer man auch über den 2019 verstorbenen Regisseur Georgiy Daneliya wissen möchte, erfährt man hier. Sei es in einem 14-minütigen Interview oder zwei TV-Specials des russischen Fernsehens (39 und 44 Minuten), Leben und Schaffen werden von allen Seiten beleuchtet, wobei Schwerpunkte immer auch auf seinem bekanntesten Werk „Kin-Dza-Dza!“ liegen. Und das empfehlenswerte 28-seitige Booklet mit aufschlussreichen Texten von Gleb Albert und Daniel Wagner erwähnte ich ja bereits.

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