Filmbuch-Rezension: Christian Keßler „Hollywood Blackout – Sternstunden des amerikanischen Noir-Kinos (1941 – 1961)“

Letztes Jahr um diese Zeit hatte es mich dahingerafft. Irgendwo hatte mich dieses Corona-Virus erwischt, und ich lag erst einmal tagelang danieder und war danach zur Selbstisolation gezwungen. Zu dieser Zeit half mit Christian Keßlers Buch „Gelb wie die Nacht – Das italienische Thrillerkino von 1963 bis heute“, um die Tage gut über die Runden zu bekommen. Meine täglichen Gänge vom Bett zum Sessel und zurück verbrachte ich häufig mit diesem Buch unter dem Arm. Nun ist fast genau ein Jahr später ein neues Buch von Christian Keßler auf den Markt gekommen. Diesmal ist es nicht gelb, sondern seinem Thema angemessen in tiefes Schwarz gehüllt.

Denn es geht um den „Film Noir“. Ein weites, sehr fluides Thema. Denn in der Vergangenheit wurde so unterschiedliche Filme wie „Tote schlafen fest“, „Todsünde“ und „Unter Verdacht“ diesem „Genre“ zugeordnet. Dies in Anführungszeichen, weil es gar kein echtes Genre ist, sondern wie man an den genannten Filmen sieht, eher eine Unterart vielfältiger Genres wie Detektivfilm, Drama und Kostümfilm. Aufgestülpt wurde dieser Begriff einer bestimmten Art von Filmen erst Jahre nachdem diese in die Kinos gekommen waren. Wie man am Namen hört, von den Franzosen. „Film Noir“ ist ein faszinierendes Thema, welches in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen eine Nischendasein fristet. Was daran liegen mag, dass die Hochzeit des Noir, nämlich die 40er und 50er, leider zu jenen Jahrzehnten gehören, die abseits einiger Nischenveröffentlichungen (oder billiger Ramsch-DVDs) gerne totgeschwiegen wird. In den einschlägigen Streaming-Portalen finden diese so gut wie gar nicht statt, die großen Studios bringen ihre klassischen Filme nicht mehr für das Heimkino heraus. Vielleicht noch die allseits bekannten Vertreter, aber gerade die kleinen B-Produktionen (oder heute unbekannteren A-Produktionen) fallen dabei unter den Tisch. Zwar gab es hierzulande einmal von Koch Media eine Reihe namens „Film Noir“-Collection in der 25 sehr unterschiedliche Filme, wie der britische „Chicago Joe und das Showgirl“ von 1990 oder der grandiose Gruselfilmklassiker „Der unheimliche Gast“ erschienen, aber eben auch viele Noir-„Must-have“ wie „Rächer der Unterwelt“ oder „Die Narbenhand“. Kürzlich brachte UCM.ONE die Reihe Édition Film Noir heraus, die bisher neun Filme umfasst, deren thematische Brandbreite manchmal auch den Rahmen des Film Noir sprengt. In der „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ beschäftigten sich in der Vergangenheit Oliver Nöding und vor allem auch Noir-Experte Matthias Merkelbach (auf dessen vorbildliche Homepage Der Film Noir ich hier gerne verweisen möchte) immer wieder mit dem Film Noir, und Robert Zion trug dort eine Reihe zum Noir-Western (quasi die Nische in der Nische) bei.

Nun also gibt es auch „Hollywood Blackout – Sternstunden des amerikanischen Noir-Kinos (1941 – 1961)“ von Christian Keßler, welches sicherlich noch einmal eine ganz neue Gruppe zu Noir-Fans konvertieren kann. Denn Christian Keßler ist vor allem für seine großartigen Verdienste um den italienischen Exploitationfilm der 70er Jahre bekannt. Mit seinen heute legendären Kolumnen in der „Splatting Image“ hat er den Filmgeschmack vieler Filmfreunde positiv beeinflusst und Filme ins Rampenlicht geschoben, die vorher keine große Lobby hatten. Auch wichtig: Das Buch „Die läufige Leinwand“ über den US-Pornofilm der 70er, sein erstes Buch für seinen heutigen Stamm-Verlag Martin Schmitz. Diesem folgten viele weitere höchstempfehlenswerte Bücher, die ich hier im Blog auch alle mit größtem Vergnügen besprochen habe. Zuletzt – wie oben erwähnt – das Buch über den Giallo-Film. Dass sich Christian Keßler nun dem Film Noir zuwendet, also dem US-amerikanischen Film der 40er und 50er Jahre, mag da zunächst einmal (angenehm) überraschend erscheinen. Was es allerdings nicht ist, führt man sich vor Augen, dass Christian Keßler selber schon mal einen Fuß in das „Noir“-Genre bzw. in die Hardboiled-Romanen, die oftmals die Grundlage der Filme lieferten, gestellt hatte. An dieser Stelle sei darum auf seine beiden wunderbaren humoristischen Krimis um den Bremer Kommissar Ernst hingewiesen: „Aalglatt über Leichen“ und „Elfmeter für Ernst“, die auf extrem unterhaltsame Weise die Tradition des harten amerikanischen Detektivromans ala Chandler oder Hammett persiflieren und mit typischen „Keßlerismen“ würzen.

„Hollywood Blackout“ beginnt anders als „Gelb wie die Nacht“ mit einer Einführung, die den Begriff Noir zunächst einmal erklärt und zeitgeschichtlich einordnet. In der aber auch klar gemacht wird, wie vielfältig der Begriff „Film Noir“ angewandt wird, dass „Hollywood Blackout“ keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und zudem die Grenzen des Begriffes auch mal dehnt, wenn es dem Autoren angebracht scheint. Wobei dies nicht als Arroganz oder Besserwisserei auszulegen ist, sondern hier Christian Keßler einfach seinem Herzen folgt. An dieser Stelle muss generell einmal ein großes Lob ausgesprochen werden (welches nicht nur für „Hollywood Blackout“ sondern all seine Filmbücher gilt): Im Internet hat sich leider eine teilweise recht aggressive Form der Rechthaberei durchgesetzt. Es wird mit Absolutismen um sich geworfen. Was der Experte nicht mag ist per se schlecht. Wer etwas anderes behauptet, der wird niedergemacht und ihm schlichtweg die Kompetenz sich zu äußern abgesprochen. Ein andauerndes eitles „Ich, ich, ich“, welches auf die Dauer extrem zermürbend ist. Von solchen narzisstischen Ausfällen ist Christian Keßler weit, weit entfernt. Man merkt seinen Texten zu jeder Zeit die tiefe Liebe zum Thema an und die unbedingte Freude, diese mit seinen Leser*innen zu teilen. Das ist nicht nur wunderbar entspannt zu lesen, sondern reizt einen auch weit mehr sich selber auf Entdeckungsreise zu begeben, als ein autoritäres Predigen der eigenen Ansichten. Gerade dieses neugierige und ergebnisoffene an die Hand nehmen des Lesers und dieses „das Feuer weitergeben“ ist es, was Christian Keßler – im Gegensatz zu anderen, die immerfort nur ihre eigene absolute Wahrheit verkünden wollen – relevant macht. Insbesondere, wenn er sich in Genres begibt, die möglicherweise einer Vielzahl seiner treuen Stammleser*innen noch unbekannt sind. Wie hier eben der Film Noir.

Das Buch ist chronologisch nach Datum der Erstaufführung aufgebaut. Christian Keßler bespricht in mal längeren, mal kürzeren Texten über 200 Filme von „Entscheidung in der Sierra“ („High Sierra“, 1941) bis „Alles auf eine Karte“ („Underworld, U.S.A.“, 1961). Wie gewohnt mischen sich dabei seine eigenen Einschätzungen zum Film mit filmhistorischer Einordnung und Wissenswertes/Anekdoten über die beteiligten Personen mit einer lebensfrohen Freude daran, dies in eine sehr lebendige und humorvolle Sprache zu gießen. Was zu einem abwechslungsreichen, niemals langweiligen Lesefluss führt. Und auch dazu, dass man das Buch schlecht aus der Hand legen kann, weil man ständig denkt „Über einen Film lese noch, dann klappe ich es aber zu. Ist ja schon spät.… Okay, noch einen… aber wirklich nur noch einen“. Zudem – und das ist wie immer das größte Kompliment – macht es eine unbändige Lust darauf, sich die Filme auch anzusehen. Gerade jetzt vor Weihnachten dürften die Wunschzettel vieler Leser*innen mit Film-Noir-Boxen aus dem In- und Ausland gefüllt sein. Mission erfüllt, Herr Keßler! Ich freue mich schon auf das nächste Buch und bin sehr gespannt, in welche Gefilde mich der Kapitän dann schippern wird.

Christian Keßler „Hollywood Blackout – Sternstunden des amerikanischen Noir-Kinos (1941 – 1961)“, Martin Schmitz Verlag, 376 Seiten, gebunden, farbige Abbildungen, € 35,00

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