Mein dritter und ganz allgemein auch der letzte Tag auf dem 31. Internationalen Filmfest Oldenburg begann recht chaotisch. Dabei hatte doch alles entspannt angefangen. Überpünktlich parkte ich meinen Wagen vor dem Theaterhof, wo laut Ticket mein erster Film des Tages um 14:30 Uhr starten sollte. Da es mittlerweile Sonntag war, konnte ich auch kostenlos parken und die exorbitant angestiegenen Parkgebühren in Oldenburg sparen. Im Kino verlief auch alles gut, ich befand mich in der überraschend langen Schlange vor dem Einlass weit vorne – doch als ich durch die Einlasskontrolle ging, winkte mich der nette Herr dort zurück und meinte, ich sei im falschen Kino. Der Film „Three Infallible Rules“sei getauscht worden und liefe im cineK. Meine etwas dümmlichen Einwurf „Aber hier steht doch Theaterhof“ hätte ich mir auch sparen können. So nahm ich die Beine in die Hand und lief mit noch weiteren „Opfern“ der Konfusion rüber ins cineK, wo der Film eigentlich in dem Moment hätte starten sollen.
Außer Atem erreichten wir das cineK ohne genau zu wissen wohin. Die Leute hinter dem Tresen konnten uns zwar ins Studio lotsen, wussten aber auch nicht so recht, was los war. Dort angekommen lief noch nichts. Es wurde uns gesagt, man würde noch auf die Leute aus dem Theaterhof warten, die vielleicht noch im falschen Kino saßen. Ein Herr neben mir berichtete, dass ihm ähnliches am Vortag im Casablanca widerfahren, und er von dort zurück ins cineK geschickt worden sei. Was für ihn als fahrradfahrenden Oldenburger gerade so möglich gewesen sei. Ein zugfahrender Bekannter von außerhalb sei dann einfach sitzen geblieben. So schlichen die Minuten dahin. Während wir also alle warteten, wurde im Publikum jemand gesucht, der für den italienischen Regisseur Marco Gianfreda dolmetschen könnte – denn der verstand nur sehr rudimentär Englisch. Eine freundliche Dame erklärt sich dazu bereit und es wurde weiter gewartet. Dann sprach der sympathische Regisseur Marco Gianfreda einige einleitende Worte, die von der Dame aus dem Publikum übersetzt wurden.
Endlich startete der Film. Leider nicht seiner, sondern „Three“ von Nayla Al Khaja, der am Abend noch einmal im Studio laufen sollte. Und diese nicht einmal, sondern insgesamt drei Mal (wie passend), was zu einigem Gelächter führte. Aber auch viel Zeit kostete. Das Warten hatte sich allerdings sehr gelohnt.
Three Infallible Rules – Der 14-jährige Bruno hat zwei Probleme. Zum einen Luca, den verhassten neuen Freund seiner Mutter Claudia, zum anderen seine Klassenkameradin Flavia, in die er verliebt ist. Als Bruno zufällig sieht, wie Luca auf offener Straße eine fremde Frau küsst, nutzt er dieses Wissen, um Luca zu erpressen. Dieser soll ihn einerseits als coolen Typen dastehen lassen und zum anderen mit Tipps versorgen, wie man bei Frauen landet und generell – wie ist das mit dem Verliebtsein? Derweil hat Claudia ihre eigenen Probleme, denn in Sachen Verliebtsein tut sie sich ebenso schwer wie ihr Sohn.
Manchmal passt einfach alles. Nach der eher schweren Kost der Vortage habe ich solch einen Film wie „Three Infallible Rules“ scheinbar einfach gebraucht. Von Anfang an gelang es mir, mich einfach hineinfallen zu lassen. Fühlte mich wohl in diesem sommerlichen Italien, mochte die Figuren und die kleine große Geschichte, die von der Liebe und denen damit einhergehenden Problemen erzählt, ohne sentimental oder schwülstig zu werden. Bruno, der am Anfang den Eindruck eines kleinen Biestes und der seiner Mutter das Leben schwer machte, entpuppt sich bald als zwar komplizierte, aber auch verlorene Person. Jemand, der einfach auf der Suche nach Liebe ist und dessen Hormone und Synapsen von der Pubertät kräftig umhergewirbelt werden. Wie sein Mutter Claudia, die ihren eigenen Gefühlen auch nicht so recht vertraut und voller Zweifel ist. Die ihrem Glück misstrauisch gegenübersteht und voller Selbstzweifel steckt. Mutter und Sohn spiegeln sich ineinander, ohne dass sie es merken würden. Auch der wahnsinnig gutaussehende Luca ist vor Selbstzweifeln nicht gefeit, hat aber gelernt damit umzugehen und versucht dies an Bruno weiterzugeben. Zu diesem entwickelt er nicht unbedingt väterliche, wohl aber freundschaftliche Gefühle. In Bruno sieht er vielleicht auch ein Stück seines jüngeren Ichs, welches in der Welt noch nicht wirklich zurecht kam.
Dazwischen gibt es auch heitere Momente aus Brunos Schulleben, die zeigen, dass er mit den Irrungen und Wirrungen der Pubertät nicht allein ist. Nicht nur aufgrund dieser Szenen, könnte man sich die Geschichte von „Three Infallible Rules“ auch als eine Commedia sexy all‘italiana aus den 70ern vorstellen. Die ja zwischen dem ganzen Klamauk auch immer wieder ernste Figuren und „echte“ Liebesprobleme in ihren Geschichten hatten. Auch wenn „Three Infallible Rules“ das frivole und die Nacktheit der 70er abgeht. Ein sehr schöner, sehr entspannter Debüt-Film, bei dem Regiedebütant Marco Gianfreda dann auch das perfekte Ende für seine Geschichte findet. Einfach schön.
Während der Abspann lief, warf ich einen Blick auf die Uhr und musste erschrocken feststellen, dass mir um nächsten Film nur noch 5 Minuten bleiben. Durch das Chaos am Anfang war einfach viel zu viel Zeit verloren gegangen, und ich musste ja auch noch das Kino wechseln. Das tat mir sehr leid, denn ich hätte wahnsinnig gerne der Q&A mit Marco Gianfreda gelauscht und hatte auch einige Fragen, die ich eigentlich stellen wollte. Aber das ging jetzt nicht mehr und deshalb beschloss ich, mich entgegen meiner Gewohnheit rasch aus dem Kino zu stehlen. Was gar nicht so einfach war, da am Ende meiner Reihe Marco Gianfreda saß. Das war mir dann doch sehr peinlich. Als ich mich an ihm vorbei drängelte, konnte ich ihm nur rasch auf Englisch meine Begeisterung zu seinem Film und eine flüchtige Entschuldigung, dass mein nächster Film nun beginnen würde, zuwerfen. Ob er das in der Hektik verstanden hat? Ich hoffe es mal.
Also rasch rüber in den Theaterhof und kurz nachdem ich in den Saal bin, ging auch schon das Licht aus und der Film auf den ich mich im Vorfeld am Meisten gefreut hatte begann.
The Second Act – Quentin Dupieux folge ich schon seit seinem Debüt „Rubber“, welches wir auch in der Frühzeit von Weird Xperience im Kino gezeigt haben. Endgültig verliebt habe ich mich in seine Filme mit „Wrong“, den ich passenderweise erstmals auf dem 19. Internationalen Filmfest Oldenburg sah. Bis auf die Resteverwertung „Wrong Cops“ mag ich alle Filme von Dupieux. Auch wenn ich leider – auch aufgrund ihrer größtenteils mangelnden Verfügbarkeit in Deutschland – seine letzten fünf Filme allesamt verpasst habe. Der Mann ist eben sehr produktiv und veröffentlicht mittlerweile zwei Filme pro Jahr. Daher freute ich mich sehr darüber, dass ich nun 12 Jahre später, wieder einen Dupieux -Film in Oldenburg zu sehen bekam. Über die Handlung von „The Second Act“ sollte man möglichst wenig im Vorfeld verraten. Deshalb begnüge ich mich hier mit einigen oberflächlichen Andeutungen. Es geht um Kino. Es geht ums Filmemachen. Und es geht um die feine Linie zwischen Realität und Fiktion. Darin ähnelt Dupieux einen Jean-Luc Godard, bei dem zumindest die Beschäftigung mit dem Kino und dem Filmemachen ja auch immer ein entscheidendes Thema war. Doch Dupieux nähert sich dem spielerischer, leichter und vor allem auf eine sehr humorvolle Art und Weise. Seine müheloses Springen von einer Metaebene auf die nächste; die Logik, die oftmals einem Traum zu entspringen scheint; die wahnwitzigen Absurditäten, sie alle machen auch „The Second Act“ zu einem höchst vergnüglichen Film, der aber nie nur an der Oberfläche bleibt, sondern durchaus auch existenzialistische und philosophische Fragen einschmuggelt.
Hier erinnert Dupieux dann auch an Woody Allen – der einerseits mit Godard zusammengearbeitet hat, andererseits sich in seinen Filmen auch häufig einmal mit dem Filmemachen als solches beschäftigt hat. So schließt sich der Kreis. Und vielleicht kann man, gerade nach „The Second Act“, Dupieux als das uneheliche Kind von Goddard, Allen, Bunuel und ganz viel Monty Python bezeichnen. Seine Schauspieler*nnen scheinen sich bei Dupieux auch wohl zu fühlen. So konnte er für „The Second Act“ die beiden Schwergewichte Léa Seydoux und Vincent Lindon verpflichten, die mit sichtbarer Spielfreude bei der Sache sind. Aber es macht auch Spaß Louis Garrel, Raphaël Quenard und vor allem Manuel Guillot zuzusehen. Nach knapp 80 Minuten ist der paradoxerweise sowohl langsame als auch gleichzeitig rasante Film vorbei und man verlässt mit einem Lächeln, aber auch nachdenklich den Kinosaal.
Im cineK Studio sah ich dann den für mich letzten Film des diesjährigen Festivals.
Mi Bestia – Bogota 1996. Es liegt etwas in der Luft. Ein Mondfinsternis hat sich angekündigt. Alle warten auf die Nacht in der der Mond sich zunächst rot verfärben wird. Eine Nacht in der der Antichrist wiedergeboren werden soll. Die den Anfang vom Ende darstellt. Gleichzeitig verschwinden in der ganzen Stadt junge Mädchen. Die 13jährige Mila spürt auch die Veränderung. Die Männer schauen sie anders an als zuvor. Alles wirkt bedrohlich. Ihre Gefühle spielen verrückt, und sie interessiert sich für den coolen älteren Jungen in der Schule. Hat diese Veränderung etwas mit dem roten Mond und der Apokalypse zu tun? Und was sind das für Mädchen da im Park? Die verschwunden Kinder?
Der Film war mir beim Abholen meiner Tickets am Freitag als sehr empfehlenswert angepriesen worden. Entsprechend groß war meine Erwartung. Regisseurin Camila Beltrán wählt eine interessante Technik, um dieses Gefühl der Unsicherheit, der Verwirrung, des nicht ganz richtig da zu sein und der seltsamen Veränderung auch der Umwelt zu verdeutlichen. Die Bilder wirken wie eine nicht ganz gelungene digitale Konvertierung eines Videofilms. Es scheinen Zwischenbilder zu fehlen und das Ganze einen Hauch, den man mehr fühlt als sieht, zu langsam zu sein. Das erzeugt im Betrachter eine seltsames Gefühl, genau wie in der Protagonistin. Irgendwas ist nicht ganz richtig, aber man kann nicht fassen, was es genau ist. Auch auf der Audioebene ist eine Menge los, was dieses Gefühl verstärkt. So befindet man sich ganz im Kopf von Mila. Die Erzählung ist unzuverlässig, die Aufmerksamkeit wird auf Dinge gelenkt, die vielleicht wichtig, vielleicht unwichtig sind. Alles macht den Eindruck neu und vielleicht nicht ganz wirklich zu sein. Die wackelige Hand-Kamera ist häufig ganz dicht an Mila und an Details ihrer Umwelt dran, so dass man auch hier ordentlich durchgeschüttelt wird. Das unzuverlässig Erzählen führt dann aber auch dazu, dass die Handlung, die sich das Gewand eines Horrorfilms übergestülpt hat, nicht wirklich trauen kann. Wer einen gradlinigen Horrorfilm, der die Pubertät und die Wandlung des Mädchens zur Frau in einen Metapher packt (wie zum Beispiel „Ginger Snaps„, „When Animals Dream„, „Carrie„, „Blue My Mind„, vielleicht auch „Der Exorzist“ und viele andere) erwartet, oder tatsächlich einen Film ala „El Dia de la Bestia“ über die Geburt des Antichristen, der wird entweder gelangweilt oder enttäuscht sein. Für alle Anderen ist der Film eine manchmal anstrengende, interessante Erfahrung, auf die man sich allerdings einlassen muss.
Das war es dann für mich mit dem 31. Internationalen Filmfest Oldenburg.
Schön war es wieder. Einiges, was ich letztes Jahr noch ein wenig monierte, hat sich verbessert, chaotisch ist es manchmal immer noch. Aber das gehört wohl dazu und ist wahrscheinlich auch die Ausnahme. Als jemand, der selber Film-Events mit veranstaltet hat, weiß ich, dass so einiges schiefgehen kann – auch wenn man noch so gut plant. Das Einzige, was dann auf jeden Fall funktionieren muss, ist die Kommunikation. Dass das hier nicht so recht geklappt hat, wird wahrscheinlich an der Unerfahrenheit/Unbefangenheit des jungen Personals liegen. Was noch auffiel: Es wurde wieder voller. Wie ich im Nachgang erfuhr, war es beim Vorverkauf eher ruhig gewesen, aber dafür war es dann an der Abendkasse sehr gut gelaufen. Ein Trend, unter dem auch die Konzertveranstalter bekanntermaßen sehr zu leiden haben. Siehe das Hellseatic-Festival in Bremen. Mir war aber auch aufgefallen, dass sich scheinbar oftmals größere Gruppen sich zum gemeinsamen Kinobesuch verabredet hatten. Wahrscheinlich, so meine Vermutung, um anschließend gemeinsam bei einem oder mehreren Getränken über das Gesehene zu sprechen. Das ist etwas, was ich auch bei mir selber merke. Ich bin ja zumeist alleine in Oldenburg unterwegs, und das ist auch kein Problem. Aber wenn sich dann mal eine Begleitung findet und man die Möglichkeit hat, sich zusammen auszutauschen oder gemeinsam die Wartezeit zwischen den Filmen zu überbrücken, dann macht das Ganze noch einmal sehr viel mehr Spaß und Freude. Vielleicht gelingt es mir ja im nächsten Jahr, mal wieder meinen Bekanntenkreis zu aktivieren, um zum dann 32. Internationalen Filmfest Oldenburg zu kommen. Bei mir steht es auf jeden Fall wieder auf dem Plan, und ich freue mich schon jetzt drauf. Bis dahin meine Dank an die Verantwortlichen und Macher*innen hinter den Kulissen und an Festivalleiter Torsten Neumann für seinen unermüdlichen Einsatz und die nette Kommunikation.