Bericht vom 31. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 3

Mein dritter und ganz allgemein auch der letzte Tag auf dem 31. Internationalen Filmfest Oldenburg begann recht chaotisch. Dabei hatte doch alles entspannt angefangen. Überpünktlich parkte ich meinen Wagen vor dem Theaterhof, wo laut Ticket mein erster Film des Tages um 14:30 Uhr starten sollte. Da es mittlerweile Sonntag war, konnte ich auch kostenlos parken und die exorbitant angestiegenen Parkgebühren in Oldenburg sparen. Im Kino verlief auch alles gut, ich befand mich in der überraschend langen Schlange vor dem Einlass weit vorne – doch als ich durch die Einlasskontrolle ging, winkte mich der nette Herr dort zurück und meinte, ich sei im falschen Kino. Der Film „Three Infallible Rules“sei getauscht worden und liefe im cineK. Meine etwas dümmlichen Einwurf „Aber hier steht doch Theaterhof“ hätte ich mir auch sparen können. So nahm ich die Beine in die Hand und lief mit noch weiteren „Opfern“ der Konfusion rüber ins cineK, wo der Film eigentlich in dem Moment hätte starten sollen.

Außer Atem erreichten wir das cineK ohne genau zu wissen wohin. Die Leute hinter dem Tresen konnten uns zwar ins Studio lotsen, wussten aber auch nicht so recht, was los war. Dort angekommen lief noch nichts. Es wurde uns gesagt, man würde noch auf die Leute aus dem Theaterhof warten, die vielleicht noch im falschen Kino saßen. Ein Herr neben mir berichtete, dass ihm ähnliches am Vortag im Casablanca widerfahren, und er von dort zurück ins cineK geschickt worden sei. Was für ihn als fahrradfahrenden Oldenburger gerade so möglich gewesen sei. Ein zugfahrender Bekannter von außerhalb sei dann einfach sitzen geblieben. So schlichen die Minuten dahin. Während wir also alle warteten, wurde im Publikum jemand gesucht, der für den italienischen Regisseur Marco Gianfreda dolmetschen könnte – denn der verstand nur sehr rudimentär Englisch. Eine freundliche Dame erklärt sich dazu bereit und es wurde weiter gewartet. Dann sprach der sympathische Regisseur Marco Gianfreda einige einleitende Worte, die von der Dame aus dem Publikum übersetzt wurden.

Endlich startete der Film. Leider nicht seiner, sondern „Three“ von Nayla Al Khaja, der am Abend noch einmal im Studio laufen sollte. Und diese nicht einmal, sondern insgesamt drei Mal (wie passend), was zu einigem Gelächter führte. Aber auch viel Zeit kostete. Das Warten hatte sich allerdings sehr gelohnt.

Three Infallible Rules – Der 14-jährige Bruno hat zwei Probleme. Zum einen Luca, den verhassten neuen Freund seiner Mutter Claudia, zum anderen seine Klassenkameradin Flavia, in die er verliebt ist. Als Bruno zufällig sieht, wie Luca auf offener Straße eine fremde Frau küsst, nutzt er dieses Wissen, um Luca zu erpressen. Dieser soll ihn einerseits als coolen Typen dastehen lassen und zum anderen mit Tipps versorgen, wie man bei Frauen landet und generell – wie ist das mit dem Verliebtsein? Derweil hat Claudia ihre eigenen Probleme, denn in Sachen Verliebtsein tut sie sich ebenso schwer wie ihr Sohn.

Manchmal passt einfach alles. Nach der eher schweren Kost der Vortage habe ich solch einen Film wie „Three Infallible Rules“ scheinbar einfach gebraucht. Von Anfang an gelang es mir, mich einfach hineinfallen zu lassen. Fühlte mich wohl in diesem sommerlichen Italien, mochte die Figuren und die kleine große Geschichte, die von der Liebe und denen damit einhergehenden Problemen erzählt, ohne sentimental oder schwülstig zu werden. Bruno, der am Anfang den Eindruck eines kleinen Biestes und der seiner Mutter das Leben schwer machte, entpuppt sich bald als zwar komplizierte, aber auch verlorene Person. Jemand, der einfach auf der Suche nach Liebe ist und dessen Hormone und Synapsen von der Pubertät kräftig umhergewirbelt werden. Wie sein Mutter Claudia, die ihren eigenen Gefühlen auch nicht so recht vertraut und voller Zweifel ist. Die ihrem Glück misstrauisch gegenübersteht und voller Selbstzweifel steckt. Mutter und Sohn spiegeln sich ineinander, ohne dass sie es merken würden. Auch der wahnsinnig gutaussehende Luca ist vor Selbstzweifeln nicht gefeit, hat aber gelernt damit umzugehen und versucht dies an Bruno weiterzugeben. Zu diesem entwickelt er nicht unbedingt väterliche, wohl aber freundschaftliche Gefühle. In Bruno sieht er vielleicht auch ein Stück seines jüngeren Ichs, welches in der Welt noch nicht wirklich zurecht kam.

Dazwischen gibt es auch heitere Momente aus Brunos Schulleben, die zeigen, dass er mit den Irrungen und Wirrungen der Pubertät nicht allein ist. Nicht nur aufgrund dieser Szenen, könnte man sich die Geschichte von „Three Infallible Rules“ auch als eine Commedia sexy all‘italiana aus den 70ern vorstellen. Die ja zwischen dem ganzen Klamauk auch immer wieder ernste Figuren und „echte“ Liebesprobleme in ihren Geschichten hatten. Auch wenn „Three Infallible Rules“ das frivole und die Nacktheit der 70er abgeht. Ein sehr schöner, sehr entspannter Debüt-Film, bei dem Regiedebütant Marco Gianfreda dann auch das perfekte Ende für seine Geschichte findet. Einfach schön.

Während der Abspann lief, warf ich einen Blick auf die Uhr und musste erschrocken feststellen, dass mir um nächsten Film nur noch 5 Minuten bleiben. Durch das Chaos am Anfang war einfach viel zu viel Zeit verloren gegangen, und ich musste ja auch noch das Kino wechseln. Das tat mir sehr leid, denn ich hätte wahnsinnig gerne der Q&A mit Marco Gianfreda gelauscht und hatte auch einige Fragen, die ich eigentlich stellen wollte. Aber das ging jetzt nicht mehr und deshalb beschloss ich, mich entgegen meiner Gewohnheit rasch aus dem Kino zu stehlen. Was gar nicht so einfach war, da am Ende meiner Reihe Marco Gianfreda saß. Das war mir dann doch sehr peinlich. Als ich mich an ihm vorbei drängelte, konnte ich ihm nur rasch auf Englisch meine Begeisterung zu seinem Film und eine flüchtige Entschuldigung, dass mein nächster Film nun beginnen würde, zuwerfen. Ob er das in der Hektik verstanden hat? Ich hoffe es mal.

Also rasch rüber in den Theaterhof und kurz nachdem ich in den Saal bin, ging auch schon das Licht aus und der Film auf den ich mich im Vorfeld am Meisten gefreut hatte begann.

The Second Act – Quentin Dupieux folge ich schon seit seinem Debüt „Rubber“, welches wir auch in der Frühzeit von Weird Xperience im Kino gezeigt haben. Endgültig verliebt habe ich mich in seine Filme mit „Wrong“, den ich passenderweise erstmals auf dem 19. Internationalen Filmfest Oldenburg sah. Bis auf die Resteverwertung „Wrong Cops“ mag ich alle Filme von Dupieux. Auch wenn ich leider – auch aufgrund ihrer größtenteils mangelnden Verfügbarkeit in Deutschland – seine letzten fünf Filme allesamt verpasst habe. Der Mann ist eben sehr produktiv und veröffentlicht mittlerweile zwei Filme pro Jahr. Daher freute ich mich sehr darüber, dass ich nun 12 Jahre später, wieder einen Dupieux -Film in Oldenburg zu sehen bekam. Über die Handlung von „The Second Act“ sollte man möglichst wenig im Vorfeld verraten. Deshalb begnüge ich mich hier mit einigen oberflächlichen Andeutungen. Es geht um Kino. Es geht ums Filmemachen. Und es geht um die feine Linie zwischen Realität und Fiktion. Darin ähnelt Dupieux einen Jean-Luc Godard, bei dem zumindest die Beschäftigung mit dem Kino und dem Filmemachen ja auch immer ein entscheidendes Thema war. Doch Dupieux nähert sich dem spielerischer, leichter und vor allem auf eine sehr humorvolle Art und Weise. Seine müheloses Springen von einer Metaebene auf die nächste; die Logik, die oftmals einem Traum zu entspringen scheint; die wahnwitzigen Absurditäten, sie alle machen auch „The Second Act“ zu einem höchst vergnüglichen Film, der aber nie nur an der Oberfläche bleibt, sondern durchaus auch existenzialistische und philosophische Fragen einschmuggelt.

Hier erinnert Dupieux dann auch an Woody Allen – der einerseits mit Godard zusammengearbeitet hat, andererseits sich in seinen Filmen auch häufig einmal mit dem Filmemachen als solches beschäftigt hat. So schließt sich der Kreis. Und vielleicht kann man, gerade nach „The Second Act“, Dupieux als das uneheliche Kind von Goddard, Allen, Bunuel und ganz viel Monty Python bezeichnen. Seine Schauspieler*nnen scheinen sich bei Dupieux auch wohl zu fühlen. So konnte er für „The Second Act“ die beiden Schwergewichte Léa Seydoux und Vincent Lindon verpflichten, die mit sichtbarer Spielfreude bei der Sache sind. Aber es macht auch Spaß Louis Garrel, Raphaël Quenard und vor allem Manuel Guillot zuzusehen. Nach knapp 80 Minuten ist der paradoxerweise sowohl langsame als auch gleichzeitig rasante Film vorbei und man verlässt mit einem Lächeln, aber auch nachdenklich den Kinosaal.

Im cineK Studio sah ich dann den für mich letzten Film des diesjährigen Festivals.

Mi Bestia – Bogota 1996. Es liegt etwas in der Luft. Ein Mondfinsternis hat sich angekündigt. Alle warten auf die Nacht in der der Mond sich zunächst rot verfärben wird. Eine Nacht in der der Antichrist wiedergeboren werden soll. Die den Anfang vom Ende darstellt. Gleichzeitig verschwinden in der ganzen Stadt junge Mädchen. Die 13jährige Mila spürt auch die Veränderung. Die Männer schauen sie anders an als zuvor. Alles wirkt bedrohlich. Ihre Gefühle spielen verrückt, und sie interessiert sich für den coolen älteren Jungen in der Schule. Hat diese Veränderung etwas mit dem roten Mond und der Apokalypse zu tun? Und was sind das für Mädchen da im Park? Die verschwunden Kinder?

Der Film war mir beim Abholen meiner Tickets am Freitag als sehr empfehlenswert angepriesen worden. Entsprechend groß war meine Erwartung. Regisseurin Camila Beltrán wählt eine interessante Technik, um dieses Gefühl der Unsicherheit, der Verwirrung, des nicht ganz richtig da zu sein und der seltsamen Veränderung auch der Umwelt zu verdeutlichen. Die Bilder wirken wie eine nicht ganz gelungene digitale Konvertierung eines Videofilms. Es scheinen Zwischenbilder zu fehlen und das Ganze einen Hauch, den man mehr fühlt als sieht, zu langsam zu sein. Das erzeugt im Betrachter eine seltsames Gefühl, genau wie in der Protagonistin. Irgendwas ist nicht ganz richtig, aber man kann nicht fassen, was es genau ist. Auch auf der Audioebene ist eine Menge los, was dieses Gefühl verstärkt. So befindet man sich ganz im Kopf von Mila. Die Erzählung ist unzuverlässig, die Aufmerksamkeit wird auf Dinge gelenkt, die vielleicht wichtig, vielleicht unwichtig sind. Alles macht den Eindruck neu und vielleicht nicht ganz wirklich zu sein. Die wackelige Hand-Kamera ist häufig ganz dicht an Mila und an Details ihrer Umwelt dran, so dass man auch hier ordentlich durchgeschüttelt wird. Das unzuverlässig Erzählen führt dann aber auch dazu, dass die Handlung, die sich das Gewand eines Horrorfilms übergestülpt hat, nicht wirklich trauen kann. Wer einen gradlinigen Horrorfilm, der die Pubertät und die Wandlung des Mädchens zur Frau in einen Metapher packt (wie zum Beispiel „Ginger Snaps„, „When Animals Dream„, „Carrie„, „Blue My Mind„, vielleicht auch „Der Exorzist“ und viele andere) erwartet, oder tatsächlich einen Film ala „El Dia de la Bestia“ über die Geburt des Antichristen, der wird entweder gelangweilt oder enttäuscht sein. Für alle Anderen ist der Film eine manchmal anstrengende, interessante Erfahrung, auf die man sich allerdings einlassen muss.

Das war es dann für mich mit dem 31. Internationalen Filmfest Oldenburg.

Schön war es wieder. Einiges, was ich letztes Jahr noch ein wenig monierte, hat sich verbessert, chaotisch ist es manchmal immer noch. Aber das gehört wohl dazu und ist wahrscheinlich auch die Ausnahme. Als jemand, der selber Film-Events mit veranstaltet hat, weiß ich, dass so einiges schiefgehen kann – auch wenn man noch so gut plant. Das Einzige, was dann auf jeden Fall funktionieren muss, ist die Kommunikation. Dass das hier nicht so recht geklappt hat, wird wahrscheinlich an der Unerfahrenheit/Unbefangenheit des jungen Personals liegen. Was noch auffiel: Es wurde wieder voller. Wie ich im Nachgang erfuhr, war es beim Vorverkauf eher ruhig gewesen, aber dafür war es dann an der Abendkasse sehr gut gelaufen. Ein Trend, unter dem auch die Konzertveranstalter bekanntermaßen sehr zu leiden haben. Siehe das Hellseatic-Festival in Bremen. Mir war aber auch aufgefallen, dass sich scheinbar oftmals größere Gruppen sich zum gemeinsamen Kinobesuch verabredet hatten. Wahrscheinlich, so meine Vermutung, um anschließend gemeinsam bei einem oder mehreren Getränken über das Gesehene zu sprechen. Das ist etwas, was ich auch bei mir selber merke. Ich bin ja zumeist alleine in Oldenburg unterwegs, und das ist auch kein Problem. Aber wenn sich dann mal eine Begleitung findet und man die Möglichkeit hat, sich zusammen auszutauschen oder gemeinsam die Wartezeit zwischen den Filmen zu überbrücken, dann macht das Ganze noch einmal sehr viel mehr Spaß und Freude. Vielleicht gelingt es mir ja im nächsten Jahr, mal wieder meinen Bekanntenkreis zu aktivieren, um zum dann 32. Internationalen Filmfest Oldenburg zu kommen. Bei mir steht es auf jeden Fall wieder auf dem Plan, und ich freue mich schon jetzt drauf. Bis dahin meine Dank an die Verantwortlichen und Macher*innen hinter den Kulissen und an Festivalleiter Torsten Neumann für seinen unermüdlichen Einsatz und die nette Kommunikation.

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Bericht vom 31. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 2

Meine zweiter Tag auf dem Internationalen Filmfest Oldenburg begann ganz entspannt im cineK. Ich war so angereist, dass ich weder lange auf den für mich ersten Film warten, noch kurz vor Knapp Schweiß auf der Stirn haben musste, dass ich es noch rechtzeitig schaffe. So ließ ich mich gemütlich im Foyer des cineK nieder, platzierte meinen Rucksack und besorgte mir erst einmal einen Kaffee. Als ich wieder zu meinem Tisch zurück kehrte, war dieser plötzlich besetzt. Nicht von irgendjemanden, sondern vom Ehrengast des Festivals Dominik Graf! Das war dann ein absoluter „StarStruck“-Moment für mich. Dominik Graf war in den 80ern einer der ersten Namen, die ich mir gemerkt habe, wenn im TV-Krimi der Abspann lief. Da war mir schnell klar, dass wenn mir etwas besonders gut gefiel, die Regie sehr häufig von eben jenem Herrn Graf war. Später im DVD-Zeitalter sammelte ich dann alles zusammen, was ich von ihm in die Finger bekam. Entdeckte großartige Filme wie „Der Felsen“ oder „Die Freunde von Freunden“, aber auch Kracher wie „Der Skorpion“ oder „Eine Stadt wird erpresst“. Kurz: Ich bin Fan. Auch von seinen Essay-Filmen. Und dieser Mann fragte mich, ob es okay sei, wenn er und seine Begleitung sich an meinen Tisch setzen würden. „Ja, klar“ war das Einzige, was ich raus brachte. Da ich was so etwas angeht tatsächlich extrem schüchtern bin und mich niemanden aufdrängen möchten, blieben diese beiden Worte auch die einzigen, die ich mit ihm wechselte. Als stummes Mäuschen hörte ich noch gespannt zu, was er seiner Begleitung vom Filmfest über Filmfinanzierung berichtete, dann übernahm besagte Begleitung komplett das Gespräch, und kurz darauf ging es für mich auch schon ins cineK Studio.

Hakki – Der türkische Film „Hakki“ handelt von einem älteren Familienvater, der seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als recht damit verdient, dass er Touristen kleine Andenken verkauft. Eines Tages findet er beim Freilegen der Wurzel eines alten Baumes in seinem Garten eine antike Statue. Der Ausweg in ein besseres Leben? Mithilfe eines Kollegen macht er sich auf die Suche nach einem Händler. Dieser kann nur lachen über die Summe, die sich die Beiden erhoffen und speist sie mit sehr viel weniger ab. Enttäuscht überlegt sich Hakki, dass auf seinem Grundstück vielleicht noch weitere Schätze verborgen sein könnten, und er macht sich heimlich auf die Suche. Diese wird immer obsessiver und Hakki wird immer paranoider. Als sich herausstellt, dass der Händler ihn übers Ohr gehauen hat und seine Statue in Wirklichkeit mehrere Millionen Euro wert war, wird die Suche zu einer krankhaften Obsession, an die Hakki langsam Freunde, Familie und schließlich auch alles andere verliert. Der Film funktioniert so gut, weil er sich Zeit nimmt, dem Publikum Hakki vorzustellen. Ein ganz normaler, freundlicher Mann, der liebenswert daherkommt, der aber auch jeden Tag um sein kleines Einkommen kämpfen muss. Gesegnet ist er mit einer liebenden Ehefrau, einer tollen Tochter und einem Sohn, der woanders studiert und der sich von Zuhause – sehr zu Hakkis Bedauern – bereits abgenabelt hat. Erst langsam, dann immer drastischer verliert sich Hakki in seinem Wahn, dass das Leben für ihn eine Art „Belohnung“ reserviert hätte. Dass das große Glück nur noch ein paar Spatenstiche entfernt wäre. Und auch, dass ihm alle sein „versprochen Glück“ wegnehmen wollen. Die Spirale dreht sich immer schneller, Hakki baut große Stollen unter seinem Grundstück und am Ende bleibt einem einen dicker Kloß im Hals. Eine gute Ergänzung zum thematisch ähnlichen Film „$$$“, den ich am Vortag sah und in dem es um die Sucht nach Pferdewetten ging. Auch wenn „Hakki“ in seiner Konsequenz noch düsterer war.

Die anschließende Q&A mit Regisseur Hikmet Kerem Özcan war wieder einmal sehr interessant, wenngleich auch leider aufgrund seines harten Akzents nicht immer leicht zu verstehen. Aber trotzdem toll, dass er da war und sich den Fragen des Publikums stellte.

Nach einer kleinen Essenspause, sollte es mit „Swing Bout“ im cineK Studio weitergehen. Da ich dort einer der Ersten war, konnte ich mich auf meinem Lieblingsplatz niederlassen. Dann füllte sich der Saal rasch und plötzlich hörte ich hinter mir zwei Personen, die sich wunderten, weshalb ein Dritter denn hier im Kino sitzen würde, er wolle doch „Swing Bout“ schauen. Da wurde ich hellhörig. Der Saal sei gewechselt worden. Aber nichts genaues wusste niemand. Also packte ich schnell meine sieben Sachen und hastete Richtung Ausgang, wo ich nachfragte, was denn jetzt hier los sei. Jaja, die Kinosäle seien spontan gewechselt worden. Auf meine Nachfrage, warum einem das niemand erzählen würde, kam die lapidare Antwort: Na, mache ich doch gleich. Kein Vorwurf hier, dass an die Nachfrage angepasst flexibel die Kinosäle gewechselt wurden, zumal die ja direkt gegenüber in der selben Etage sind. Nur die Kommunikation hätte ruhig schon beim Einlass erfolgen können. Also ins kleine cineK Muvi, welches direkt gegenüber ist und dort auch noch einen recht guten Platz ergattert. Kurz darauf erschienen dann auch Sinead O’Riordan, Produzentin und Darstellerin, und Chrissie Cronin, die in der Rolle der Gegenspielerin der Hauptfigur zu sehen war. Beide warnten schon davor, dass der Film nicht untertitelt sei und daher der irische Slang nur schwer zu verstehen. Beim Q&A des ersten Screenings hätte das Publikum gemeint, es hätte gerade mal so 50% verstanden, der Story aber trotzdem folgen können.

Swing Bout – Als Swing Bout bezeichnet man Boxkämpfer, die nur dann zum Einsatz kommen, wenn z.B. durch ein frühes KO die Hauptkämpfe zu früh enden und die gebuchte Sendezeit noch gefüllt werden muss. D.h. die Kämpfer (oder hier Kämpferinnen) bereiten sich den ganzen Abend auf einen Kampf vor, der vielleicht gar nicht stattfindet. Und natürlich setzen sie all ihre Hoffnung darauf, sich zeigen zu dürfen und von den großen Promotern entdeckt zu werden. In diesem Spannungsfeld spielt der Film. Er folgt der jungen Boxerin Tony, die diese Chance erhält, doch bevor es in den Ring geht, erfährt sie, dass es hinter den Kulissen einen Deal gibt, und sie in ihrem Kampf zu Boden gehen soll. In den Umkleideräumen unten in den Katakomben prallen die Konkurrentinnen aufeinander, ist die Anspannung zum Greifen nah. Da ist die coole, großmäulige Vicki, die sich mit ihrer arrogant-aggressiven Art eine verängstigte Seele schützt. Die Manager und Trainer, die sich um ihre Schützlinge kümmern oder diese manipulieren wollen. Hätte sich Regisseur Maurice O’Carroll darauf konzentriert, es hätte ein ganz großer Film werden können. Denn das, was O’Carroll bei „Swing Bout“ richtig macht, das macht er auch richtig gut. Das Sounddesign, die beinahe körperlich spürbare Spannung unten in den Katakomben. Die Schauspielerinnen, die die Boxerinnen spielen. Die kleinen und großen Konflikte untereinander. Die Charakterzeichungen der Boxerinnen und vor allem die tolle Hauptdarstellerin Ciara Berkeley. Das ist alles ganz hervorragend. Leider stellt sich O’Carroll selber ein Bein, da er unbedingt noch eine Crime-Handlung um den kriminellen Box-Promoter Micko und dessen bulligen Bruder Jack einbauen muss. Beide wirken wie aus einem anderen Film. Frank Prendergast legt seinen Micko eher cartoonhaft an, Ben Condron als Jack verdient sich den Tom-Sizemore-Gedächtnispreis. Das ist alles höchst unterhaltsam und gerade Prendergast sieht man gerne zu, aber es fühlt sich eben an wie ein ganz anderer Film, der nicht mit der intensiv-realistischen Geschichte der Swing-Bout-Boxerin Tony zusammengeht. Der möchte man eigentlich viel lieber weiter folgen, statt immer wieder durch Episoden abgelenkt zu werden, die man eigentlich bei einem Tarantino-Epigonen erwarten würde. Trotzdem ist „Swing Bout“ definitiv einen Blick wert.

Nach dem Film wartete das Publikum dann auf die Q&A mit O’Riordan und Cronin. Aber nichts geschah. Stattdessen sah man den Desktop des Computers, von dem der Film abgespielt wurde, auf der Leinwand. Irgendwann verließen die ersten Leute den Saal. Bald darauf wurde es auch mit zu bunt, und auch ich ging hinaus. Dort stand eine junge Frau vom Filmfest-Team, die ich fragte, ob denn die beiden Damen noch zur Q&A kommen würde. Oh nein, die kämen nicht mehr. „Meinen sie, ich sollte reingehen und das mal ansagen?“. Angesichts dessen, dass im cineK Muvi noch so einige saßen, erwiderte ich, das sich das für eine gute Idee halten würde und machte mich auf in den Theaterhof.

Three – Ein Horrorfilm aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, der von einer Frau, Nayla Al Khaja, gedreht worden war. Das versprach höchst interessant zu werden. „Three“ erzählt im Grunde eine Variante des Klassikers „Der Exorzist“. Nur, dass hier keine katholischen Priester gegen einen Dämon kämpfen, sondern muslimische Mullahs gegen einen Djinn. Daneben gibt es noch einen Jugendpsychiater als Vertreter der westlich aufgeklärten Welt, der nicht an das Übernatürliche glaubt und im entscheidenden Moment den Mullahs im Weg steht. Gespielt wird dieser Dr. Mark Holly von Jefferson Hall, der auch co-produzierte. Große Innovationen sollte man nicht erwarten. Die Geschichte bewegt sich auf altbekannten Gefilden. Nur, dass es hier die Religion des Islam ist, welcher als Retter in der Not auftritt, und nicht die katholische Kirche. Was einen höchst spannenden Perspektivwechsel ergibt und auf einer Metaebene enthüllt, wie reaktionär das Vorbild von Friedkin ist und im Grunde christliche Propaganda verbreitet. Man kann aber auch in „Three“ hineininterpretieren, dass es einen guten (die Mullahs, die den Djinn bekämpfen) und einen bösen (die mysteriösen Geistliche, die irgendwo am Rande der Wüste Zuhause sind und das Böse scheinbar erst in die Welt holen) Islam gibt. Quasi in Abgrenzung zu Islam und Islamismus. Diese Spur wird aber nicht unbedingt konsequent verfolgt. Auch ist zunächst recht offensichtlich, dass der arme Junge, um den es geht, schwer in der Pubertät steckt und das nicht unbedingt etwas mit „Besessenheit“ zu tun hat. Auch wenn die tiefgläubige Schwester seiner Mutter das behauptet und darauf drängt, ein Austreibungsritual an ihm durchzuführen. Dies wird wie gesagt von einer zwielichtigen und etwas unheimlichen Gemeinschaft irgendwo am Rande der Wüste ausgeführt. Und durch eben dieses Ritual fährt erst der Djinn in den Jungen. Auch hier kann man eine Metapher für Radikalisierung hineinlesen. Die Rolle des Arztes Dr. Holly wird von Hall sehr überzeugend gespielt, ist aber etwas beliebig. Er ist der Zweifler, der die Wahrheit nicht sehen will und sich immer wieder auf seine Wissenschaft und Aufgeklärtheit zurückzieht. Der den „wahren“ Glauben nicht akzeptiert und letztendlich wenig hilfreich in der Bewältigung der Probleme ist. Spannender wäre da schon die Figur der konservativ-gläubigen Schwester, die sehr zwiespältig agiert und bei der man häufig das Gefühl hat, sie würde eine sehr viel größere Rolle in der Geschichte um den besessenen Jungen spielen, als sie es im Film dann scheinbar auch tut. Als Horrorfilm ist „Three“ recht generisch und reiht sich eher unauffällig in die Schar der vielen Vorgänger ein. Als Metapher lädt er zum Diskutieren ein, auch wenn die genretypische Schlusspointe dann gegen den Metapheransatz arbeitet und wie ein reines Zugeständnis an altbekannte Horrorfilmklischees wirkt.

Damit endete mein zweiter Tag in Oldenburg. Ich überlegte noch kurz, ob ich mir in cineK noch in der Mitternachtsschiene noch „One-Way Ticket to the Other Side“ anschauen sollte, doch dazu hätte ich noch eine fast eine Stunde warten müssen und angesichts dessen, dass ich langsam müde wurde und noch den Heimweg über die Autobahn nach Bremen vor mir hatte, beschloss ich dann doch vernünftig zu sein.

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Bericht vom 31. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 1

Es war schön, auch in diesem Jahr wieder zum Internationalen Filmfest Oldenburg fahren zu können. Mittlerweile ist es das 31ste. Und ich habe mal nachgeschaut, dass ich bei der 16. Ausgabe 2009 das erste Mal dabei war. Noch heute erinnere ich mich gerne daran und habe es – trotz Pandemie – tatsächlich geschafft, seitdem keinen einzigen Jahrgang auszulassen. Von daher habe ich das Filmfest wachsen und schrumpfen sehen. In diesem Jahr hatte ich das Gefühl, dass weniger Filme am Start waren, was ich aber nicht nachgezählt habe. Mir ist aber aufgefallen, dass es weniger Vorstellungen gab. Die Mitternachtsschiene ist bis auf wenige Ausnahmen fast ganz weg, am Sonntag lief um 21:30 nur noch ein einziger Film und das Casablanca beteiligt sich nur noch sehr selektiv. Spielstätten wie die Exerzierhalle oder die Flaiva (in meinen Augen kein großer Verlust) sind nicht mehr dabei. Und ganz am Anfang war sogar das Cinemaxx noch unter den Spielstätten. Die richteten nun immerhin die Eröffnungsveranstaltung aus. So beschränkt sich das Filmfest nun im Grunde auf das kleine cineK Muvi, das etwas größere cineK Studio und den recht geräumigen Theaterhof plus ein wenig Casablanca. Ich vermute einmal, daran liegt es auch, dass ich das erste Mal seit Jahren wieder keine Karten für alle Vorstellungen bekommen habe. Wobei sich das im Rahmen hielt und nur eine Zeitschiene betraf. Und vielleicht war das auch nur dem Datum geschuldet, denn mein erster Tag beim Festival fiel auf Freitag, den 13. Das Festivalzentrum wurde wieder verlegt und befand sich nun an der ehrwürdigen Adresse Poststrasse 1. Hier hatte ich den Eindruck, dass alles auch besser organisiert war als im Vorjahr. Vor allem wurden die Öffnungszeiten wieder ausgeweitet, so dass das Besorgen der Tickets und der Beginn meines ersten Films am Freitag nicht unmittelbar aufeinander erfolgten.

Wie gesagt, hatte ich leider großes Pech, denn der mexikanische Film „A History of Love and War“, den ich sehr gerne gesehen hätte, war bereits ausverkauft. Ebenso mein Ausweichfilm „Flieg Steil“. Blieb also nur noch die Wahl zwischen sich die Stadt ansehen oder ins Casablanca zu wandern, wo es noch Karten für „Traumnovelle“ gab. Ich entschied mich natürlich für Letzteres.

Traumnovelle – „Traumnovelle“ war der Eröffnungsfilm des Festivals und ist eine weitere Verfilmung der gleichnamigen Novelle von Arthur Schnitzler. Von den vorherigen Verfilmungen ist natürlich „Eyes Wide Shut“ von Stanley Kubrick die bekannteste. Und auch diejenige, die am meisten Vergleiche herausfordert. Um es vorweg zu sagen: Ja, es gibt selbstverständlich einige Verweise auf den Vorgänger, wovon manche auch recht hübsch geraten sind. Zum Beispiel ein wenig name-dropping, wenn die Patienten des guten Doktors Namen aus Kubrick-Filmen tragen. Ansonsten bemüht sich Regisseur und Drehbuchautor Florian Frerichs etwas Eigenes zu schaffen. Wobei ihm sehr viel weniger Geld und Ressourcen zur Verfügung standen als einem Kubrick. Tatsächlich waren diese im Vergleich zu anderen deutschen Produktionen sehr gering, da auch nicht auf die Filmförderung zugegriffen wurde (was ich durchaus begrüße). Die knappen Mittel sieht man dem Film über weite Strecken nicht an, wofür die gute Kamera von Konstantin Freyer verantwortlich ist. Aber auch Ausleuchtung und Ausstattung können mit große Produktionen locker mithalten. Wo man „Traumnovelle“ anmerkt, dass der Film ein Low-Budget-Indie-Projekt ist, sind jene Szenen, die eine größere Anzahl Komparsen gebraucht hätten. Wenn z.B. eine angesagten und angeblich gut besuchte Disco aus der immer gleichen Handvoll Leute besteht, die strategisch so hingestellt werden, dass man nicht merkt, dass da der Laden eigentlich ziemlich leer ist. Davon gibt es hier naturgemäß dann so einige Beispiele. Dies kombiniert mit der in meinen Augen fatalen Entscheidung das Ganze auf Englisch zu drehen, führte dazu, dass ich mich oftmals an deutschen Amateurproduktionen erinnert fühlte, die krampfhaft versuchen auf großes Hollywood zu machen, obwohl der Cast aus Freunden und Familie besteht und der Dschungel Vietnams nur der Garten hinter dem Haus ist. Ich hatte auch das Gefühl, dass die „künstliche“ Sprache die Darstellung der Schauspieler*innen nicht zum Guten beeinflusste, und sie oftmals etwas hölzern agieren lies. Nichtsdestotrotz merkte man das Herzblut, welches Frerichs in das Projekt gesteckt hat. Allein schon durch die kleinen versteckten Gags am Rande, die angenehm vermuten lassen, dass er auch ein sympathischer Filmnerd ist. Ich fand nur schade, dass ich den Eindruck bekam, dass er etwas mit angezogener Handbremse und scheinbar auch mit Blick auf Festivalstarts und internationale Auswertung inszeniert hat. Ich hatte das starke Gefühl, dass er gerne mehr „die Sau“ rausgelassen hätte, wie man an einer Episode sah, in der ein Charakter sich von einem riesigen Umschnalldildo verwöhnen lies. Ich hätte mir da mehr „Dreck“ und Wahnsinn gewünscht, statt Arthauskino, welches versucht sein kleines Budget zu kaschieren.

Beim anschließenden Q&A mit dem ultrasympathischen Frerichs gab dieser auch zu, dass die Entscheidung den Film auf Englisch zu drehen (obwohl er in Berlin spielt und auch mit deutschen Schauspieler*innen gedreht wurde) auch davon getragen wurde, dass man sich eine bessere Vermarktung im Ausland erhoffte. Dass ferner die Entfremdung und Außenseitertum des Ehepaars (in der Novelle eine jüdisches Paar im Wien der 20er) hier eine Rolle spielte, kann ich so nicht ganz abnehmen, da ja alle im Film miteinander Englisch sprechen (sogar Detlev Buck!), nicht nur das Ehepaar. Highlight des Filmes für mich übrigens der Satz: „Bremen ist eine wunderschöne Stadt“. Danke dafür!

$$$ – Dieser amerikanischen Indi-No-Budget-Film wurde mir im Vorfeld vom Festivalleiter empfohlen und damit war natürlich klar, dass ich mich hier um Karten bemühen würde. Und wie oben geschrieben, blieb das „A History of Love and War“-Debakel die einzige Ausnahme, wo mir dies nicht gelang. Gezeigt wurde $$$ im kleinen, kuscheligen cineK Muvi, wo er ausgezeichnet hinpasste. Denn auch $$$ ist ein kleiner Film. Die Handkamera folgt mehreren Bewohnern einer weniger gut beleumundeten Ecke New Yorks für einige Zeit durch ihr Leben. Die Darsteller waren größtenteils Amateure, die sich quasi selbst spielten. Es geht um Kleinkriminalität, Drogenhandel und vor allem die Sucht nach Pferdewetten. Dabei ist die Kamera immer ganz dicht dabei und so unmittelbar im Geschehen, dass man manchmal Mühe hatte, zu erkennen was vor sich ging. Dazu trug auch der New-York-Strassen-Slang der Akteure bei, bei dem auch Untertitel nicht viel helfen konnte. Trotzdem verstand man, nachdem man sich im Film orientiert hatte, worum es geht. Die Ausweglosigkeit der Figuren, deren irrationalen Glauben an das große Los, welches man bestimmt noch ziehen wird. Um Gewalt, Armut und kleine kriminelle Handlungen, um über die Runden zu kommen und nicht unterzugehen.

Regisseur Jake Remington kommt vom Dokumentarfilm und das merkt man $$$ auch an. Der Film fühlt sich sehr authentisch an und man hat über weite Strecken das Gefühl, wirklich den handelnden Figuren über die Schulter zu schauen. Ein interessanter Blick in eine größtenteils unbekannte Welt.

Skunk – „Skunk“ ist der neue Film des von mir sehr verehrten Belgiers Koen Mortier, dem Regisseur des schonungslosen Meisterwerks „Ex-Drummer“. Und hier kehrt er in „Ex-Drummer“-Gefilde zurück und zeigt schonungslos den traurigen und hoffnungslosen Werdegang einer durch die eigene Familie völlig zerstörten Seele. Das ist teilweise sehr schwer zu ertragen. Die Gewalt, physisch wie verbal, die hier gegen Kinder und Heranwachsende ausgeübt wird, führt einen – gerade als Familienvater – schnell an die Grenze. Dass man nicht fluchtartig das Kino verlässt, ist Mortiers großer Sensibilität zu verdanken. Denn er schafft es Respekt und Mitgefühl für seine Figuren aufzubringen, die dadurch nicht zum Kuriositätenkabinett werden, sondern vielschichtige Menschen, für deren teilweise unfassbaren Gewaltausbrüche gegen sich und andere man nicht unbedingt Verständnis, wohl aber Mitgefühl aufbringt. Schwarz-Weiß gibt es hier nicht. Die Erzieher des Jugendheims, in das die Hauptfigur Liam kommt, sind weder gut und edel, noch böse und diktatorisch. Sondern einfach Menschen am Rande der Belastbarkeit, die irgendwie versuchen ihren Job gut zu machen. Und dabei natürlich auch Fehler machen. Der fiese Bully im Heim kein durch und durch böser Mensch, sondern jemand, der versucht sich das bisschen Macht, welches er erobert, zu sichern. Jemand, der nicht böse geboren ist, sondern von den Verhältnissen in diese Rolle getrieben wurde. Was man auch in den wenigen Momenten, wo eine zarte Pflanze der Kameradschaft zwischen den Jungen aufzukeimen scheint, sieht. Die dann wieder rigoros niedergetrampelt wird.

Die einzigen Personen, die recht stereotyp geraten sind, sind die Eltern Liams, die scheinbar direkt aus der Hölle kommen und alles Schlechte in sich vereinen: Extreme Gewalt, Rechtsradikalismus, Drogen, Alkohol und Lust an der Zerstörung – auch des eigenen Kindes. Man mag sich nicht ausmalen, dass es solche Menschen da draußen wirklich gibt. Allerdings habe ich die große Angst, dass dem so ist. Liam hat von Anfang an keine Chance. Mit seinem Hauptdarsteller Thibaud Dooms hat Mortier dann auch das große Los gezogen. Zu keiner Sekunde hat man das Gefühl, hier einem Schauspieler bei der Arbeit zuzuschauen. Thibaud IST Liam. Und er verkörpert authentisch seine große Sensibilität, seine Verzweiflung, sein nicht wissen wo in der Welt er steht, wer er ist. Seine Tränen sind so real wie seine gewalttätigen Wutausbrüche. Hier wirkt er wie ein kleiner Junge, der mit großen Augen in die Welt schaut, dort wie einer tollwütiger Pitbull. Einmal bricht er ganz ruhig und eiskalt einem Katzenbaby das Genick. Ob aus Sadismus oder sie vor einem schlimmeren Schicksal zu bewahren lässt Moriter offen. Somit geht einem der Film noch lange, lange nach. Neben Thibaud Dooms muss man aber auch noch die anderen Schauspieler erwähnen, die allesamt unglaublich intensiv und realistisch agieren. Insbesondere Natali Broods, die eine überforderte, aber noch immer idealistische Erzieherin spielt.

Regisseur Koen Mortier war zu meiner großen Überraschung (ich dachte er sei „zu groß“ für Oldenburg) persönlich anwesend und erzählt viel Wissenswertes über die Dreharbeiten und seine jungen Darsteller, die teilweise selber Heimbewohner waren und von denen auch einige während der Dreharbeiten mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Er berichtete ferner über die Zustände in belgischen Jugendheimen und meinte, dass diese noch weitaus schlimmer seien, als er das im Film umgesetzt habe. Eine schockierende Vorstellung. Ein starker Film, aber auch einer wie ein kräftiger und gut gezielter Hieb in die Magengrube.

Danach traf ich schönerweise auf meinen Weird-Xperience-Kollegen Stefan, sodass ich das Gesehene im Gespräch etwas verarbeiten konnte, und durch das gemütlich Gespräch auf einem der Sofas im cineK die Gedanken sortieren und gleichzeitig auch auf andere kommen konnte. Dann ging es im Kopf aufgeräumter nach Hause.

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Rückblick auf die Short Film Collection 63

Am vergangenen Freitag hatte ich die sehr große Ehre, im Kommunalkino City 46 Teil der Fachjury des Short Film Collection Kurzfilmwettbewerbs des Filmbüro Bremen e.V. zu sein. Gemeinsam mit den sehr netten Menschen und illustren Namen Wilfried Hippen, Lore Kleinert und Benjamin Moldenhauer. Am Ende durfte ich auch den Gewinner verkünden, während Lore Kleinert die Jury-Begründung erläuterte.

Es war ein sehr schöner Abend und die Juryarbeit hat großen Spaß gemacht. Durch das Programm führte sehr souverän und unterhaltsam der Bremer Filmmusikkomponist André Feldhaus.

Die Juryentscheidung war sehr harmonisch und einstimmig. Wie teilten den Preis auf zwei Filme auf, da sie sich so gut ergänzten, dass wir uns nicht vorstellen konnten, den einen ohne den anderen auszuzeichnen. Vor allem haben uns auch beide absolut überzeugt. Der Preis ging an den Animationsfilm „Ein Haufen Glück“ von Jule Köperich und Karin Demuth über die Liebe eines Hundes zu einem Menschen – und seine ungewöhnlichen Liebesbeweise, die er vor dessen Haustür hinterlässt. Ein zauberhafter, einfallsreicher Film, der auch für Kinder geeignet ist. Und an „Was der ganze Scheiß soll“ von Jan van Hasselt. Ein sehr filmisches Porträt der Künstlerin und Medienanwältin… Jule Köperich. Man erkennt die Verbindung.

Der Publikumspreis ging mit großem Abstand an den 2,5 minütigen Animationsfilm „Enjoy your Meal“ von Sofie Kienzle und Christian Manzke aus Köln/Hamburg der im Rahmen einer 24-Stunden-Challenge in Berlin entstanden ist, wo es galt in besagten 24 Stunden einen Film zu schaffen mit den vorgegebenen Themen „Banane, Maschine, Zukunft“. Außerdem musste der Film den Satz: „Das ist leider unmöglich“ enthalten. Das wurde auch auf humorvolle und hintersinnige Art und Weise umgesetzt. Mir gefiel auch der Film „Black“ von Rui N. Namagoa sehr gut. Ein „experimenteller Poesiefilm“ in dem ein vom Filmemacher vorgetragener Poetry-Slam bebildert wurde.

Alles in allem ein wunderschöner Abend mit vielen netten Gesprächen noch bis weit nach der Veranstaltung. Danke an Stefan für die schönen Fotos. Danke an meine tollen Mitjuroren und an das Filmbüro Bremen für die Einladung. Gerne wieder. Und meine herzlichen Glückwünsche an alle Gewinner*innen.

André Feldhaus, Jule Köperich

Rui N. Namagoa

Christian Manzke, Sofie Kienzle

Ausschnitt aus „Was der ganze Scheiss soll“

Jan Van Hasselt, Jule Köperich

 

Verleihung Publikumspreis

Verkündung des Jurypreises

 

Die Gewinner des Jurypreises und die Jury

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Blu-ray-Rezension: “Shaolin Kung Fu – Vollstrecker der Gerechtigkeit“

Während der großen Revolution in China, kann auf Geheiß des Prinzen der kaiserliche Goldschatz von fünf Mitgliedern der Leibwache in Sicherheit gebracht werden. Diese Fünf werden „die Unbesiegbaren“ genannt und jeder von ihnen ist ein Meister in einem bestimmten Kung-Fu-Stil. 10 Jahre später möchte der Martial-Arts-Kämpfer Hiu Chiang die Schwester von Li Chong heiraten. Doch als er diesen besucht, stürzt plötzlich ein tödlich verwunderter Untergebener Li Chongs herein. Scheinbar steht der Angriff auf ihn mit dem Goldschatz und den fünf Unbesiegbaren zusammen, als deren Anführer sich Li Chong entpuppt. Hiu Chiang sucht daraufhin zusammen mit seinem Kumpel YoYo die anderen vier Unbesiegbaren auf, um hinter das Geheimnis des Attentats zu kommen. Doch die Beiden sind immer einen Schritt zu spät, denn irgendjemand tötet die ehemaligen Mitglieder der Leibwache…

Nachdem „Shaolin Kung Fu – Vollstrecker der Gerechtigkeit“ bereits bei diversen Labels in unterschiedlicher Qualität erschien, ist der Titel nun bei filmArt gelandet, die den Film mit einem hervorragenden Bild auf Blu-ray veröffentlicht haben. Bei „Vollstrecker der Gerechtigkeit“ handelt es sich um einen preisgünstiger Fließband-Film, der von der Hong Kong Alpha Motion Pictures Co., wie so viele andere auch, kostengünstig in Taiwan produziert wurde. So entdeckt man in der Besetzungsliste auch keine großen Namen. Hauptdarsteller Kuan-Hsiung Wang ist Taiwanese, der in unzähligen Produktionen dabei war, aber ansonsten keine größeren Spuren in der Filmgeschichte hinterlassen hat, obwohl er in seiner Heimat ein beliebter Darsteller war. Ansonsten kennt man vom Sehen her vor allem den Chinesen Chang Yi, der hier einmal mehr den Haupt-Antagonisten spielt, der aber erst sehr spät auftaucht. Und Kuan-Chun Chi aus Hongkong, häufiger Nebendarsteller aus einigen größeren Shaw Brothers Produktionen. Regie führte der Taiwanese Huang Fei-Lung, der eigentlich ein vielbeschäftigter Darsteller in taiwanesischen Martial-Arts-Filmen war, aber Ende der 70er auch bei drei Filmen Regie führen durfte. „Shaolin Kung Fu – Vollstrecker der Gerechtigkeit“ ist einer davon. 1985 folgte noch ein vierter Film aus dem Genre der „Bruceploitation“, der es aber nicht nach Deutschland geschafft hat.

Der Helden erhält noch einen von Chao Tseng gespielter Sidekick, welcher die Nerven leider arg belastet. Tseng legt diesen nämlich als immer geilen, übergriffigen und grimassierenden Trottel an. Das ist nicht unbedingt witzig und nervt auch schnell. Immerhin – auch wenn man es hier nicht unbedingt merkt – ist Chao Tseng auch ein talentierter Martial-Artist, der hier neben seiner Rolle noch die Kampfchoreographie übernommen hat. Die Handlung ist im Großen und Ganzen ein Vorwand, um von einem Kampf zu nächsten zu kommen. Und dafür sind alle noch so abwegigen Situationen recht. Da muss unser Held in einer schön choreographierten Szene nur einmal cool wie ein Westernheld durch die Landschaft laufen, schon tritt ihm ein Gegner gegenüber. Ein wenig unlogisch erscheint, dass die „Fünf Unbesiegbaren“ nicht den Eindruck hinterlassen, diesen Namen zurecht zu tragen. Denn sobald sie von einem fiesen Killer-Duo angegriffen werden, müssen sie auch recht bald das Leben aushauchen. Das Killer-Duo wird von dem recht kleinwüchsigen Siu Wong-Lung und dem großen, kräftigen Cliff Ching Ching gespielt, die auf den ersten Blick nicht in dem Verdacht stehen, als ob sie ihren „unbesiegbaren“ Gegnern gewachsen wären. Doch mit ihrem immer wieder wiederholten Move, dass der kleinere Siu dem größeren Ching auf den Rücken springt und dann von oben dem Gegner auf den Kopf schlägt, gelingt es ihnen einen „Unbesiegbaren“ nach dem anderen auszuschalten. Dies haben sie sich vielleicht bei „Crippled Avengers“ (dt. „Vier gnadenlose Rächer“) abgeschaut, aber die immer gleiche Auflösung der Duelle erscheint auf die Dauer doch etwas ermüdend.

Davon abgesehen sind die Kämpfe durchaus hübsch anzuschauen. Wenn die Handlung bereits beendet und der Drahtzieher hinter den fiesen Morden enthüllt und seiner gerechten Strafe zugeführt wurde, muss dem Produzenten aufgefallen sein, dass der fertige Film ein wenig zu kurz ist. So wird ein weiterer Bösewicht aus dem Hut gezogen und was folgt, fühlt sich an, wie ein anderer Film im Schnelldurchlauf. Am Ende ist „Shaolin Kung Fu – Vollstrecker der Gerechtigkeit“ wie das Äquivalent zu einem Fast-Food-Cheeseburger. Nichts besonderes, schmeckt so wie alle schmecken und auch schmecken sollen. Man ist nicht enttäuscht, aber nach einer halben Stunde ist der Hunger wieder da. Man muss aber auch feststellen, dass filmArt hier was die Bildqualität angeht, ganze Arbeit geleistet hat. Das sehr klare Bild im korrekten Seitenverhältnis ist keine Vergleich zu der MiB-DVD, die ich zuvor kannte. Zudem ist diesmal auch die englische Tonspur dabei. Die Originalsprache Mandarin fehlt aber leider immer noch.

Extras gibt es in dem Sinne leider nicht, dafür ist noch der ebenfalls taiwanesische Film „Shaolin – Bruderschaft der schwarzen Spinne“ mit Carter Wong noch mit dabei. Dies allerdings nur in einem SD-Upscale, der in recht schlechter Bildqualität (MAZ?) daher kommt. Von daher ist die Entscheidung ihn hier nur als Bonusfilm (und nicht als eigenständige Veröffentlichung) unterzubringen, nachvollziehbar. „Bruderschaft der schwarzen Spinne“ hat ebenfalls schon bei einigen Labels in Deutschland die Runde gemacht und ist gegenüber „Vollstrecker der Gerechtigkeit“ der stärkere Film. Er legt den Schwerpunkt weniger auf die Kämpfe, als auf seine ausufernde Geschichte um eine geheime Bruderschaft, die sich dem Kampf gegen die unterdrückende Regierung der Mandarin verschrieben hat. Ihr Hauptfeind ist der Gouverneur der Gegend. Hier geht es hin und her mit Intrigen und Konterintrigen. Das ist amüsant (teilweise erinnern die Vorgänge im Haus des Bösewichts fast an Boulevard Komödien), spannend (wer ist ein Verräter, wer ist es nicht und wird der Spion der Guten durch die Bösen enttarnt?) und am Ende dann in seinen seltsamen Plottwists und plötzlich aller Realität spottenden Kämpfen recht unglaublich. Ein sehr unterhaltsamer, kleiner Film mit bekannten Synchronsprechern wie Klaus „Clint Eastwood“ Kindler und Herbert „Mr. Spock“ Weicker.

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Vorschau: Das 31. Internationale Filmfest Oldenburg – Erste Filme angekündigt

Wie die Zeit verfliegt! Eben noch kam es mir so vor, als wäre das Internationale Filmfest Oldenburg noch Monate entfernt, da werden schon die ersten Filme angekündigt. Und ich stelle fest: Das sind ja nur noch knapp drei Wochen!

Das 31. Internationale Filmfest Oldenburg findet vom 11. bis 15. September stattfindet und ich habe wie in den letzten Jahren auch immer, die Ankündigungstexte der Pressemeldung übernommen und im Anschluss mit meinen eigenen Anmerkungen versehen.

Traumnovelle, Deutschland 2024, Florian Frerichs
Nikolai Kinski und Laurine Price verkörpern das bürgerliche Ehepaar Jacob und Amelia. Als Jacob von seiner Frau erfährt, dass in ihren heimlichen sexuellen Träumen ein fremder Mann eine Rolle spielte, will er sein eigenes sexuelles Verlangen erforschen. Eine bürgerliche Fassade voller Einengung und unterdrückter Sehnsüchte bricht in dieser Nacht zusammen. Nachdem niemand geringeres als Stanley Kubrick 1999 Tom Cruise und Nicole Kidman als New Yorker Upper Class Paar in den schnitzlerschen Kosmos aus Erotik und Bürgerlichkeit schickte, verlegt nun Florian Frerichs seinen noch näher am Original angelehnten zweiten Spielfilm in das nächtliche Berlin. Mit Nikolai Kinski und Laurine Price in den Hauptrollen und einer aufregenden Darstellerliste von Detlev Buck und Bruno Eyron über die Neuentdeckung Nora Islei zu wunderbaren Gastauftritten von Sharon Brauner und Sharon Kovacs hat Frerichs bemerkenswertes geschaffen: aufwendiges Kino, komplett unabhängig produziert. – Der Eröffnungsfilm. Die Kubrick-Variante mochte ich ja sehr. Damals hat mich die ganze Atmosphäre sehr gereizt und irgendwo mich auch in die Hauptfigur hineinversetzen. Die neue Verfilmung finde ich schon von daher interessant, als dass der Regisseur seine ersten Schritte mit Horror-Kurzfilmen machte. Da würde ich spannend finden, wenn man diese Ursprünge merken würde. Ansonsten der klassische Eröffnungsfilm: Deutsch produziert mit vielen bekannten Namen und auch vielen Gästen auf dem roten Teppich. 2025 soll der Film übrigens einen offiziellen Kinostart bekommen.

Flieg Steil, Deutschland 2024, Martina Schöne-Radunski und Lana Cooper
In ihrem Debütfilm als Filmemacherinnen gehen die deutschen Schauspielerinnen Martina Schöne-Radunski und Lana Cooper dem aufkommenden Radikalismus auf den Grund. Konnie, eine Nazi-Rockmusikerin, die einer faschistischen Untergrundszene in Berlin angehört, verliert an Popularität unter Gleichgesinnten. Seit sie begonnen hat, gender-, sex- und körperfreundliche Botschaften in ihre nazi-zentrierte Musik einzubauen und ihre ultra-feministischen Ansichten öffentlich zu verteidigen, wenden sich ihre Kameraden gegen sie. Vor allem der Nazi-Kneipenbesitzer und Gruppenleiter Andi will ihr eine Lektion erteilen, die sie nicht vergessen wird. In einer Dreiecksbeziehung zwischen links und rechts, die mit dem Tod endet, ist „Flieg Steil“ mutig und kraftvoll, da es verdrängte Grenzen verschiebt. Weltpremiere – Das klingt sehr spannend. Ich hoffe mal sehr, dass die Regisseurinnen hier alle naheliegenden Klischees und Stereotypen umschiffen. Könnte harter Stoff werden. Kommt auf jeden Fall auf die „Vielleicht“-Liste.

James, Kanada 2024, Max Train
Eine Noir-Comedy über einen Mann, der sein Leben nicht in den Griff bekommen will, bis er ganz unten ankommt und in einem Müllhaufen ein altes Rennradgestell findet. Dylan Beatch spielt die Hauptrolle des James: ein vom Pech verfolgter Mann, der das Excalibur unter den Fahrrädern entdeckt und damit neuen Schwung in sein Leben bringt. Aber es kommt wie es kommen muss: Das Glück ruft Neider auf den Plan, ein gerissener und zu allem entschlossener Sammler, der als einziger die wahre Geschichte und den Wert dieses Fahrrads erkennt, stellt sich ihm in den Weg. Der Geist von Jim Jarmush und den Cohen Brüdern weht durch Max Trains Liebeserklärung an das Fahrrad als Kultobjekt. Weltpremiere – Fahrräder sind für mich ja eher Gebrauchsgegenstände auf die ich in der Stadt angewiesen bin. Aber vielleicht überzeugt mich der Film ja von deren Kult-Charakter. Klingt nach Indie-Feel-Good, was man ja ab und an ganz gut gebrauchen kann. Auch „Vielleicht“.

Baby Brother, UK 2024, Michael J. Long
Michael J. Long hat sich mit „Baby Brother“ so nah an das wahre Leben ganz weit am Rande der Gesellschaft begeben, wie es kein Film mit größerem Budget jemals schaffen würde. In seinem kraftvollen Regiedebüt über Adam und seinem viel zu gutmütigen kleinen Bruder Liam, die in einer zerrütteten Familie in einem heruntergekommenen Viertel von Liverpool aufgewachsen sind, erzählt er teilweise unerträglich hart und dann wieder durchmischt mit Momenten purer Freude und Poesie von Leben, die bereits im Moment der Geburt zum Scheitern verurteilt sind. Eine eindringliche Geschichte von brüderlicher Liebe, die durch die Umstände verloren geht. Weltpremiere – Sicherlich ein guter und wichtiger Film, aber ich werde wohl passen. Nicht, weil ich Sozialdramen skeptisch gegenüber stehe, sondern weil mir momentan nicht der Sinn nach so viel Realismus steht, der mir ja irgendwie täglich auf der Straße sehr nahe ist. Mit anderen Worten ist meiner Person der Film zu nah an dem, was ich tagtäglich mit ansehen muss, und was mich deprimiert. Aber mal sehen, vielleicht rutscht er ja doch noch mangels Alternativen auf meinen „Guck-Plan“.

$$ (Money), USA 2024, Jake Remington
In seinem Spielfilmdebüt kombiniert der amerikanische Autodidakt unverfälschtes Dokumentarfilmmaterial mit einer Guerilla-Produktion, um eine New Yorker Untergrundwelt einzufangen, die man selten auf der Leinwand sieht. In der Hoffnung, dem Treibsand der Fußstapfen ihres Vaters zu entkommen, spielen Joe Sonnenblick und Teo Babini die Hauptrollen Joe und Teo. Sie sind zwei beste Freunde, die versuchen, ihr Schicksal durch Drogen und Pferdewetten zu ändern. In diesem emotionalen, rauen und aufregenden Ritt lässt Jake Remington eine Cassavetes-Atmosphäre und die unnachgiebige Kraft von Bresson aufleben. Während der Dreharbeiten wurde echtes Geld verwettet, gewonnen und verloren, was das Wagnis widerspiegelt, einen Film in dieser Männerwelt zu drehen. Ein Wagnis, das sich gelohnt hat. Internationale Premiere – So ganz werde ich aus der Beschreibung des Pressetextes nicht schlau. Aber das, was ich mir so zusammenreime klingt höchst interessant. Ich kann mir auch vorstellen, dass der Film gewinnt, wenn man mehr über die Dreharbeiten und dem Konzept dahinter erfährt. Darum hoffe ich mal, der Filmemacher wird anwesend sein. Kommt auch auf die Liste.

The Second Act, Frankreich 2024, Quentin Dupieux
Die Geschichte von David, der seine Eroberung Florence lieber in die Arme seines Kumpels Willy treiben will, als selbst in einer festen Beziehung zu landen. Florence dagegen plant David sofort ihrem Vater vorzustellen, um die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu untermauern. Die vier treffen in dem Café „Le Deuxieme Acte“ aufeinander. Der diesjährige Eröffnungsfilm von Cannes zeigt Frankreichs Enfant Terrible Quentin Dupieux auf der Höhe seiner Kunst, Erwartungen seines Publikums zu brechen, Regeln der Filmerzählung auf den Kopf zu stellen und dabei eine unerschöpfliche Quelle der wildesten Inspiration zu sein. Deutschlandpremiere – Quentin Dupieux ist für mich ein „Must-See“. Ich verfolge seine Arbeit seit seinem Debüt „Wrong“ und bin in der Regel immer hellauf begeistert gewesen, was der ehemalige „Mister Oizo“ da so fabriziert. Seine letzte drei Filme muss ich noch nachholen. Diesen hier werden ich auf jeden Fall versuchen zu schauen.

Bang Bang, USA 2024, Vincent Grashaw
Tim Blake Nelson in einer Paraderolle als einsamer und verbitterter Ex-Boxer, dem das Leben zu viele Schläge versetzt hat und, egal wie sehr er es sich wünschen würde, das Schicksal ihm eine Revanche verweigert. Erst als sein Enkel Justin bei ihm einzieht, scheint das Schicksal ihm doch noch seinen großen Kampf zu spendieren. Wie er versucht, scheitert, hinfällt und wieder aufsteht, ist die Geschichte und das Herz von „Bang Bang“, einer wunderbar herzlichen, urkomischen, oft anstößigen Erzählung über einen Mann, der sich selbst in Bedrängnis gebracht hat. Deutschlandpremiere – Klingt nach klassischem US-Indie-Stoff mit Herz. Im Grunde hat man bei der Zusammenfassung das Gefühl, den Film schon gesehen zu haben. Besonders, wenn man seit vielen Jahren die Indie-Schiene in Oldenburg begleitet. Aber vielleicht wartet der Film ja doch mit einigen Überraschungen auf. So oder so, kann man da meine ich nicht viel falsch machen. Die IMDb-Bewertungen sind auch sehr gut und Hauptdarsteller kennt man aus vielen Hollywood-Filmen und den Filmen der Coen Brothers.

Am Ende der Wahrheit, Deutschland 2024, Saralisa Volm
Saralisa Volm erzählt nuanciert die Geschichte von Martina, einer erfolgreichen Chirurgin, deren Leben durch einen Moment des ersehnten Kontrollverlusts aus der Bahn gerät. In einem Umfeld, in dem der äußere Schein alles bedeutet und Gefühle stets hinter dem Erwartungsdruck einer gesellschaftlichen Moral zurückstehen müssen, liefert Maria Furtwängler beim taumelnden Wiedereintritt in die bürgerliche Normalität eine schauspielerische Tour de Force. – Hier bin ich wegen Saralisa Volm durchaus interessiert, denn sie hat damals in vier Klaus-Lemke-Filmen ihre Schauspielkarriere begonnen (und wie ich gerade gesehen habe auch in einem Kurzfilm von Björn Last). Dass sie mittlerweile selber Filme dreht, hatte ich am Rande mitbekommen. Maria Furtwängler ist jetzt nicht meine favorisierte Schauspielerin, aber wenn so ein bisschen Lemke-Rau- und Dreckigkeit in dem Film steckt, dann könnte das eine interessante Paarung sein.

Electra, Italien / USA 2024, Hala Matar
Ein Journalist reist mit seiner Freundin nach Rom, um einen berühmten Musiker zu interviewen. Doch das Interview scheint bei weitem nicht alles zu sein, was das Pärchen begehrt. Mit Anleihen von der griechischen Tragödie erzählt Hala Matar in ihren ersten Spielfilm eine betörende Geschichte um Liebe, Verrat und Begehren. Als Hommage an ihr Vorbild Fellini entwirft sie mit ausschweifendem Produktionsdesign, berauschend schönen italienischen Settings einen Film, der gekonnt das Drama mit Leichtigkeit, Farben und sehr vielen erfrischenden Ideen balanciert. Hala Matars Regiedebüt ist der erste von einer Frau aus Bahrain inszenierte Spielfilm. Deutschlandpremiere – Ich bin ja immer vorsichtig, wenn in den Pressetexten Vergleiche zu den großen Vorbildern gezogen werden. Und Fellini ist ja nun nicht nur Produktionsdesign und Italien. Auf den Bildern zum Film sehe ich jetzt auch erst einmal nur schöne, junge Menschen. Ich bin skeptisch.

THREE, Vereinigte Arabische Emirate 2024, Nayla Al Khaja
In ihrem Spielfilmdebüt „Three“ erzählt Nayla Al Khaja, die erste weibliche Regisseurin in den Vereinigten Arabischen Emiraten, eine metaphorische, psychologische Horror-Geschichte, um die Gegensätze zwischen östlichen und westlichen Glaubenssystemen zu durchdringen. Der junge Ahmed (gespielt von dem Newcomer Saud Alzarooni) wird in der Schule gemobbt und beginnt, sich seltsam zu verhalten, woraufhin seine Mutter überzeugt ist, dass er verflucht sei und ihn zu einem traditionellen Heiler bringt. Ein engagierter britischer Arzt (Jefferson Hall) ist anfangs skeptisch gegenüber Behauptungen über den „bösen Blick“, jedoch muss er in die Kultur des Jungen eintauchen, um ihn zu retten. In Anlehnung an die erschreckende Kraft von William Friedkins Klassiker „Der Exorzist“ von 1973 überschreitet Regisseurin Nayla Al Khaja Grenzen und stellt Überzeugungen in Frage. Europapremiere – Der Film läuft in meiner Lieblingssektion „Midnite Xpress“ und ist allein von daher schon mal gesetzt. Auch hier glaube ich, dass der Verweis auf „Der Exorzist dem Film und der Erwartungshaltung nicht gut tut. Daher versuche ich mal zwischen den Zeilen zu lesen, worum es wirklich geht und erwarte einen eher metaphorischen Film, bei dem sich der Grusel eher über andere Ebenen anschleicht. Aber das Debüt der erste weibliche Regisseurin in den Vereinigten Arabischen Emiraten kann man sich eigentlich auch nicht entgehen lassen, oder?

Telepathic Letters, Portugal 2024, Edgar Pêra
Edgar Pêra ist Europas unbändigster Bilderstürmer. Als Künstler ebenso wie als Filmemacher sucht er permanent nach den Grenzverläufen zwischen Unterbewusstsein, Moral und gesellschaftlicher Einengung. Fast unumgänglich ist daraus seine Faszination für die Schriftsteller Fernando Pessoa und H.P. Lovecraft erwachsen, denen er in seinem traumwandlerischen „Telepathic Letters“ eine Brieffreundschaft andichtet, die es zwar nie real gab, aus der Logik des Träumers aber in einer höheren Dimension so gegeben haben muss. Film als bewusstseinserweiterndes Medium at its best. Deutschlandpremiere – Hmmm, noch einmal „Midnite Xpress“. Edgar Pêras Film „The Nothingness Club“, der letztes Jahr in Oldenburg lief, konnte mich leider gar nicht überzeugen. Was teilweise sicherlich daran lag, dass ich mit dem Werk des Schriftstellers Fernando Pessoa überhaupt nicht vertraut bin. Und der Film funktionierte eben als „Insider-Kommentar“ auf dessen Arbeiten. Da war man irgendwie außen vor, so wie jemand der auf einer Party in einer Gruppe von Menschen steht, die sich ständig über Geschichten und Personen unterhalten, bei denen man nicht dabei war und die man nicht kennt. In seinem neuen Film lässt er Pessoa auf H.P. Lovecraft treffen. Als Lovecraft-Fan bin ich jetzt ja zumindest mit dessen Leben und Wirken vertraut. Vielleicht riskiere ich dann doch noch einmal einen Blick.

Saint Clare, USA 2024, Mitzi Peirone
Basierend auf dem Roman „Clare at 16“ erzählt Mitzi Peirone in ihrem zweiten Spielfilm die Geschichte von Clare, einem katholischen Schulmädchen, das in einer Kleinstadt als Waise bei ihren Großeltern lebt. Ihre unbedingte Liebe zur guten Sache bringt sie an den Punkt, an dem sie nicht mehr klar definieren kann, welchen Weg sie beschreiten muss in ihrem Leben. Als ihr Stimmen im Kopf empfehlen das Böse auszulöschen, wird sie zu einem Racheengel in Schuluniform. Mit Bella Thorne in der Titelrolle und Ryan Phillippe und Rebecca de Mornay aufregend besetzt, hat Mitzi Peirone eine ebenso vergnügliche wie beängstigende Horror-Romanze geschaffen. Deutschlandpremiere – „Midnite Xpress“ zum Dritten. Die Story klingt etwas nach amerikanischer Videoware der 80er. Was ich ausdrücklich nicht als Herabsetzung verstanden wissen möchte. Es macht mich auf jeden Fall sehr neugierig, und ich habe ihn mir schon einmal vorgemerkt. 

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Blu-ray-Rezension: „Der Gorilla“

Dem ehemaligen Stuntman Marco Sartori gelingt es durch einen Trick von dem reichen Bauunternehmer Gaetano Sampioni als Leibwächter angeheuert zu werden. Marco mag den Job nicht, aber um seine Geschwister zu unterstützen benötigt er das Geld. Bald gerät Sampioni in das Visier einer Erpresserbande, die sich darauf spezialisiert hat, mit Drohungen und Einschüchterungen reiche Italiener zu hohen Schutzgeldzahlungen zu zwingen. Sampioni weigert sich allerdings zu zahlen. Als Marco von der Bande gefangen genommen und brutal zusammengeschlagen wird, sinnt er auf Rache und macht sich auf dem Anführer der Gang, einen gewissen Berto, das Handwerk zu legen.

Vor acht Jahren durfte ich bei einem ganz besonderen Ereignis dabei sein. Damals lief im Rahmen des siebten Forentreffens von deliria-italiano.de in Düsseldorf die einzige und bis dahin völlig unbekannte Kopie des italienischen Actionfilms „Der Gorilla“. Scheinbar sollte der Film einst einen Kinoeinsatz bekommen, welcher allerdings nie erfolgte. Zwei 35mm-Kopien soll es damals gegeben habe. Eine ist scheinbar im Müll gelandet, die andere konnte sich einer der Admins des Forums sichern. Und so erlebte „Der Gorilla“ am 15. Oktober 2016 um 18:00 Uhr seine deutsche Kinopremiere in der Black Box in Düsseldorf. Die Kopie war noch nie gespielt und absolut tadellos. Und die Zuschauer waren begeistert. Auf Deliria Italiano konnte man im Anschluss Sätze lesen wie: „„Der Gorilla“ (geht) in der zweiten Halbzeit ja völlig durch die Decke und lässt den Zuschauer fassungslos und geplättet zurück.“, „Neben filmischen guten Szenen gibt es auch immer wieder Kracher“ oder „ein gerade für Genre-Freunde wahrlich sehenswerter Poliziesco bzw. Gangster-Streifen, den Testi gut schultert und der das damalige gesellschaftliche Klima auf die Leinwand zu transportieren vermag“. Als dann angekündigt wurde, dass eben diese tolle Kopie von einem Label digital abgetastet und für den Heimkinomarkt veröffentlicht werde, herrschte unisono große Freude. Und nun ist die Veröffentlichung da. Und das Warten hat sich gelohnt.

Doch vorab einige Worte zum Film selber. Dieser setzt seine Actionspitzen sorgsam ein. Statt sofort das Gaspedal durchzudrücken, nimmt er sich Zeit. Es werden zunächst die handelnden Personen charakterisiert. Vor allem natürlich Testis Marco, der seinen neuen Job als „Gorilla“ nur widerwillig ausübt und diesen lediglich als Übergang sieht, um nach dem erzwungenen Ende seiner Stuntman-Karriere (Testi hat seine Karriere tatsächlich selber als Stuntman angefangen) seine Familie (Schwester und jüngeren Bruder) ernähren zu können. Testi macht das gut, denn neben seinem großartigen Aussehen und seiner athletischen Figur, besitzt er auch Charisma und kann schauspielern. Man nimmt ihm das melancholische, ebenso wie den zornigen Actionstar ab. Neben zahlreichen Western und Poliziotteschi wurde Testi auch von Arthaus-Regisseuren wie Andrej Zulawski, Vittorio De Sica oder Claude Chabrol besetzt. Testi bringt immer eine große Präsenz mit, die Kamera schmeichelt ihm und aufgrund seiner Athletik weiß er auch in Actionszenen vollends zu überzeugen. Oder wie es ein User im deliria-italiano.de-Forum schreibt: „ (Testi) ist irgendwie einer der wenigen, der mit so offenem Hemd herumlaufen kann ohne das es durch zu viele Muskeln oder eine Hahn-Haltung albern oder aufgesetzt wirkt“. Ihm zur Seite steht der immer zuverlässige Renzo Palmer, der für doppelbödige Figuren steht, welche sich nie wirklich in die Schubladen „gut“ oder „böse“ pressen lassen. Auch sein Gaetani Sampioni ist eine ambivalente Figur. Einerseits aufbrausend, starrköpfig und ständig am Schimpfen und Beleidigen. Andererseits aber versteht er die Situation in der er sich befindet, sorgt sich um seine Tochter und weiß haargenau, wann er sich besser auf Leute wie Marco verlässt. Und auch, wenn sein schroffes, beleidigendes Auftreten auf den ersten Blick etwas anderes vermuten lässt, so pocht da drinnen doch ein anständiges Herz und versteckt sich ein kluger Kopf.

Überraschend auch Saverio Marconi als Marcos junger Bruder Piero fällt durch einen psychotischen Blick und aggressive Hyperaktivität auf, die ihn zum idealen Darsteller eines unzuverlässigen, durch seine hitzige Art alle in Gefahr bringenden Kleinkriminellen. Interessanterweise spielt Regisseur Tonino Valerii auch sehr kreativ hiermit.

Ebenfalls zu erwähnen ist auch der Amerikaner Al Lettieri in einer für jemanden, der in großen Hollywoodfilmen dabei war, eine wichtige Figur in Peckinpahs „Getaway“ und in „Der Pate“ gespielt hat, überraschend kleinen Rolle. Auch diese ist geprägt von Ambivalenz, welches Lettieri großartig umsetzt. Leider verstarb dieser heute fast vergessene, großartige Schauspieler kurz nach den Dreharbeiten mit nur 47 Jahren an einer Herzattacke. „Der Gorilla“ sollte sein vorletzter Film sein. Sein letzter war der ebenfalls in Italien gedrehte „Bordella“ von Pupi Avati. Eine Musical-Komödie in der er die Hauptrolle inne hatte.

Neben unbestreitbaren Stärken in der Zeichnung der Protagonisten, muss man leider ein wenig Abstriche auf der Seite der Bösen machen. So wird deren Anführer als geheimnisvolle Figur im Hintergrund eingeführt, von der man lediglich die Stiefel sieht. Dadurch, dass man hier nie das Gesicht sieht, nimmt man natürlich an, dass sich hinter dem Anführer eine bereits bekannte Figur verbirgt. Doch weit gefehlt, wenn endlich das Gesicht des Schurken enthüllt wird, ist dies eine völlig unbekannte Gestalt, was das Versteckspiel am Anfang natürlich ad absurdum führt. Dieser Berto wird gespielt von Antonio Marsina als Mann ohne große Tiefe. Während die Protagonisten dreidimensionale Charaktere sind, so ist Berto einfach nur ein durchgeknallter Böse, wahrscheinlich Jung-Faschist und völlig durchgeknallt.

Was mich zu einem zweiten Kritikpunkt bringt. Während die Motivation bei den Protagonisten sorgfältig herausgearbeitet wird, springt das Drehbuch mit den Antagonisten weniger durchdacht um. Zunächst verfolgen diese einen ausgeklügelten Plan, ihre Opfer unter Druck zu setzen ohne direkte Gewalt auszuüben. Tatsächlich wenden sie einige Mühe auf, um die Opfer nicht zu körperlich zu schädigen, sondern ihnen lediglich Angst einzujagen. Doch sobald Marco der Organisation auf die Schliche gekommen ist, bleibt davon nicht mehr viel übrig und sie verwandeln sich in rasende Bestien, die alles aus dem Weg räumen, welches diesen kreuzt. Was dann zu einer zugeben spannenden und vor allem actionreichen Schlusssequenz führt, die dem Zuschauer tatsächlich mehr als einmal ob der exzessiven und rücksichtslosen Gewalt die Kinnlade hinunter klappen lässt.

Auch die Figur der Tochter von Vera Sampioni gespielt von Claudia Marsani, wirkt eindimensional und scheint sie nur dafür da zu sein, um Testis Marco eine kleine Liebesgeschichte zu gönnen und damit den Film ein wenig zu strecken. Wie generell sind die Frauen in „Der Gorilla“, sofern sie überhaupt eine Rolle spielen, zu reinen Klischees reduziert werden.

Trotzdem überwiegen bei „Der Gorilla“ bei weitem die positiven Eindrücke und gerade das rasante Schlussdrittel entschädigt all diejenigen, die möglicherweise am Anfang die Action etwas vermisst haben. Untermalt wird dies alles von einem hübschen Soundtrack der bewährten Kräfte Franco Bixio – Fabio Frizzi – Vince Tempera, die ein paar Jahre später für Lucio Fulci die Pforten der Hölle öffnen sollten. Dieser bedient sich bei seinem Hauptthema ordentlich bei „Papa was a Rolling Stone“, bringt aber auch seine eigenen Qualitäten mit. So geht er auch in den langsamen Phasen gut ins Ohr und ist 2010 dankenswerterweise auch als CD veröffentlicht worden, die allerdings leider nicht ganz günstig ist. Wem das Titelthema reicht, dem sei der Sampler „Bixio, Frizzi & Tempera – Magnetic Systems“ empfohlen, der nicht ganz so teuer ist und neben dem „Vai Gorilla“-Thema noch andere hörenswerte Stücke jenseits der bekannten Fulci-Soundtracks enthält.

„Der Gorilla“ ist der lang erwartete 21. Teil der Filmart Polizieschi Edition. Das Bild ist wie gewohnt gut und die Abtastung der Vorlage sehr gelungen. Zum Vergleich kann man sich auch als Bonus die unrestaurierte Fassung anschauen, welche ein etwas schärferes Bild, dafür aber auch kleiner Filmschäden aufweist. Neben der sehr guten deutschen Synchronfassung ist noch englischer und italienischer Ton mit an Bord. Als Extras gibt es den italienischen Vor- und Abspann, sowie einen hochinteressanten Schnittvergleich, denn die deutsche Fassung enthält einige Szenen, die der italienischen Fassung gegenüber länger und drastischer sind. Es wäre spannend zu erfahren, wie es dazu kam. Das Booklet enthält noch einen Satz italienischer Aushangfotos. Insgesamt wieder eine feine Veröffentlichung. Man darf gespannt auf die Nummer 22 sein.

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„35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ live in Bremen: „Anarchie & Alltag“ in der Helga Kneipe

Am kommenden Sonntag, den 2. Juni ist ab 17:00 Uhr bereits zum zweiten Mal ein großer Teil der Redaktion des „35 Millimeter – Das Retro Filmmagazin“ in der wunderbaren Helga Kneipe in Bremen-Walle (Ecke Helgolander Str./Zietenstr.) zu Gast.

Diesmal lautet das Thema des informativen Nachmittags für Filmfreunde und alle die es werden wollen: „Anarchie & Alltag – Über Humor in Hollywood“.

Es wird auch diesmal wieder drei Vorträge geben.
Der erste ist von mir selber und ich stelle den frühen Chaplin und seinen Weg zum allseits beliebten Tramp vor. Der Magdeburger Kabarettist Lars Johansen wird über die Anarchokomödie „Hellzapoppin – In der Hölle ist der Teufel los!“ sprechen und Dr. Tonio Klein aus Hannover referiert unter dem Titel „Wir lachen uns zu Tode“ über den grausamen Witz des Blake Edwards.

Im Anschluss ist dann noch Zeit, um mit den Vortragenden und den weiteren aus ganz Deutschland angereisten Redakteuren zu plaudern.

Und das Beste ist: DER EINTRITT IST FREI!

Es gibt also keinen Grund nicht mal vorbei zu schauen, wenn man sich für das Thema interessiert.

Über die „35 Millimeter“ habe ich ja schon oft hier postet.  Das ist ein Print-Magazin, welches sich seit nunmehr zehn Jahren der Filmgeschichte bis 1965 verschrieben hat und mittlerweile ein Schwestermagazin mit dem Namen „70 Millimeter“ hat, welches die Filmgeschichte von 1966 bis 1975 weiterschreibt. Zudem sind zahlreiche Sonderhefte erschienen, sowie zwei Buchpublikationen.

Ich selber bin dort seit vielen Jahren stellvertretender Chefredakteur und seit mittlerweile sechs Aufgaben auch Chefredakteur der „70 Millimeter“. Da ich zudem in der Helga regelmäßig Konzerte und andere Veranstaltungen mit veranstalte, ist es für mich als quasi ein doppeltes Heimspiel.

Über zahlreiche Gäste würde nicht nur ich mich freuen.

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Blu-ray-Rezension: “Massaker in Klasse 13“

David (Derrel Maury) kommt an eine neue Schule, die Central High. Dort hat er gleich von Anfang an Probleme mit der Gang um Bruce (Ray Underwood). Doch in Bruces Gang befindet sich auch Mark (Andrew Stevens), der David von früher kennt und dem David einst in ihrer alten Schule gegen die Schul-Schläger verteidigt hat. Mark bemüht sich, David in Bruces Gang zu holen, um ihn vor Übergriffen und Terror zu bewahren. Doch David denkt nicht daran und tut sich lieber mit mit dem Außenseitern Spoony, Arthur, Rodney und Oscar zusammen, die alle unter Bruce und seinen Jungs leiden müssen. Als David die Vergewaltigung zweier Mädchen durch Bruce und seine Freunde vereitelt, ist das Tischtuch endgültig zerschnitten. Eines Abends sorgen Bruce & Co. dafür, dass Davids Bein zertrümmert wird und amputiert werden muss. Daraufhin kennt David nur noch ein Ziel: Rache!

Massaker in Klasse 13“ ist ein merkwürdiger, aber auch höchst interessanter Hybrid. Man spürt das Anliegen des Filmemachers dahinter, und der Film lässt sich ohne Probleme als Metapher auf politische Revolutionen lesen. Mit allen Problemen, die mit diesen einhergehen. Problemlos könnte „Massaker in Klasse 13“ auch zur Zeit der französischen Revolution spielen, die hier ebenso offensichtlich Pate stand, wie sowjetischen Oktoberrevolution. Was passiert, wenn die Unterdrückten sich erhoben und den Unterdrücker beseitigt haben? Hat man dann tatsächlich eine bessere, gerechtere Welt geschaffen? Oder doch nur ein neues Terrorregime installiert? In Frankreich folgte auf die Revolution der Terror der Jakobiner unter Robespierre. In der Sowjetunion kam der grausame Diktator Stalin an die Macht. Dabei sollte doch der Umsturz zu einer besseren Welt führen. Aber wie schon The Who sangen: „Meet the new boss, same as the old boss“.

Der holländische Regisseur Rene Daalder verbindet nun diesen politischen mit einem sozialen Kommentar. Dieser zeigt auf, wie der Mensch, der zuvor Unterdrückung erfahren hat, sich, sobald er selber Macht über andere erlangt, genau in jene Muster verfällt, unter denen er eben noch selber zu leiden hatte. Macht korrumpiert und dadurch ändern sich die Verhältnisse nicht, sondern verschieben sich nur und bekommen ein neues Gesicht. Eben den „new boss“ der doch nur der „old boss“ ist. Kurz scheint sich auch in diesem Film ein positives Utopia zu bewahrheiten, in dem jeder jeden hilft und ihn unterstützt. Doch schnell versucht der/die Eine oder Andere das entstandene Machtvakuum für seine/ihre Zwecke zu nutzten und sich an die Spitze der Pyramide zu stellen. Davids Kampf gegen die Verhältnisse ist demnach nur scheinbar einer gegen Goliath, sondern vielmehr einer gegen Windmühlen, auch wenn er dies offenbar nicht realisiert und immer weiter versucht, ein fiktives Gleichgewicht herzustellen.

Mögen die beiden vorangegangenen Absätze sich eher nach Stoff für Programmkinos anhören, so wählt Daalder für seinen Film jedoch die Form des Bahnhofs- oder Drive-In-Kinos. Er exerziert sein Exempel an der High School. Jenem Ort, der für Jugendliche die Hölle sein kann, zu dem sie aber gezwungen sind zu gehen. Und in dem sich schnell Hierarchien bilden, in denen es Herrscher und Beherrschte gibt. Unzähligen Filme und Serien zeugen davon. Mit all ihren Bullies und den Nerds und Außenseitern, die unter ihnen zu leiden haben. Mit den Jungs- und Mädelsgangs, die das sagen haben und gottgleich bestimmen, wer dazugehören darf und wer eben nicht. Viele haben sicherlich auch eigene Schulerfahrungen, die beweisen, dass solch ein System nicht nur in den USA und nicht nur in der Fiktion existiert. Es gibt auch einige Slasherfilme, die an der High School spielen und wäre „Massaker in Klasse 13“nicht bereits Mitte der 70er gedreht worden, dann würde der Killer wahrscheinlich eine Maske tragen und mit Hieb- und Stichwaffen, statt mit Dynamit und ähnlichem vorgehen.

Denn nachdem „Massaker in Klasse 13“ zunächst ein typischer High-School-Film-als-Hölle-Film wie „Saat der Gewalt“ oder seine sehr viel später gedrehtes Quasi-Remake „Die Klasse von 1984“ ist, so wandelt er sich im letzten Drittel tatsächlich in so etwas wie einen Protoslasher. Doch Daalder macht mit einem dramaturgischen Kniff klar, dass es ihm nicht darum geht, die Drive-In-Meute mit Sex und Gewalt zu befriedigen. Auch wenn er dies als Mittel wählt. Dadurch, dass in seinem Film keine Erwachsenen vorkommen (einmal abgesehen von einer kurzen Szene am Ende und der Tatsache, dass eigentlich alle Darsteller der Schüler und Schülerinnen die Volljährigkeit schon vor geraumer Zeit erreicht haben), erhält der Film eine unwirkliche Note, die einerseits seinen Parabel-Charakter unterstreichen, andererseits aber auch an William Goldings Roman „Der Herr der Fliegen“ denken lassen, wo Jugendliche/Kinder ohne den Einfluss der Erwachsenen und den von ihnen repräsentierten Normen und Regeln am Ende von ihren primären Instinkt (zum Alpha werden) zurückgeworfen werden.

Die Figur des David ist höchst interessant, da er als Held eingeführt wird, der für das Gute und Gerechte kämpft. Doch dieser Kampf erscheint fast zwanghaft. An einer Stelle betont er, dass er viel Aggression in sich trüge, die er allein durch da Laufen im Zaum halten könne. Als ihm dies genommen wird, hat er diese finstere Seite in sich nicht weiter unter Kontrolle und greift zu immer radikaleren Maßnahmen. War David von Anfang an ein Psychopath? Spannenderweise erinnert seine Entwicklung an Charles Bronsons Paul Kersey in dem nur zwei Jahre zuvor gedrehten „Ein Mann sieht rot“. Ein Vergleich beider Filme lohnt sich auch von daher, dass beide Figuren sich sehr ähnlich sind und man in David auch den Rächer und in Kersey problemlos auch den Psychopathen sehen kann.

Rene Daalder ist mit „Massaker in Klasse 13“ einer der spannendsten und ungewöhnlichsten Filme der 70er Jahre gelungen, den wiederzuentdecken sich sehr lohnt. Umso schöner, dass filmArt den Film nun erstmals ungekürzt auf Blu-ray veröffentlicht hat. Das Bild kann überzeugen und der Ton liegt in Englisch (auch mit englischen Untertiteln, was ich immer sehr begrüße) und einer soliden Synchronisation ohne Albernheiten vor. Gespart wurde leider an den Extras. Hier ist lediglich ein Trailer mit dabei. Die Extras der amerikanischen Ausgabe von Synapse wurden leider nicht übernommen. Dafür gibt es den Film hier auch in der 4:3 Fassung und es ist ein kurzer Clip vom ehemaligen Musikfernsehsender VIVA dabei, der „Vorstellung von VIVA“ betitelt ist, aber im Grunde nur das Intro der Sendung und einen kurzen unkommentierten Ausschnitt zeigt. Immerhin erinnert es einen dran, dass es mal VIVA gab und dort tatsächlich Filmmagazine liefen, die ungewöhnliche Filme vorgestellt haben.

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Blu-ray-Rezension: “Karate-Killer Triple Feature Volume 2“

Seit „Der Mann mit dem Karateschlag“ 2013 erstmal bei filmArt erschien, war ich gespannt auf den Film „Der Mann mit dem Karateschlag“. Ein Martial-Arts/Giallo-Hybrid aus Hongkong. Mit Bolo Yeung! Das klang spannend. Leider war ich den vergangenen elf Jahren nie dazu gekommen, mir den Film in die Sammlung zu stellen. Abhilfe schuf jetzt eine 3-Filme-Box namens „Karate-Killer Triple Feature Volume 2“. Das Volume 1 scheine ich verpasst zu haben. Was aber auch nicht schlimm ist, denn die dort enthalten Filme kenne ich bereits alle.

Von den drei Filmen in Volume 2 habe ich bislang nur einen bereits auf diesem Blog besprochen: „Die Todeshand des schwarzen Panthers“ (Rezension hier). Fehlen also noch „Der Mann mit dem Karateschlag“ und „„Shaolin – Rache der gelben Teufel“. Dies kann nun nachgeholt werden.

DER MANN MIT DEM KARATESCHLAG

Im Umfeld eines Nachclubs geht ein Serienmörder um, der seine weiblichen Opfer mit Vorliebe mit dem Rasiermesser meuchelt. Stehen die Morde in Zusammenhang mit dem Unfall-Tod eines der drei Besitzer des Clubs? Zumindest verlangt dessen attraktive Witwe, nun schnell ausgezahlt zu werden. Schnell werden einer der Teilhaber und seine Freundin, die als Journalistin arbeitet, in den Fall hineingezogen und beginnen auf eigene Faust zu ermitteln.

Ich gebe zu, die Erwartungen waren hoch. Vielleicht nicht unbedingt für ein Meisterwerk, aber zumindest für gute Unterhaltung. Das Meisterwerk ist es dann auch nicht geworden. Wie es um die gute Unterhaltung steht, da kann man durchaus zweigeteilter Meinung sein.

Beginnen wir mit dem Positiven: Die Giallo-inspirierten Szenen sind echt schön gemacht und generell ist es interessant, einmal die typischen Zutaten eines italienischen Thrillers mit der subjektiven Kamera, den Nahaufnahmen der Augen und dem Rasiermesser samt schwarzen Handschuhen in einer komplett anderen Umgebung zu sehen. Auch die Story ist sehr Giallo-inspiriert inklusive verrückter Auflösung, Stil-vor-Logik und einem Außenstehenden, der in das Geschehen hineingezogen wird und plötzlich Detektiv spielt. Ebenfalls sehr hübsch ist die Musikbegleitung, die zwischen fluffigen Easy Listing und beatlastiger Pornomusik pendelt. Ob diese tatsächlich aus der Feder des angegebenen Eddie Wang stammt oder irgendwo zusammengeklaut wurde – wie es in Hongkong ja bei den preiswerten Produktionen durchaus häufig der Fall war – mag ich nicht zu sagen. Erkannt habe ich keines der Stücke. Und dann ist da noch Bolo, der auch auf dem Cover prominent platziert wurde. Leider spielt er hier nur eine kleine und im Grunde komplett unwichtige Rolle. Nämlich die eines aus einer psychiatrischen Klinik entflohenen Geisteskranken, der mit einem Hackebeil und seinem beeindruckenden Bodybuilder-Körper für Bedrohung und eine falsche Fährte sorgt. Sein Signature-Move ist es, wie ein wilder Stier mit nach vorne gestreckten Kopf direkt auf seine Gegner zuzustürmen. Aber immerhin dient sein kurzes Auftauchen dazu, ein wenig Martial Arts und (nicht sonderlich spektakuläre) Kämpfe in den Film einzuflechten.

Weniger positiv sind die zahlreichen Sex-Szenen, die in regelmäßigen Abständen den Film unterbrechen. Diese sind weder besonders erotisch (eher im Gegenteil), noch künstlerisch gestaltet. Plötzlich befinden sich die Liebenden in einem schwarz ausgeschlagenen Raum mit rotem Licht, um dort sehr mechanisch mit der Kamera oftmals auf den nackten Pobacken des Mannes einen sehr mechanischen Liebesakt zu simulieren. Dabei hat der Mann keinerlei Ähnlichkeit mit dem zuvor gesehen Schauspieler. Auch die Dame scheint plötzlich einen andere Körper mit weitaus größerem Brust- und Po-Umfang zu besitzen – obwohl auch immer wieder Bilder vom Kopf der Darstellerin eingeblendet werden. Das riecht alles sehr nach nachträglichen Inserts. Insbesondere, da die sehr langen Szenen auch nichts weiter zur Story beitragen. Zugegeben, dies taten sie in den italienischen Originalen auch nicht immer – waren aber immerhin visuell ansprechend umgesetzt. Ein weiteres Manko ist der seltsam beliebige Schnitt, der dem Film leider auch seinen Rhythmus nimmt.

Leider passen sich die Schauspieler dem an und wirken etwas hilflos. Vielleicht wussten sie auch nicht, was genau ihre Rolle ist. Was man ihnen nicht verübeln kann, denn die erzählte Geschichte macht keinen großen Sinn und wirkt teilweise, wie aus unterschiedlichen Drehbüchern zusammengeklebt. Da kann es dann auch schon mal vorkommen, dass der eigentlich sympathisch gezeichnete Held, seiner Freundin aus dem Nichts einige saftige Backpfeifen verpasst. Oder immer wieder die scheinbar lustig gemeinte und auch ziemlich drüber gespielte Figur des voyeuristischen Nachbarn an allen möglichen und unmöglichen Stellen auftaucht, um dann ein Liebesabenteuer mit einer der attraktiven Hauptdarstellerinnen zu haben und später ohne weitere Erklärung im Leichenschauhaus endet. Die Liste könnte man jetzt noch fortführen. Natürlich sieht man gerne mal über solche Dinge hinweg (dass jemand Morde für ein Negativ begeht, ihm die zahlreichen überall herumgereichten und sogar in der Zeitung abgedruckten Abzüge aber herzlich egal sind, könnte so auch aus einem waschechten Giallo stammen). Bei diesem massiven Auftreten werden aber nicht nur die Opfer des geheimnisvollen Killers, sondern leider auch komplett die Spannung und das Interesse getötet. Dass die Morde allesamt im Off passieren, macht es nicht besser.

Ob man nun wie ich von „Der Mann mit dem Karateschlag“ enttäuscht ist oder ihn sich in einer Gruppe Gleichgesinnter mit Bier und Chips eben gerade aufgrund seine Schwächen ansehen möchte, sei dahin gestellt. „Der Mann mit dem Karateschlag“ ist sicherlich ein interessantes Experiment zwei auf dem ersten Blick eigentlich nicht vereinbare Genres miteinander zu vermischen. Wobei die Filme eines Yuen Chor, wie beispielsweise „Das unbesiegbare Schwert der Shaolin“, durchaus – wenn auch in einem ganz anderen Setting – gialloesque Elemente haben. Man muss allerdings sagen, dass hier sehr viel mehr drin gewesen wäre. So ist es ein eher konfuser, billiger und – trotz einiger weniger durchaus unterhaltsamer Momente – ein wenig langweiliger Film geworden, den man besser finden möchte als er eigentlich ist. Die deutsche Synchro ist solide und interessanterweise einigermaßen seriös. Hier wäre man aber nicht böse gewesen, wenn dem Film eine Volldampf-Kalauer-Synchro der Marke Brandt/Brunnemann zuteil geworden wäre.

Scheinbar ist der Film so ultrarar, dass es kein vernünftiges Master mehr gab. Was die Entscheidung ihn nur auf DVD zu veröffentlichen locker rechtfertigt. Das Bild sieht aus, als wäre es von einer MAZ gezogen worden, die in der digitalen Steinzeit – schätzungsweise dem VHS-Zeitalter – eine alte deutsche 35mm-Kopie gesichert hätte. Dementsprechend ist das Bild recht unscharf und sieht tatsächlich mehr nach VHS als nach DVD aus. Besser geht es wahrscheinlich heute nicht mehr, wenn man den Film veröffentlichen möchte. Die These von der deutschen 35mm-Kopie wird auch dadurch unterstützt, dass es hier keinen Originalton, sondern nur eine etwas dumpfe deutsche Tonspur gibt. Als Extra ist noch eine „restaurierte Fassung“ an Bord, bei der ich allerdings um ehrlich zu sein, keinen Unterschied zum Hauptfilm gefunden habe. Ferner gibt es einen Trailer zum Film und eine kleine Trailer Show.

SHAOLIN – DIE RACHE DER GELBEN TEUFEL

Der Bodyguard Tseng (Casanova Wong) wird angeheuert, um eine wertvolle Jade-Statue in einem speziell versiegelten Kästchen zu dem Herrn Lu zu transportierten. Am Ende seine Reise muss Tseng allerdings feststellen, dass obwohl er das Kästchen nie aus der Hand gegeben hat, die Jadefigur gegen einen Stein ausgetauscht wurde. Als Strafe, muss Tseng seine gesamtes Hab und Gut Lu überschreiben. In einer Kneipe trifft er auch die beiden Trickbetrüger Li Chun-Feng und Lung, die ihm erklären dass und wie er reingelegt wurde. Diese Erkenntnis treibt Tseng direkt in den Wahnsinn. Li und Lung versprechen ihm aber, sich um die Sache zu kümmern. Und hoffen gleichzeitig, den reichen Herrn Lu dabei ausnehmen zu können.

„Die Rache der gelben Teufel“ wird in der IMDb u.a. unter dem Schlagwort „Slapstick“ geführt und das passt (leider) ganz gut. Denn neben Kampfkunst-Akrobatik wird hier auch sehr viel Fokus auf Gesichtsakrobatik gelegt. Was heißt, dass am Laufenden Band Grimassen geschnitten werden. Wer mit dieser sehr speziellen Art der Komik (die auch die Italiener so „gut“ beherrschten) nicht so viel anfangen kann, für den kann „Die Rache der gelben Teufel“ zu einer wahren Geduldsprobe werden. Das beginnt mit den beiden Hauptdarstellern Yuen-Man Meng und Ching Siu-tung, die wahrscheinlich sympathische Taugenichts sein sollen, aber eher wie nervige Kinder mit einem hyperaktiven Bewegungsdrang und dummen Ideen im Kopf daherkommen. Noch schlimmer ist es mit Casanova Wong, der hier einen Kung-Fu-Kämpfer spielt, der leider aufgrund eines bösen Tricks, der ihm gespielt wird, dem Wahnsinn anheim fällt. Und das lebt er auch intensiv mit sich verrenkenden Gesichtern aus. Der Südkoreaner Wong ist eigentlich ein recht gut aussehender Mann, der hier allerdings unter einer grauenvollen Frisur leidet und einem durchgehend dümmlichen Gesichtsausdruck.

Was Casanova Wong aber wirklich kann, kommt allenfalls in den Kampfszenen zum Ausdruck. Wong ist ein Experte in Taekwondo und hat den Spitznamen „Human Tornado“, was seinen Kampfstil gut beschreibt. Was der mit seinen Füssen und Beinen anstellt, ist schon sehr beeindruckend. Wong konnte zur Zeit von „Die Rache der gelben Teufel“ bereits auf eine lange Filmkarriere zurückblicken, in deren Laufe er es auch schon mal mit Bruce Lee als Gegner zu tun bekam (in „Sein letzter Kampf“). Seine Partner in diesem Film sind Yuen-Man Meng, der leider nur eine kurze Karriere hatte, nachdem ihm 1982 ein Herzinfarkt zum Rücktritt zwang, sowie Ching Siu-tung. Letzterer ist hier auch für die Kampfchoreographie zuständig und heute eher bekannt als einer der wichtigsten Regisseure Hongkongs Ende der 80er/Anfang der 90er – als eine neue Welle von Filmen aus Hongkong noch einmal die ganze Welt eroberten. U.a. die von Ching Siu-tung in Co-Regie, bzw. später im Alleingang inszenierten Filme der „A Chinese Ghost Story“-Reihe oder der „Swordsman“-Filme mit Brigitte Lin. Später verlegte er sich wieder auf Action Choreographie und war international gefragt. Gerade Ching Siu-tungs Action Choreographie in „Rache der gelben Teufel“ macht den Film sehenswert, denn sie ist schnell, ideenreich und in ihrer Akrobatik oftmals bewundernswert. Gerade der über 10-minütige Schlusskampf ist völlig unglaublich.

Dem Gegenüber steht allerdings ein Drehbuch, welches an keiner wirklich mitreißenden Story interessiert ist. Stattdessen werden Episoden aneinandergereiht. Darunter eine mit einem „Beggar So“-Verschnitt, der den beiden „Helden“ Kung Fu beibringen soll, was allerdings nicht von langer Dauer ist. Die Szenen sind natürlich vom Jackie-Chan-Erfolg „Drunken Master“ inspiriert. Allerdings in dieser Version sehr platt und für die eigentliche Handlung, wie so viele andere Episoden auch, ohne großen Belang. Was schade ist, denn hätte man sich auf diese etwas mehr mehr konzentriert und die extremen Albernheiten ein wenig zurückgefahren, dann hätte der Film vielleicht gewinnen können. Denn mit Yen Shi-Kwan hat man einen gestandenen Schurken mit an Bord, der die ganze Sache auch ernst nimmt und einen wahrhaft skrupellosen und fiesen Charakter offenbart. Einmal kämpft er gegen Eddie Ko. Wobei auch dies einfach so in den Film und große Erklärung rein geworfen wird und ebenfalls nichts zur Entwicklung der Story beträgt. Aber der Kampf ist eben ganz hübsch. Ansonsten braucht man aber schon starke Nerven, um die hysterische und dabei nicht wirklich lustige Comedy durchzustehen. Schade.

Die Bildqualität der DVD ist nicht wirklich gut. Es sieht aus, wie eine VHS-Kopie. Voller Artefakte und Abnutzungserscheinungen. Zudem scheint das Format nicht ganz zu stimmen. Schaut man nach links und rechts, wirkt es, als ob es breiter sein müsste. Teilweise werden Lücken mit sehr schlechten Material, wie von einer uralten Hongkong-VHS aufgefüllt. Interessanterweise haben diese dann aber die deutsche Synchro. Der Ton ist auch nicht optimal, aber anhörbar. Der Film wird immer wieder (zu recht!) für seine Kampfszenen hoch gelobt. Von daher ist es okay, dass filmArt ihn auch in dieser schlechten Verfassung herausbringt, damit man ihn hierzulande überhaupt zu Gesicht bekommt. Extras gibt es keine nennenswerten.

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