Blu-ray-Rezension: „Five Fingers for Marseilles“

Die „Five Fingers“ sind eine Bande von halbwüchsigen, die in der kleinen Stadt Marseilles, irgendwo in den Weiten Südafrikas, mit Steinschleudern gegen die korrupte weiße Polizei antreten. Als die Polizei das Mädchen Lerato entführen, greift Tau, genannt „Der Löwe“, zu einer echten Waffe und erschießt zwei Polizisten. Tau flieht, schlägt das Leben eines Kriminellen ein und landet im Knast, aus dem er 20 Jahre nach der Tat entlassen wird. Tau (Vuyo Dabula) macht sich unerkannt auf den Weg zurück in seine Heimatstadt, wo er feststellen muss, dass sich nicht nur die Zeiten, sondern auch seine ehemaligen Freunde geändert haben. Zudem wird die Stadt durch den unheimlichen Gangsterboss Sepoko (Hamilton Dhlamini), bedroht….

Südafrika kennt man nicht unbedingt als Filmland. Zwar gibt es unzählige Co-Produktionen, zumeist im B-Filmbereich, wo die beeindruckende Kulisse des Landes genutzt wird, doch eigenständige Produktionen finden so gut wie nie den Weg in unsere Gefilde. „Five Fingers for Marseilles“ ist nun tatsächlich dank des großartigen Drop-Out-Verleihs auch in ausgewählten deutschen Kinos gestartet und jetzt auf Blu-ray erhältlich. Der Cast besteht fast ausschließlich aus farbigen Schauspielern und nimmt gleich zu Beginn Bezug auf die Geschichte Südafrikas mit seinem unsäglichen Apartheitssystem. Zwei weiße Polizisten machen Halt in dem kleinen Dorf Marseilles, um hier von den einheimischen Bewohnern abzukassieren. Die „Five Fingers“, eine Bande von Kindern an der Schwelle zur Pubertät wehren sich mit Steinschleudern gegen das Unrechtssystem. Nach einem Zeitsprung von 20 Jahren (wobei der Film seine Handlung nie konkret zeitlich verortet) hat sich nichts getan. Jetzt ist die korrupte Polizei schwarz – die Armen sind weiterhin die Opfer von Willkür und Gewalt. Ein Blick auf das heutige Südafrika, indem die Apartheid zwar abgeschafft wurde, aber die Probleme nicht beseitigt? Starke Bande, die gegen einen gemeinsamen Feind gekämpft haben, sind auseinander gefallen und bekämpfen sich jetzt gegenseitig. Gute Absichten verkehren sich ins Gegenteil. Wer vorher keine Macht hatte, nimmt sie sich jetzt. Ohne Rücksicht auf die, mit denen man einst zusammen herre Ziele verfolgt hat.

Regisseur Michael Matthews wählt für seinen Debütfilm die Form des Westerns. Und das passt ziemlich gut. Er bleibt vage, was die zeitliche Einordnung der Geschichte angeht. Sie kann in der Gegenwart, vor 10, 20 oder kurz nach Abschaffung der Apartheid vor 25 Jahren spielen. Im Grunde funktioniert sie aber auch Ende des 19, Jahrhunderts, den sie besteht aus klassischen Western-Motiven. Der Fremde der in die Stadt kommt, wo zwei Parteien um die Vormacht streiten (hier die Polizei des Bürgermeisters und die Bande des Verbrecher-Boss, genannt The Ghost). Das erinnert an „Für eine Handvoll Dollar“, ebenso die physische Pein, die der Held erleiden muss und die direkt aus einem Italo-Western stammen können. Die Art und Weise, wie er Verstärkung holt, was wiederum Erinnerungen an „Die glorreichen Sieben“ wachruft – auch wenn man geneigt ist an einen anderen, thematisch ähnlichen Neo-Western, nämlich Robert Rodriguez ‚ „El Mariachi“ bzw. das Remake „Desperado“ denken muss. Man merkt deutlich, dass Matthews seine Vorbilder kennt. Aber „Five Fingers for Marseilles“ verkommt nicht zu einem post-modernen Zitate-Zirkus, sondern nimmt diese Elemente nur, um daraus etwas eigenes zu schaffen, was zwar den Geist des Westerns atmet, dem es aber wichtiger ist, eine Geschichte um den Zerfall von Werten und Freundschaften, um menschliche Gier nach Macht und die Korrumpierbarkeit von schwachen Charakteren zu erzählen.

Michael Matthews verlässt sich ganz auf seine starken Bilder. Auf die Gesichter seiner Schauspieler, die karge, unwirkliche Wüste Südafrikas und die Mythen, die Land und Genre wie Geister durchziehen. Dabei hat er den Mut, dem Zuschauer die vermeidlich unausweichlichen Höhepunkte zu enthalten. Potentielle Showdowns werden schon im Keim erstickt oder beim großen Finale unspektakulär oder aus weiter Distanz abgehandelt. „Five Finger For Marseilles“ kann sich nicht vorwerfen lassen, Gewalt zu glamourisieren – so wie es bei einem Western, der um davon handelt, dass ein Fremder aufräumt und für Gerechtigkeit sorgt, durchaus die Regel ist. Hier ist nichts cool oder stylisch. Kein Kugelhagel in Zeitlupe oder durch-choreographierte Schusswechsel. Am Ende kommt der Film nicht nur wieder bei sich selber an, sondern zitiert auch den göttlichen „Zwei glorreiche Halunken“ (bzw. könnte es auch eines der Heroic Bloodshed-Epen aus Hongkong sein). Doch es ist keine Erlösung, kein Gut gegen Böse, sondern der tragische Schlusspunkt unter dem Verlust von Freundschaft, Werten und Zusammenhalt.

Die Bluray aus dem Hause Donau Film kommt in sehr guter Bildqualität daher. Auch der Ton ist sehr dynamisch und klar. Statt der deutschen Synchronisation sollte man meiner Meinung nach auf den O-Ton zurückgreifen in Bantu-Sprache (Sesotho) vorliegt und dem Film mehr Authentizität verleiht. Die deutschen Untertitel sind auch gut zu lesen. Leider sind die Extras nicht ganz so ergiebig: Es gibt neben Trailern noch drei kurze Featurettes zur Geschichte, Besetzung und Produktion.

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Das Bloggen der Anderen (07-10-19)

Hui, in dieser Woche war es aber sehr, sehr ruhig in der von mir beobachtet Blogger-Landschaft. Das liegt wahrscheinlich am Feiertag mit Brückentag. Da generell die Aktivitäten in den Blogs weniger zu werden scheinen, hier noch einmal der Aufruf: Wenn Ihr interessante, spannende Blogs kennt, die ich bisher noch nicht auf dem Radar hatte, schreibt mir das gerne in die Kommentare. Ich bin hier für Tipps immer dankbar.

Filmlichtung befasst sich in Teil 8 seiner „Spuktakulären Filmmonster“ mit dem Doppelgänger und hat dazu viele Filmbeispiele rausgesucht.

– Rochus Wolff macht sich in seinem Kinderfilmblog Gedanken darüber, ob Horrorfilme grundsätzlich etwas für Kinder sind und hat auch eine (extern verlinkte) Liste mit Filmen parat, die für die jüngeren Zuschauer seiner Meinung nach empfehlenswert sind.

– Oha, der liegt hier auch noch eingepackt. Felix und André Malberg schreiben auf Eskalierende Träume unter dem Motto 100 deutsche Lieblingsfilme über Schlöndorffs „Mord und Totschlag“ von 1967.

– Oliver Nöding hat auf Remember It For Later einige Tipps parat. Zumindest waren mir die Filme „Honeymoon“ und „Hounds of Love“ bisher vollkommen unbekannt.

– So sehr Schlombies Filmbesprechungen George A. Romeros vierter Zombie-Film „Land oft he Dead“ gefallen hat, mit dem sechsten Eintrag „Survival of the Dead“ hat er doch ziemliche Probleme.

– Normalerweise verlinke ich Reviews erst ab einer bestimmten Länge, aber da hier diese Woche eh kaum was los ist und es immerhin um einen Film von Béla Tarr geht, weise ich mal auf die „Verdammnis“-Besprechung im Tagebuch der Eule.

– Ach, süsse Erinnerungen. Den ziemlich abgedrehten „Kung Fu Hustle“ habe ich – glaube ich – mal auf dem Fantasy Filmfest gesehen und fand ihn damals so toll, dass ich mir gleich die DVD aus dem asiatischen Ausland bestellt hatte. Habe ich aber seitdem – glaube ich – nicht wieder gesehen. Totalschaden von Splattertrash frischt mein Gedächtnis auf.

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Bericht vom 26. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 3

Der letzte Tag in Oldenburg. Wieder mit Stefan, der diesmal die Fahrerdienste übernahm. Den letzten Tag finde ich immer am Schönsten, da hier immer eine sehr entspannte Atmosphäre herrscht, die Kinos nicht mehr so voll sind und man selber den Tag quasi als „Absacker“ mitnimmt. Nachteil: Oftmals sind schon viele Gäste abgereist. Aber irgendwas ist ja immer. Sehr positiv fiel mir auch auf, dass an diesem Tag der organisatorische Ablauf wie am Schnürchen klappte. Lag es daran, dass offensichtlich einige alte Hasen dafür zuständig waren, deren Gesichter man aus den Vorjahren schon kannte? Oder daran, dass alle abends nach knapp einer Woche Festival pünktlich Feierabend machen wollten? Egal. Auf jeden Fall: Sehr angenehm.

The Gasoline Thieves – Der intensive „The Gasoline Thieves“ führt den Zuschauer nach Mexiko. Aber nicht in die Großstadt, sondern in eine kleine Stadt irgendwo in der Ödnis. Erzählt wird die Geschichte des 14-jährigen Lalo. Dieser geht vormittags in die Schule und verkauft nachmittags gestohlenes Benzin. Dieses stammt aus den endlosen Pipelines, die durch Mexikos Erde laufen und nachts von den „Gasoline Thieves“ angebohrt werden. Dass dies Geschäft ein sehr gefährliches ist, in dem tödliche Konkurrenz herrscht und man sein Leben riskiert, erfährt man beim brutalen Auftakt gleich am Anfang.

Lalo hat nur davon gehört, weiß aber nicht worauf er sich eigentlich einlässt, als er sich einer Bande von „Gasoline Thieves“ anschließt. Grund dafür ist einerseits, dass er Geld braucht, damit er einem Mädchen aus seiner Schule Weiterlesen

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Bericht vom 26. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 2

Am Samstag machte ich mich erst einmal alleine nach Oldenburg auf. Da ich am Vortag schon alle Karten für die drei Tage besorgt hatte, war das auch alles herrlich entspannend. Erst einmal einen Kaffee und Proviant in der Kulturetage geholt, dann ins cineK Muvi. Das kleinste Festivalkino, und wie ich finde, das gemütlichste. An diesem Tag war ich zweimal dort, was mich sehr freute.

Tito – Tito, ein junger Mann mit Agoraphobie lebt in einem Haus irgendwo in einem Vorort. Eines morgens sitzt sein gutgelaunter Nachbar bei ihm in der Küche und bereit ihm ein Frühstück. Er habe gemerkt, dass Tito nicht so gut drauf sei und wolle ihn aufheitern. Bald schon weicht der Nachbar Tito nicht mehr von der Seite und quartiert sich in seinem Haus ein. Tito macht Weiterlesen

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Bericht vom 26. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 1

Oldenburg, Oldenburg, Oldenburg. Jedes Jahr freue ich mich schon lange auf diese Zeit im Jahr, in der ich endlich einmal für drei Tage komplett im Kino abtauchen kann. Mittlerweile hat man auch eine große Routine entwickelt, was man machen sollte (nimm die Filme, die Du gleich kriegen kannst) und was nicht (darauf spekulieren, dass es an der Abendkasse noch ein Restkontingent gibt). Man weiß, was einen erwartet (vor dem ersten Film gut essen, danach hat man dazu keine Zeit mehr) und wie die besten Laufwege von Kino zu Kino sind.

Das Festivalzentrum war diesmal in der Innenstadt in einem Bereich, wo ich bisher noch nie war. Und auch die drei Tage nicht mehr hinkommen sollte, da er doch sehr weit ab von allen Abspielstätten liegt. Habe ich die letzten Jahre noch gedacht, dass Möbelhaus beim Pferdemarkt wäre etwas unglücklich gewählt, so muss ich dieses Jahr sagen, das war noch Gold (weil zumindest in der Nähe von Exerzierhalle und Casablanca) gegen die diesjährige Location. Aber gut, ich bewege mich meistens eh nur in der Bahnhofstr. und da ist das dann eigentlich auch egal. Nur manchmal seufzte ich innerlich, wenn ich daran denke, wie toll die Zeiten waren, als das Zentrum noch in der Kulturetage war, man Zeit hatte zum Verweilen und spannende Leute traf.

Am Freitag ging es für mich im Theaterhof los. Und gleich gab es eine gehörige Verzögerung. Etwas, was sich leider durch die ersten beiden Tage ziehen sollte. Die Türen wurden zu spät geöffnet, dann mussten erst noch die Abstimmkarten ausgelegt werden (was der Regisseur des ersten Filmes dann auch gleich persönlich übernahm) und schließlich begann der Film mit einer ziemlichen Verspätung.

Cuck – Der fast 30jährige Ronnie lebt noch immer bei seiner kranken Mutter. Er hält sich mit kleinen Jobs über Wasser, wenn er nicht gerade vor dem Rechner hockt oder in der Uniform seines verstorbenen Vaters den großen Mann spielt. Ronnies Leben ist ziemlich im Arsch. Er ist zutiefst frustriert, bekommt Weiterlesen

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Blu-ray Rezension: „Kosmokiller – Sie fressen alles“

Nachdem ein Meteor auf die Erde gekracht ist, entsteigt diesem eine fremde Lebensform, die sofort zwei Camper tötet. Danach versteckt es sich im Keller des abgelegenen Hauses von Sam (James Brewster) und Barb (Elissa Neil), die der außerirdischen Lebensform schnell zum Opfer fallen. Unbemerkt von ihren Kindern, dem Studenten Pete (Tom DeFranco) und seinem jüngerem Bruder Charles (Charles George Hildebrandt), einem großen Monster-Fan, und Tante Millie (Ethel Michelson) und Onkel Herb (John Schmerling), die gerade zu Besuch sind. Bald schauen auch noch Petes Klassenkameraden Ellen (Jean Tafler), Frankie (Richard Lee Porter), und Kathy (Karen Tighe) vorbei. Viel Futter für die gefräßigen „Kosmokiller“…

Die Low-Budget-Produktion „Kosmokiller – Sie fressen alles“ besitzt einen gewissen Kultfaktor und dies durchaus zu recht. Wieder einmal läuft eine Alien-Invasion aus Kostengründen in einem Haus irgendwo in der Pampa ab. Das kennt man ja schon aus Filmen wie dem Ultra-Low-Budget-Film „Ausgeburt der Hölle“ (Review übrigens hier). Wenn man als Schauplatz nur ein Haus und eine sehr überschaubare Anzahl von No-Name-Darstellern hat, dann spart das Geld, welches gut für andere Dinge ausgeben werden kann. In diesem Fall für die wirklich beeindruckenden und wundervollen Kreaturen. Die „Kosmokiller“ des deutschen Titels (im Original lautet er „The Deadly Spawn“ bzw. „The Return of the Alien’s Deadly Spawn“) gehören eindeutig zu den Höhepunkten des Grindhousekinos und wirken mit ihren unzähligen Zahnreihen und wurmgleichen, und trotzdem auch tatsächlich Gigers Alien nicht unähnlichem, Aussehen nicht nur sehr liebevoll gestaltet, sondern in der Tat recht bedrohlich..

Die Handlung beginnt wie einst „Der Blob“ – welcher hier vielleicht neben zahlreichen anderen Vorbildern ebenfalls Pate stand – mit zwei Campern, die beobachten, wie ein Meteorit zur Erde stürzt und dann bei der Untersuchung des außerirdischen Gesteins ein blutiges Ende finden. Daraufhin verlagert sich das Geschehen in das scheinbar sehr einsam gelegene Haus einer Familie, in dessen Keller die außerirdische Lebensform ihr Nest gebaut hat. Von dort aus fangen die Kosmokiller an ihre Opfer zu suchen, die überraschend blutig von dem Mutterwesen (?) zerkaut werden. Diese eine Location wird dann auch nicht mehr verlassen, abgesehen von einem Ausflug in das geräumige Wohnzimmer einer älteren Dame, wo die Kosmokiller gleich wieder anfangen zu wüten. Dass diese Szene aber tatsächlich irgendwo anders als im altbekannten Haus der Familie gedreht wurden, darf bezweifelt werden. Regisseur Douglas McKeown weiß aber sehr gut mit seinen knappen Ressourcen umzugehen und diese zielgerichtet einzusetzen. Was wieder einmal beweist, dass man nicht viel Geld zur Hand, sondern gute Ideen im Kopf haben muss.

Und die hat er. Zwar strotzt das Drehbuch von Klischees, aber das erwartet man ja auch irgendwie. Hier und dort wird ein kleiner Twist eingebaut, wobei die größte Überraschung einfach der Tatsache geschuldet war, dass eine Schauspielerin nicht mehr zur Verfügung stand und daher schnell aus der Handlung entsorgt werden musste. Ansonsten wird ordentlich Tempo gemacht und die Hauptattraktion des Films, die fiesen Kosmokiller, in den Vordergrund gerückt. Die Darsteller sind allesamt Unbekannte, die bis auf ihren Auftritt in „Kosmokiller“ nicht größer in Erscheinung getreten sind. Vermutlich stammen sie alle aus dem Bekanntenkreis der Macher hinter dem Film. Dafür machen sie ihre Sache sehr gut, auch wenn Tom DeFranco als Pete deutlich zu alt für seine Rolle ist, was ihr aber einen merkwürdigen Dreh gibt, wenn diese junge Mann, der offensichtlich Mitte Zwanzig ist, sich noch immer wie ein Teenager benimmt und Zuhause wohnt. Auch Charles George Hildebrandt als der kleine Charles macht seine Sache sehr gut. Bei Kinderdarstellern besteht ja immer die Gefahr, dass sie nervig sind. Hildebrandt spielt seine Rolle aber sehr gradlinig. Er verkörpert das Alter Ego des Regisseurs, der wohl ebenfalls in jungen Jahren von Horrorfilmen und selbst gebastelten Masken und Effekten fasziniert war. Mit dieser Obsession und den Streichen, die er damit anderen spielt, erinnert stark an eine Blaupause für den kleinen Tommy Jarvis aus dem ein Jahr später entstandenen „Freitag, der 13. Teil 4 – Das letzte Kapitel„.

Wo das Geld knapp ist, muss man dies kreativ kaschieren. Douglas McKeown hat mit Harvey M. Birnbaum einen guten Kameramann an seiner Seite, der überraschenderweise nur bei „Kosmokiller“ irgendwie in Erscheinung trat. Zumindest in dieser Film sein einziger IMDb-Eintrag. In dem ausgesprochen empfehlenswerten Buch „Nightmare USA“ von Stephen Thrower über den US-Independent-Horrorfilm behauptet McKeown in einem Interview, Birnbaum wäre kaum am Set gewesen und die meiste Kameraarbeit habe er zunächst selber erledigt. Bis er von den Produzenten des Filmes wegen Unstimmigkeiten gefeuert wurde und der Schöpfer der Kosmokiller-Effekte – und gleichzeitiger Co-Produzent – John Dods selber das Ruder übernahm, um noch weitere Szenen mit den Kosmokillern zu drehen). Auch der schöne 80er Jahre Synthie-B-Horror-Score gefällt und wurde von drei Jungs beigesteuert, von denen nur einer Michael Perilstein, danach im Filmgeschäft blieb und noch Scores zu ähnlich gelagerten Werken komponierte. Wahrscheinlich war dieser Film für alle Beteiligten ein großer Wochenendspaß, was sich durchaus auf den Zuschauer überträgt und diesen kleinen Film so sympathisch macht. Und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass „Kosmokiller“ auch andere Filme in den 80ern beeinflusst hat. Sieht das Hauptalien nicht verdächtig so aus, wie Audrey II aus „Der kleine Horrorladen“? Und erinnert die Handlung nicht stark an den viel geliebten „Critters“? Wer ein Herz für B-Horrorware aus den 80ern hat, der sollte „Kosmokiller“ zumindest einmal gesehen haben.

Die Blu-ray von CMV ist gelungen. Das Bild ist völlig in Ordnung und erinnert daran, dass man es hier mit keiner Hochglanz-Hollywood-Produktion,sondern einem kleinen, billigen Independent-Film aus den frühen 80ern zu tun hat. Der Ton ist auch gut und die deutsche Synchro wartet mit bekannten Sprechern auf. An Extras findet man auf der Blu-ray eine Widescreen-Fassung in 16:9 anamorph, den Audiokommentar von Produzent Ted A. Bohus und Editor Marc Harwood, das Featurette „Visit with the Deadly Spawn“, einen alternativen Anfang, Behind-the-scenes- und Probeaufnahmen, ein Prequel-Comic, sowie den Original Trailer, einen TV-Spot und eine Bildgalerie.

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Das Bloggen der Anderen (30-09-19)

Nachdem sich meine schöpferische Pause jetzt fast einen Monat hingezogen hat, wird nun wieder kräftig in die Tasten gehauen. Einiges liegt schon länger auf der Festplatte, anderes wird frisch geschrieben. Ganz frisch ist naturgemäß das „Bloggen der Anderen“. Und da kam es mir gut zupass, dass in der letzten Woche nicht besonders viel los war. Man will es ja auch nicht gleich mit der Arbeit übertreiben…

– Andreas Köhnemann hat sich auf kino-zeit.de Gedanken gemacht, wie Hollywood über Sex sprach, als es nicht darüber sprechen durfte.

– Dazu passend schreibt Lukas Foerster auf seinem Blog Dirty Laundry über den erotischen Reiz von Silhouetten.

– Sebastian stellt auf Das Magazin des Glücks die frühen Filme von Jiří Menzel vor.

„Vase de Noces“ ist der vielleicht bekannteste (und berüchtigtste Film) des Belgischen Filmkünstlers Thierry Zeno. Sebastian Schwittay stellt auf odd & excluded den Film und seinen Macher ausführlich vor.

– Ich freue mich ja schon sehr auf Robert Eggers neuen Film „Der Leuchtturm“ (auch, weil Leuchttürme auf mich eine unheimliche Faszination ausüben). Oliver Armknechts Besprechung auf film-rezensionen.de befeuert dies nur.

– „Horror für Halloween“ gibt es auf Die Nacht der lebenden Texte. Und das gleich mit zwei Filmen, die mir sehr ans Herz gewachsen sind: Terence Fisher „Ohne-Christopher-Lee“-Dracula-Fortsetzung „Dracula und sein Bräute“ und Jean Rollins „Dienerinnen des Satans“ (zwar ohne Leuchtturm, dafür mit vielen Szenen am nächtlichen, von Leuchtfeuern erhellten Strand) .

– Noch so ein Film, der mich schon seit drei Jahrzehnten (ja,ja) auf meinem Lebensweg begleitet und noch immer bezaubern kann: Stuart Gordons Lovecraft-Verfilmung „From Beyond“. Filmlichtung hat einen längeren Text über den Film verfasst.

– An dieser Stelle als allererstes Vorweg: Alles Gute zum heutigen Geburtstag „Schlombie“! Und der Hinweis auf seine Besprechungen der tollen „Toxic Avenger“-Teile Eins und Zwei. Natürlich auf Schlombies Filmbesprechungen.

– Oliver Nöding hat Karyn Kusamas (deren unheimlich spannenden „The Invitiation“ ich erst kürzlich die Freude hatte, sehen zu können) „Destroyer“ gesehen und auf Remember It For Later für gut befunden. Auch wenn ihn das Gewese um Nicole Kidmans „Mut zur Hässlichkeit“ auf die Nerven ging und ihn fast vom Film abgelenkt hätte. Überrascht war ich, als ich lass, dass „American Made“ für ihn ein Highlight seines persönlichen Filmjahres 2019 und ganz sicher einer der besten US-Filme der letzten Dekade. Sei. Gut, dann muss ich mir den wohl doch mal besorgen.

– Totalschaden von Splattertrash hat sehr wohlwollende Worte für Gérard Ourys Belmondo-Film „As der Asse“, den ich bei der Erstsichtung ja ziemlich anstrengend fand.

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DVD-Rezension: „Leuchtturm des Chaos & Der Havarist“

Sterling Hayden kennen die meisten Menschen lediglich als Hollywood-Star. Keiner von den ganz großen Namen, aber einer der einem immer wieder begegnet und welcher Hauptrollen bei Kubrick („Die Rechnung ging nicht auf“, „Dr. Seltsam“), Ray („Johnny Guitar“) und Houston („Asphalt Dschungel“) spielte. Doch das ist nur eine Facette eines Lebens, welches so unglaublich ist, dass es wirkt wie ausgedacht. Mit 15 Jahren fährt er zur See, wird Fischer, umsegelt die Welt, mit 22 ist er bereits Kapitän. Als sein Schiff in einem Sturm sinkt, geht er nach Hollywood, wo er der 1,93m große, attraktive blonde Mann sofort einen Vertrag und erste Filmrollen bekommt. Hayden bricht den Vertrag dann, um im zweiten Weltkrieg bei den Marines anzuheuern und zum Fallschirmjäger ausgebildet zu werden. Er organisiert im Mittelmeer eine Schmuggel-Flotte, die Titos Partisanen in Jugoslawien mit Waffen versorgt. Wieder zurück in Hollywood tritt er 1946 kurzzeitig der kommunistischen Partei bei, die er aber schon bald enttäuscht verlässt, weil im da zu viel geredet und zu wenig getan wird. Aufgrund seiner Mitgliedschaft landet er aber Anfang der 50er vor McCarthys Komitee für unamerikanische Umtriebe. Um sich und seine Karriere zu schützen denunziert er Kollegen, was ihm die Anerkennung von Hardliner wie Nixon und Reagan einbringt und seine Karriere kräftig ankurbelt. Scheinbar soll er für seinen Verrat belohnt werden. Hayden zerbricht aber an seinen Schuldgefühlen, zieht sich in den 60ern zurück auf See, schreibt erst ein autobiographisches Buch namens „Wanderer“, dann einen Seefahrerroman namens „Voyage“. Er tritt für die Bürgerrechtsbewegung ein und spricht auf Kundgebungen. Erst Ende der 60er kehrt er ins Filmgeschäft zurück und nimmt Nebenrollen in Filmen wie Altmans „Der Tod kennt keine Wiederkehr“ und Coppolas „Der Pate“ an. Sein Fernweh ist dadurch aber nicht gestillt. Er kauft sich 1969 in den Niederlanden eine Kanalschute, die er vier Jahre später nach Paris überführte, wo er zeitweilig auf ihr lebt. Auch später wird es ihn immer wieder nach Europa ziehen, wo er sich eine Auszeit von Hollywood nimmt und auf der Schute, die er „Pharos of Chaos“ nennt, die Binnengewässer Frankreichs befährt.

Dort spürten ihn die Dokumentarfilmer Wolf-Eckhart Bühler und Manfred Blank 1983 im Hafen von Besançon auf. Fünf Tagen lang sitzt Sterling Hayden vor der Kamera von Bernd Fiedler und erzählt sein Leben. Dabei säuft er, raucht Haschisch und macht generell nicht den Eindruck, als wäre der scheinbar jahrelange Alkoholmissbrauch spurlos an ihm vorbei gegangen. Die weißen Haare stehen wirr vom Kopf ab, der ungepflegte Rauschebart erinnert an Hemingway. Er trägt einfache Kleidung und läuft immer barfuß. Oftmals zucken seine Hände plötzlich in die Höhe, verrenken sich scheinbar unkontrolliert. Der Blick schweift ins Leere oder zu den anwesenden Filmemachern, die aber fast immer außerhalb des Bildes bleiben, was dem Blick etwas suchendes, verzweifeltes verleiht. Hayden spricht mit kräftiger, tiefer Stimme. Mal laut, dann wieder leise. Er macht lange, irritierende Kunstpausen. Am meisten verwirrt einen aber seine Angewohnheit seine Sätze mit einem fragenden „hmmm?“ zu beenden. So als suche er Bestätigung für das gerade Gesagte oder will sich absichern, dass sein unsichtbares Gegenüber ihn auch verstanden hat. Manchmal fängt er an, wegen eines Wortes wie „piss“ hysterisch zu lachen bis ihm die Luft wegbleibt.

Zunächst fühlt man sich etwas unwohl beim Anblick dieses offensichtlichen Alkoholikers, der sich im Rausch um Kopf und Kragen redet. Den man schlafend in seiner Kajüte liegen lässt, nachdem er am Vorabend im Vollrausch fast ertrunken wäre. Der offensichtlich die Anwesenheit der Filmemacher und die Möglichkeit von der See, seiner Schriftstellerei und seiner Sicht auf die Welt zu erzählen genießt, und dabei nicht merkt, dass er sich nicht unbedingt in einem präsentablen Zustand befindet. Ein Eindruck, der dadurch bestärkt wird, dass Bühler und Blank die Kamera weiterlaufen lassen, wenn das Interview stockt oder Hayden sich wiederholt und dieses „Schnittmaterial“ letztendlich im Film belassen. Wie die der Film anders ausgesehen und gewirkt hätte, sieht man an dem 45-minütigen Film „Vor Anker, Land unter“ (ebenfalls in diesder Edition enthalten), bei dem genau diese irritierenden Momente herausgeschnitten wurden und Hayden dadurch einen sehr viel „seriöseren“ Eindruck macht. Wodurch „Vor Anker, Land unter“ als Dokumentation aber auch glatter und dadurch auch beliebiger wirkt. Trotz oder gerade wegen des zeitweise Leerlaufs und Haydens immer wieder abbrechenden, dann wieder neu aufgenommenen, aber in andere Richtungen laufenden Gedankengängen, entwickelt „Leuchtturm des Chaos“ einen Sog, der einen in die ganze Interview-Situation hereinzieht. Bald schon glaubt man selbst, dem trotz allem höchst charismatischen Hayden auf seinem Boot gegenüber zu sitzen. Und gerade aufgrund der Unberechenbarkeit des Materials hängt man an seinen Lippen und lauscht gebannt.

Nach 75 Minuten kommt „Leuchttum des Chaos“ dann zu dem Punkt, der Bühler und Blank scheinbar von Beginn an besonders interessiert hat und der erklärt, welche Dämonen Hayden jagen, und ihn zu dem gemacht haben, was er ist. Seine Aussage vor dem Komitee und sein Verrat an den Freunden und Kollegen, welcher diesen Berufsverbot und den Verlust der Lebensgrundlage eingebracht haben. Der ihm aber eine – im Nachhinein verhasste – Hollywoodkarriere ermöglichte. „I was a shit“ sagt Hayden. Man merkt mit jedem Wort, wie sehr er sich dafür hasst, neben den Kollegen auch seine Ideale verraten zu haben. Wie ihn sein Verrat noch immer beschäftigt und innerlich zerstört. Von da an wird das Gespräch ernster, persönlicher. Hayden spricht nun offen über Depression, Einsamkeit und Selbstmordgedanken. Etwas, was er am Anfang des Gespräches noch machohaft beiseite gewischt hat.

Dieser Einschnitt in Haydens Leben, die Aussage vor dem Komitee, bildet auch das Zentrum von Bühlers zweiten Sterling-Hayden-Film „Der Harvarist“, den er nach Haydens autobiographischen Roman „Wanderer“ inszenierte. 25 Jahre vor Todd Haynes Bob-Dylan-Biographie „I’m Not There“ lässt er Hayden von drei sehr unterschiedlichen Schauspielern verkörpern. Rüdiger Vogler übernimmt die Rolle des jüngeren Hayden, der in die Kommunistische Partei eintritt, Burkhard Driest den Hayden, der vor dem Komitee aussagt und Liedermacher Hannes Wader den älteren, zurückblickenden Hayden. Begleitet wird dies von einem von Konstantin Wecker komponierten Score, welcher gleich zu Beginn wie aus einem französischen Polizeithriller der 80er Jahre wirkt.

Leider erreicht „Der Harvarist“ zu keinem Zeitpunkt die Wirkung, die „Leuchtturm des Chaos“ entwickeln konnte. „Der Havarist“ wirkt kühl, distanziert. Mehr ein artifizielles Kunstprojekt als ein emotionales Drama. Keine Spur der beeindruckenden Persönlichkeit Haydens. Die drei Darsteller wirken emotionslos, sagen ihre Texte mehr auf, als dass sie sie leben. Das wirkt dann wie stilisiertes Theater, nicht Kino und lässt ein leicht gelangweilt zurück. Zwar muss man Bühler zugute Halten, dass er immer wieder filmische Mittel sucht, wie lange Tracking-Shots, ungewöhnliche Zwischenschnitte oder Verfremdungen. Aber diese ergeben sich nicht zwingend, sondern wirken eher wie ein „Hier probiere ich mal was aus“. Dass die in Amerika spielende „Handlung“ komplett und offensichtlich an typisch deutschen Orten gedreht wurde, soll möglicherweise das Universelle an Haydens Geschichte betonen, wirkt aber eher so, als wäre für etwas anders kein Geld übrig gewesen. Selbiges gilt für die Szenen vor dem Komitee, die in einem kargen Konferenzraum gedreht wurden und sich bewusst keinerlei Mühe geben, die reale Situation von damals zu rekonstruieren. Darauf kommt es Bühler auch gar nicht an, trotzdem bewirken diese Verfremdungseffekte eine weitere Distanz zur Person Hayden, was den Film zu einem eher theoretischen Kopfprodukt macht, dem genau das fehlt, was „Leuchtturm des Chaos“ so besonders und unmittelbar gemacht hat: Das Herz.

Wie gewohnt hat die Edition Filmmuseum hier wieder ein perfektes DVD-Paket geschnürt, welches kaum Wünsche offen lässt. Neben Bühlers beiden Hayden-Filmen „Leuchtturm des Chaos“ und „Der Havarist“ ist noch der 45-minütige Fernsehfilm „Vor Anker, Land unter“ enthalten, der ein Jahr vor „Leuchtturm des Chaos“ entstand und quasi die TV-taugliche, glattere TV-Version des „Leuchtutms“ darstellt enthalten. Ferner gibt es ein 16-seitiges Booklet mit 16-seitiges zweisprachiges Booklet mit weiterführenden Texten von Alf Mayer und Wolf-Eckart Bühler, sowie einen 5-minütigen alternativen Filmanfang zu „Der Havarist“. Das Bild der DVD (in 1:1,33) ist in Ordnung und von der Qualität, die man bei einer fast 40-jährigen TV-Dokumentation erwartet. Nicht besser, aber auch nicht schlechter. Der Ton ist gut verständlich. Insgesamt eine sehr schöne Edition.

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„35 Millimeter“-Magazin: Ausgabe 34 erhältlich

Bevor demnächst schon die Nummer 35 erscheint, wollte ich noch schnell auf die aktuelle Ausgabe des „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ hinweisen. In der Nummer 34 geht es im Titelthema um die Filme aus den Columbia-Studios.

Ich habe mir eine etwas ausgedehntere Pause gegönnt und mich diesmal auf ein-zwei DVD-Reviews beschränkt, sowie ein wenig was zum Bericht über unsere Jubiläumsfeier in Magdeburg beigetragen (was auch bedeutet, dass man in diesem Heft schon wieder irgendwo meinen Kopf auftauchen sieht).

Die Kollegen waren da sehr viel fleißiger und haben eine hochspannendes Heft prdoduziert, in dem für jeden etwas zu finden ist. Wobei man sagen muss: Wenn man sich für den Film Noir interessiert, ist die Ausgabe 34 ganz besonders ergiebig.

Hier das Inhaltsverzeichnis der aktuellen Ausgabe:

Heft #34 kann man HIER für € 4,50 zzgl. Versand beziehen.

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Blu-ray-Rezension: „E Tanta Paura – Magnum 45“

Eine geheimnisvolle Mordserie hält Kommissar Lomenzo (Michele Placido) auf Trab. Der Täter hinterlässt bei seinen Opfer immer eine Seite aus dem „Struwwelpeter“. Durch seine attraktive Nachbarin Jeanne (Corinne Cléry) kommt Lomenzo auf eine heiße Spur, die ihn zur verlassenen Villa Hoffmann führt. Aber auch der undurchsichtige Chef einer mächtigen Detektei (Eli Wallach) scheint mehr über die Morde zu wissen, als er sollte. Scheinbar hängt alles mit einem Todesfall zusammen, der sich im elitären Kreis des „Clubs der Tierliebhaber“ in der Villa Hoffmann zu trug… .

Magnum 45“ ist natürlich ein ziemlich unsinniger Name für diesen ungewöhnlichen Giallo. Das Cover der deutschen VHS verspricht Polizei-Action mit Motorrädern und großen Knarren. Doch „Und so viel Angst“, wie der italienische Titel übersetzt heißt, ist ein ganz anderer Film, als die damalige Werbung glauben machen wollte. Er ist in der Tat aber auch ein ganz anderer Film, als man erwarten würde, wenn man weiß, dass es sich hier um einen Giallo/Poliziottesco-Hybriden handelt. Zwar weist er Elemente sowohl des Giallos (den unheimlichen Mörder, der bei seinen in genau choreographierten, grafischen Szene dahin gemeuchelten Opfern eine Visitenkarte in Form von Seiten aus dem „Struwwelpeter“ hinterlässt) als auch des Poliziottesco (der Kommissar, welcher sich plötzlich in einer Intrige der Mächtigen wiederfindet), doch Regisseur Paolo Cavara hat anderes im Sinn.

Bereits mit seinem ersten Giallo „Der schwarze Leib der Tarantel“ hatte er sein subversives Spiel mit Genrekonventionen betrieben. In beiden Filme wird untypischerweise der Kommissar und sein Liebesleben in den Vordergrund gerückt. In beiden Filmen wird der Kommissar von einem Schauspieler verkörpert, der – zumindest bis dahin – kein bekanntes Gesicht im Genrekino ist. In „Der schwarze Leib der Tarantel“ ist es Lina Wertmüllers Stammschauspieler Giancarlo Giannini, hier ein blutjunger und unverschämt gut aussehender Michele Placido. Placido wurde erst Mitte der 80er mit „Allein gegen die Mafia“ zum internationalen Star. Giannini und Placido verbindet darüber hinaus ein leicht melancholischer Blick. In beiden Filmen rückt Paolo Cavara auch immer wieder fremdartig wirkende Architektur in den Fokus, wenn auch im Falle von „Magnum 45“ weniger offensiv. Die Welt beider Filme wirkt irreal und hermetisch abgeschlossen. Cavara kreiert hier sein ganz eigenes Universum, welches nicht nach „normalen“ Standards funktioniert. Szenen führen ins Nichts, zwischen allen Figuren scheinen unsichtbare Fäden gesponnen zu sein, Logik wird gar nicht erst versucht vorzutäuschen und Zufälle werden einfach nicht thematisiert, sondern als Fakt vorausgesetzt.

Ein Beispiel hierfür ist die Figur der Jeanne. Eigentlich ist sie nur eine Nachbarin des Kommissars, der er zufällig im Aufzug begegnet und kurz darauf auf einer Party (bei der ihm auch prompt die Freundin von einem Modefotografen ausgespannt wird, was er mehr oder weniger mit einem Schulterzucken quittiert). Wenig später fahren sie durch die Gegend, um in der geheimnisvollen Villa Hoffmann zu landen, wo Jeanne Kommissar Lomenzo erzählt, dass sie hier einmal zu Besuch war und seltsame Dinge erlebt hat. Die daraufhin folgende Rückblende erfährt später dann eine erneute, der vorherigen Fassung widersprechende Version. Teilweise fragt man sich, ob Jeanne überhaupt real ist oder ein sexueller Wunschtraum Lomenzos. Denn abgesehen davon, dass sie allen Klischés entspricht (wunderschön, bisexuell, immer willig) spielt sie plötzlich eine wichtige Rolle in seinem Kriminalfall, Sie ist (natürlich) Modell und hat eine lesbische Affäre mit ihrer Kollegin. Was aber für den weiteren Film keine Rolle mehr spielt. Die Versionen ihrer Geschichte ändern sich mit dem Fortschritt der Ermittlungen und sie verschwindet so plötzlich aus der Handlung, wie sie aufgetaucht ist.

Die Auflösung des ganzen Komplotts lässt Cavara ebenfalls in der Schwebe. Zwar wird am Ende plötzlich ein Täter aus dem Hut gezaubert, doch dass er für die Morde verantwortlich war, mag man nicht wirklich glauben. Es ergibt sich kein rundes Bild (was bei Gialli zwar fast immer so ist, aber zumindest wird einem eine endgültige Wahrheit – so abstrus sie auch sein mag – zumindest vorgegaukelt). Hier ist gar nichts sicher. Am Ende bleibt tatsächlich das diffuse Gefühl einer allgegenwärtigen Bedrohung, welches durch die unwirkliche, manchmal traumgleiche Szenerie noch verstärkt wird. Einer Szenerie in der in nebligen Parks verlassene Tierkäfige stehen und Figuren scheinbar willkürlich irgendwo auftauchen und dann wieder verschwinden. Wo es eine grotesk anmutende Orgienszene inklusive Schimpansen und ausgesprochen explizit-bizarre Trickfilm-S/M-Porno-Sequenzen des legendären Gibba gibt. Eine Szenerie, in der „so viel Angst“ vorherrscht.

Für die schöne Fotografie ist ein alter Hase verantwortlich: Franco Di Giacomo, der schon bei „Zwei glorreiche Halunken“ die Kamera führte und für die Bildgestaltung in Argentos „Vier Fliegen auf grauem Samt“ und „Der Postmann“ verantwortlich war. Unter den Darstellern findet man – wie bei „Schwarzer Leib der Tarantel“ – wieder einmal die creme de la creme des europäischen Gernekinos, Wie den immer wieder grandiose John Steiner (in einer leider kleinen Rolle) oder Eli Wallach, der gut 10 Jahre nach „Zwei glorreiche Halunken“ deutlich gealtert Italien besucht. Die bezaubernde Corinne Cléry hat zwar nicht viel zu tun, bereichert den Film mit ihrer Anmut und Jacques Herlin kennt man aus unzähligen Sex-Komödien. Ungewöhnlich ist das kurze Auftauchen eines jungen Tom Skerritt, dessen Figur – ein Kollege des Kommissars – zwar reichlich überflüssig ist und zur Handlung gar nichts beiträgt, der Produktion aber einen weiteren internationalen Namen einbringt (auch wenn sein Durchbruch in „Alien“ erst drei Jahre später erfolgen sollte). Skerritt war im selben Jahr auch in einer kleinen Rolle in Duccio Tessaris Komödie „La Madama“ zu sehen. Dieser Abstecher im Jahre 1976 sollte dann aber auch sein einzige Ausflug nach Bella Italia bleiben.

Die vierte Filmveröffentlichung aus dem Hause Cineploit glänzt zunächst einmal durch eine wirklich schöne Aufmachung. Das Mediabook ist sehr gelungen und enthält ein sehr kluges Essay des ausgewiesenen Italo-Experten Udo Rotenberg, dessen Blog „L’amore in città“ ich hier schon häufiger empfohlen habe. Dieses liegt auf deutsch und englisch vor, was bedeutet, dass mit dieser Veröffentlichung nicht nur in den deutschsprachigen Landesgrenzen, sondern auch international gedacht wird. Das Bild ist in Ordnung und basiert augenscheinlich auf einer HD-Restaurierung, die das italienische Label Raro vorgenommen hat. Der Ton liegt auf Deutsch, Englisch und Italienisch vor. Bei der Italienischen Fassung kann man zwischen festen Deutschen und englischen Untertiteln wählen, wo die deutschen Untertitel an einigen Stellen so schnell auftauchen und wieder verschwinden, als dass man sie ohne Pause-Taste schnell genug lesen könnte. Der englische Ton ist der kräftigste, gefolgt von dem etwas klareren italienischen. Der deutsche Ton ist leider sehr dünn, was daran liegt, dass der Film hier nie im Kino lief und als Quelle die VHS-Kassette eines Klein-Labels dienen musste. Highlight ist ein halbstündiges Interview mit einer sehr lebhaften und bestens aufgelegten Corinne Clery. Ich fand noch das kleine Musik-Special sehr schön, in dem die Gruppe Lawa (hinter der der Label-Chef persönlich steckt), Daniele Patucchis eingängiges Thema sehr druckvoll neu interpretiert.

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