Eine geheimnisvolle Mordserie hält Kommissar Lomenzo (Michele Placido) auf Trab. Der Täter hinterlässt bei seinen Opfer immer eine Seite aus dem „Struwwelpeter“. Durch seine attraktive Nachbarin Jeanne (Corinne Cléry) kommt Lomenzo auf eine heiße Spur, die ihn zur verlassenen Villa Hoffmann führt. Aber auch der undurchsichtige Chef einer mächtigen Detektei (Eli Wallach) scheint mehr über die Morde zu wissen, als er sollte. Scheinbar hängt alles mit einem Todesfall zusammen, der sich im elitären Kreis des „Clubs der Tierliebhaber“ in der Villa Hoffmann zu trug… .
„Magnum 45“ ist natürlich ein ziemlich unsinniger Name für diesen ungewöhnlichen Giallo. Das Cover der deutschen VHS verspricht Polizei-Action mit Motorrädern und großen Knarren. Doch „Und so viel Angst“, wie der italienische Titel übersetzt heißt, ist ein ganz anderer Film, als die damalige Werbung glauben machen wollte. Er ist in der Tat aber auch ein ganz anderer Film, als man erwarten würde, wenn man weiß, dass es sich hier um einen Giallo/Poliziottesco-Hybriden handelt. Zwar weist er Elemente sowohl des Giallos (den unheimlichen Mörder, der bei seinen in genau choreographierten, grafischen Szene dahin gemeuchelten Opfern eine Visitenkarte in Form von Seiten aus dem „Struwwelpeter“ hinterlässt) als auch des Poliziottesco (der Kommissar, welcher sich plötzlich in einer Intrige der Mächtigen wiederfindet), doch Regisseur Paolo Cavara hat anderes im Sinn.
Bereits mit seinem ersten Giallo „Der schwarze Leib der Tarantel“ hatte er sein subversives Spiel mit Genrekonventionen betrieben. In beiden Filme wird untypischerweise der Kommissar und sein Liebesleben in den Vordergrund gerückt. In beiden Filmen wird der Kommissar von einem Schauspieler verkörpert, der – zumindest bis dahin – kein bekanntes Gesicht im Genrekino ist. In „Der schwarze Leib der Tarantel“ ist es Lina Wertmüllers Stammschauspieler Giancarlo Giannini, hier ein blutjunger und unverschämt gut aussehender Michele Placido. Placido wurde erst Mitte der 80er mit „Allein gegen die Mafia“ zum internationalen Star. Giannini und Placido verbindet darüber hinaus ein leicht melancholischer Blick. In beiden Filmen rückt Paolo Cavara auch immer wieder fremdartig wirkende Architektur in den Fokus, wenn auch im Falle von „Magnum 45“ weniger offensiv. Die Welt beider Filme wirkt irreal und hermetisch abgeschlossen. Cavara kreiert hier sein ganz eigenes Universum, welches nicht nach „normalen“ Standards funktioniert. Szenen führen ins Nichts, zwischen allen Figuren scheinen unsichtbare Fäden gesponnen zu sein, Logik wird gar nicht erst versucht vorzutäuschen und Zufälle werden einfach nicht thematisiert, sondern als Fakt vorausgesetzt.
Ein Beispiel hierfür ist die Figur der Jeanne. Eigentlich ist sie nur eine Nachbarin des Kommissars, der er zufällig im Aufzug begegnet und kurz darauf auf einer Party (bei der ihm auch prompt die Freundin von einem Modefotografen ausgespannt wird, was er mehr oder weniger mit einem Schulterzucken quittiert). Wenig später fahren sie durch die Gegend, um in der geheimnisvollen Villa Hoffmann zu landen, wo Jeanne Kommissar Lomenzo erzählt, dass sie hier einmal zu Besuch war und seltsame Dinge erlebt hat. Die daraufhin folgende Rückblende erfährt später dann eine erneute, der vorherigen Fassung widersprechende Version. Teilweise fragt man sich, ob Jeanne überhaupt real ist oder ein sexueller Wunschtraum Lomenzos. Denn abgesehen davon, dass sie allen Klischés entspricht (wunderschön, bisexuell, immer willig) spielt sie plötzlich eine wichtige Rolle in seinem Kriminalfall, Sie ist (natürlich) Modell und hat eine lesbische Affäre mit ihrer Kollegin. Was aber für den weiteren Film keine Rolle mehr spielt. Die Versionen ihrer Geschichte ändern sich mit dem Fortschritt der Ermittlungen und sie verschwindet so plötzlich aus der Handlung, wie sie aufgetaucht ist.
Die Auflösung des ganzen Komplotts lässt Cavara ebenfalls in der Schwebe. Zwar wird am Ende plötzlich ein Täter aus dem Hut gezaubert, doch dass er für die Morde verantwortlich war, mag man nicht wirklich glauben. Es ergibt sich kein rundes Bild (was bei Gialli zwar fast immer so ist, aber zumindest wird einem eine endgültige Wahrheit – so abstrus sie auch sein mag – zumindest vorgegaukelt). Hier ist gar nichts sicher. Am Ende bleibt tatsächlich das diffuse Gefühl einer allgegenwärtigen Bedrohung, welches durch die unwirkliche, manchmal traumgleiche Szenerie noch verstärkt wird. Einer Szenerie in der in nebligen Parks verlassene Tierkäfige stehen und Figuren scheinbar willkürlich irgendwo auftauchen und dann wieder verschwinden. Wo es eine grotesk anmutende Orgienszene inklusive Schimpansen und ausgesprochen explizit-bizarre Trickfilm-S/M-Porno-Sequenzen des legendären Gibba gibt. Eine Szenerie, in der „so viel Angst“ vorherrscht.
Für die schöne Fotografie ist ein alter Hase verantwortlich: Franco Di Giacomo, der schon bei „Zwei glorreiche Halunken“ die Kamera führte und für die Bildgestaltung in Argentos „Vier Fliegen auf grauem Samt“ und „Der Postmann“ verantwortlich war. Unter den Darstellern findet man – wie bei „Schwarzer Leib der Tarantel“ – wieder einmal die creme de la creme des europäischen Gernekinos, Wie den immer wieder grandiose John Steiner (in einer leider kleinen Rolle) oder Eli Wallach, der gut 10 Jahre nach „Zwei glorreiche Halunken“ deutlich gealtert Italien besucht. Die bezaubernde Corinne Cléry hat zwar nicht viel zu tun, bereichert den Film mit ihrer Anmut und Jacques Herlin kennt man aus unzähligen Sex-Komödien. Ungewöhnlich ist das kurze Auftauchen eines jungen Tom Skerritt, dessen Figur – ein Kollege des Kommissars – zwar reichlich überflüssig ist und zur Handlung gar nichts beiträgt, der Produktion aber einen weiteren internationalen Namen einbringt (auch wenn sein Durchbruch in „Alien“ erst drei Jahre später erfolgen sollte). Skerritt war im selben Jahr auch in einer kleinen Rolle in Duccio Tessaris Komödie „La Madama“ zu sehen. Dieser Abstecher im Jahre 1976 sollte dann aber auch sein einzige Ausflug nach Bella Italia bleiben.
Die vierte Filmveröffentlichung aus dem Hause Cineploit glänzt zunächst einmal durch eine wirklich schöne Aufmachung. Das Mediabook ist sehr gelungen und enthält ein sehr kluges Essay des ausgewiesenen Italo-Experten Udo Rotenberg, dessen Blog „L’amore in città“ ich hier schon häufiger empfohlen habe. Dieses liegt auf deutsch und englisch vor, was bedeutet, dass mit dieser Veröffentlichung nicht nur in den deutschsprachigen Landesgrenzen, sondern auch international gedacht wird. Das Bild ist in Ordnung und basiert augenscheinlich auf einer HD-Restaurierung, die das italienische Label Raro vorgenommen hat. Der Ton liegt auf Deutsch, Englisch und Italienisch vor. Bei der Italienischen Fassung kann man zwischen festen Deutschen und englischen Untertiteln wählen, wo die deutschen Untertitel an einigen Stellen so schnell auftauchen und wieder verschwinden, als dass man sie ohne Pause-Taste schnell genug lesen könnte. Der englische Ton ist der kräftigste, gefolgt von dem etwas klareren italienischen. Der deutsche Ton ist leider sehr dünn, was daran liegt, dass der Film hier nie im Kino lief und als Quelle die VHS-Kassette eines Klein-Labels dienen musste. Highlight ist ein halbstündiges Interview mit einer sehr lebhaften und bestens aufgelegten Corinne Clery. Ich fand noch das kleine Musik-Special sehr schön, in dem die Gruppe Lawa (hinter der der Label-Chef persönlich steckt), Daniele Patucchis eingängiges Thema sehr druckvoll neu interpretiert.