Sterling Hayden kennen die meisten Menschen lediglich als Hollywood-Star. Keiner von den ganz großen Namen, aber einer der einem immer wieder begegnet und welcher Hauptrollen bei Kubrick („Die Rechnung ging nicht auf“, „Dr. Seltsam“), Ray („Johnny Guitar“) und Houston („Asphalt Dschungel“) spielte. Doch das ist nur eine Facette eines Lebens, welches so unglaublich ist, dass es wirkt wie ausgedacht. Mit 15 Jahren fährt er zur See, wird Fischer, umsegelt die Welt, mit 22 ist er bereits Kapitän. Als sein Schiff in einem Sturm sinkt, geht er nach Hollywood, wo er der 1,93m große, attraktive blonde Mann sofort einen Vertrag und erste Filmrollen bekommt. Hayden bricht den Vertrag dann, um im zweiten Weltkrieg bei den Marines anzuheuern und zum Fallschirmjäger ausgebildet zu werden. Er organisiert im Mittelmeer eine Schmuggel-Flotte, die Titos Partisanen in Jugoslawien mit Waffen versorgt. Wieder zurück in Hollywood tritt er 1946 kurzzeitig der kommunistischen Partei bei, die er aber schon bald enttäuscht verlässt, weil im da zu viel geredet und zu wenig getan wird. Aufgrund seiner Mitgliedschaft landet er aber Anfang der 50er vor McCarthys Komitee für unamerikanische Umtriebe. Um sich und seine Karriere zu schützen denunziert er Kollegen, was ihm die Anerkennung von Hardliner wie Nixon und Reagan einbringt und seine Karriere kräftig ankurbelt. Scheinbar soll er für seinen Verrat belohnt werden. Hayden zerbricht aber an seinen Schuldgefühlen, zieht sich in den 60ern zurück auf See, schreibt erst ein autobiographisches Buch namens „Wanderer“, dann einen Seefahrerroman namens „Voyage“. Er tritt für die Bürgerrechtsbewegung ein und spricht auf Kundgebungen. Erst Ende der 60er kehrt er ins Filmgeschäft zurück und nimmt Nebenrollen in Filmen wie Altmans „Der Tod kennt keine Wiederkehr“ und Coppolas „Der Pate“ an. Sein Fernweh ist dadurch aber nicht gestillt. Er kauft sich 1969 in den Niederlanden eine Kanalschute, die er vier Jahre später nach Paris überführte, wo er zeitweilig auf ihr lebt. Auch später wird es ihn immer wieder nach Europa ziehen, wo er sich eine Auszeit von Hollywood nimmt und auf der Schute, die er „Pharos of Chaos“ nennt, die Binnengewässer Frankreichs befährt.
Dort spürten ihn die Dokumentarfilmer Wolf-Eckhart Bühler und Manfred Blank 1983 im Hafen von Besançon auf. Fünf Tagen lang sitzt Sterling Hayden vor der Kamera von Bernd Fiedler und erzählt sein Leben. Dabei säuft er, raucht Haschisch und macht generell nicht den Eindruck, als wäre der scheinbar jahrelange Alkoholmissbrauch spurlos an ihm vorbei gegangen. Die weißen Haare stehen wirr vom Kopf ab, der ungepflegte Rauschebart erinnert an Hemingway. Er trägt einfache Kleidung und läuft immer barfuß. Oftmals zucken seine Hände plötzlich in die Höhe, verrenken sich scheinbar unkontrolliert. Der Blick schweift ins Leere oder zu den anwesenden Filmemachern, die aber fast immer außerhalb des Bildes bleiben, was dem Blick etwas suchendes, verzweifeltes verleiht. Hayden spricht mit kräftiger, tiefer Stimme. Mal laut, dann wieder leise. Er macht lange, irritierende Kunstpausen. Am meisten verwirrt einen aber seine Angewohnheit seine Sätze mit einem fragenden „hmmm?“ zu beenden. So als suche er Bestätigung für das gerade Gesagte oder will sich absichern, dass sein unsichtbares Gegenüber ihn auch verstanden hat. Manchmal fängt er an, wegen eines Wortes wie „piss“ hysterisch zu lachen bis ihm die Luft wegbleibt.
Zunächst fühlt man sich etwas unwohl beim Anblick dieses offensichtlichen Alkoholikers, der sich im Rausch um Kopf und Kragen redet. Den man schlafend in seiner Kajüte liegen lässt, nachdem er am Vorabend im Vollrausch fast ertrunken wäre. Der offensichtlich die Anwesenheit der Filmemacher und die Möglichkeit von der See, seiner Schriftstellerei und seiner Sicht auf die Welt zu erzählen genießt, und dabei nicht merkt, dass er sich nicht unbedingt in einem präsentablen Zustand befindet. Ein Eindruck, der dadurch bestärkt wird, dass Bühler und Blank die Kamera weiterlaufen lassen, wenn das Interview stockt oder Hayden sich wiederholt und dieses „Schnittmaterial“ letztendlich im Film belassen. Wie die der Film anders ausgesehen und gewirkt hätte, sieht man an dem 45-minütigen Film „Vor Anker, Land unter“ (ebenfalls in diesder Edition enthalten), bei dem genau diese irritierenden Momente herausgeschnitten wurden und Hayden dadurch einen sehr viel „seriöseren“ Eindruck macht. Wodurch „Vor Anker, Land unter“ als Dokumentation aber auch glatter und dadurch auch beliebiger wirkt. Trotz oder gerade wegen des zeitweise Leerlaufs und Haydens immer wieder abbrechenden, dann wieder neu aufgenommenen, aber in andere Richtungen laufenden Gedankengängen, entwickelt „Leuchtturm des Chaos“ einen Sog, der einen in die ganze Interview-Situation hereinzieht. Bald schon glaubt man selbst, dem trotz allem höchst charismatischen Hayden auf seinem Boot gegenüber zu sitzen. Und gerade aufgrund der Unberechenbarkeit des Materials hängt man an seinen Lippen und lauscht gebannt.
Nach 75 Minuten kommt „Leuchttum des Chaos“ dann zu dem Punkt, der Bühler und Blank scheinbar von Beginn an besonders interessiert hat und der erklärt, welche Dämonen Hayden jagen, und ihn zu dem gemacht haben, was er ist. Seine Aussage vor dem Komitee und sein Verrat an den Freunden und Kollegen, welcher diesen Berufsverbot und den Verlust der Lebensgrundlage eingebracht haben. Der ihm aber eine – im Nachhinein verhasste – Hollywoodkarriere ermöglichte. „I was a shit“ sagt Hayden. Man merkt mit jedem Wort, wie sehr er sich dafür hasst, neben den Kollegen auch seine Ideale verraten zu haben. Wie ihn sein Verrat noch immer beschäftigt und innerlich zerstört. Von da an wird das Gespräch ernster, persönlicher. Hayden spricht nun offen über Depression, Einsamkeit und Selbstmordgedanken. Etwas, was er am Anfang des Gespräches noch machohaft beiseite gewischt hat.
Dieser Einschnitt in Haydens Leben, die Aussage vor dem Komitee, bildet auch das Zentrum von Bühlers zweiten Sterling-Hayden-Film „Der Harvarist“, den er nach Haydens autobiographischen Roman „Wanderer“ inszenierte. 25 Jahre vor Todd Haynes Bob-Dylan-Biographie „I’m Not There“ lässt er Hayden von drei sehr unterschiedlichen Schauspielern verkörpern. Rüdiger Vogler übernimmt die Rolle des jüngeren Hayden, der in die Kommunistische Partei eintritt, Burkhard Driest den Hayden, der vor dem Komitee aussagt und Liedermacher Hannes Wader den älteren, zurückblickenden Hayden. Begleitet wird dies von einem von Konstantin Wecker komponierten Score, welcher gleich zu Beginn wie aus einem französischen Polizeithriller der 80er Jahre wirkt.
Leider erreicht „Der Harvarist“ zu keinem Zeitpunkt die Wirkung, die „Leuchtturm des Chaos“ entwickeln konnte. „Der Havarist“ wirkt kühl, distanziert. Mehr ein artifizielles Kunstprojekt als ein emotionales Drama. Keine Spur der beeindruckenden Persönlichkeit Haydens. Die drei Darsteller wirken emotionslos, sagen ihre Texte mehr auf, als dass sie sie leben. Das wirkt dann wie stilisiertes Theater, nicht Kino und lässt ein leicht gelangweilt zurück. Zwar muss man Bühler zugute Halten, dass er immer wieder filmische Mittel sucht, wie lange Tracking-Shots, ungewöhnliche Zwischenschnitte oder Verfremdungen. Aber diese ergeben sich nicht zwingend, sondern wirken eher wie ein „Hier probiere ich mal was aus“. Dass die in Amerika spielende „Handlung“ komplett und offensichtlich an typisch deutschen Orten gedreht wurde, soll möglicherweise das Universelle an Haydens Geschichte betonen, wirkt aber eher so, als wäre für etwas anders kein Geld übrig gewesen. Selbiges gilt für die Szenen vor dem Komitee, die in einem kargen Konferenzraum gedreht wurden und sich bewusst keinerlei Mühe geben, die reale Situation von damals zu rekonstruieren. Darauf kommt es Bühler auch gar nicht an, trotzdem bewirken diese Verfremdungseffekte eine weitere Distanz zur Person Hayden, was den Film zu einem eher theoretischen Kopfprodukt macht, dem genau das fehlt, was „Leuchtturm des Chaos“ so besonders und unmittelbar gemacht hat: Das Herz.
Wie gewohnt hat die Edition Filmmuseum hier wieder ein perfektes DVD-Paket geschnürt, welches kaum Wünsche offen lässt. Neben Bühlers beiden Hayden-Filmen „Leuchtturm des Chaos“ und „Der Havarist“ ist noch der 45-minütige Fernsehfilm „Vor Anker, Land unter“ enthalten, der ein Jahr vor „Leuchtturm des Chaos“ entstand und quasi die TV-taugliche, glattere TV-Version des „Leuchtutms“ darstellt enthalten. Ferner gibt es ein 16-seitiges Booklet mit 16-seitiges zweisprachiges Booklet mit weiterführenden Texten von Alf Mayer und Wolf-Eckart Bühler, sowie einen 5-minütigen alternativen Filmanfang zu „Der Havarist“. Das Bild der DVD (in 1:1,33) ist in Ordnung und von der Qualität, die man bei einer fast 40-jährigen TV-Dokumentation erwartet. Nicht besser, aber auch nicht schlechter. Der Ton ist gut verständlich. Insgesamt eine sehr schöne Edition.