Das Bloggen der Anderen (23-11-20)

– Eigentlich hätte Nino Klingler von critic.de vor Ort beim Filmfestival Mannheim-Heidelberg dabei sein sollen. Doch dann kam der Teil-Lockdown und das Festival fand rein online statt. Das führt bei ihm einerseits zu Gedanken darüber, was Festivals eigentlich ausmacht und andererseits werden von ihm auch einige interessante Festival-Beiträge vorgestellt.

– Katrin Doerksen macht auf kino-zeit auf eine neue Filmzeitschrift aufmerksam, die von einem rein weiblichen Team geführt wird. Spannend, denn so etwas gab es – meines Wissens nach – zuvor noch nie und weibliche Stimmen sind ja leider in dieser Szene selten.

– Hurra! Ich freue mich darüber, mal wieder etwas von Whoknows presents zu lesen. Damit will ich jetzt nicht Schreibfaulheit bei den Kollegen unterstellen, aber ich musste ja auch eine lange Pause einlegen und hatte da mit anderen Dingen zu kämpfen, als dem „Das Bloggen der Anderen“ zu folgen. David schreibt: „Ich habe mich dieses Jahr in Sam Firstenbergs Filme verliebt“. Er erklärt diese Liebe und hat auch noch zwei sehr frühe Kurzfilme von Firstenberg ausgegraben, die er ausführlich vorstellt.

– Beim Internationalen Filmfest Oldenburg hatte ich kurz überlegt, ob ich mir „Happy Times“ anschaue. Dann ist er doch nur auf die „Alternativen“-Liste gerutscht und ich war sehr überrascht, dass er kurz darauf eine deutsche Veröffentlichung bekam. Lucas Gröning hat ihn für Die Nacht der lebenden Texte besprochen und ich denke, meine Wahl damals war eine gute.

– Auf youTube habe ich den schönen amerikanischen Vlog „Into the Blu“ gefunden, wo der Vloger seine „Top 10 Western of the Decade“ vorstellte. Darunter auch „Seraphim Falls“. Nach Sebastians begeisterter Review eben dieses Films auf Nischenkino, muss der wohl demnächst definitiv in den Einkaufskorb. Bluntwolfs Vorstellung des Italo-Kriegsfilms „Todeskommando Panthersprung“ klingt ebenfalls sehr vielversprechend. Wenn auch auf andere Weise.

– Ich muss den endlich mal vom „Pile Of Shame“ mit den hunderten ungesehenen Scheiben nehmen: „Hagazussa – Der Hexenfluch“ von dem ja nun wirklich jeder schwer begeistert ist. So auch Heiko von Allesglotzer.

– Anime-Zeit Teil 1: Flo Lieb schreibt auf symparanekronemoi über „Tenki no Ko“ (aka Weathering with You) und…

– Anime-Zeit Teil 2: .. totalschaden hat sich auf Splattertrash „Sternenkrieger – Warriors of the Wind“ von 1984 vorgenommen.

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Blu-ray-Rezension: „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“

Italien 1974. Überall lauert Gewalt und Verbrechen. Auch Carlo Antonelli (Franco Nero) wird zum Opfer, als er in einen Banküberfall verwickelt wird. Er wird von den Tätern misshandelt und als Geisel mitgenommen. Gedemütigt und voller Wut auf die Polizei, der er Versagen vorwirft, beschließt er die Übeltäter selber Dingfest zu machen. Um an die Täter heranzukommen, erpresst er den Kleinkriminellen Tommy (Giancarlo Prete). Doch so einfach, wie Antonelli sich das alles ausgedacht hat, ist es nicht. Und bald schon muss er um sein Leben fürchten…

Anmerkung: Alle Screenshots stammen von der ebenfalls enthaltenen DVD, nicht der Blu-ray.

Es ist schon merkwürdig, dass gerade die Ausflüge des großen italienischen Action-Spezialisten Enzo G. Castellari in den Polizieschi an einer Hand abzuzählen sind. Aber es kommt ja nicht auf die Quantität, sondern die Qualität an. Und Castellaris „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ zählt zu den Höhepunkten des Genres. Wobei sich Castellari stark an Michael Winners gerade mal zwei Monate zuvor in den USA angelaufenen „Ein Mann sieht rot“ orientiert. Schon dieser Film mit Charles Bronson hat heute im einen sehr reaktionären Ruf, welcher sich allerdings eher aus dem Mythos und den Sequels speist. Ähnlich auch wie „Rambo“ heute mehr mit Teil 2 und 3 als dem gesellschaftskritischen ersten Film in Zusammenhang gebracht wird. Die Parallelen zu „Ein Mann sieht rot“ sind so überraschend deutlich, dass man sich fragt, ob die Italiener nach dem Erfolg des Winner-Films im Rekordtempo „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ auf die Strecke gebracht haben oder bereits zuvor darauf gesetzt haben, dass die sich in der Produktion befindliche Winner-/Bronson-Kombo ein solcher Erfolg wird. Gerade die letzte Einstellung ist in ihrer Aussage beinahe identisch.

Wie Bronsons ursprünglicher Paul Kersey ist auch Franco Neros Carlo Antonelli kein harter Kerl oder gar Superbulle (wie es z.B. Maurizio Merli nach ihm sein sollte), sondern eine gutbürgerlicher, gesellschaftlich und finanziell gut gestellte Person, die sich etwas naiv in die Rolle des Vigilanten begibt. Und die dann feststellen muss, dass das mit dem „Aufräumen in der Unterwelt“ nicht ganz so einfach und problemlos ist, wie man sich das vorstellt. Während Kersey sich nach seiner ersten Aktion noch im heimischen Badezimmer übergibt, wird Antonelli gleich zu Beginn seiner „Detektivarbeit“ von den Kleinkriminellen des Viertels durchschaut und muss ordentlich Fersengeld geben, um mit heiler Haut davonzukommen. Nein, in Held ist Antonelli nun gar nicht. Immer wieder macht er schmerzhafte Fehler, bringt sich und andere in Gefahr und kommt keinen Schritt weiter. Interessant, dass sowohl Kersey als auch Antonelli von Schauspielern gespielt werden, bei denen man eigentlich etwas anderes erwartet. Wobei Bronson da die größere Überraschung ist, da er zuvor mit der Darstellung harter, cooler und siegessicherer Typen bekannt geworden ist (obwohl er in der Frühzeit seiner Karriere auch ambivalente, schwache Charaktere gespielt hat). Franco Nero ist demgegenüber zu diesem Zeitpunkt der vielseitigere Schauspieler, der auch häufiger (charakter)-schwache Menschen gegeben hat. Man denke nur an seinen Vanzi in dem brillanten „Das Verfahren ist eingestellt – Vergessen Sie’s!“. Wenn man allerdings einen Filmtitel wie „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ vor den Augen hat, denke man bei Nero automatisch an seinen Django, den Schweden oder Kommissar Belli. So könnte der Film für die Freunde der „Immer feste druff“-Fraktion vielleicht etwas verstörend sein.

Einen wesentlichen Unterschied gibt es allerdings zwischen Kersey und Antonelli. Während das Drehbuch Kersey einen „echten“ Grund zum Amoklauf gibt (seine Frau wurde ermordet, die Tochter durch eine brutale Vergewaltigung in den Wahnsinn getrieben), so ist es bei Antonelli vor allem gekränkte Eitelkeit, die ihn zur Tat schreiten lassen. Als er in den Banküberfall verwickelt wird, lenkt er die Aufmerksamkeit der Täter auf sich, als er nach einem Bündel Geldscheinen greift, welches er kurz zuvor auf sein Konto einzahlen wollte und das immer noch auf dem Banktresen liegt. Es geht ihm also in erster Linie um sein Geld, seinen Besitz. Die Gangster missverstehen seinen Griff zum Geld als Versuch „den Helden zu spielen“, nehmen ihn als Geisel mit, verprügeln ihn – und als schließlich die Polizei eintrifft und den zurückgelassenen Antonelli findet, da wird dieser in seiner misslichen Lage von einer großen Traube Schaulustiger beglotzt. Man sieht, dass es genau dieser Moment ist, der ihn am meisten verletzt und wütend macht. Gekränkte Eitelkeit, ein sich lächerlich gemacht fühlen. Hier entsteht der Gedanke, sich „an der Unterwelt zu rächen“ und wieder als echter Kerl dazustehen. Vor sich und vor allen anderen.

Enzo G. Castellaris sichere Regie wird für eine dynamische Kameraarbeit des Veteranen Carlo Carlini unterstützt, die das Seelenleben des Protagonisten in Bewegung umsetzt. So ist die Kamera gerade am Anfang, wenn Antonelli emotional aufgewühlt ob der ihm widerfahrenen „Schande“ ist, ständig in Bewegung, umkreist aufgeregt die Figuren und spiegelt seine innere Unruhe wider. Auch sonst ist die Kamera in den zahlreichen Actionszenen nah am Geschehen und involviert den Zuschauer, ohne dass dieser dien Überblick verlieren würde. Begleitet wird dies durch die kongeniale Musik von Guido und Maurizio De Angelis, die nicht nur einen ohrwurmerzeugenden Titelsong („Goodbye, My Friend“) zu bieten hat, sondern auch sonst mit einer Mischung aus Prog-Rock, Funk und Blues den Film emotional auflädt. Für die deutschen Zuschauer nett: Franco Nero wird in diesem Film von Bud-Spencers-Stammsprecher Wolfgang Hess synchronisiert. Und in einer Szene mit Nero läuft im Hintergrund der Smash-Hit „Dune Buggy“, den die De-Angelis-Brüder unter ihrem Pseudonym „Oliver Onions“ für den Spencer/Hill-Film „Zwei wie Pech und Schwefel“ komponiert haben.

Die Actionszenen in „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ sind wieder einmal superb. Dass Castellari hier ganz genau bei Sam Peckinpah hingeschaut hat, ist offensichtlich. Aber er kopiert nicht nur stumpf, sondern erschafft sich sein eigenes Markenzeichen. Einen Castellari-Film erkennt man an den Action-Szenen, in denen Bewegung, Zeitlupe, Schnitt und akustische Begleitung ein festes Ganzes ergeben und die Dramatik der Szene auf einen Höhepunkt treiben. Für immer im Gedächtnis bleibt vor allem jene Szene, in der Antonelli vor einem Auto flieht, welches ihn überrollen will. Dabei sieht man nicht nur deutlich, dass Franco Nero hier die gefährlichen und spektakulären Stunts selber übernahm, es stock einem auch mehrmals der Atem und das Zusammenspiel aus Action, Zeitlupe und „Goodbye, My Friend“ bohrt sich tief ins Gedächtnis und lässt einen auch Jahre später nicht los.

Neben einem stark aufspielenden Nero ist es vor allem ein noch sehr junger Giancarlo Prete als Kleinkrimineller Tommy, der den Film trägt. Tommy ist ein sehr amivalenter Charakter. Sympathisch, durchtrieben – und mit einem ganz eigenen Ehrencodex (der in höchster Not ums eigene Leben aber auch gerne mal etwas gedehnt werden darf). Einer, der im Leben keine Chance hatte und fast automatisch ins Verbrechen abrutschte. Der aber auch große Träume hat. Dass diese großen Träume dann „nur“ eine eigene Werkstatt sind, passt sehr gut zu Tommy. Giancarlo Prete hat in seiner Karriere zumeist nur Nebenrollen gespielt. Etwas bekannter wurde er unter dem Name „Timothy Brent“, als er in den 80ern in einigen Endzeitfilmen mitspielte und in dem ebenfalls von Castellari gedrehten „Metropolis 2000“ eine seiner raren Hauptrollen spielen durfte. Die weiteren Darsteller fallen nicht sonderlich auf. Barbara Bach bleibt blass, Renzo Palmer zieht seine bekannte „Gehobener Beamter“-Nummer durch. Allenfalls Romano Puppo markantes Gesicht als Anführer der Bankräuber sticht noch heraus. Das macht aber wenig aus, da Nero und Petre den Film auch ganz alleine tragen können.

Auf der Rückseite des Covers steht „Franco Nero sieht rot! Die italienische Antwort auf den Charles Bronson Klassiker Death Wish“. Das kann man so unterschreiben, auch wenn es den potentiellen Käufer auf die falsche Spur lockt. Der Film und vor allem die von Nero gespielte Hauptfigur sind ausgesprochen ambivalent und wenig „heroisch“. Wie bei einem Castellari-Film aus den 70ern ist „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ daneben aber auch ein perfekt gefilmter und Adrenalin produzierender Actionfilm.

FilmArt hat „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ als 15. Teil ihrer „FilmArt Polizieschi Edition“ veröffentlicht. Die DVD-Version befindet sich normal in der Ameray, die Blu-Ray steckt in einer Papphülle, die an der Stelle klemmt, wo normalerweise ein Booklet zu finden ist. Dieses gibt es leider nicht, dabei wäre gerade über diesen Film viel zu schrieben gewesen. Schade. An Extras gibt es einmal die alt, um fast 20 Minuten gekürzte, deutsche Fassung und vor allem ein Audiokommentar von Marcus Stiglegger. Dazu gibt es noch internationale Vor- und Abspänne, den italienischen Trailer, einen italienischer TV-Spot und eine 2-minütige Bildergalerie. Das Bild der Blu-ray ist sehr gut und vor allem nicht todgefiltert. So muss das aussehen. Die drei Tonspuren sind auf der Blu-ray in DTS-HD Master Mono 1.0 und auf der DVD in Mono 1.0. Die deutsche Tonspur überzeugt mit tollen Sprechern, wobei Hess auf Nero sehr gewöhnungsbedürftig ist. Die Englische Tonspur irritiert damit, dass Neros Figur die einzige ist, die mit einem starken Akzent (soll wohl Italienisch sein) spricht, während alle um sie herum normales Englisch sprechen. Daneben gibt es noch die italienische Tonspur. Insgesamt eine gute Veröffentlichung.

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Das Bloggen der Anderen (16-11-20)

– Und noch ein Filmfestival, welches komplett online stattfinden musste: Das Dokumentarfilm-Festival Duisburger Filmwoche. Anne Küper von critic.de hat hier einige interessante Film gesehen, u.a. einen Neuen von Jan Soldat.

– Wie geht eigentlich Hollywood bei den aktuellen Filmdrehs mit Corona um? Katrin Doerksen von kino-zeit.de gibt einige Einblicke.

– Nachklapp zum (Online)Filmfestival in Braunschweig: Tim Meldau auf Daumenkino über „Andrey Tarkovsky. A Cinema Prayer“.

– Rouven Linnarz hat film-rezensionen.de hat Oliver Kalkofe interviewt. Leider nur zu den „Wixxer“-Filmen. Mich hätten da ja noch kritische Fragen zu diesem fragwürdigen Format auf Tele5 interessiert.

– Volker Schönenberger schreibt auf Die Nacht der lebenden Texte anlässlich des 100. Geburtstags von Jack Elam über „Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe“. Für mich hat das gleich zwei persönliche Bedeutungen. „Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe“ war einer der Filme, die ich gerne mit meinem Vater zusammen gesehen habe und der war auch so etwas wie ein „Fan“ von Jack Elam. Zumindest freute er sich immer, wenn das bekannte Gesicht auftauchte und man in der Regel wusste, dass der gleich wieder tödlich getroffen vom Pferd fällt. Andererseits gibt es noch die schöne Geschichte von einer Familienfeier bei der ein sehr viel jüngeres Ich zu meinem Onkel sagte, er würde mich an diesen Mann aus den Western erinnern. Stolz und erwartungsvoll antwortete er: „Stewart Granger?“. Darauf mein junges Ich: „Neee.. Jack Elam“. Mein Vater hat sich fast tot gelacht.

– „Upgrade“. Da raschelt mir irgendetwas im Hinterkopf, dass mir der Film schon mal empfohlen wurde. Auch Filmlichtung ist voll des Lobes. Dann sollte ich den wohl mal in den Einkaufswagen legen.

– Ich hatte das große Glück und Vergnügen „Das Geheimnis des gelben Grabs“ letztes Jahr von 35mm und auf der großen Leinwand, umgeben von netten Menschen zu sehen. Was Bluntwolf auf Nischenkino über den Film schreibt, kann ich so unterschreiben. Und auf derselben Seite bestätigt er mir auch, dass ich richtig damit liege, wenn ich Filme wie „African Kung-Fu Nazis“ einen weiten Bogen mache.

– Als „Der ewige Gärtner“ vor 15 Jahren in den Kinos lief, war ich durchaus interessiert, habe ihn dann aber nie gesehen und wieder vergessen. Die Erinnerung durch funxton hat – trotz eventuellem Spoiler im Schlusssatz -wieder neugierig gemacht.

– Ein Lieblingsfilm: „Brennpunkt Brooklyn“ – hier in der Besprechung von totalschaden auf Splattertrash.

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Filmbuch-Rezension: Christian Keßler “Gelb wie die Nacht – Das italienische Thrillerkino von 1963 bis heute“

Mittlerweile ist es zu einem wundervollen Ritual geworden. In regelmäßigen Abständen erscheint ein neues Filmbuch des Bremer Filmgelehrten Christian Keßler. Und wer ihm auf Facebook folgt, der ist von Anfang an dabei. Von der ersten Idee, über den teilweise mühsamen Entstehungsprozess, zu den letzten Korrekturlesungen – und dann ist es da. Was wie ein cleverer Marketingtrick klingt, ist genau das Gegenteil. Wer Christian Keßler kennt weiß, dass ihm nichts ferner liegt. Christian Keßlers Leser sind nicht nur Fans seiner Veröffentlichungen, sondern sie mögen ihn und seine Art auf ganz besondere Weise. Im Gegensatz zu den Kommentarspalten anderer Autoren und bekannter (und unbekannter) Film- und Medienwissenschaftlern herrscht auf seiner Facebook-Seite eine angenehme Harmonie ohne böse Worte, Häme und Streit.

Und genau dies zeichnet auch seine Bücher aus. Hier wird mit den Objekten seiner Texte gelacht, nicht über sie. Man spürt Christian Keßlers Liebe zum Thema, seine Anmerkungen sind häufig humorig, aber nie zynisch. Eine willkommene Abwechslung zu dem, womit man sonst so konfrontiert wird. Und Christian Keßler stellt auch nie sich selber narzisstisch in den Vordergrund oder bügelt jemanden seine Meinung über, sondern es geht immer und in erster Linie um das Thema seines Buches. Das liest sich angenehm und so, als ob ein alter Freund mal eben bei einem leckeren Bier oder guten Wein über sein Lieblingsthema plaudern. Wobei dies nicht falsch verstanden werden darf: Es ist nicht luftleeres Geplapper, sondern hochspannende, interessante und oftmals mit Anekdoten und Informationen über die Filmemacher und Schauspieler angereicherte Gespräche.

Das neue Buch „Gelb wie die Nacht“ behandelt die speziell italienische Form des Thrillers: Den sogenannten „Giallo“. Ich wage mal zu behaupten, es war das von Christian Keßlers Lesern am meisten erwartete Buch. Wurde Christian Keßler doch gerade durch seine Artikel zu allen möglichen Italo-Genres in der legendären „Splatting Image“ bekannt, beeinflusste hiermit den Geschmack vieler Filmfreunde und „züchte“ eine ganze Generation Italo-Fans heran. Sein erstes Buch „Das wilde Auge“, welches allgemein das italienische Genrekino behandelte, wird mittlerweile für 249,- Euro (gebraucht!) auf Amazon gehandelt. Und der Giallo ist bis heute eine der beliebtesten Spielarten des Italo-Genrekinos. Kein Wunder also, dass gerade „Gelb wie die Nacht“ von vielen mit großer Spannung und Freude erwartet wurde.

Für „Gelb wie die Nacht“ wählte Christian Keßler wie bereits in seinem 2002 erscheinen Buch „Willkommen in der Hölle“ über den Italo-Western, die Form des Nachschlagewerks. Über 250 Gialli von 1963 bis 2013 werden ausführlich besprochen und – dies ist ein kleines Novum – mit farbigen Filmplakaten illustriert. Allein dafür würde sich schon die Anschaffung lohnen. Die Reihenfolge der Titel richtet sich diesmal nicht nach dem Titel, sondern der Erstveröffentlichung. Als erster Giallo gilt bei Christian Keßler Mario Bavas „La Ragazza Che Sapeva Troppo“ aka „The Girl Who Knew Too Much“, abgeschlossen wird das Buch mit einem „Kuckucksei“, nämlich der argentinischen Giallo-Hommage „Sonno Profondo“ aka „Deep Sleep“ von Luciano Onetti.

Christian Keßler nimmt sich dabei bewusst die Freiheit den Begriff Giallo teilweise weit auszudehnen (insgesamt drei Nicht-Italienische Produktionen finden hier Eingang) und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Was mir gleich zu Beginn auffiel, als ich nach Pupi Avatis Giallo-Komödie „Neun Leichen hat die Woche“ suchte, aber nicht fündig wurde. Das macht aber auch gar nichts, denn als Überblick über das Genre, reichen die von Christian Keßler ausgewählten Filme auch völlig aus. Und die „Lücken“ sind an einer Hand abzuzählen. Dieser Hinweis soll auch nicht als Kritik, sondern eher als Management der Erwartungshaltung verstanden werden.

Mir hat das Buch sehr viel Freude bereitet und zum stundenlangen Stöbern verleitet. Durch seine Struktur lädt es ja auch dazu ein, mal hier, mal dort reinzuschauen, bekannte Filme zu suchen, unbekannte zu entdecken und sich in der gelben Welt des Giallo zu verlieren. Oder wie ein Freund von mir meinte: „Das Keßler Buch ist echt fies, jede Seite macht Lust auf mindestens zwei Filme“.

Christian Keßler “Gelb wie die Nacht – Das italienische Thrillerkino von 1963 bis heute“, Martin Schmitz Verlag, 352 Seiten, gebunden, farbige Abbildungen, € 35,00

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Das Bloggen der Anderen (09-11-20)

Seit dem letzten Blogeintrag sind knapp vier Wochen vergangen. Mehr als ich gedacht und geplant hatte. Einerseits lag es an anderen Dingen, die kurzfristig Priorität genossen, wie bspw. die Deadline der nächsten 35MM oder das Deliria-Wochenende in Karlsruhe – und dann war ich leider plötzlich gesundheitlich gezwungen, einen unerwarteten Zwangs-Stopp einzulegen. Davon habe ich mich noch immer nicht 100% erholt und nach allem, was man so liest wird das wohl auch noch einige Zeit dauern. Aber der Kopf ist zumindest wieder klar und darum kann ich jetzt meine unfreiwillige Blog-Abstinenz aufheben.

– Leider muss ich die erste Ausgabe des „Bloggen der Anderen“ nach meiner Pause mit einer traurigen Nachricht beginnen. Nach 12 Jahren schließt der Blog Remember It For Later seine Pforten. Warum, das hat Oliver Nöding hier niedergeschrieben. Ich finde dies sehr schade, und bin auch ein wenig traurig. Nicht nur ein weiterer Blog weniger, den ich seit Beginn dieser Rubrik gerne begleitet habe, sondern auch einer, in dem ich jenseits vom „Bloggen der Anderen“ gerne stöbere. Er wird mir sehr fehlen. Aber die alten Artikel sind ja weiterhin verfügbar und da gibt es noch viel zu entdecken.

– Eine Gruppe des Seminars „Fragen an den aktuellen Dokumentarfilm“ der Stiftung Universität Hildesheim berichtet auf critic.de von der DOK Leipzig 2020.

– Über das Filmfestival Braunschweig, welches in diesem Jahr leider nur online stattfinden konnte, schreiben die Studierenden an der HBK Braunschweig auf Daumenkino. Ich habe mir hier mal exemplarisch den Text über „Servants“ von Miriam Eck rausgegriffen.

Der Kinogänger hat einen Nachruf auf Sir Sean Connery verfasst.

– Ja, vielleicht so etwas wie Click-Bait mit viel affiliated links – Aber wenn jemand sich die Mühe macht seine besten 25 Filme von 1930 bis 1939 zusammenzustellen, so wie filmsucht.org, dann poste ich das hier trotzdem gerne.

„Monos“? Da klingelt doch was? Mit irgendjemand habe ich mich mal darüber unterhalten. In welchem Zusammenhang und was der oder diejenige davon hielt, weiß ich nicht mehr. Aber nach Volker Schönenbergers Review auf Die Nacht der lebenden Texte, weiß ich, dass dies wohl ein Film ist, nach dem ich die Augen aufhalten sollte.

– Der letzte Film, den ich im Kino sah, war „The Nightingale“. Im Rahmen unserer Reihe Weird Xperience und vor zwei zahlenden Zuschauern. Ich war durchaus beeindruckt und niedergeschlagen von dem Film. Ich kann mich hier der Einschätzung von Filmlichtung also sehr gut anschließen.

– Auch mal im Kino gesehen und das sogar auf 35mm: „Der Kampfgigant“. Ein schöner Spaß, über den auch Bluntwolf auf Nischenkino schreibt. Bezüglich seiner ansonsten auch meine Meinung widerspiegelnden Kritik zu „Django – Sein Gesangbuch war der Colt“, möchte ich jedoch etwas anmerken: „Fulci war noch immer ein zweitklassiger Regisseur, der nur von kleineren Produktionen angefragt wurde und wenn Massacre Time gescheitert wäre, wäre seine Karriere möglicherweise beendet gewesen.“ Das möchte ich nicht so stehen lassen. Fulci war zu dem Zeitpunkt ein Komödienspezialist, der mit dem Team Franco & Ciccio bereits einige Filme gedreht, die in Italien extrem erfolgreich waren. Auch als Musikfilm-Regisseur war er erfolgreich tätig und hat mit dem jungen Adriano Celentano (und Chet Baker) gedreht. „Django…“ war lediglich sein erster ernsthafter Film. Wäre das ein Flop gewesen, wäre nicht passiert. Danach hat er eh noch dreimal mit Franco & Cicco gedreht. Das musste ich als Fulci-Verehrer jetzt mal kurz loswerden.

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Bericht vom 27. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 3

Der Sonntag ist ja immer mein heimlicher Lieblingstag beim Filmfest Oldenburg. Da liegt so eine wunderbare Entspannung nach den hektischen und aufregenden Vortagen in der Luft. Da aber von Hektik und Aufregung schon vorher nicht gesprochen werden konnte, war es diesmal ein Tag wieder jeder andere. Das heißt, nein, bei meiner Ankunft erinnerte die Kulturetage erstmals an gute, Nicht-Coronazeiten auf dem Festival. Auf der Straße und den Treppen vor der Kulturetage standen viele Menschen, unterhielten sich angeregt und ja – es gab so etwas wie Festivalatmosphäre. Dies lag allerdings daran, dass die Preisverleihungsveranstaltung in diesem Jahr vom Stadttheater in die Kulturetage verlegt worden war. Und sobald man sich zwischen den Fotografen durch zum Treppenhaus des cineK gedrängelt hatte, war es damit auch schon wieder vorbei.

Precarious – Auf „Precarious“ hatte ich mich sehr gefreut. Sieben Jahre hatte Regisseur Wes Terray an dem Film gearbeitet und alle Props für sein surreales Märchen in Handarbeit hergestellt. Zudem lässt die seltsame Geschichte um einen Mann namens Henry, der nachdem er auf einer einsamen Bergstraße in einen Mordanschlag geraten und dabei schwer verletzt wurde, orientierungslos in einem Landhaus aufwacht, in dem sich zunächst ein fürsorglicher Arzt und seine Tochter um ihn kümmern. Doch er schwebt in Gefahr, der Attentäter greift das Haus an, er flüchtet indem er in der Matratze des Mädchens versinkt und zwischen den Wänden des Landhauses flüchtet. Bald trifft er auf einen ehrgeizigen Journalisten, eine seltsame junge Frau in einem Bus, der eine Bibliothek ist und von da an geht es immer weiter in seltsame Situationen und merkwürdige Zusammentreffen.

Das klingt irgendwie nach Jan Svankmajer, die Quay Brüder, Guy Maddin oder den fantastischen „Junk Head“, den ich 2017 in Oldenburg sah. Aber vielleicht war es diese hohe Erwartungshaltung, die mich den Film eher kühl rezipieren ließ. Nein, schlecht ist „Precarious“ keineswegs und tatsächlich erinnert er immer wieder an die genannten Filmemacher. Er punktet mit viel Fantasie, die liebevoll handgemachten Kulissen und Austattungsgegenstände. Die scheinbar Ende der 50er spielende, tatsächlich aber zeitlose Geschichte weiß zu gefallen und die Schauspieler, die hier in der Mehrzahl das erste Mal vor der Kamera agieren, sind sehr gut gewählt, charismatisch, und insbesondere Hauptdarsteller Andrey Pfening wirkt wie aus der Zeit gefallen. Besonders erwähnt werden muss aber auch seine Mit- und Gegenspielerin Juliana Frick, die in einer Doppelrolle mit viel seltsamer Ausstrahlung glänzt.

Man hat nur das Gefühl, dass Wes Terray zwar viele Ideen in seinen Film einbringen konnte, teilweise doch ein wenig mit angezogener Handbremse agiert und sich nicht traut, sich komplett in seine verrückte Traumwelt fallen zu lassen. Grandiosen Szenen, wie Henrys Flucht aus dem Haus des Arztes folgen Szenen, die demgegenüber eher zurückhaltend wirken. Das war zumindest mein Gefühl während des Filmes. In der Erinnerung überwiegt nun aber das Positive. Die tolle Kamera, der dramatisch-altmodische Orchesterscore, die charakteristischen Typen, die ganze Ausstattung und die Kulissen, von den ich jetzt lass, dass sie falls komplett im Wohnzimmer des Regisseurs entstand. Auch die Geschichte entpuppt sich im Nachhinein als gar nicht mal so unelegante Metapher auf Süchte und Abhängigkeiten, denen man nicht entgehen kann. Nun auf „Precarious“ zurückschauend, habe ich plötzlich große Lust, mich noch einmal in dessen Welt zu begeben. Ich hoffe, der Film bekommt eine anständige Veröffentlichung – vielleicht sogar in Deutschland. Bildstörung, übernehmen Sie!

Alone – Auf diesen Film war ich besonders gespannt, da ich über Regisseur John Hyams zwar schon sehr viel lobende Worte hörte, aber es bisher tatsächlich nicht geschafft hatte, eines seiner Werke zu sehen. Dabei war er auch schon mal mit dem für ihn eher untypischen Little-League-Baseball-Film „All Square“ in Oldenburg zu Gast. Die Projektion war leider suboptimal und verhinderte zunächst, dass ich in den Film reinkam. Alle 30 Sekunden hatte man nämlich das Gefühl, es würden Frames fehlen und gleichzeitig der Film etwas verlangsamen, was einen seltsamen „Stotter-Effekt“ verursachte, von dem ich erst dachte, er sei gewollt. Da er jedoch regelmäßig wiederkehrte und das in Szenen, die dafür nun wirklich nicht passend war, merkte ich bald, dass hier wohl ein Kompressionsfehler bei der Vorlage vorlag, was mich dann zunehmend nervte. Aber auf der positiven Seite, der Film war dann doch so spannend, dass ich mit zunehmender Laufzeit drüber hinwegsehen konnte.

Dabei erzählt „Alone“ nun wirklich keine neue Geschichte. Ganz im Gegenteil. Umso überraschter war ich, dass es sich auch noch um ein Remake handelte. Also die Neuverfilmung eines Stoffes, den man so schon unzählige Mal gesehen hat. Tut das Not? Sicher nicht, aber John Hyams ist ein sehr versierter und talentierter Regisseur, der aus der ausgequetschten Zitrone noch eine leckere Limo zaubern kann. Worum geht es? Eine Frau wird auf ihrer Autoreise durch die USA von einem geheimnisvollen und unheimlichen Mann verfolgt, der sie erst in Todesgefahr bringt und dann immer wieder an unerwarteten Stellen auftaucht. Bevor man „Duell“ oder „Joyride“ (von dem ich gerade sehe es tatsächlich schon drei Teile gibt) sagen kann, hat er sie entführt und in seinem Keller eingesperrt. Von dort kann sie entkommen und es entwickelt sich ein mörderischer Zweikampf zwischen Jäger und Gejagter.

Kommt das einem alles reichlich bekannt vor? Ja. Aber Hyams macht das Beste draus, hat mit Jules Willcox und Marc Menchaca zwei glaubwürdige Darsteller an Bord, die so sympathisch (Willcox) bzw. widerlich (Menchaca) sind, dass es Freude macht, das fiese Duell zu verfolgen. Und Hyams versteht sich auf Action. Und vor allem weiß er auch die äußerst beeindruckende Landschaft von Oregon perfekt in seinen Film einzubinden. So verzeiht man die Vorhersehbarkeit, erfreut sich an der konzentrierten und temporeichen Inszenierung, die hier und da für wirklich unangenehme Momente und erhöhten Adrenalinspiegel sorgt. Und am Ende wird man dann mit einem befriedigenden Finale belohnt, welches zeigt, dass man von Hyams, der einst als Hoffnung des modernen Actionfilms galt, sein Pulver noch nicht verschossen hat. 98 Minuten, die wie im Flug vergehen und ein schöner Abschluss des diesjährigen Festivals.

Das war es mit dem 27. Internationalen Filmfest Oldenburg. Ein seltsames Jahr, ein seltsamer Besuch. Aber ich bin sehr froh, dabei gewesen zu sein – denn auch wenn es nicht so war wie sonst – die Filme auf der großen Leinwand, im Kino, sehen zu können, habe ich sehr vermisst und neben dem für Oktober geplanten Deliria-Italiano-Forentreffen, war es das erste cineastische Highlight, seit der ganze Mist im März angefangen hat. Und so traurig es ist – wahrscheinlich auch der das letzte für wieder einmal eine lange Zeit. Schade, dass Corona das Festival torpediert hat, denn der Filmjahrgang war sehr stark. Ich konnte zwar diesmal nur 7 Filme (ein Online und sechs vor Ort) sehen, aber hier war kein echter Ausfall zu verzeichnen und mit „American Thief“, „Shorta“ und im Nachhinein auch „Precarious“ waren drei echte Highlights am Start, die weitaus mehr Publikum verdient hätten. Ich hoffe, im nächsten Jahr ist wieder alles beim Alten. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf die 28. Ausgabe.

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Bericht vom 27. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 2

Am zweiten Tag war ich komplett im CineK Studio. Das CineK hat immer eine schöne Atmosphäre und normalerweise tummeln sich hier zu Filmfest-Zeiten unzählige Leute. Man trifft bekannte Gesichter und auch die Filmemacher, die beim Filmfest zu Gast sind, laufen hier herum. Durch Corona war es diesmal anders. So wenig los ist hier sonst immer nur am Festivals-Sonntag, wenn der letzte Film läuft. Da ich nur zwei Filme auf dem Plan hatte und der letzte vor 20:00 Uhr zu Ende war, hatte ich mich entschlossen, das erste Mals seit März wieder mit dem Zug zu fahren. Das war dann schön stressfrei, und ich konnte auch mal zum leckeren OL-Bier greifen.

Shorta – Action aus Dänemark. Und was für welche. „Shorta“ (arabisch für „Polizei“) muss sich nicht vor anderen Vertretern seiner Art, z.B. aus Frankreich oder den USA verstecken. Im Gegenteil. Natürlich erfindet auch „Shorta“ das Rad nicht neu, so mixen die beiden Regisseure Frederik Louis Hviid und Anders Ølholm Elemente, die man aus Filmen wie „Training Day“, „End of Watch“, „La Haine“ und erst kürzlich „Les Misarables“ kennt. Doch wie er es macht, ist schon beeindruckend.

Der Film fängt an, wie man es schon häufig gesehen hat. Zwei unterschiedliche Cops werden zusammen auf Streife geschickt. Der eine Jens (Simon Sears), ruhig und reflektiert, bemüht Verständnis für die Gegenseite aufzubringen. Der andere, Mike (Jacob Lohmann), latent gewalttätig mit starkem Hang zur Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Ein Musterbeispiel für Polizeigewalt. Zwischen ihnen steht neben ihren unterschiedlichen Temperamenten und Einstellungen noch eine ganz handfeste Sache. Jens war dabei, als zwei Kollegen einen 19-jährigen Migranten Talib Ben Hassi in Polizeigewahrsam fast zu Tode geprügelt haben. Er zwar noch nicht vor der internen Untersuchungskommission ausgesagt, will es aber tun. Mike hat dafür kein Verständnis. Bei ihm steht der Corps-Geist über allem und Jens ist für ihn ein potentieller Verräter. Klar, dass diese Spannungen sich langsam aufschaukeln, bis sie bald eskalieren.

Bis dahin fahren die beiden Polizisten Streife durch Svalegården, einem Ghetto in der Nähe von Kopenhagen. Hier lernen wie die Menschen kennen, die dort wohnen. Kleinkriminelle, frustrierte Jugendliche, Gangster, die versuchen letztere von der Straße weg zu rekrutieren. Aber auch einige wenige, die sich gegen die Banden-Kriminalität stellen, versuchen den Jugendlichen Anstand und eine Perspektive zu vermitteln – und dann doch an Leuten wie Mike zu scheitern drohen. Als Talib Ben Hassi im Krankenhaus stirbt, explodiert das Ghetto förmlich. Gewaltbereite Banden machen Jagd auf Polizisten, es gibt Plünderungen, Brandstiftungen, Explosionen. Es fallen überall Schüsse und ein Schritt vor die Tür wird lebensgefährlich. Und mittendrin stecken Jens und Mike zusammen mit dem jungen Amos, den Mike auf dem Kieker hat und seit dieser nach einer fiesen Schikane Mikes ihren Polizeiwagen mit einem Michshake beworfen hat. Mike will Amos unbedingt auf die Wache zerren. Zu dritt geht es durch die Hölle von Svalegården, verfolgt von motorisierten Jugendlichen, vermummenden und bewaffneten Gestalten und unsichtbaren Scharfschützen in den seelenlosen Wohnsilos.

Dieses Katz-und-Maus-Szenario kennt man natürlich und man denkt unweigerlich an Filme wie Die Klapperschlange, Die Warriors, Riffs – Die Gewalt sind wir oder Judgement Day. Da die Hetzjagd aber ausgesprochen dynamisch, nah dran an den Figuren und realistisch umgesetzt wird, fiebert man mit den Protagonisten mit schweißnassen Händen mit. Eine sehr interessante Wendung, die den Film weit über das Mittelmaß hebt, stellt sich im letzten Drittel ein, wenn sich die Wege von Jens und Mike trennen, ,„Shorta“ den bisherigen Sympathieträger und Hauptfigur Jens verlässt und sich auf Mike konzentriert. Der dann wiederum einige Erlebnisse hat, die ihn zum Überdenken seiner eigenen Position veranlassen könnten. Oder auch nicht. Dies lässt der Film angenehm ambivalent. Ebenso wie Jens, der ebenfalls mit Ereignissen konfrontiert wird, die sein Selbstbild bis ins Mark erschüttern. Das ist sehr spannend und das konsequente, wie auch nicht alle Fragen beantwortende Ende, lässt einen noch lange über darüber nachgrübeln, was eigentlich das eigene Denken und die eigenen Vorurteile prägt. Und wie man selber sich in ähnlichen Situationen verhält. Starkes Kino aus Dänemark.

The Five Rules of Success – „Five Rules of Success“ lief in der Midnight Xpress-Schiene, was etwas verwundert, da diese hauptsächlich Genre-Filmen mit eher fantastischem Inhalt vorbehalten ist. „Five Rules“ ist aber eher ein Sozialdrama, auch wenn Motive des Gangsterfilms gestreift werden und bei einigen Szenen nicht klar ist, was hier Traum und was Wirklichkeit ist. Dies gilt vor allem für den seltsamen Handlungstrang mit der Bewährungshelferin, die sich sehr merkwürdig verhält und auch schon mal um Mitternacht in Xs Wohnung sitzt und ihn sexuell erpresst. Andererseits wird gerade dieser am Ende essenziell für die „in der Realität“ handelnde Haupthandlung. Wie dem auch sei, mit „Five Rules“ ist ein sehr empfehlenswerter Low-Budget-Film gelungen, bei dem gespannt an den Fersen des Protagonisten kleben. Der junge X (die Figur hat keinen Namen) wird nach vielen Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Wie wir später erfahren, sitzt er hier seitdem er ein Jugendlicher war seine Strafe für ein Verbrechen, welches man höchstens als Totschlag im Effekt bezeichnen kann ab. Warum X nun so lange Jahre im Gefängnis war, ist hier nicht wirklich nachvollziehbar.

Wieder draußen, scheint kaum jemand zu glauben, dass er den rechten Weg finden könnte. Aber X ist ehrgeizig und hat sich seine fünf Regeln zum Erfolg aufgestellt, an die er sich streng halten will. Er kommt bei einem väterlichen Restaurantbesitzer mit griechischen Wurzeln unter und arbeitet sich hier vom Boten zum Kellner hoch. Allerdings ist Danny, der Sohn des Restaurantbesitzers ein Kleinkrimineller, der gerne auf den Putz haut und mehr wäre, als er eigentlich ist. Natürlich zieht er X wieder voll rein ins Verbrechen und so sehr sich X auch bemüht, durch Danny drohen all seine guten Vorsätze nach und nach zu zerbröckeln. Ist Xs einzige Chance ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen die, sich immer mehr in immer größere Verbrechen zu verstricken? Im Programmheft steht: „(…) prangert die inhärente Ungerechtigkeit eines korrupten US-Justizsystems an, das Resozialisierung faktisch unmöglich macht.“. Das mag sein, allerdings hier nicht der Fall, denn X findet schnell Unterstützung durch den Restaurantbesitzer und alles was ihm dann passiert, liegt an ihm selber, da er sich nicht von Danny fernhält und – zwar zunächst widerwillig, dann aber immer bewusster – jeden Mist mitmacht, den diese leicht psychopathische, dümmliche Person verzapft. Selbst die Repressionen durch die bereits genannte Bewährungshelferin sind nichts, was ihn davon abhalten sollte, seine Bewährungsauflagen einzuhalten und am Ende als freier Mann dazustehen.

Von diesen Ungereimtheiten abgesehen, ist „Five Rules“ ein guter Film, der den Zuschauer mit X mitfiebern lässt. Regisseur Orson Oblowitz inszeniert den Film einerseits rau, andererseits teilweise sehr delirant. Zwar kommt er ohne einige Stereotypen nicht aus, aber lässt man sich darauf ein, dann hat man es mit einem packenden Film zu tun, der ein reinreißt in den Strudel, der Xs Leben darstellt. Dass „Five Rules“ so effektiv ist, liegt auch an seinem Hauptdarsteller. Santiago Seguras spielt den X minimalistisch und ohne große Expressivität. Aber das passt zu der Rolle. Aus X wird man nicht so richtig schlau. Warum er im Gefängnis war wird er spät aufgelöst, Alpträume deuten es aber schon früh an. Aber er wirkt hinter seiner kühlen Fassade zwar undurchschaubar, aber doch spürt man das Brodeln in ihm mit der absoluten Überzeugung und dem Ehrgeiz es schaffen zu können, so dass man interessiert an ihm bleibt. Dabei wirkt er einerseits sympathisch, andererseits spürt man unter der Oberfläche eine gewisse Bedrohlichkeit, die man nicht ganz fassen kann. Gleichzeitig fasziniert einen Xs Ehrgeiz den amerikanischen Traum zu leben, mit den titelgebenden fünf Regeln als Anleitung zum Erfolg. Demgegenüber wirkt Danny eher wie eine Parodie. Jonathan Howard spielt diese Figur genauso, wie man es erwartet und man es von Schauspielern wie Michael Rapaport (mit dem er eine gewisse Ähnlichkeit hat) oder Eric Roberts schon gesehen hat. Dadurch ist Danny etwas eindimensional geraten, gibt aber einen guten Kontrapunkt zum vielschichtigen X und die zurückhaltende Darstellung Santiago Seguras‘ ab. „Five Rules“ ist ein Film, der einem noch lange im Gedächtnis bleibt.

Das war also mein zweiter Tag auf dem 27. Internationalen Filmfest Oldenburg. Diesmal gab es – im Gegensatz zum Vortag im Casablanca –sogar eine kurze Ansage vor dem Film. Aber wie ich belauschen musste, eher improvisiert. Sprich: Jemand vom Tresen-Team wurde ausgeguckt und gesagt: Kannst ja vom Programmheft ablesen, da steht alles drin. Und so war das dann auch. Aber besser als nichts. Ansonsten war das Filmfest selber seltsam abwesend. Bis auf den Kartenkontrolleur im Filmfest-T-Shirt sah man niemanden, der etwas mit dem Filmfest zu tun hatte. Das mag in vergangenen Jahren auch so gewesen sein, aber hier fiel es mir stark auf. Wahrscheinlich lag es auch daran, dass keine Gäste zugegen waren, die ja normalerweise immer einen ganzen Tross an Leuten hinter sich her ziehen.

Die Rückfahrt im Zug gestaltete sich dann passend zum Festival-Besuch. Ich hatte einen ganzen Wagen für mich allein.

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Bericht vom 27. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 1

Nach Oldenburg fahren oder nicht? Die Frage quälte mich lange Zeit. Der Gedanke dabei war: Wenn nur drei Kinos bespielt und diese noch durch die Corona-Schutzmaßnahmen einen Bruchteil an Publikum aufnehmen können, dann müsste die Tickets im Pressekontingent des Festivals doch in Windeseile weg sein. Meine Befürchtung: Wenn ich erst am Freitag in Oldenburg aufschlage und darauf spekuliere, dass es noch Karten für die Presse gibt, dann könnte ich in die Röhre gucken und dann noch normale Publikumskarten zu bekommen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Aber ein sehr netter und hilfsbereiter Kontakt mit der Presseabteilung des Festivals (Danke an dieser Stelle an Fabio) zerstreute dann meine Zweifel und am Freitag setzte ich mich ins Auto und fuhr mit vor Vorfreude klopfenden Herzen nach Oldenburg. Dort lief auch alles gut und bald schon hatte ich Tickets für sechs Filme in der Tasche. Eine etwas merkwürdige Begegnung hatte ich nur als ich im Festivalbüro die Örtlichkeiten aufsuchte mit mich plötzlich neben Daniel Araoz wiederfand, den ich ja am Vortag in „The Longest Night“ als fiesen Serienvergewaltiger erlebt hatte. Hmmm.

Da ich mir genug Zeitpuffer gegönnt hatte, nutzte ich die Zeit, um durch Oldenburg zu schlendern. Was irgendwie eine seltsame Stimmung in mir auslöste. Oldenburg war immer ein Ort, den ich gerne besucht habe, und der mit einer tollen Innenstadt punkten konnte. Aber jetzt fielen mir die vielen Leerstände auf und die Einkaufsstraßen wirkten irgendwie „unaufgeräumt“ und ramschig. Wie immer schaute ich mal im Müller vorbei, wo ich mir gerne mal Andenken in Form von Blu-rays mitgenommen habe. Die Media-Abteilung wurde aber drastisch reduziert und ist ebenso langweilig wie trist geworden. Dafür fand ich mitten in der Innenstadt einen versteckten Second-Hand-Platten-Laden. Ein wenig versteckt in der 1. Etage eines Eckhauses und nur über eine schmales Treppenhaus zu erreichen. Der Laden selber ist riesig und in der Mitte steht eine echte Bühne. Da ich aber ganz allein hier auf weiter Flur war und irgendwann auch noch der Mann an der Kasse verschwand, hatte das eine ganz eigentümliche Atmosphäre. Ich kann es nicht richtig beschreiben, aber Oldenburg wirkte irgendwie leer und ein wenig runtergekommen. So ein wenig wie Galeria Kaufhof hier in Bremen kurz vor der Schließung. Seltsam und irgendwie auch traurig. Ich hoffe nach Corona gerappelt sich die Stadt wieder etwas.

Ähnliches erlebte ich dann auch im Casablanca, meinem Kino für den heutigen Tag. Brummt hier während des Filmfests das Leben und liegt eine beinahe greifbare, aufgeregte Elektrizität in der Luft, so war davon nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Keine Schlangen vor den Kinos. Keine Atmosphäre. Da ich allein auf weiter Flur war, dachte ich, der erste Film beginnt um 19:30. Erst als ich mich draußen hingesetzt und noch einmal durch das Programmheft geblättert hatte, fiel mir auf, dass der Film schon lief. Nun, normalerweise heißt beim Filmfest 19:00 Beginn, dass man um die Uhrzeit eventuell daran denkt, die Leute reinzulassen – und dann kommt noch die Ansage und vielleicht die Vorstellung eines Gasts. Hier schlüpfte ich noch schnell rein und der Film lief schon. Und das um 19:05! Unvorstellbar. Leider hatte ich bei dieser Vorstellung den „Rasiersitz“ in der ersten Reihe erwischt. Normalerweise im Casablanca kein Problem, aber das Filmfestprogramm lief ausschließlich im Kino 1 (wo ich seltsamerweise noch nie gewesen bin) und dort ist das schon extrem nah an der Leinwand. Aber egal, auch so wurde ich schnell in den Film gezogen.

American Thief – Amerika vor den Präsidentschaftswahlen 2016. Ein bereits gespaltenes Land indem die farbige Bevölkerung Schutz vor einer rassistischen Polizei suchen muss. In dem man als Nicht- Weißer ständig in Gefahr schwebt. Wo sich einige gegen die Hoffnungslosigkeit stemmen und etwas ändern wollen. Zu diesen gehören Toncruz und Diop, zwei Hacker. Der eine will einfach nur die Welt zum Besseren ändern, der andere hat zusätzlich noch ein gehöriges Päckchen mit sich herumzuschleppen. Einst brachte ein weißer Polizist vor seinen Augen seinen wehrlosen Vater um. Seitdem sucht er diesen Mann, um sich zu rächen. Und dadurch wird er zum Spielball von manipulativen Mächten, deren Agenda im Film nicht wirklich klar wird. Was aber zur paranoiden Atmosphäre dieser aufgeladenen Tagen im Jahr 2016 beiträgt.

Man sollte gar nicht erst versuchen, genau dechiffrieren zu wollen, was um Toncruz und Diop herum eigentlich vorgeht. Sie werden es selber nicht herausfinden. Ebenso wenig wie „The Man in the Van“, ein weißer Vlogger, der in seinem Bus lebt und seine Sicht auf die Welt, was oftmals den Geruch von Verschwörungstheorien hat, auf YouTube hochlädt. Und der wie Toncruz eines Tages online von einem „Unidentified User“ kontaktiert wird und so zur Spielfigur eines größeren Spieles wird. Regisseur Miguel Silveira mischt perfekt eine semi-dokumentarische Herangehensweise mit dem Paranoia-Thriller der 70er Jahre und kreiert damit eine bedrohliche, verwirrende und angenehme Stimmung, in der sich nicht nur die Protagonisten verlieren. Und die bald schon die ersten Opfer fordert.

Dass einen „American Thief“ nicht kalt lässt, liegt auch an den hervorragenden, sehr sympathischen Darstellern. Allen voran natürlich Xisko Maximo Monroe (in seiner ersten Filmrolle überhaupt) als von Rachegedanken zerfressenen Toncruz, aber auch Khadim Diop als sein Kumpel Diop (optisch zwischen Malcom X und Herbie Hancock) schließt man schnell ins Herz. Demgegenüber ist Ben Becher als Vlogger Paul Hunter ein eher konventioneller, aber nicht weniger positiv besetzter Held. Sie alle müssen Opfer bringen, in diesem unheilvollen Gemisch aus Verschwörung, Manipulation, Überwachung und eiskalten Killern, das irgendwas mit Wahlbetrug, Islamischen Staat, Trump und Geheimdiensten zu tun hat. Ein Cocktail, welcher zunehmend auch die Kehle des Zuschauers zuschnürt und ein ebenso gutes, wie besorgniserregendes Bild vom prekären Stand der Dinge im Home of the Brave and Land of the Free zeichnet.

Nach dem Film machte ich es mir in einem kleinen Durchgangsraum mit Bistro-Tischen bequem. Von hier hatte ich einen guten Blick auf den Eingangsbereich des Kinos. Und es war wirklich nichts los. Ab und zu tröpfelten Gäste in die Vorstellung, und irgendwie vermisste ich das aufgeregte Gewusel und echte Festivalfeeling. Als ich dann ins Kino trottete, stellte ich fest, dass ich jetzt ganz oben in der letzten Reihe platziert war, was mir einen guten Überblick über das Kino gab. Dieses war leider recht leer, was nicht unbedingt nur an den Corona-Maßnahmen lag. Auch so hätte noch locker die doppelte Anzahl an Zuschauern in den Saal gedurft.

Black Jade – „Black Jade“ ist so etwas wie der prototypische Oldenburg-Film. Ein amerikanischer Indiefilm. Ein Debütfilm mit hohem visuellem Anspruch. Ein wenig verkopft. Ein wenig persönlich. Fantasiereich, aber durchschaubar. Und vielleicht nicht ganz so clever, wie er selber glaubt. Aber nach der Sichtung ärgert man sich nicht, sondern hat genug positive Dinge gefunden, welche einen gnädig auf das Werk zurückschauen lassen.

Raymond Sykes ist Schriftsteller oder will es vielmehr sein. Während er Zuhause sitzt und versucht seinen großen Roman in die (natürlich altmodische) Schreibmaschine zu hauen und den Haushalt macht, ist seine Frau Dorothy diejenige, die ihre Karriere vorantreibt und das Geld nach Hause bringt. Beide sind mit der Situation unzufrieden. Sie von dem Typen, der große Reden vom Künstler schwingt, aber nichts auf die Reihe bringt und den Tag im Unterhemd verbringt. Er von seiner Situation und seiner Frau, die ohne Handy am Ohr und Business-Kleidern nicht mehr denkbar ist und ihn ständig dran erinnert, wer hier sein Leben im Griff und Erfolg hat – und wer eben nicht. Die Beiden haben sich auseinandergelebt und sind voneinander genervt. Als eines Tages Dorothys Schwester Delilah auftaucht, die eine echte Partymaus ist und eher unkonventionell auftritt, erinnert sich Raymond daran, was er eigentlich für eine Partnerin wollte. Ab hier entwickelt sich ein Verwirrspiel aus Realität und Fantasie, welches Regisseur Guy Longstreet in wunderschöne, schwarz-weiße Bilder mit gelegentlichen roten Farbflecken einfängt. Zeiten und Orte ändern sich immer wieder, aus der wilden Delilah wird die mädchenhafte Adele.

Was sich nur in Raymonds Kopf abspielt und was wirklich passiert, lässt Regisseur Longstreet bewusst offen. Auch wenn man recht schnell weiß, wie der Hase läuft, da der Film nicht wirklich Neues zu bieten hat, was man nicht in ähnlichen Filmen, die beim Internationalen Filmfest Oldenburg liefen gesehen hat. Aber Longstreet bringt das alles in eine schön anzusehende Form, hat mit Gareth Koorzen einen interessant anzusehenden Hauptdarsteller, der irgendwie gleichzeitig an Ray Liotta und Leonardo DiCaprio erinnert, und der in dem attraktiven Schwarz-Weiß tatsächlich auch aus der Zeit gefallen scheint, wie eine Figur aus einem 40er Film Noir. Leider kann da Debütantin Sasha Grant in der Dreifachrolle als Dorothy und Delilah/Adele nicht mithalten. Gerade als Dorothy wirkt sie oftmals aufgesetzt und wenig souverän. Aber die gute Kameraarbeit und der tolle Soundtrack entschädigen für viel. Und ein wirklich schlechter Film ist „Black Jade“ nun auch nicht. Nur nicht so pfiffig und außergewöhnlich, wie er gerne wäre, aber interessant, durchaus unterhaltsam und schön anzusehen.

Auf dem Weg zum Auto überlegte ich noch, warum sich das heute alles so seltsam angefühlt hat. Und erst da fiel mir auf, dass es im Casablanca auch keinerlei Ankündigungen oder kurze Einführungen gegeben hat. Mit Gästen hatte ich eh nicht gerechnet, aber normalerweise kommt mindestens jemand vom Festival, begrüßt das Publikum und erzählt ein paar Worte zum Film. Das fand hier heute nicht statt. Man hatte einfach das Gefühl, ganz normal ins Kino gegangen zu sein. Von einem „Event“ fehlte jede Spur. Schade.

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Bericht vom 27. Internationalen Filmfest Oldenburg – Prelude

2020. Das Corona-Jahr. Alles ist anders. Und das ist meistens nicht gut. Die Veranstaltungsbranche steht kurz vor dem Kollaps. Die Ersten hat es schon erwischt, weitere werden wahrscheinlich folgen. Aber es gibt Veranstaltungen, die sich gegen die ganze Scheiße stemmen. Die laut rufen: Wir sind noch hier! Das Überseefestival war solch ein heller Punkt in einem kulturell düsteren Jahr. Und auch das 27. Internationale Filmfest in Oldenburg ließ sich nicht unterkriegen. Zwar standen in der Stadt selber nur drei Abspielstätten zur Verfügung, dafür wurde viel ins Internet ausgelagert, wo man zusammen mit einem Partner, der VoD-Plattform Pantaflix, virtuelle Kinosäle einrichtete.

Lange habe ich gezögert, ob ich dieses Jahr vor Ort sein werde, oder nur online partizipiere. Am Ende bin ich dann hingefahren, wovon ich in den nächsten beiden Tagen berichteten werde. Aber da das Filmfest in diesem Jahr einen hybriden Ansatz hatte, war es für mich natürlich selbstverständlich, auch einmal bei Pantaflix hineinzuschauen. Auch damit ich einen guten Vergleich On-/Offline habe. Technisch war das alles auch gar kein Problem. Die Menüführung bei Pantaflix war selbsterklärend, das Kaufen von Tickets und der Zugang zu Film einfach und unkompliziert. Für 21:15 Uhr eine Einführung angekündigt.

Doch man sah nichts. Außer etwas was aussah, was wie ein Standbild aus einem leeren Kinosaal aussah.

Auch neu laden, noch einmal anmelden und die Flucht auf den zweiten Server brachte nichts. Irgendwann ging der Vorhang auf, gab die Leinwand frei – und ging dann wieder zu. Das wiederholte sich noch ein paar Mal. Von einer Einführung keine Spur und mittlerweile war es Zeit dass der Film anfing. Plötzlich aber tauchte Festival-Chef Torsten Neumann vor der Kamera auf, sagte ein-zwei Sätze und dann ging es gleich mit dem Festival-Trailer und dem Film los. Die Bild- und Tonqualität war tadellos, es gab keine Ruckler, Wackler oder ähnliches und man konnte den Film störungsfrei genießen.

 

The Longest Night – Dieser argentinische Film beruht auf Tatsachen und behandelt den Fall eines Serienvergewaltigers Marcelo Mario Sajen, der in Cordoba zwischen 1985 und 2004 nachgewiesen 93 Frauen vergewaltigte. Dabei ging er mit äußerster Brutalität und Abgeklärtheit vor. Die Frauen entführte er quasi vor den Augen aller und lange nahm die Polizei die Bedrohung nicht ernst. Dies änderte sich erst, als eines der Opfer eine Ketten-Email absetzte, in der sie von ihren Erlebnissen berichtete und mitteilte, dass sie davon Kenntnis gewonnen hätte, dass noch viel mehr Frauen betroffen waren. Erst dort erhöhte sich der öffentliche Druck – vor allem durch Frauenrechtsgruppen – auf die Polizei, die sich endlich ernsthaft mit dem Fall auseinandersetzte und bald den Täter festnehmen konnte.

„The Longest Night“ zerfällt in zwei Hälften. Zunächst zeigt Regisseur Moroco Colman exemplarisch an drei Fällen die Taten des Vergewaltigers. Was nicht ganz unproblematisch ist, denn einerseits kleidet Colman diese Episoden in kunstvolle, teilweise überraschend explizite Bilder. Andererseits lernt man die Opfer ebenso wenig kennen wie den Täter. So bleibt der fade Beigeschmack purer Exploitation, die hier gar nicht zum Film und seinem Anliegen passen. Hätte sich Colman auf die Sicht eines Opfer verlegt, oder wie zum Beispiel John McNaughton in „Henry – Portrait of a Serial Killer“, die Perspektive des Täters, so wäre die Wirkung hier sicherlich schlagkräftiger gewesen. So bleiben uns beide Parteien fremd und egal. Was hängen bleibt sind die Bilder der Vergewaltigung, des gewaltigen Schwanzes des Vergewaltigers in den Mündern der Opfer und die Nacktheit.

Zwar gibt es auch kurze Schlaglichter auf den Täter, wenn er im Rahmen seiner Familie oder mit Freunden gezeigt wird. Aber im Grunde bleibt es egal. Bzw. unverständlich, da der famose Daniel Araoz ihn als unsympathisches, hässliches Monster anlegt, bei dem man sich fragt, wie so jemand überhaupt eine Frau gefunden hat, um mit ihr eine Familie zu gründen. Dieses Verhältnis – es wird auch erwähnt, dass Marcelo Mario Sajen Bigamist war, dessen beide Familien nichts voneinander wussten – wird nie wirklich behandelt.

Problematisch ist auch, dass Daniel Araoz so überhaupt nicht aussieht wie der reale Marcelo Mario Sajen, den wir in der zweiten Hälfte in dokumentarischen Aufnahmen sehen. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Protest der Frauen und Colman mischt historische Aufnahmen mit Spielszenen. Das geht aber alles sehr schnell und auch hier nimmt sich Colman nicht viel Zeit, um den Zuschauer mitzunehmen. Die Bilder prasseln an einem vorbei, wirklich involviert wird man nie. Dementsprechend ist die stärkste Szene des Films jene, in der eins von Sajens Opfern zur Polizei geht und sich dort vor zwei älteren Herren die ganze entwürdigende Prozedur der Untersuchung über sich ergehen lassen muss. Dies hinterlässt einen dicken Kloß im Hals, den eigentlich auch der restliche Film verursachen sollte. Aber der gerade einmal 70minütige Film, welcher ansonsten mit einer tollen Kameraarbeit, einem ausgesprochen effektiven Sounddesign und einem grandiosen Daniel Araoz als Marcelo Mario Sajen punktet, lässt einen diesbezüglich leider ziemlich kalt.

Nach dem Film sollte direkt eine Q&A anschließen, aber nichts geschah. Wieder sah man nur das leere Kino und die Leinwand. Erst wartete ich geduldig, dann irgendwann stellte ich den Laptop zur Seite und machte etwas anders. Doch tatsächlich.. nach geschlagenen 20 Minuten begann plötzlich eine Übertragung, scheinbar aus einem anderen Kino, und Regisseur und Hauptdarsteller betraten die Bühne, um vor ausgedünntem Publikum doch noch über den Film zu sprechen. Das war recht interessant und gut moderiert und das dranbleiben hat sich definitiv gelohnt.

Aber wie war nun die Erfahrung „Filmfestival-via-Laptop“? Nun, ich muss sagen zur Not geht es, aber ich mag es eh nicht gerne, Filme über den kleinen Monitor zu sehen. Das hat für mich mehr von „konsumieren“ statt „zelebrieren“. Ich hatte noch versucht, irgendwie die Übertragung auf unserem Firestick hinzubekommen, um den Film im größeren Format zu sehen. Aber das gelang mir nur halb und mit abgeschnittenen Rändern. Da wollte ich dann auch nicht mehr viel experimentieren. War okay und in dieser speziellen Zeit sicherlich der gangbarste Weg, aber ich würde immer das Kino bevorzugen und war dementsprechend glücklich, mich entschieden zu haben, am nächsten Tag nach Oldenburg zu fahren, um das Festival dort zu erleben, wo es hingehört: Im Kino.

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Das Bloggen der Anderen (05-10-20)

– Für critic.de besucht Till Kadritzke das diesjährige Filmfest Hamburg. Im ersten Teil berichtet er von den Filmen „Frühling in Paris“ und „Rascal“, im zweiten Teil geht es um Filme, die sich mit den heutigen Amerika befassen, u.a. den neuen Film von Frederick Wiseman.

– Als pubertierender Jugendlicher sah ich einmal „Massenmord in San Francisco“ im Fernsehen. Das hat mich etwas verstört, insbesondere, da ich bis dahin nur den „lustigen“ Walter Matthau kannte. Anlässlich dessen 100. Geburtstags hat Ansgar Skulme auf Die Nacht der lebenden Texte ein langes Essay über diesen Film geschrieben.

– Einen äußerst berüchtigten Klassiker stellt Rouven Linnarz auf film-rezensionen.de vor. Die Rede ist von „Maniac“. Die Punktewertung verstehe ich allerdings nicht so ganz. Aufgrund der Review (und der eigenen Einschätzung) hätte ich mindestens 1 Punkt mehr erwartet.

– Ähnliches auch bei Filmsucht.org, wo Park Chan-wook Magenschwinger „Sympathy für Mr. Vengeance“ (meiner Meinung nach der beste und effektivste Teil der „Vengeance“-Trilogie) trotz guter Besprechung auch „nur“ 7 von 10 bekommt.

– Und wenn ich schon beim Widersprechen bin: Paul Naschys „The Mummy’s Revenge“ habe ich als einen großen Knuffel in Erinnerung. Die allerdings jetzt auch schon ein paar Jahrzehnte alt ist. Schlombies Filmbesprechungen mochte den allerdings gar nicht.

– Zu den von Nischenkino besprochen Film „The Executor“ von Giuliano Carnimeo alias Anthony Ascot haben ich auf diesen Seiten auch mal was geschrieben, was nicht ganz so hart mit dem Film ins Gericht geht und kurzgefasst „doof, aber unterhaltsam“ lautete. Wer Lust hat kann suchen, wer keine Lust hat, kann auch gerne Bluntwolfs Einschätzung lesen.

– Oliver Nöding muss sich auf Remember It For Later erst einmal von dem Ober-Schmierer „Convoi de femmes“ erholten. Ich kenne ja einige Leute, die den im B-Movie in Hamburg gesehen haben und sich danach ein regelrecht schlechtes Gewissen hatten. Was man nach Olivers Besprechung versteht. Aber es gibt ja auch schöne Dinge, wie zum Beispiel Barbara Bouchet und Rosalba Neri, die in „Alla ricerca del piacere“ dabei sind, der mich bei meiner Sichtung vor einiger Zeit sehr positiv überrascht hat und auch hier nicht schlecht wegkommt.

– Eine Horror-Reihe, die ich nie gesehen habe ist die um den Leprechaun. Laut Heiko von Allesglotzer ist die letzte Inkarnation „Leprechaun Returns“ der beste der bisherigen acht Teil. Ob ich den jetzt mal gucke? Ich weiß nicht.

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