Der Sonntag ist ja immer mein heimlicher Lieblingstag beim Filmfest Oldenburg. Da liegt so eine wunderbare Entspannung nach den hektischen und aufregenden Vortagen in der Luft. Da aber von Hektik und Aufregung schon vorher nicht gesprochen werden konnte, war es diesmal ein Tag wieder jeder andere. Das heißt, nein, bei meiner Ankunft erinnerte die Kulturetage erstmals an gute, Nicht-Coronazeiten auf dem Festival. Auf der Straße und den Treppen vor der Kulturetage standen viele Menschen, unterhielten sich angeregt und ja – es gab so etwas wie Festivalatmosphäre. Dies lag allerdings daran, dass die Preisverleihungsveranstaltung in diesem Jahr vom Stadttheater in die Kulturetage verlegt worden war. Und sobald man sich zwischen den Fotografen durch zum Treppenhaus des cineK gedrängelt hatte, war es damit auch schon wieder vorbei.
Precarious – Auf „Precarious“ hatte ich mich sehr gefreut. Sieben Jahre hatte Regisseur Wes Terray an dem Film gearbeitet und alle Props für sein surreales Märchen in Handarbeit hergestellt. Zudem lässt die seltsame Geschichte um einen Mann namens Henry, der nachdem er auf einer einsamen Bergstraße in einen Mordanschlag geraten und dabei schwer verletzt wurde, orientierungslos in einem Landhaus aufwacht, in dem sich zunächst ein fürsorglicher Arzt und seine Tochter um ihn kümmern. Doch er schwebt in Gefahr, der Attentäter greift das Haus an, er flüchtet indem er in der Matratze des Mädchens versinkt und zwischen den Wänden des Landhauses flüchtet. Bald trifft er auf einen ehrgeizigen Journalisten, eine seltsame junge Frau in einem Bus, der eine Bibliothek ist und von da an geht es immer weiter in seltsame Situationen und merkwürdige Zusammentreffen.
Das klingt irgendwie nach Jan Svankmajer, die Quay Brüder, Guy Maddin oder den fantastischen „Junk Head“, den ich 2017 in Oldenburg sah. Aber vielleicht war es diese hohe Erwartungshaltung, die mich den Film eher kühl rezipieren ließ. Nein, schlecht ist „Precarious“ keineswegs und tatsächlich erinnert er immer wieder an die genannten Filmemacher. Er punktet mit viel Fantasie, die liebevoll handgemachten Kulissen und Austattungsgegenstände. Die scheinbar Ende der 50er spielende, tatsächlich aber zeitlose Geschichte weiß zu gefallen und die Schauspieler, die hier in der Mehrzahl das erste Mal vor der Kamera agieren, sind sehr gut gewählt, charismatisch, und insbesondere Hauptdarsteller Andrey Pfening wirkt wie aus der Zeit gefallen. Besonders erwähnt werden muss aber auch seine Mit- und Gegenspielerin Juliana Frick, die in einer Doppelrolle mit viel seltsamer Ausstrahlung glänzt.
Man hat nur das Gefühl, dass Wes Terray zwar viele Ideen in seinen Film einbringen konnte, teilweise doch ein wenig mit angezogener Handbremse agiert und sich nicht traut, sich komplett in seine verrückte Traumwelt fallen zu lassen. Grandiosen Szenen, wie Henrys Flucht aus dem Haus des Arztes folgen Szenen, die demgegenüber eher zurückhaltend wirken. Das war zumindest mein Gefühl während des Filmes. In der Erinnerung überwiegt nun aber das Positive. Die tolle Kamera, der dramatisch-altmodische Orchesterscore, die charakteristischen Typen, die ganze Ausstattung und die Kulissen, von den ich jetzt lass, dass sie falls komplett im Wohnzimmer des Regisseurs entstand. Auch die Geschichte entpuppt sich im Nachhinein als gar nicht mal so unelegante Metapher auf Süchte und Abhängigkeiten, denen man nicht entgehen kann. Nun auf „Precarious“ zurückschauend, habe ich plötzlich große Lust, mich noch einmal in dessen Welt zu begeben. Ich hoffe, der Film bekommt eine anständige Veröffentlichung – vielleicht sogar in Deutschland. Bildstörung, übernehmen Sie!
Alone – Auf diesen Film war ich besonders gespannt, da ich über Regisseur John Hyams zwar schon sehr viel lobende Worte hörte, aber es bisher tatsächlich nicht geschafft hatte, eines seiner Werke zu sehen. Dabei war er auch schon mal mit dem für ihn eher untypischen Little-League-Baseball-Film „All Square“ in Oldenburg zu Gast. Die Projektion war leider suboptimal und verhinderte zunächst, dass ich in den Film reinkam. Alle 30 Sekunden hatte man nämlich das Gefühl, es würden Frames fehlen und gleichzeitig der Film etwas verlangsamen, was einen seltsamen „Stotter-Effekt“ verursachte, von dem ich erst dachte, er sei gewollt. Da er jedoch regelmäßig wiederkehrte und das in Szenen, die dafür nun wirklich nicht passend war, merkte ich bald, dass hier wohl ein Kompressionsfehler bei der Vorlage vorlag, was mich dann zunehmend nervte. Aber auf der positiven Seite, der Film war dann doch so spannend, dass ich mit zunehmender Laufzeit drüber hinwegsehen konnte.
Dabei erzählt „Alone“ nun wirklich keine neue Geschichte. Ganz im Gegenteil. Umso überraschter war ich, dass es sich auch noch um ein Remake handelte. Also die Neuverfilmung eines Stoffes, den man so schon unzählige Mal gesehen hat. Tut das Not? Sicher nicht, aber John Hyams ist ein sehr versierter und talentierter Regisseur, der aus der ausgequetschten Zitrone noch eine leckere Limo zaubern kann. Worum geht es? Eine Frau wird auf ihrer Autoreise durch die USA von einem geheimnisvollen und unheimlichen Mann verfolgt, der sie erst in Todesgefahr bringt und dann immer wieder an unerwarteten Stellen auftaucht. Bevor man „Duell“ oder „Joyride“ (von dem ich gerade sehe es tatsächlich schon drei Teile gibt) sagen kann, hat er sie entführt und in seinem Keller eingesperrt. Von dort kann sie entkommen und es entwickelt sich ein mörderischer Zweikampf zwischen Jäger und Gejagter.
Kommt das einem alles reichlich bekannt vor? Ja. Aber Hyams macht das Beste draus, hat mit Jules Willcox und Marc Menchaca zwei glaubwürdige Darsteller an Bord, die so sympathisch (Willcox) bzw. widerlich (Menchaca) sind, dass es Freude macht, das fiese Duell zu verfolgen. Und Hyams versteht sich auf Action. Und vor allem weiß er auch die äußerst beeindruckende Landschaft von Oregon perfekt in seinen Film einzubinden. So verzeiht man die Vorhersehbarkeit, erfreut sich an der konzentrierten und temporeichen Inszenierung, die hier und da für wirklich unangenehme Momente und erhöhten Adrenalinspiegel sorgt. Und am Ende wird man dann mit einem befriedigenden Finale belohnt, welches zeigt, dass man von Hyams, der einst als Hoffnung des modernen Actionfilms galt, sein Pulver noch nicht verschossen hat. 98 Minuten, die wie im Flug vergehen und ein schöner Abschluss des diesjährigen Festivals.
Das war es mit dem 27. Internationalen Filmfest Oldenburg. Ein seltsames Jahr, ein seltsamer Besuch. Aber ich bin sehr froh, dabei gewesen zu sein – denn auch wenn es nicht so war wie sonst – die Filme auf der großen Leinwand, im Kino, sehen zu können, habe ich sehr vermisst und neben dem für Oktober geplanten Deliria-Italiano-Forentreffen, war es das erste cineastische Highlight, seit der ganze Mist im März angefangen hat. Und so traurig es ist – wahrscheinlich auch der das letzte für wieder einmal eine lange Zeit. Schade, dass Corona das Festival torpediert hat, denn der Filmjahrgang war sehr stark. Ich konnte zwar diesmal nur 7 Filme (ein Online und sechs vor Ort) sehen, aber hier war kein echter Ausfall zu verzeichnen und mit „American Thief“, „Shorta“ und im Nachhinein auch „Precarious“ waren drei echte Highlights am Start, die weitaus mehr Publikum verdient hätten. Ich hoffe, im nächsten Jahr ist wieder alles beim Alten. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf die 28. Ausgabe.
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