Bericht vom 27. Internationalen Filmfest Oldenburg – Prelude

2020. Das Corona-Jahr. Alles ist anders. Und das ist meistens nicht gut. Die Veranstaltungsbranche steht kurz vor dem Kollaps. Die Ersten hat es schon erwischt, weitere werden wahrscheinlich folgen. Aber es gibt Veranstaltungen, die sich gegen die ganze Scheiße stemmen. Die laut rufen: Wir sind noch hier! Das Überseefestival war solch ein heller Punkt in einem kulturell düsteren Jahr. Und auch das 27. Internationale Filmfest in Oldenburg ließ sich nicht unterkriegen. Zwar standen in der Stadt selber nur drei Abspielstätten zur Verfügung, dafür wurde viel ins Internet ausgelagert, wo man zusammen mit einem Partner, der VoD-Plattform Pantaflix, virtuelle Kinosäle einrichtete.

Lange habe ich gezögert, ob ich dieses Jahr vor Ort sein werde, oder nur online partizipiere. Am Ende bin ich dann hingefahren, wovon ich in den nächsten beiden Tagen berichteten werde. Aber da das Filmfest in diesem Jahr einen hybriden Ansatz hatte, war es für mich natürlich selbstverständlich, auch einmal bei Pantaflix hineinzuschauen. Auch damit ich einen guten Vergleich On-/Offline habe. Technisch war das alles auch gar kein Problem. Die Menüführung bei Pantaflix war selbsterklärend, das Kaufen von Tickets und der Zugang zu Film einfach und unkompliziert. Für 21:15 Uhr eine Einführung angekündigt.

Doch man sah nichts. Außer etwas was aussah, was wie ein Standbild aus einem leeren Kinosaal aussah.

Auch neu laden, noch einmal anmelden und die Flucht auf den zweiten Server brachte nichts. Irgendwann ging der Vorhang auf, gab die Leinwand frei – und ging dann wieder zu. Das wiederholte sich noch ein paar Mal. Von einer Einführung keine Spur und mittlerweile war es Zeit dass der Film anfing. Plötzlich aber tauchte Festival-Chef Torsten Neumann vor der Kamera auf, sagte ein-zwei Sätze und dann ging es gleich mit dem Festival-Trailer und dem Film los. Die Bild- und Tonqualität war tadellos, es gab keine Ruckler, Wackler oder ähnliches und man konnte den Film störungsfrei genießen.

 

The Longest Night – Dieser argentinische Film beruht auf Tatsachen und behandelt den Fall eines Serienvergewaltigers Marcelo Mario Sajen, der in Cordoba zwischen 1985 und 2004 nachgewiesen 93 Frauen vergewaltigte. Dabei ging er mit äußerster Brutalität und Abgeklärtheit vor. Die Frauen entführte er quasi vor den Augen aller und lange nahm die Polizei die Bedrohung nicht ernst. Dies änderte sich erst, als eines der Opfer eine Ketten-Email absetzte, in der sie von ihren Erlebnissen berichtete und mitteilte, dass sie davon Kenntnis gewonnen hätte, dass noch viel mehr Frauen betroffen waren. Erst dort erhöhte sich der öffentliche Druck – vor allem durch Frauenrechtsgruppen – auf die Polizei, die sich endlich ernsthaft mit dem Fall auseinandersetzte und bald den Täter festnehmen konnte.

„The Longest Night“ zerfällt in zwei Hälften. Zunächst zeigt Regisseur Moroco Colman exemplarisch an drei Fällen die Taten des Vergewaltigers. Was nicht ganz unproblematisch ist, denn einerseits kleidet Colman diese Episoden in kunstvolle, teilweise überraschend explizite Bilder. Andererseits lernt man die Opfer ebenso wenig kennen wie den Täter. So bleibt der fade Beigeschmack purer Exploitation, die hier gar nicht zum Film und seinem Anliegen passen. Hätte sich Colman auf die Sicht eines Opfer verlegt, oder wie zum Beispiel John McNaughton in „Henry – Portrait of a Serial Killer“, die Perspektive des Täters, so wäre die Wirkung hier sicherlich schlagkräftiger gewesen. So bleiben uns beide Parteien fremd und egal. Was hängen bleibt sind die Bilder der Vergewaltigung, des gewaltigen Schwanzes des Vergewaltigers in den Mündern der Opfer und die Nacktheit.

Zwar gibt es auch kurze Schlaglichter auf den Täter, wenn er im Rahmen seiner Familie oder mit Freunden gezeigt wird. Aber im Grunde bleibt es egal. Bzw. unverständlich, da der famose Daniel Araoz ihn als unsympathisches, hässliches Monster anlegt, bei dem man sich fragt, wie so jemand überhaupt eine Frau gefunden hat, um mit ihr eine Familie zu gründen. Dieses Verhältnis – es wird auch erwähnt, dass Marcelo Mario Sajen Bigamist war, dessen beide Familien nichts voneinander wussten – wird nie wirklich behandelt.

Problematisch ist auch, dass Daniel Araoz so überhaupt nicht aussieht wie der reale Marcelo Mario Sajen, den wir in der zweiten Hälfte in dokumentarischen Aufnahmen sehen. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Protest der Frauen und Colman mischt historische Aufnahmen mit Spielszenen. Das geht aber alles sehr schnell und auch hier nimmt sich Colman nicht viel Zeit, um den Zuschauer mitzunehmen. Die Bilder prasseln an einem vorbei, wirklich involviert wird man nie. Dementsprechend ist die stärkste Szene des Films jene, in der eins von Sajens Opfern zur Polizei geht und sich dort vor zwei älteren Herren die ganze entwürdigende Prozedur der Untersuchung über sich ergehen lassen muss. Dies hinterlässt einen dicken Kloß im Hals, den eigentlich auch der restliche Film verursachen sollte. Aber der gerade einmal 70minütige Film, welcher ansonsten mit einer tollen Kameraarbeit, einem ausgesprochen effektiven Sounddesign und einem grandiosen Daniel Araoz als Marcelo Mario Sajen punktet, lässt einen diesbezüglich leider ziemlich kalt.

Nach dem Film sollte direkt eine Q&A anschließen, aber nichts geschah. Wieder sah man nur das leere Kino und die Leinwand. Erst wartete ich geduldig, dann irgendwann stellte ich den Laptop zur Seite und machte etwas anders. Doch tatsächlich.. nach geschlagenen 20 Minuten begann plötzlich eine Übertragung, scheinbar aus einem anderen Kino, und Regisseur und Hauptdarsteller betraten die Bühne, um vor ausgedünntem Publikum doch noch über den Film zu sprechen. Das war recht interessant und gut moderiert und das dranbleiben hat sich definitiv gelohnt.

Aber wie war nun die Erfahrung „Filmfestival-via-Laptop“? Nun, ich muss sagen zur Not geht es, aber ich mag es eh nicht gerne, Filme über den kleinen Monitor zu sehen. Das hat für mich mehr von „konsumieren“ statt „zelebrieren“. Ich hatte noch versucht, irgendwie die Übertragung auf unserem Firestick hinzubekommen, um den Film im größeren Format zu sehen. Aber das gelang mir nur halb und mit abgeschnittenen Rändern. Da wollte ich dann auch nicht mehr viel experimentieren. War okay und in dieser speziellen Zeit sicherlich der gangbarste Weg, aber ich würde immer das Kino bevorzugen und war dementsprechend glücklich, mich entschieden zu haben, am nächsten Tag nach Oldenburg zu fahren, um das Festival dort zu erleben, wo es hingehört: Im Kino.

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