Blu-ray-Rezension: „52 Pick-Up“

Harry Mitchell (Roy Scheider) kann sich nicht beschweren. Seine Firma wirft genug ab, dass er und seine Frau Barbara (Ann-Margret) sich ein gutes Leben mit Villa, Swimming-Pool und einem teuren Jaguar leisten können. Doch Harry hat auch ein Geheimnis. Seit einiger Zeit hat er eine heiße Affäre mit einer 22-jährigen Blondine (Kelly Preston). Als seine Frau ein politisches Amt anstrebt, will er die Affäre beenden.Doch statt seiner Geliebten findet er drei maskierte Männer vor, die ihn mit einem kompromittierenden Videotape erpressen wollen. Doch Harry denkt gar nicht daran, der Forderung nachzukommen. Das setzt jedoch Ereignisse in Gang, die Harry bald schon überrollen und ein erstes Menschenleben fordern…

Anmerkung: Alle Screenshots stammen von der ebenfalls enthaltenen DVD, nicht der Blu-ray.

Die Namen der Beteiligten kann man sich ruhig einmal auf der Zunge zergehen lassen: Regie John Frankenheimer, Drehbuch und Vorlage Elmore Leonard, Kamera Jost Vacano, Hauptrollen Roy Scheider und Ann-Margret. Warum besitzt „52 Pick-Up“ keinen Kultstatus, wie beispielsweise „Blood Simple“? Vielleicht war er seiner Zeit einfach voraus. Vielleicht wurde er in eine falsche Schublade gesteckt, weil er von den Action-Spezialisten von Cannon produziert wurde? Verdient hat der Film seine relative Unbekanntheit zumindest nicht. Tatsächlich gehört er zu den besten und elegantesten Thrillern der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Zu verdanken ist dies nicht nur den gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten, sondern vor allem auch dem unfassbaren John Glover, der hier in seiner ersten großen Rolle als Bösewicht ein wahres Feuerwerk abbrennt. Sein Alan Raimy ist ebenso schleimig, wie verführerisch, ebenso brutal, wie gebildet; abstoßend und charmant. Sein gewinnbringendes Lächeln zeigt zu viele Zähne, seine mitfühlenden Augen können sich in einem Wimpernschlag in die eines Psychopathen verwanden. Alan Raimy ist seinen Mitmenschen gegenüber vollkommen gefühllos, eiskalt, skrupellos, verlogen und dabei süchtig nach Anerkennung, Selbstverliebt und ganz auf sich selbst fokussiert. Dass so jemand 30 Jahre später es im realen Leben bis an die Hebel der Macht schafft, hat 1986 wohl niemand erwartet. Aber anders als sein real-life-Nachfolger im Weißen Haus ist John Glovers Raimy charismatisch, intelligent und gutaussehend.

Nachdem Cannon Leonards Roman zwei Jahre zuvor schon einmal – zumindest in groben Zügen – als „The Ambassador“ verfilmt hatte (ein Film in dem Leonard seinen Roman nicht im Geringsten wiederfand), durfte Leonard für die 86er Fassung selber am Drehbuch mitschreiben. „52 Pick-Up“ nimmt sich Zeit, seine Figuren vorzustellen und in Stellung zu bringen. Der Beginn ist dabei zwar recht spannend, aber auch eher unspektakulär ausgefallen. Roy Scheiders Mitchell findet sehr schnell die richtige Antwort auf den Erpressungsversuch: Er beichtet seiner Frau den Seitensprung, nimmt den Entführung damit das Druckmittel und schiebt ihnen noch ein dickes „Fuck You!“ hinterher. Bis dahin konnte es sich der Zuschauer in Mitchells Leben bequem machen, ihn kennenlernen, seine Hintergründe verstehen, dem Drama zwischen ihm und seiner zutiefst verletzten Frau beiwohnen, welches Frankenheimer gefühlvoll und mit der nötigen emotionalen Härte zeichnet. Doch dann zieht das Drehbuch das Stahlband immer enger um seinen Protagonisten. Manövriert ihn in immer ausweglosere, gefährlichere Situationen. Zeigt mit wem er sich da eingelassen hat und verbaut ihm nach und nach jeden Ausweg. Mitchell reagiert auf die Drohungen immer nachvollziehbar und logisch. Doch er glaubt glaubt dabei immer, eine rationale Reaktion zu erhalten. Was bei seinen drei Peinigern – dem eiskalten Raimy, den skrupellosen Billy und dem völlig überforderten Leo – aber nicht der Fall ist. Erst als sich Mitchell selber auf das Niveau der drei Erpresser und Mörder begibt, findet er einen Weg, seine Gegner zu schlagen. Doch dabei riskiert er beinahe fahrlässig alles, was er noch hat.

Neben den lebendigen und individuellen Haupt und Nebenfiguren, denen jederzeit genügend Raum gegeben wird, um sich zu entfalten, und der sich langsam aufbauenden und dann immer weiter eskalierenden Geschichte, ist es vor allem die grandiose Kamera des Osnabrückers Jost Vacano, die diesen brillanten Neo-Noir weit über das Mittelfeld hebt. Vacano war in dieser Zeit Stamm-Kameramann von Paul Verhoeven (weshalb die Stimmung des Filmes zeitweise an den großen niederländischen Hollywood-Provokateur erinnert) und in Deutschland für Meisterwerke wie „Das Boot“ oder Roland Klicks „Supermarkt“ verantwortlich. Auch der – zugeben sehr in den 80ern verhaftete – Synthie-Score von Gary Chang passt ganz hervorragend zu dem Film. Gerade in der heutigen Zeit, in der es mit Serien wie „Stranger Things“ oder Filmen wie „Es“ zu einem lupenreinen 80er-Revival gekommen ist und auch der Stil von Musik wie der von Gary Chang erfolgreich imitiert wird, ist die Zeit reif für the real deal und die Wiederentdeckung von „52 Pick-Up“.

Heute fast schon vergessen, wird es Zeit den brillanten Neo-Noir „52 Pick-Up“ wiederzuentdecken, denn er gehört zu den besten und elegantesten Thrillern der zweiten Hälfte der 80er Jahre.

Das Mediabook von OFDb Filmworks sieht wirklich sehr schick aus. Es beinhaltet den Film auf BluRay und DVD, sowie eine DVD mit Bonusmaterialien (Achtung: Hier wurden die Aufkleber vertauscht und der Film ist auf der Bonus-DVD und das Bonusmaterial auf der Film-DVD). Fangen wir diesmal mit dem Bonus an. Hierfür hat OFDb Filmworks eine weitere Folge der US-TV-Doku-Serie „The Directors“ lizenziert. In knapp 60 Minuten lernen wir John Frankenheimer und sein Werk kenne. Ein hervorragender Einstieg in eine weitere Beschäftigung mit diesem hochinterssanten Regisseur. Dazu gibt es noch ein 23-minütiges, zeitgenössisches Making-Of, welches damals scheinbar als Promo für den Film gedreht wurde. Auf der Film-BluRay befindet sich darüber hinaus noch (man ist schon geneigt zu sagen „natürlich“) ein Audiokommentar von Filmwissenschaftler Prof. Dr. Marcus Stiglegger, die isolierte Filmmusik und ein Audio-Interview mit Komponist Gary Chang, sowie die entsprechende „Trailers from Hell“-Episode (2 Minuten), in der mir etwas zu sehr gegen Cannon gehetzt wird. Das Bild ist für das Alter des Filmes und einem Film aus der Mitte der 80er sehr gut. Nur am Anfang schwankt die Qualität etwas, was aber am Ausgangsmaterial liegen kann. Ansonsten gibt es hier nichts zu beanstanden. Der Stereo-Ton klingt besonders auf der englischen Spur sehr klar. Positiv hervorheben möchte ich an dieser stelle, dass die Untertitel nicht nur auf Deutsch, sondern auch Englisch vorliegen. Leider keine Selbstverständlichkeit. Nicht zu vergessen: Das 16-seitiges, informative Booklet mit Text von Thorsten Hanisch.

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Das Bloggen der Anderen (17-12-18)

Das letzte „Bloggen der Anderen“ in diesem Jahr. Heiligabend und Silvester gibt es also nix. Und weiter geht es dann irgendwann im Januar, wenn ich diverse andere Schreibpflichten erfüllt habe.

– Das Jahr neigt sich dem Ende zu, es ist wieder Listenzeit. Darum gibt es auf critic.de auch wieder „Die schlechtesten Filme und schlimmsten Kinomomente 2018“ und „Die besten Filme und schönsten Kinomomente 2018“.

– Noch mehr Listen. Die guten Menschen von kino-zeit.de haben die acht besten deutschen Filme des Jahres 2018 zusammengestellt und ich freue mich sehr, dass der wunderbare „Zwischen den Gängen“ ganz oben mit dabei ist. Außerdem: Andreas Köhnemann hat ein Porträt über den fabelhaften Edward G. Robinson geschrieben, der am 12.12.2018 seinen 125. Geburtstag feiern würde.

– Viele interessante Gedankenansätze zum Thema Netflix, Streaming und der mögliche Tod des Kinos hat Rüdiger Suchsland auf out takes zusammengetragen.

– Heute fielen die ersten zaghaften Schneeflocken. Okay, mehr Regen im Schneegewand. Dazu passt der Artikel darüber, wie die Illusion von Schnee im Film geschaffen wird, den Filmlichtung veröffentlicht hat.

– Sehr nass geht es auch in dem langen Essay zu, welches Manfred Polak auf Whoknows presents online gestellt hat. Er beschäftigt sich darin ausführlich mit Michael Curtiz‘ sechster Hollywoodfilm „Noah’s Ark“ von 1928.

– Jamal Tuschick hat auf Hard Sensations einige Zeilen über Paweł Pawlikowskis Abräumer beim Europäischen Filmpreis, „Cold War“, verfasst.

– Vor langer Zeit gesehen und nach funxtons begeisterter Review definitiv auf der Noch-einmal-gucken-Liste „THX 1138“, George Lucas Langfilm-Debüt.

– Flo Lieb empfiehlt auf symparanekronemoi das japanische Familien-Drama „Shoplifters“, welches in Cannes mit der Palme d’or ausgezeichnet wurde.

– Damiano Damiani kennt man von seinen grandiosen Mafia-Thrillern. 1982 hat er allerdings in den USA auch das Horrorfilm-Sequel „Amityville II“ gedreht, welches keinen besonders guten Ruf genießt. Schattenlichter findet, dies allerdings ganz zu Unrecht.

– Kleine Carpenter-Retro bei Schlombies Filmbesprechungen. Mein Liebling „Die Fürsten der Dunkelheit“ ist dabei, und auch „Christine“. Worum dieser bei ihm besser abschneidet als „Die Klapperschlange“, kann man vor Ort nachlesen.

– Godzilla geht immer: Bluntwolf auf Nischenkino über „Frankenstein und die Ungeheuer aus dem Meer“.

– Und zu guter Letzt: André Malberg eskaliert auf Eskalierende Träume zum Thema Heino. Das hat zwar nichts mit Film zu tun, aber ist gut und unterhaltsam geschrieben. Da drücke ich quasi als Jahresschlusssatz des „Bloggens der Anderen“ gleich mal zwei Augen zu.

In diesem Sinne – diese Rubrik legt sich jetzt erst einmal hin und macht die beiden eben zugedrückten Augen erst im Januar wieder auf. Aber bis dahin gibt es an dieser Stelle demnächst noch ein paar weitere Texte von mir.

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Filmbuch-Rezension: Christian Keßler “Endstation Gänsehaut“

Einen positiven Nebeneffekt hatte die tragische Einstellung der legendären „Splatting Image“ ja. Seitdem veröffentlicht Christian Keßler, der mit seinen Beiträgen in eben jenem Magazin eine ganze Generation an Filmbegeisterten prägte, ein Buch nach dem anderen. Waren die beiden Bände „Wurmparade auf dem Zombiehof“ und „Der Schmelzmann in der Leichenmühle“ mit dem gemeinsamen Untertitel „Vierzig Gründe den Trashfilm zu lieben“ noch relative Selbstgänger, da logische Fortsetzungen der Splatting-Image-Artikel für all diejenigen, die ihren 3-monatlichen Keßler vermissten, so bemerkt man in den letzten beiden Veröffentlichungen „Das versteckte Kino“ und „Endstation Gänsehaut“ eine deutliche Entwicklung.

In der Vergangenheit schrieb Keßler über die Filme, die ihm sehr am Herzen lagen. Dementsprechend gab es relativ wenig Kritik. So lernte man zwar das kennen, was Keßler mochte, doch was seinen Geschmack weniger traf, das wusste man bisher eigentlich nicht. Dies änderte sich schon bei seinem letzten Buch, „Das versteckte Kino“. Doch erst mit „Endstation Gänsehaut“ lernt man Christian Keßler und seinen Filmgeschmack so richtig kennen. Ein Autorenkollege von ihm schrieb anlässlich einer im letzten Jahr erschienen Essay-Sammlung, dies sei sein persönlichstes Buch. Christian Keßler hat solch in den Raum gestellten Superlativen nicht nötig. Er macht einfach. Und so ist man überrascht, dass er mit Vampiren nicht so viel anfangen kann – und er in dem entsprechenden Kapitel einfach mal so beliebte 80er-Vampir-Kracher wie „Lost Boys“ oder „Fright Night“ komplett außen vor lässt. Oder, dass er die kultisch verehrten Filme aus dem britischen Hammer Studio recht differenziert sieht. Und wer jetzt denkt, es würden wieder ein Italo-Kracher nach dem anderen abgefeiert (was auch redundant wäre, bedenkt man, welche zentrale Rolle diese in seiner Splatting-Image-Zeit und kurz danach spielten), dürfte vielleicht enttäuscht sein.

Stattdessen bekommt man viele Filme aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgestellt, die vielen Leser vielleicht noch nicht besonders präsent sind. War Christian Keßler noch vor wenigen Jahren ähnlich häufig an Veröffentlichungen aus dem Italo-Dunstkreis beteiligt, wie heute sein Kollege Prof. Dr. Stiglegger, so hat man heute den Eindruck, dass er das Image des „lustigen Italo-Onkels“ langsam ablegen möchte. Auf der Stelle treten ist ja auch auf die Dauer langweilig und irgendwie hat Christian Keßler zum Thema Euro-Exploitation mittlerweile ja auch schon fast alles gesagt. Umso schöner und spannender, dass gerade „Endstation Gänsehaut“ den mit „Das versteckte Kino“ eingeschlagenen Weg fortsetzt und sich in Gebiete wagt, die für viele Leser wahrscheinlich eher Terra incognita sind. Wobei man auf den typischen, lieb gewonnenen Keßler-Zungenschlag nicht verzichten muss, auch wenn er hier etwas dezenter daherkommt als in den „guten, alten Zeiten“.

Nun aber zum Buch selber. „Endstation Gänsehaut“ ist – wie der Untertitel schon sagt – eine persönliche Reise durch den Horrorfilm und erhebt daher zu keinem Zeitpunkt den Anspruch, einen enzyklopädischen Abriss über das Genre zu bieten oder – Gott bewahre – einen Kanon aufstellen zu wollen. Vielmehr plaudert Keßler über die Filme, die ihn auf seiner Reise durch den Horrorfilm begleitet haben. Ordnet diese dann thematisch und zeitlich. Dabei setzt er die Grenzen seiner Kapitel (über Geister, Vampire, Werwölfe, Mumien, Zombies, Hexen/Religion, verrückte Wissenschaftler, wahnsinnige Killer) nicht so schrecklich eng, und wenn es gerade passt, verirrt sich ein „Satanas – Schloss der blutigen Bestie“ auch mal in das Kapitel über irre Killer (was bei einer weiten Auslegung dieser Schublade auch nicht so ganz verkehrt ist).

Der Ton ist persönlich, niemals belehrend. So als würde man von einem guten Freund an die Hand genommen und durch eine Kunstgalerie (an dieser Stelle seien auch die vielen tollen Filmposter erwähnt, die das Buch farbig illustrieren) geführt, wo er einem mal mehr, mal weniger ausführlich die Exponate vorstellt und erzählt, was er an ihnen so mag – oder warum er sie weniger gelungen hält. Worauf er dabei – anders als z.B. in seinem tollen Italo-Western-Buch „Willkommen in der Hölle“, welches tatsächlich Lexikon-Charakter hat oder insbesondere auch dem grandiosen Pornofilm-Buch „Die läufige Leinwand“– verzichtet, sind zumeist Anekdoten und detaillierten Hintergründe zu Machern und Schauspielern. Trotzdem fühlt man sich am Ende der langen Reise (400 Seiten!) ausgezeichnet unterhalten und informiert. Und hat gewiss die ein oder andere Anregung mitgenommen, um sich hoffentlich auch mal Filmen zu beschäftigen, die vor der eigenen Geburt gedreht wurden.

Christian Keßler “Endstation Gänsehaut – Eine persönliche Reise durch das Horrorkino“, Martin Schmitz Verlag, 400 Seiten, gebunden, farbige Abbildungen, € 29,80

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Blu-ray-Rezension: „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“

New York. Vier schnauzbärtige Männer gekleidet mit Mantel, Hut und Brille besteigen die U-Bahn der Linie 6. Während der Fahrt zücken Mr. Blue (Robert Shaw), Mr. Grey (Hector Elizondo), Mr. Green (Martin Balsam) und Mr. Brown (Earl Hindman) plötzlich ihre Waffen und teilen den geschockten Fahrgästen mit, dass sie die U-Bahn entführt haben. Sie verlangen eine Million Dollar Lösegeld. Wenn dieses nicht innerhalb einer Stunde gezahlt wird, werden sie jede weitere Minute eine der 17 Geiseln erschießen. Lieutenant Garber (Walter Matthau) von der U-Bahn-Polizei versucht alles, um das Leben der Geiseln zu retten. Doch schon bald gibt es den ersten Toten…

Anmerkung: Alle Screenshots stammen von der ebenfalls enthaltenen DVD, nicht der Blu-ray.

Solche Filme werden heute nicht mehr gedreht. Zumindest nicht in Hollywood und mit einer derart hochkarätigen Besetzung. Joseph Sargents „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 1-2-3“ ist ein Meisterwerk der Effektivität. Der Film lebt nicht von großen und spektakulären set pieces – die im deutschen Titel angesprochene Todesfahrt einmal ausgenommen, wobei diese auch eher unspektakulär endet – , sondern von seinen Figuren und der realistischen Darstellung wie eine solche Entführung vonstatten gehen und sich jeder einzelne dabei verhalten würde. Von dem großen Räderwerk, welches in Bewegung gesetzt wird und dem Zuschauer kaum Zeit zum Atmen gibt. Dies mit ruhiger und sicherer Hand zu inszenieren ist der große Verdienst des Regisseurs Joseph Sargent, der vor allem im Fernsehen tätig war und seine Karriere leider mit dem völlig an der Zielgruppe vorbei inszenierten Reife-Leute-Liebesdrama „Der weiße Hai 4 – Die Abrechnung“ abschloss.

„Stoppt die Todesfahrt“ atmet zu jedem Moment eine ganze Menge Lokal- und Zeitkolorit. Sei es Walter Matthaus unfassbar psychedelisches Hemd oder die Graffiti-verschmierte U-Bahn. Heute auch undenkbar: Die Dialoge der „kleinen Leute“, die vor Sexismus, Homophopie und latentem Rassismus nur so triefen. Sich dadurch aber tatsächlich real anfühlen. Denn solch ein rauer Ton herrschte damals (man denke nur daran, womit ein Rainer Brandt in seinen Spaß-Synchros in den 70ern durchgekommen ist – und die Leute fanden das tatsächlich einfach nur lustig). Nur rückblickend zuckt man hier und da schon ziemlich zusammen. Schön, dass sich die Zeiten weiterentwickelt haben, wobei ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen würde, dass bei der U-Bahn-Polizei und den Schalthebel-Bedienern nicht immer noch so gesprochen wird. Besonders fällt dies bei Walter Matthau auf, der mit müden Bulldogen-Gesicht den Chef der Bahn-Polizei gibt. Die verräterischste Szene ist jene, in der er eine Gruppe Japaner herumführen soll und sie im Glauben, sie könnten ihn eh nicht verstehen, mit rassistischen Bemerkungen überzieht. Wenn sich am Ende auflöst, dass die Japaner sehr wohl jedes Wort verstanden haben, war das 1974 vielleicht als Gag gemeint, heute ist es vor allem das interesselose Schulterzucken Matthaus, welches seinen Charakter perfekt charakterisiert. Ein Profi, dem egal ist, wie er wahrgenommen wird und der sich nicht um Sympathie oder Karriere kümmert, sondern einfach seinen Job macht. Weil es das ist, was er kann und was er bereits sein Leben lang getan hat. Auch im Dialog mit den Entführern hat man das Gefühl, dass es ihm weniger um die Geiseln geht, als dass er viel mehr genervt ist, dass jemand seinen schönen U-Bahnbetrieb so massiv stört und ihm den Tag vermiest.

Unterstützt wird Matthau von einer ganzen Reihe hervorragender Charakterdarsteller. Neben dem immer zuverlässigen Jerry Stiller, der hier als Matthaus ebenso zynischer, wie zuverlässiger Partner fungiert, sind das Leute wie Dick O’Neill als Verantwortlicher für den U-Bahnbetrieb und Tom Pedi als Stellwerk-Chef. Vor allem auf den Seiten der Bösen schöpft Sargent aus dem Vollen. Allen voran mit dem großartigen Vollblut-Schauspieler und Charakterkopf Robert Shaw, der in seiner leider viel zu kurzen Filmkarriere, die 1978 durch seinen Tod allzu plötzlich beendet wurde, ein ausgesprochen gutes Händchen für seine Rollen besaß. Sein Mr. Blue mit stark britischen Akzent, absoluter Ruhe und Kontrolle, einer unglaublichen Präsenz und Überlegenheit ist eine der ganz starken Gangsterrollen der 70er Jahre. Neben ihn können Martin Balsam als Mr. Green, Hector Elizondo als Mr. Grey und Earl Hindman („Wilson“ aus „Hör mal wer da hämmert“, der ironischerweise auch hier aufgrund seiner Verkleidung mit Schnauzer, Hut und Brille kaum zu erkennen ist) als Mr. Brown allerdings bestehen. Insbesondere Balsam spielt den eher besonnenen, abgeklärten und dabei stets auch ein wenig resigniert wirkenden Mr. Green erinnerungswürdig. Und Hector Elizondo schafft es als stets unberechenbare Gefahr ausstrahlender Mr. Grey nach lange im Gedächtnis zu bleiben.

„Stoppt die Todesfahrt“ hat weniger mit den Cop-Thrillern der 70er zu tun, zeigt keine einsamen, harte Hunde – sondern lediglich Beamte, die ihren Job tun. Sogar die Gangster haben etwas beamten-mäßiges und wirken jederzeit überlegt und eiskalt. Aber eben nicht psychotisch (selbst Hector Elizondo als „der Typ, der bei der Mafia wegen Unberechenbarkeit raus geflogen ist“) verhält sich im Vergleich zu ähnlichen Figuren in anderen Filmen noch halbwegs professionell. Von der ganzen Stimmung, der Nähe zu den Figuren und dem fast schon dokumentarischen Ansatz her, kann man ihn vielleicht am ehesten mit Sidney Lumets Meisterwerk „Hundstage“ vergleichen. Wo ebenfalls sehr konzentriert der Ablauf einer Geiselnahme, die Mechanismen/Automatismen seitens der Staatsgewalt und der psychologische Druck, der auf allen lastet, untersucht werden.

Ein perfekter, mordsmäßig spannender Thriller, der es gar nicht nötig hat, kräftig auf die Kacke zu hauen und übermäßig viel Lärm zu machen. Unterstützt vom kongenialen, funkigen Soundtrack von David Shire läuft der Film unaufhaltsam voran, wie eine immer schneller werdende U-Bahn.

Das Mediabook von OFDb-Filmworks sieht gut aus und präsentiert den Film in Bestform. Das Bild ist tadellos. Scharf und selbst in den dunklen Szenen im U-Bahnschacht ist alles perfekt zu erkennen. Dabei wurde das Bild auch nicht todgefiltert, sondern wirkt körnig-filmisch. Auch der Ton ist sehr klar und gut zu verstehen. Ein besonderes Lob geht an OFDb Filmworks dafür, dass sie für diese Veröffentlichung drei exklusive Features produziert haben. Einmal ein 16-minütiges Interview mit Hector Elizondo mit dem Titel „Shades of Grey“, sowie „Above and Below“ (13 Minuten), indem Kameramann Owen Roizman zu Wort kommt. „Taking the Ride“ (7 Minuten) zeigt einen Vergleich der Drehorte damals und heute. Eine isolierte Musiktonspur mit Interview mit Komponist David Shire, die „Trailers From Hell“-Ausgabe des Filmes und eine große Bildgalerie runden die Extras ab. Dazu kommt noch ein 16seitiges Booklet mit einem Essay von Torsten Hanisch.

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Das Bloggen der Anderen (10-12-18)

– Die Filmlöwin unterhält sich mit den Macherinnen hinter „FURORA – Das Berliner Festival für junge Filmemacherinnen“.

– Jamal Tuschick hat für Hard Sensations den Dokumentarfilm „Piripkura – Die Suche nach den Letzten ihres Stammes“ gesehen, der ihn nachdenklich gemacht hat.

– Flo Lieb schreibt auf symparanekronemoi über den russischen Film „Loveless“ von Andrey Zvyagintsev.

– Sebastian Schwittay hat seine Schreibpause auf Odd & Excluded nach fast 1,5 Jahren endlich beendet und sich für seine Rückkehr „Mandy“ von Panos Cosmatos vorgenommen.

– Auch funxton hat „Mandy“ gesehen – und obwohl er ihm nicht den Status des Meisterwerks zukommen lassen möchte, hält er ihn doch für „einen guten, ambitionierten, kleinen Schweinehund von einem Film“.

– Andreas Eckenfels widmet sich auf Die Nacht der lebenden Texte „Under the Silver Lake“, den er eher zwiespältig sieht.

„Under the Silver Lake“ ist auch das Thema von Thomas Ressel auf Daumenkino. Allerdings ist auch er nicht besonders überzeugt.

„Die Schönste Frau“ ist ein Film von Damiano Damiani aus dem Jahr 1970. Sebastian von Nischenkino wurde von diesem Melodram des Mafia-Spezialisten ziemlich überrascht.

– Mehr Italien. Viel mehr Italien! Schattenlichter präsentiert einen Bericht vom Festival des italienischen Giallo-Films, welches vom 23.-25. November 2018 im KommKino Nürnberg stattfand.

– Oliver Nöding schreibt auf Remember It For Later, dass er das Prinzip des Italowestern mehr schätze als seine konkreten Vertreter. Auch „Navajo Joe“ von Sergio Corbucci ließ ihn (leider) recht kalt. Mehr Spaß hatte er beim Billigheimer „Das tödliche Duell der Shaolin“.

– Christian von Schlombies Filmbesprechungen wird mir sicherlich nicht widersprechen: Die Miss-Marple-Filme mit Magarete Rutherford eigenen sich irgendwie wunderbar zur Vorweihnachtszeit. Besprochen hat er Film 3 („Vier Frauen und ein Mord“) und 4 („Mörder, Ahoi!“).

– Zwei Ausnahmen im „Bloggen der Anderen“ dank critic.de: Ein langer englischsprachiger Artikel mit acht Filmbesprechungen durch die Nigerianischen Teilnehmer eines Workshops des Goethe Institute Laos zum Thema Afrikanisches Kino. Und weil’s so interessant ist: Critic.de-Autoren über ihre neuen und alten Lieblings(web)videos des Jahres.

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Das Bloggen der Anderen (03-12-18)

– In der letzten Woche sind zwei großartige Künstler von uns gegangen. Leider findet dies in den Blogs kaum einen Niederschlag. Umso dankbarer bin ich dem Kinogänger, der auf seinem Blog Nachrufe auf Nicolas Roeg und Bernardo Bertolucci verfasst hat.

– Am 29.11. wurde der Tag der Weltmusik begangen. Zu diesem Anlass hat Joachim Kurz auf kino-zeit.de einen Essay über Weltmusik im Film verfasst. Und Katrin Doerksen hat zum 65. Geburtstag des grandiosen britische Autor Alan Moore die Frage gestellt: Was verraten uns Moores Werke über das Verhältnis zwischen Comic und Film?

– Sehr schön: Von Bert Rebhandl wird auf cargo der Inhalt Zeitschrift „Filmkritik“ aus dem November 1968 vorgestellt. Ein erhellendes, mal erheiterndes, mal spannendes Zeitdokument.

– Als Dario Argentos „Non ho sonno“ 2001 erschien, hatte ich mir gleich die italienische DVD besorgt. Besonders angetan war ich damals nicht von dem Film. Zuviel Fan-service am Anfang, zu entschlossen später. Ich gebe aber zu, dass ich ihn seitdem auch nicht wieder gesehen habe. André Malberg hat ihn auf Eskalierende Träume noch einmal gründlich auseinandergenommen. Außerdem hat er das „Suspiria“-Remake von Luca Guadagnino gesehen und macht sich dazu so seine Gedanken.

– Letzteres hat auch Sven Safarow von Safarow schreibt gesehen, lässt aber in seiner Besprechung kein gutes Haar an dem Werk.

– Im Rahmen einer Kooperation mit dem „This Human World 2018“-Festival stellt Rainer Kienböck auf Jugend ohne Film diesmal den Film „City of the Sun“ von Rati Oneli vor.

– Lustig, kürzlich habe ich mich noch Freunden drüber unterhalten – und peinlicherweise mit „Die Ausgesperrten“ verwechselt – jetzt hat funxton den kontroversen österreichischen Film „Die Erben“ von 1983 gesehen und auf seinem Blog empfohlen. Sogar noch mehr hat ihn der isländische Geister-Film „I Remember You“ gefallen.

– Als damals die Stephen-King-Verfilmung „Kinder des Zorns“ auf Video erschien, kannte ich nur die Bilder in der Cinema und wusste, dass der Film ziemlich verrissen wurde. Aufgrund der Bilder stellte ich mir den trotzdem ziemlich gut vor. Wenig später hatte ich ihn dann tatsächlich einmal gesehen und fand ihn tatsächlich recht unheimlich. Schlombies Filmbesprechungen sind mehr auf der Cinema-Seite. Sollte ich vielleicht mal wieder gucken.

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Das Bloggen der Anderen (26-11-18)

– Paul Katzenberger hat für kino-zeit.de den großartigen Paweł Pawlikowski interviewt, dessen neuer Film „Cold War“ gerade die hiesigen Leinwände erreicht hat. Was für einen polnischen Film leider keine Selbstverständlichkeit ist, aber nach dem enormen Erfolg seines wundervollen, Oscar-prämierten „Ida“ absehbar war. Andreas Köhnemann erinnert an den vor 25 Jahren mit nur 50 Jahren verstorbenen, Emile Ardolino und dessen größten Erfolg „Dirty Dancing“.

Filmlichtung sinniert über den Begriff der Guilty Pleasures.

– Andreas Eckenfels bespricht für Die Nacht der lebenden Texte den US-Horrorfilm „Wildling“ des deutschen Filmemachers Fritz Böhm.

– Ich weiß nicht. Trotz der ganzen Lobeshymnen auf „Schneeflöckchen“ wollen mich Trailer und alles was ich darüber lese nicht im Geringsten überzeugen, dass sich dieser Film wirklich in irgendeiner Art und Weise lohnen würde. Auch Sascha Text auf Die seltsamen Filme des Herrn Nolte mag daran nichts ändern.

– Der Slasher-Klassiker (naja) „Madman“ von 1981 konnte funxton nicht überzeugen, aber der neuste Eintrag in die „Mission: Impossible“-Reihe reißt ihn zu Begeisterungstürmen hin.

– Ähnlich geht auch Flo Lieb von symparanekronemoi der „Under the Silver Lake“ mit seltenen 9 von 10 Punkten adelt.

– André Malberg hat sich auf Eskalierende Träume sehr ausführlich und wunderbar bebildert mit „1000 dollari sul nero“ auseinandergesetzt. Dem Italo-Western in dem die Figur des „Sartana“ erstmals das Licht der Leinwand erblickt – wenn auch in vollkommen anderer Form als in den darauffolgenden Filmen.

– Im Rahmen einer Kooperation mit dem This Human World 2018 präsentiert Jugend ohne Film eine Auswahl von Filmen aus dem diesjährigen Festivalprogramm. Rainer Kienböck schreibt über „Donbass“ von Sergei Loznitsa und Andrey Arnold über „The Distant Barking of Dogs“ von Simon Lereng Wilmont.

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Blu-ray Rezension: „Nackt im Sommerwind“

Mr. Prince (Jeffery Niles), Sohn einer ausgesprochen reichen Familie (in der US-Fassung ein echter Prinz in einem kleinen Land) zieht es in die große Stadt, um wie normale Menschen zu arbeiten. Schnell findet er eine Stelle in leitender Position und zwei Mitarbeiterinnen, die gerade frisch in die Stadt gezogen sind: Die blonde Eve und die brünette Sue (beides Joni Roberts). Mr. Prince verliebt sich in Eve, während sich Sue unsterblich in ihn verliebt. Mr. Prince ist glühender Anhänger der Freikörperkultur und auch Eve ist überzeugte Nudistin. So trifft man sich im Nudisten-Camp, während Sue Pläne schmiedet, wie sie ihren Prinz für sich gewinnen kann…

Doris Wishman ist eine ganz besondere Filmemacherin. Eine, wie es sie so vorher nicht gab und auch nicht wiedergeben wird. Seitdem ich mich für die 22. Ausgabe des 35-Millimeter-Retro-Filmmagazin intensiv mit ihr und ihrem Werk bis 1965 auseinandergesetzt habe, bin ich ihrer sehr individuellen Art des Filmemachens verfallen. Umso größer die Freude, dass die große kleine Frau endlich mit einer ihr gebührenden Veröffentlichung auch hierzulande geehrt wird. Leider zählt „Nackt im Sommerwind“ nicht zu ihren besten Filmen. Auch in ihrer Nudisten-Phase gibt es Filme, die diesem eher unbedeutenden Werk haushoch überlegen sind. Wie ihr Erstling „Hideout in the Sun“ oder der sehr unterhaltsame „Nude on the Moon“, den wir einmal mit großem Erfolg bei unserer Bremer Filmreihe Weird Xperience zeigen durften. Aber man soll trotzdem froh sein, dass dieses Stückchen Zelluloid dem endgültigen Vergessen entrissen wurde.

Wie gesagt, ist „Nackt im Sommerwind“ kein besonderes Ruhmesblatt. Wishman nutzt die arg dünne Geschichte, die vor allem über das Voice-Over und ein paar ungelenke Spielszenen transportiert wird, um einem die immer gleichen Szenen aus einem realen Nudisten-Camp (die, wie ich meine, größtenteils schon in ihren anderen Filmen verwendet wurden) vorzuführen. Nicht, dass ihre anderen Nudisten-Filme gänzlich anders funktioniert hätten. Doch bei jenen gab es dann aber immer noch eine etwas interessantere oder ausgefallenere Handlung, welche die Aufmerksamkeit wachgehalten hat. Hier macht diese in dem eh schon sehr kurz ausgefallenen Film gerade mal die Hälfte aus und wirkt irgendwo lustlos nebenher inszeniert. Dass ein Wohnzimmer als Büro herhalten muss, passt zwar zur seltsamen Parallelwelt, die Wishman in ihren Filmen kreiert. Doch ihr Hauptdarsteller Jeffery Niles bringt in seiner einzigen Filmrolle außer gutem Aussehen rein gar nichts mit, was ihn irgendwo charismatisch erscheinen lässt. Nicht nur, dass der bekennenden Freikörper-Fan der Einzige im Nudisten-Camp ist, der eine Badehose trägt – was niemanden zu verwundern oder stören scheint – , ständig wandert sein Blick in Richtung Kamera, wo er sehnsüchtig auf sein Einsatzzeichen wartet und bei jedem Dialog kann man seinen Augen dabei zusehen, wie sie gerade den Text von einer Karte ablesen. Man kann natürlich argumentieren, dass das einen Teil des Charmes ausmacht. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass Wishman hier mit einer gewissen „Egal“-Haltung gefilmt hat, die man in ihren anderen Filmen nicht spürt.

In der weibliche Haupt-(Doppel)-Rolle tritt Joni Roberts auf, die nicht besonders viele Nuancen nutzt, wenn es darum geht, die angeblich so unterschiedlichen Zwillingsschwestern zu spielen. Blonde und brünette Perücke und leicht abgeändertes Make-Up müssen da reichen. Immerhin hat sie den Mut, im Gegensatz zu ihrem Filmpartner, im Nudisten-Camp auch wirklich nackt aufzutreten. Ansonsten ist es nett anzuschauen, wie Wishman hier mit einfachsten Mitteln die Illusion hervorrufen möchte, dass wirklich zwei Personen anwesend seien. Dabei gibt es dann sogar eine einzige Szene, in der beide Schwestern zusammen zu sehen sind – wobei der extrem billige Effekt gar nicht so schlecht geraten ist. Ansonsten arbeitet Doris Wishman, wie man es von ihr kennt. Mit sehr vielen Natur-Aufnahmen (einmal sieht man minutenlang von Wasser umflossene Steine, während der Voice-Over die Handlung weitererzählt) und Schnitten auf Einrichtungsgegenstände (gerne auch mal als Standbilder). Das kennt und schätzt man an ihr, und macht auch ihren besonderen Stil aus. Selten allerdings wurden diese Mittel so inflationär und wahllos eingesetzt wie hier.

Die deutsche Fassung kann durch eine sehr gute, zeitgenössische Synchronisation punkten. Eine bekannte (von mir leider nicht identifizierte) Stimme spricht ironisch-amüsiert den blumigen Voice-Over, während ein sehr junger Christian Bruckner den Helden spricht und somit dessen Darstellung deutlich auswertet. Die englischen Tonspur wurde nachträglich neu erstellt. Da der Film in den USA verloren war, und die deutsche Fassung die einzige noch existierende war, wurde auf der Basis der noch existierenden Zensurkarten neu eingesprochen. Für den Wishman-Afficado ist diese Veröffentlichung natürlich ein Pflichtprogramm, denn dank der Arbeit von LSP, die für den Transfer zuständig waren, sieht der Film besser aus, als alles was man sonst von Doris Wishman sehen kann. Schade nur, dass die Mühe nicht auf ein sehr viel interessanteres Werk wie z.B. „Bad Girls Go To Hell“ aufgewandt wurde. Zudem ist der Film extrem rar und galt – bis im letzten Jahr eine DVD basierend auf der deutschen Kinorolle und mit der neuen englischen Tonspur erschien – lange als verschollen. Wer allerdings erstmals das bizarre Universum der Doris Wishman betreten möchte, dem würde ich zum Einstieg doch einen anderen Film empfehlen.

Trotz des eher schwachen Filmes ist die ausgesprochen liebevolle Veröffentlichung von Forgotten Film Entertainment ein Must-have für alle, die sich für Doris Wishman und/oder die Low-Budget-Filme der 60er interessieren. Die Veröffentlichung entstand im Zusammenarbeit mit dem Geheimnisvollen Filmclub Buio Omega, der Doris Wishman 2001 zu sich nach Gelsenkirchen eingeladen hatte und reichlich Material aus dieser Zeit zur Verfügung stellen konnte. Und allein dieser Schatz ist es wert, sich die BluRay zu besorgen. Zum einen findet man hier viele – ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmte – Aufnahmen von ihrem Besuch 2001 in Gelsenkirchen (27 Minuten). Da ist es nicht nur schön die jungen Gesichter der damaligen Protagonisten zu sehen, auch Doris fühlt sich wohl, redet frei von der Leber weg und inszeniert sogar ein wenig. Hier hat man wirklich das Gefühl, dabei gewesen zu sein und sich Jahre später die alten Aufnahmen anzusehen. Ebenfalls sehr schön ist eine Dokumentation des Besuches von einem „Buio“ und Freundin bei Doris in Florida ein Jahr vorher (18 Minuten). Hier bekommt man ein gutes Gefühl dafür, wie Doris ihren Lebensabend verbrachte und was sie für ein Mensch war. Anekdoten inklusive. Herzstück der Edition ist dann der 97-minütige Film „Better than Sex! Oder: Wie man einen Wishman-Film macht“, der Doris Wishman bei den Dreharbeiten zu ihrem letzten Film zeigt. Am Set werden auch viele interessante Gespräche mit ihren Weggefährten geführt. Insbesondere ihr langjähriger Kameramann hat da viel zu erzählen. Daneben gibt es noch ein 5-minütiges Stück in dem Synchronsprecher-Legende Christian Brückner zeitgenössische Kritiken von „Nackt im Sommerwind“ vorliest, sowie ein knapp 2-minütiges Intro der „Buios“ Ingo Stecker, Jo Steinbeck und Heinz Klett. Die Drei bestreiten dann auch den Audiokommentar und liefern zusammen mit anderen aus dem Buio-Omega-Umfeld (u.a. Christian Keßler) die Texte für das sehr umfangreiche 32-seitige Booklet. Als Schmankerl hat man noch den Originalvorfilm restauriert und auf die BluRay gepackt, der bei der Deutschen Aufführung von „Nackt im Sommerwind“ vorweg lief: „Mädchen in der Sauna“. Dieser hätte jetzt nicht unbedingt eine solch perfekte Restauration (der Film sieht wirklich aus wie neu) benötigt, ist aber ein schönes Zeitdokument. Eine junge Journalistin schreibt einen Bericht über die finnische Sauna, recherchiert vor Ort und probiert die Sauna auch gleich mal selber aus, was dem Zuschauer Gelegenheit gibt, sie im Eva-Kostüm zu sehen. Erotisch ist das nicht direkt und statt „Mädchen“ sieht man allerlei Menschen beiderlei Geschlechts, Alter und Form. Die drei „Herr Weber“ hätte ich jetzt nicht gebraucht. „Herr Weber“ ist scheinbar eine „in der Szene“ bekannte Figur, die ich aber eher nervig fand. „Wie ich den Sommerwind fing“ (20 Minuten) soll davon erzählen, wie er die letzte Kopie von „Nackt im Sommerwind“ fand. Es erschließt mir aber leider nicht, was daran Fakt und was Fiktion ist. Soll wahrscheinlich lustig gemeint sein. Es folgen dann noch zwei 3- bzw. 4-minütige Kurzfilme mit Herrn Weber. Abschließend noch etwas zur technischen Qualität des Hauptfilmes: Diese ist sowohl was Bild als auch Ton angeht superb und so gut hat wahrscheinlich noch nie ein Doris-Wishman-Film ausgesehen.

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Das Bloggen der Anderen (19-11-18)

– Keine Britin hat bei mehr Filmen Regie geführt als Muriel Box. Sie war die erste Frau, die einen Oscar für das beste Originaldrehbuch erhalten hat. Und dennoch ist sie weitgehend unbekannt. Sonja Hartl sorgt auf kino-zeit.de für eine Wiederentdeckung.

Die Filmlöwin schreibt über „Bett und Sofa“, einem russischen Stummfilm aus dem Jahr 1927, der ihrer Meinung nach in vielerlei Hinsicht um so vieles progressiver als ein Großteil des zeitgenössischen Kinos. Ferner schreibt sie über den feministischen Mehrwert in Dorothy Arzners Melodram „Dance, Girl, Dance“ von 1940.

NeonZombie war auf dem 32. Braunschweig International Filmfestival und hat dort vor allem die Cinestrange- und Pagan Horror At Midnight-Reihe besucht.

– Ebenfalls in Braunschweig lief der schöne „Blue My Mind“, den ich schon in Oldenburg sehen konnte. Hier die Kritik von Michaline Saxel vom Blog Daumenkino.

– Die Ganze Redaktion von Jugend ohne Film lässt nochmal ihre Höhepunkte der Viennale Revue passieren und Andrey Arnold macht sich einige Gedanken zur Duisburger Filmwoche.

– Auch Frédéric Jaeger von critic.de war auf der Duisburger Filmwoche und macht sich etwas sorgen um deren Fortbestand. Karsten Munt berichtet vom Filmfestival Cottbus 2018. „Eine sinnliche Pathologie der Bilder“ nennt Lukas Foerster seinen sehr langen und auch sehr lesenswerten Text zum Spätwerk von Paul Schrader. Die Viennale widmete sich in ihrer diesjährigen Retrospektive der Goldenen Zeit des B-Movies und ihren Nachwehen. Michael Kienzl erinnert sich an vier besonders schöne Exemplare.

Filmlichter beleuchtet das Thema „Streaming“ von allen Seiten und bleibt skeptisch. Sehr interessant hier auch die lange Kommentarsektion unter dem Artikel.

– Gnaghi von Komm & Sieh ist ziemlich begeistert von dem ultrabrutalen indonesischen Martial-Arts-Reißer „The Night Comes For Us“.

– Oliver Nöding schreibt auf Remember It For Later über Douglas Sirks vorletzten Film: „Ich halte A TIME TO LOVE AND A TIME TO DIE auf Anhieb nicht nur für einen der stärksten Szenen Sirks und einen der besten Antikriegsfilme überhaupt“. Dem schließe ich mich an.

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Bericht vom 32. Braunschweig International Film Festival

Das erste Mal seit acht Jahren waren ich endlich mal wieder auf mehr als nur einem Filmfestival. Nach Oldenburg und Bremen, folgte ich dem Ruf nach Braunschweig. Dort war ich schon im vergangenen Jahr zweimal nett eingeladen worden, aber zeitlich war das damals nicht machbar. Dieses Jahr hatte ich aber einen guten Grund allen Widrigkeiten zu trotzen und mich auf den Weg zu machen. Das 35 Millimeter – Retro-Filmmagazin, für das ich nicht nur regelmäßig schreiben, sondern auch seit Jahren die Funktion des stellvertretenden Chefredakteurs ausfülle, war erstmals Medienpartner des Festivals, hatte nicht nur eine Sonderausgabe für das Festival produziert und präsentierte in der Reihe „Pagan at Midnight“ einen Film. Zudem hatten einige Mitautoren ihr Kommen angekündigt, und ich freute mich besonders darauf, meinen Redaktionskollegen Christian Genzel, der ganz aus Salzburg angereist war, endlich mal persönlich kennenzulernen.

Freundlicherweise holte mich unser Chefredakteur Clemens Williges als „Privatchauffeur“ vom Hauptbahnhof ab und brachte mich zu meinem Redaktionskollegen und Mit-Delirianer Christoph Seeliger, bei dem ich über Nacht bleiben wollte. Christoph nahm mich auch gleich in Empfang und mir, wie man am Schnellsten von Kino zu Kino kommt. Nach einer Stärkung in dem Kino-Bistro „Abspann“ gingen wir dann erst einmal getrennt Weiterlesen

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