DVD-Rezension: „Das Monster mit der Teufelsklaue“

England im 18. Jahrhundert. Julia (Marguerite Hardiman), die Tochter des Bürgermeisters eines kleinen Dorfes ist in Ralph (Stephen Bradley) einen armen Bauern verliebt. Natürlich sind ihre Eltern gegen die Verbindung mit dem „Bauernlümmel“. Trotzdem schwören sich die beiden ewige Liebe, indem sie sich in die Finger ritzen und ihr Blut vermischen. Dummerweise fällt dabei ein Tropfen von Julias Blut genau auf die Stelle, wo der Selbstmörder und Teufelsanbeter Lord Asher (Mike Raven) liegt. Dieser kehrt so auf die Erde zurück und scharrt rasch eine Gruppe untoter Jüngerinnen um sich. Sein eigentlich Ziel ist aber, Julia zu seiner satanischen Braut zu machen…

Im Netz kann man einen schönen Satz über „Das Monster mit der Teufelsklaue“ finden. Da steht, der Film wäre „so incoherent that it comes across as a Dada nightmare“. Das trifft es ziemlich gut. Wer einen „normalen“ Horrorfilm in der britischen Tradition solcher Studios wie Hammer oder Amicus erwartet, ist hier definitiv an der falschen Adresse. Wer sich für solche Laien-Stücke wie die von Andy Milligan begeistern kann, kommt der Sache schon näher. Obwohl der Vergleich etwas hinkt, denn Regisseur Tom Parkinson konnte auf gestandene Schauspieler zurückgreifen. Einer von ihnen – Ronald Lacey – hatte sogar die Ehre, den teuflischen Nazi-Bösewicht in einem der beliebtesten und erfolgreichsten Blockbuster der 80er Jahre zu spielen: Den Toht in „Jäger des verlorenen Schatzes“. In diesem Film hier ist er aber ganz weit weg von Hollywood. Der damals 37jährige spielt einen Priester, der um einiges älter sein soll, eine viel zu große, weiße Perücke trägt und in der deutschen Synchronisation durch die Stimme von Herbert Weicker („Mr. Spock“) noch einmal ein paar Jahre auf den Buckel gepackt bekommt. Von den anderen Darstellern machte niemand die große Karriere, es handelt sich aber durchgehend um gestandene Fernseh-Schauspieler. Die hier aber teilweise ihre Kunst vergessen haben. Oder bereits während des Drehs bemerkten, in was sie da geraten sind und dementsprechend dachten: „Ach, jetzt auch egal“.

Dass der Film im 18. Jahrhundert spielen soll, nimmt man ihn zu keiner Sekunde ab. Alles schreit: 70er Jahre! Inklusive seltsamer Regie-Entscheidungen, wie die, den Bürgermeister und Vater der Heldin in eine Karikatur zu verwandeln, deren üppige Augenbrauen bis zum Scheitel gekämmt sind. Oftmals denkt man sich nur: Was haben die sich dabei gedacht? Warum muss der Dämon aus der Hölle als Trachten tragender Kleinwüchsiger daher kommen? Wobei man gestehen ist, dass diese Figur allein durch ihre Unfassbarkeit recht creepy daherkommt. Auch muss ich gestehen, dass mir das extreme Make-Up des untoten Lord Asher und seiner willenlosen Dienerinnen gut gefallen hat, weil es so seltsam ist. Allein die Entscheidung, die bleichen Gesichter nicht mit schwarz umrandeten Panda-Augen (wie man das normalerweise gemacht hätte) als Zombies darzustellen, sondern die Augenumrandung blutrot zu machen, hat einen merkwürdig schaurigen Effekt. Und bei der Figur des unheimlichen Lord Asher verfuhr man nach dem Motto: Viel hilft viel und kleisterte sein Gesicht derartig mit Schminke zu, dass man eigentlich lachen müsste. Allerdings hat die Schminke eine solch ungesunde grau-blau-silberne Farbe, dass es wirklich krank-schaurig aussieht. Da sieht man gerne darüber hinweg, dass für Arme und Hände nichts mehr übrig war.

Über die Geschichte des Filmes legt man besser den Mantel des Schweigens und verdeckt die gewaltigen Fragezeichen, die einem aus dem Kopf wachsen. Ich will hier dann auch gar nicht auf die zahlreichen Ungereimtheiten eingehen, denn da wäre ich erstens noch lange beschäftigt und zweitens macht es auch gar keinen Sinn, da der Film sich eh nicht um Logik schert. Da macht einem eher schon die oben bereits zitiere Inkonsistenz zu schaffen. Regisseur Parkinson schafft es an einigen Stellen tatsächlich eine, wenn schon nicht besonders schreckliche, so doch interessante Atmosphäre zu schaffen. Dies gilt insbesondere für die Szenen, wenn der Lord in der Nacht auftaucht und diejenigen, die ihn bei seinen blutigen Ritualen mit seinen Dienerinnen zeigen. Andere wirken so, als ob das Bauernstadl eine Horrorfilm-Parodie einstudiert. Mal findet Kameramann William Brayne (später selber ein vielgefragter TV-Serien-Regisseur) besondere, ungewöhnliche Einstellungen, dann wieder sieht es aus, als habe er einfach lustlos seine Kamera in die Gegend gehalten. Mal wird schnell geschnitten und Tempo gemacht, dann wieder mäandern die Protagonisten endlos durch die englische Landschaft. Und dies alles zu Johann Sebastian Bachs Toccata, welche manchmal klingt wie von einem besoffenen Organisten gespielt und bald schon kolossal nervt. Für Regisseur Tom Parkinson sollte „Das Monster mit der Teufelsklaue“ die einzige Spielfilmregie bleiben. Er konzentrierte sich danach vor allem auf die Produktion, vor allem im Fernsehen. Das war vielleicht auch besser so.

Eine faszinierende Gestalt ist Hauptdarsteller Mike Raven, mit bürgerlichem Namen Austin Churton Fairman. Raven hatte bereits ein bewegtes Leben hinter sich, bevor er Mitte der 60er Jahre als Radio DJ bekannt wurde. Er diente im 2. Weltkrieg als Leutnant, wurde nach Kriegsende zunächst Balletttänzer, dann Fotograf, Innendekorateur und schrieb einen erfolgreichen Reiseführer über Spaniens unentdeckte Seiten. Ende der 50er Jahre arbeitete er als Schauspieler, Regisseur und Produktionsmanager beim Fernsehen, bevor er Anfang der 60er seine wahre Berufung fand: Er begann erst bei der BBC als Radiomoderator zu arbeiten und wurde dann einer der populärsten DJs der damaligen britischen Piratensender, wo er vor allem seiner Leidenschaft für Rhythmn & Blues frönte. Dieser Erfolg führte zu Festanstellungen bei einigen offiziellen Radiostationen. Trotz seiner Popularität kehrte er dem Radio 1971 den Rücken, um als Horrorfilmstar Karriere zu machen. Zu dieser Zeit war er schon fasziniert vom Okkulten und bemühte sich ein entsprechendes Image aufzubauen. Tatsächlich wurde er schnell in Hammers „Nur Vampire küssen blutig“ und Amicus „I, Monster“ gecastet. Dann trat er als Star in dem von Tom Parkinson produzierten „Der Leichengießer“ auf und dann in dem von ihm mitfinanzierten „Das Monster mit der Teufelsklaue“. Letzterer floppte allerdings so gewaltig, dass Raven seine Filmkarriere nach nur vier Filmen in knapp zwei Jahren beendete und Holzschnitzer und Schäfer wurde. Er starb 1997. In „Das Monster mit der Teufelsklaue“ merkt man leider, dass Raven mit Parkinson niemanden an seiner Seite hatte, der ihn hätte führen können. Zwar kann man Raven ein gewissen Charisma und einnehmende Präsenz nicht absprechen, doch Parkinson weiß nicht viel mit ihm anzufangen und lässt ihn wie eine laienhafte Mischung aus Bela Lugosi und Christopher Lee erscheinen.

„So incoherent that it comes across as a Dada nightmare“ trifft es sehr gut. Der englische Film kann seine Low-Budget-Herkunft und die Unerfahrenheit des Regisseurs zu keiner Sekunde verleugnen und wirkt wie das Werk eines engagierten Amateuer-Theaters. Darin liegt durchaus ein gewisser Charme. Aber auch trotz einiger stimmungsvoller Szenen und krauser Ideen, die völlig over-the-top sind, kann man hier nicht wirklich von einem guten Film sprechen.

Die filmArt-DVD kann man nur als dem Film angepasst beschreiben. Sie kommt nicht wirklich über VHS-Qualität hinaus. Das Bild ist leicht unscharf, die Konturen schwammig und die Farbe meistens eher dumpf. Netter ausgedrückt: Es besteht ein gewisser Retro-Effekt. Da man davon ausgehen kann, dass es kein anderes Master gab, ist die Entscheidung den Film lediglich auf DVD und nicht auf Blu-ray zu veröffentlichen gut nachvollziehbar. Das sieht schon sehr, sehr billig und eigentlich gar nicht nach filmArt aus. Dazu kommt noch, dass als Tonspur lediglich die deutsche Synchro vorliegt, die zwar mit bekannten Sprechern und einigen sprachlichen Kuriositäten daherkommt, allerdings auch nicht recht zu überzeugen weiß. Wer die englische Tonspur hören möchte, muss auf die als Extra enthaltende US-Grindhouse-Fassung zurückgreifen, die zwar das scheinbar korrekte 1,33:1-Format besitzt, jedoch qualitativ noch mal einige Stufen unter der 1,66:1-Fassung der deutschen DVD steht. Schade. Dazu gibt es noch den deutschen Trailer und das war es. Ein Booklet gibt es auch nicht.

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Nachbericht: 5 Jahre „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ – Die Geburtstagsfeier in Magdeburg

Es ist immer schön, wenn man sich als Teil von etwas fühlen kann, was einem viel bedeutet und nah am Herzen liegt. In der Ausgabe #7 wurde mein erster Text in der „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ veröffentlicht. Seit der Ausgabe #11 im Oktober 2015 bin ich festes Mitglied der 35MM-Redaktion und ab Ausgabe #17 sogar stellv. Chefredakteur. Nun wurde die „35 Millimeter“ unglaubliche 5 Jahre alt. Unglaublich, weil dieser lange Atem für ein professionell gemachtes Heft, welches allein von ehrenamtlichen Redakteuren und Gastautoren getragen wird, nicht unbedingt selbstverständlich ist. Bedenkt man dann noch, dass es nur per Online-Bestellung auf der Webseite des Magazins zu beziehen ist, wird das Wunder gleich noch größer. Dass sich das Magazin bis heute trägt und auf eine stetig wachsende Leserschaft bauen kann, macht mich sehr stolz.

Und wenn man auf etwas Gutes stolz ist, soll man es auch feiern. Die Redakteure des Heftes sind in ganz Deutschland verteilt, auch wenn sich in den letzten beiden Jahren ein Übergewicht im Norden gebildet hat. Als unser Chefredakteur Clemens Williges die Idee hatte, den 5. Geburtstag in etwas größerer Runde zu feiern, war daher klar, dass die Location dafür irgendwo in mehr oder weniger nördlichen Gefilden stattfinden würden, um möglichst vielen Redakteuren und Weggefährten die Teilnahme zu ermöglichen. Am Ende lief es auf Bremen oder Magdeburg hinaus. Da unser Redakteur Lars Johansen – seines Zeichens bekannter Magdeburger Kabarettist – u.a. Vereinsvorsitzender des Moritzhofs in Magdeburg ist, und wir damit direkt einen Mann für Werbung und Organisation vor Ort hatten, waren die Würfel schnell gefallen.

So machte ich mich zusammen mit Holger (Bremer Filmfreund und Stammleser) auf, um am Samstag, den 1. Juni Richtung Osten zu fahren. Zwar war der Plan vor dem Treffen mit den „35ern“ noch etwas von der Stadt Magdeburg zu sehen, doch ein schier endloser Stau zwischen Bremen und Hannover, sowie eine seltsame Entscheidung meines Navis, machten diesem Vorhaben einen dicken Strich durch die Rechnung. Mit mehr als 1,5 Stunden Verspätung trafen wir im sommerlichen (und recht leergefegten) Magdeburg ein, bezogen unsere Zimmer im zweckmäßig-spartanischen B&B und eilten dann mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln Richtung Moritzhof. Dieser ist mir seit dem Delira-Italiano.de-Forentreffen 2013 wohlbekannt. Wer einmal in Magdeburg weilen sollte, dem sei ein Besuch empfohlen. Der Hof ist tatsächlich ein geräumiger Hof, in dem man wunderbar sitzen und klönen kann, direkt an der freundlichen Gastronomie. Der Moritzhof besitzt drei Kinos: Eins in der großen Scheune, ein kleines direkt am Hof und dann noch das eher winzige „Kino unterm Dach“, welches seinem Namen alle Ehre macht. Dort war unsere Veranstaltung einquartiert.

Doch zunächst begrüßte man sich mit einem großen Hallo, und es war sehr schön die Redakteure einmal persönlich zu treffen/wiederzutreffen. Carsten aus Osnabrück hatte ich das letzte Mal vor 19 Jahren gesehen, Robert aus Gelsenkirchen kannte ich noch gar nicht. Clemens und Christoph aus Braunschweig sehe ich hingegen öfter. Aber mein besonders Highlight war es, nach all den Jahren endlich einmal unseren Herausgeber und den Vater der „35 Millimeter“ persönlich kennenzulernen! Jörg Matthieu hatte den weiten Weg aus Saarbrücken auf sich genommen. Ich glaube, darüber hat sich jeder von uns Redakteuren sehr gefreut. Schade, dass es diese Gelegenheit sich zu sehen, aufgrund der großen räumlichen Distanz, nicht öfter gibt. Aber ich hoffe sehr, es war nicht das letzte Mal, dass wir uns getroffen haben. Wie man sich vorstellen kann, wurde viel miteinander gesprochen, gefachsimpelt oder auch ganz persönliche Dinge ausgetauscht. Man fühlte sich gleich wie in einer großen Familie, was mich sehr angenehm an die von mir so geliebten Forentreffen mit Deliria-Italiano.de erinnerte.

Bald schon war es aber Zeit, die Zelte im Hof abzubrechen und das „Kino unter dem Dach“ zu beziehen. Leider war der Zuspruch der „normalen Zuschauer“ nicht besonders groß. Außer Holger und Dän (einem guten Deliria-Italiano.de-Bekannten aus der Gegend), waren nur noch zwei ältere Ehepaare anwesend. Aber darum ging es ja auch nicht, sondern darum, etwas gemeinsam zu machen und unseren Zeitschriften-Geburtstag zu feiern. Los ging es mit zwei experimentellen und stummen italienischen Kurzfilmen von 1934 resp. 1936, die beide auf Erzählungen von Edgar Allan Poe basieren. Ich hatte dabei die große Freude in den ersten, „Il cuore rivelatore“, einzuführen (siehe Bild unten rechts), über den ich bereits in der Jubiläumsausgabe schrieb. Christoph Seelinger tat selbiges für den zweiten Film, „Il caso Valdemar“. Aber dies war nicht seine einzige Aufgabe. Zusammen mit dem Musiker Jakob Gardemann war er auch für die Musik zuständig. In diesem Falle für die elektronischen Töne, während Jakob Gardemann auf der E-Gitarre die kongenialen, düster-atmosphärischen Klänge zauberte. Eine wundervolle Performance, die zurecht stürmischen Applaus erntete und hoffentlich irgendwann in ähnlicher Form wiederholt wird. Danach lass Robert Zion aus seinem gerade erschienenen Buch „Roger Corman – Die Rebellion des Unmittelbaren“, welches von unserem Chefredakteur Clemens in Ausgabe 30 überschwänglich besprochen wurde. Unterfüttert wurde die Lesung durch Filmausschnitte.

Nach dem letzten Satz der Lesung war dann auch der Sauerstoff im Kino unter dem Dach aufgebraucht, weshalb wir vor dem „Überraschungsfilm“ alle schnell an die frische Luft flüchteten. Zu dem Zeitpunkt flüchteten auch die beiden älteren Ehepaare, aber nicht aufgrund des Programms, sondern ob der mittlerweile fortgeschrittenen Stunde. Der angekündigte „Überraschungsfilm“ wurden daraufhin nach kurzer Beratung aller Beteiligten kurzentschlossen abgesagt, sodass sich die Verblieben, also die sieben 35er, Holger und Dän, plus Musiker Jakob und ein Freund von ihm gemütlich auf den Stühlen im von der Sonne noch warmen Moritzhof niederließen und die Gelegenheit nutzten, sich näher kennenzulernen und miteinander zu fachsimpeln, diskutieren, Infos auszutauschen und einfach den raren Moment zu genießen, dass man sich mal persönlich gegenüber sitzt. Kein Wunder, dass es dann irgendwann 1 Uhr wurde, alle anderen Menschen die Moritzhof schon lange verlassen hatten und unser Mann mit der Schlüsselgewalt, Lars, die Tür abschloss. Während sich die Braunschweiger auf den Weg in die recht nahe gelegene Heimat machten, fuhr der Rest zum Hotel, um am nächsten Morgen die Gespräche beim sehr einfachen Frühstück weiterzuführen. Doch irgendwann muss man sich dann eben doch trennen, und man merkte durchaus, dass dies allen schwerfiel. Und so setzten Holger und ich die Filmdiskussion auf der Rückfahrt (die diesmal staubedingt „nur“ 45 Minuten länger dauerte – wieder war die Strecke Hannover–Bremen schuld) einfach fort. Und insgeheim macht sich wohl jeder, der in Magdeburg dabei war, Gedanken darüber, wann und wie man solch eine angenehme Runde wiederholt. Vielleicht zum 10jährigen und dann sogar mit etwas mehr Zuschauern.

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DVD-Rezension: „Das Luftschiff“

Kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs macht sich der 11-jährige Chico (Daniel Roth) auf die Suche nach seinem verschwundenen Großvater. Dieser Franz Xaver Stannebein (Jörg Gudzuhn) ist von Kindesbeinen an von Flugmaschinen und dem Fliegen besessen. Er hat eine Konstruktion entwickelt, die wie eine fliegende Windmühle funktionieren und die Menschen kollektiv in die Luft erheben soll. Da er in Deutschland nicht die Mittel dazu findet, wandert er nach Spanien aus, wo er eine Familie gründet und Generaldirektor einer erfolgreichen Firma wird. Doch der Traum von seinem Luftschiff lässt ihn nicht los. Als er glaubt in Deutschland das Geld für den Bau auftreiben zu können, verlässt er von einer Minute zur anderen seine vielköpfige Familie und geht nach Berlin. Hier gelingt es ihm tatsächlich in einflussreichen Kreisen Unterstützung für seine Ideen zu bekommen. Mit dem Auftrag zunächst eine Startbahn für seine Luftschiffproduktion zu bauen, kehrt er nach Spanien zurück. Doch bald schon muss er erkennen, dass er betrogen wurde…

Der DDR-Film ist für viele eine terra incognita. Zwar ist auch der bundesdeutsche Film – abseits der großen Namen wie Fassbinder, Wenders und Herzog – recht schlecht erschlossen (Klaus Lemkes Filme aus den 70ern sind beispielsweise bis auf „Rocker“ und „Paul“ nicht existent), doch um den DDR-Film sieht es in der Regel wirklich traurig aus. Umso schöner, wenn sich ein Label wie die edition filmmuseum eines dieser „unsichtbaren“ Werke annimmt und noch schöner, wenn dieses Werk dem Vorurteil, beim DDR-Film hätte es sich samt und sonders um heute völlig überholten, systemerhaltenden, sozial-realistischen Streifen handeln. „Das Luftschiff“ ist ein ungewöhnliches, vielschichtiges, manchmal surreales Werk, welches man mit solchen Vorurteilen im Hinterkopf so vielleicht nicht erwartet hätte. Andererseits, wenn man noch etwas weiter östlicher schaut, nach Polen, weiß man, dass auch im Sozialismus wilde und waghalsige Filme möglichen waren, auch wenn man wissen sollte, dass diese oftmals große Schwierigkeiten mit den Zensoren hatten. An dieser Stelle seien nur die Werke eines Andrzej Żuławski oder Jerzy Skolimowski erwähnt. Aber auch Andrzej Wajda fand oftmals ungewöhnliche Formen für seine Geschichten.

„Das Luftschiff“ wird häufig als „experimentell“ beschrieben. Was für die damalige Zeit sicherlich in Teilen zutreffend war. Die Handlung springt durch Zeiten und Orte, ohne dies besonders kenntlich zu machen. Der Film- und Performancekünstler Lutz Dammbeck ritzte Animationen direkt in die Filmbeschichtung des Negativs, um die Träume und Pläne des Franz Xaver Stannebein zu illustrieren. Und der Avantgardist Friedrich Goldmann schrieb die ungewöhnliche Musik. Heute kennt man diese Stilmittel und „Das Luftschiff“ wirkt vielleicht nicht mehr so revolutionär wie 1983, aber es entwickelt noch heute einen unwiderstehlichen Sog und Faszination. Außerordentlich gelungen ist die Montage zwischen dem Leben des Großvaters und der Suche des Enkels nach diesem. Was gleichzeitig eine wunderschöne Coming-of-Age-Geschichte ist, wenn sich Chico allein auf die Suche macht und im zerstörten Nachkriegs-Deutschland seltsame Gestalten trifft und kleine Abenteuer erlebt. Insbesondere die Szene in der er auf einer Draisine die Bahngleise entlang saust bleibt im Gedächtnis. Dabei führt Chico fast schwerelos und glücklich des Großvaters Traum vom Fliegen fort, um dann ähnlich hart in der Realität zu landen. Dabei versagt sich Simon aber jeglicher Sentimentalität und lässt Chico und den Zuschauer am Ende mit der Erkenntnis zurück, dass Träume nicht Erfüllung gehen, nur weil man es sich so sehr wünscht. Wohl aber, dass sie einem helfen, dem Leben entlang des Weges einen Sinn zu geben.

Man kann „Das Luftschiff“ auch als Gleichnis lesen. Die Konstruktionen des Franz Xaver Stannebein wird von ihm selber als Wunsch nach einer Freiheit für alle formuliert. Die bewahrheitet sich zwar nicht (wie auch im Sozialismus die Freiheit nur relativ war), wohl aber lässt dieser Wunsch nach einem Ideal den Träumer auch unter den widrigsten Umständen immer weitermachen. Dieses sozialistische Ideal – Freiheit und Gleichheit für alle Menschen – wird im Film, wie im realsozialistischen Leben – von den Mächtigen ausgebeutet und pervertiert, indem sie die Träumer für ihre eigenen egoistischen, dem propagierten Ideal zuwiderlaufenden Plänen einspannen und ausnützen. Kennt man die Geschichte von Fritz Rudolf Fries, dem Autoren der Vorlage, welcher diese auch für die filmische Umsetzung frei adaptierte, da kann man in den Film sogar ein vorweggenommenes Outing als IM hineinlesen. Schließlich wird die Hauptfigur (die wie Fries lange Zeit in Spanien lebt) von einem System missbraucht, welches seine Träume ausnutzt, um ihn zu einem Teil des Systems zu machen und letztendlich dazu bringt, dass er unbewusst seine Ideale (er will auf gar keinen Fall, dass seine Konstruktionen für militärische Zwecke eingesetzt werden, sie sollen nur dem Wohl der Menschheit dienen) verrät, indem er der deutschen Legion Condor einen Landebahn baut, somit die Faschisten in Spanien unterstützt und Leid über die Bevölkerung bringt. Vielleicht fühlte sich Fries ja ganz ähnlich.

In Jörg Gudzuhn fand Rainer Simon einen kongenialen Hauptdarsteller, der an eine Mischung aus Hark Bohm und Max von Sydow erinnert. Kleinbürgerliches trifft intellektuelles Draufgängertum. Gudzuhn nimmt man jederzeit sowohl den Träumer mit den utopischen Visionen ab, als auch den Fanatiker, der seine Ideen rücksichtslos gegen sich und andere durchsetzen will. Oftmals in derselben Einstellung. Hinter seinem verträumten Blick lauert auch immer das Zwanghafte. Ebenfalls eine Offenbarung ist der junge Daniel Roth in der Rolle des Chico, der in einer chaotischen, unsicheren Welt Halt darin findet, seinen Großvater zu einer Art Übermensch zu stilisieren, der wie ein Prophet die Menschheit in eine besser Zukunft führen könnte. Sein Spiel ist so natürlich, leicht und offen für Wunder, dass es schade ist, dass man ihn danach nur noch einmal in dem ebenfalls von Simon gedrehten „Die Frau und der Fremde“ sehen konnte.

Wie immer ist die Filmpräsentation durch die edition filmmuseum sehr gut kuratiert. Als Extra gibt es ein sehr erhellendes Interview mit Regisseur Rainer Simon und im 16-seitigen Booklet mehrere weiterführende Texte zu diesem Film und dem zweiten Film dieser Doppel-DVD. Das Bild ist unrestrauriert, aber sehr solide und nur ab und zu sieht man etwas Filmschmutz, was aber nicht stört. Mir ist solch authentischer „Filmlook“ sowieso sehr viel lieber, als kalte Glattfilterung. Die Farben sind gut und stabil. Der Ton (Dolby Digital Mono) klar und sehr gut verständlich. Der zweite Film dieser Doppel-DVD ist der Dokumentar-/Propagandafilm „Unbändiges Spanien“ von Kurt und Jeanne Stern, welcher eine Bearbeitung und Erweiterung des Filmklassikers „The Spanish Earth“ von Joris Ivens (1937) darstellt. Als Sprecher wirkt darin so bekannte DDR-Schauspieler wie Norbert Christian, Mathilde Danegger, Manfred Krug, Ekkehard Schall und Hilmar Thate mit, die neue Musik stammt von Hanns Eisler. Eine sehr gute und in Hinblick auf die Verbindung DDR/Spanien durch „Das Luftschiff“ logische Ergänzung.

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Das Bloggen der Anderen (27-05-19)

– Ich denke einmal, damit ist das Thema für dieses Jahr durch. Auf critic.de zieht Frédéric Jaeger sein Fazit der diesjährigen Ausgabe des Festivals, die critic.de-Mitarbeiter vergeben ihre ganz eigenen Palmen und Preise und zuletzt berichtet Till Kadritzke über mehr und weniger Sehenswertes aus den Nebenreihen. Wer dann noch nicht genug hat, kann noch die Berichterstattung auf Sennhausers Filmblog lesen. Z.B. über den Goldene Palme Gewinner „Parasite“, Tarantinos gespannt erwarteter „Once Upon A Time in Hollywood“ und den italienischen Mafia-Film „Il Traditore“ von Marco Bellocchio.

– Währenddessen führt Joachim Kurz auf kino-zeit.de den zweiten Teil seines Interviews mit der Filmfestival-Forscherin Tanja C. Krainhöfer, in dem es um die Herausforderungen durch die Digitalisierung, die Chancen von Kooperationen und einen Ausblick auf die Zukunft sowie Wünsche an die Politik geht.

– Auf out takes kann man lesen, wie zwei Initiativen, „Zukunft Deutscher Film“ und der „Hauptverband Cinephilie“, die die Kunst im deutschen Kino (und das Kino überhaupt) bewahren wollen.

– Eigentlich sollte Universals „Dark Universe“ DAS große Ding werden. Nach zwei Jahren und dem Flopp von „Die Mumie“ ist es damit aber wohl schon jetzt vorbei. Filmlichter wirft noch einmal einen Blick zurück.

– André Malberg hält weiterhin Eskalierende Träume am Leben und schreibt einerseits über einen weiteren der „100 deutsche Lieblingsfilme“, nämlich „Nicht verzeichnete Fluchtbewegungen oder: Wie die Juden in der West-Eifel in die Freiheit kamen“ von 1990. Ferner bespricht er (auf Englisch) den Porno „Taboo II“ von Kirdy Stevens.

– Bluntwolf hat auf Nischenkino einiges über den wunderbaren Giallo „Un bianco vestito per Marialé“ einiges (auch sehr kritisches) zu sagen.

– Als ich ihn das erste Mal sah, konnte ich mit Norman J. Warrens „Prey“ nicht viel anfangen, kenne mittlerweile aber viele, die den Film in höchsten Tönen loben. Auch Heiko von Allesglotzer ist oftmals zwiegespalten, am Ende dann aber doch einigermaßen fasziniert von diesem Kuriosum.

Schattenlichter empfiehlt nachdrücklich den Horrorfilm „Hereditary – Das Vermächtnis“.

– Ebenfalls eine Empfehlung spricht Oliver Nöding auf Remember It For Later dem auf wahren Begebenheiten basierenden „Bio-Pic“ „Lords of Chaos“ aus und weiß seiner Besprechung noch viele interessante Details hinzuzufügen.

Schlombies Filmbesprechungen mag zwar „Arrival“, hadert aber mit dem Ende, welches ich wiederum großartig und emotional extrem aufwühlend fand. Das mag aber auch daran liegen, dass ich Kinder habe. Ferner macht er neugierig auf den Animee „Gyo – Der Tod aus dem Meer“, der bei mir auch schon lange auf der Wunschliste steht.

– Apropos neugierig. Ich hätte jetzt große Lust auf „High School Confidential!“ der in Deutschland den wundervollen Titel „Mit Siebzehn am Abgrund“ trägt und von keinem geringeren als Jack Arnold gedreht wurde. Funxton schreibt drüber.

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Das Bloggen der Anderen (20-05-19)

– Es ist wieder die Zeit im Jahr, in der es viele meiner Blogger-Kollegen physisch oder zumindest im Gedanken nach Cannes zieht. Die dortigen Filmfestspiele haben begonnen. Wer einen schnelle Überblick und ein paar Tipps möchte, findet dies beim Cannes-Ticker von Schwanenmeister auf Negative Space. Ich bin jetzt sehr neugierig auf „Bacurau“. Bereits sieben Folgen Cannes-Berichterstattung gab es bei Artechock. Rüdiger Suchsland schreibt in dieser Folge u.a. über Bertrand Bonellos „Zombi Child“. Auch Michael Sennhauser von Sennhausers Filmblog ist sehr aktiv und hat u.a. die bekannteren Filme wie den Eröffnungsfilm „The Dead Don’t Die“ oder Terrence Malicks „The Hidden Life“ am Start. Mich persönlich interessiert aber mehr Jessica Hausners neuer Film „Little Joe“. Frédéric Jaeger von critic.de hat mal hinter die Kulissen geschaut und einige interessante Zahlen zusammengetragen.

– Auch aber nicht nur um Cannes geht es in einem hochspannenden Interview, das Joachim Kurz für kino-zeit.de mit der Filmfestival-Forscherin Tanja C. Krainhöfer geführt hat. Seine Kollegin Katrin Doerksen hat derweil eine sehr interessante (und wenig bekannte) Geschichte der Farbfilmmaterialien von Agfa, Orwo und Eastman  zusammengetragen.

– Christian hat auf Schlombies Filmbesprechungen über zwei deutsche Filme geschrieben, die beweisen, dass das Deutsche Kino mitnichten tot oder langweilig ist: Hans-Christian Schmids grandioser „23“ und Oliver Hirschbiegels „Das Experiment“, den ich damals sogar im Kino gesehen habe, und ich bin mir sicher – auch wenn ich darüber nie etwas gelesen habe – dass dort im Finale niederfrequente Töne im Herzrhythmus verwendet wurden. Da hatte ich nämlich echte Beklemmungen im Brustkorb. Muss ich mal nachforschen…

– Und mal wieder ein Film für die Liste: „Operzione Kappa: sparate a vista“. Neulich noch unter seinem deutschen Titel „Kidnapping – Ein Tag der Gewalt“ bei der Subkultur-Preisparty im Einkaufswagen gehabt und dann doch zu lange gezögert. Nachdem ich André Malbergs schönen Beitrag auf Eskalierende Träume gelesen habe, ärgere ich mich jetzt doch darüber.

– Letzte Woche „Der öffentliche Feind“, jetzt „Scarface“. Totalschaden von Splattertrash arbeitet die Warner-Gangsterfilm-Klassiker ab.

– Oliver Nöding hatte im Kino verdammt viel Spaß mit „Aquaman“ und lässt uns auf Remember It For Later daran teilhaben.

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Blu-ray-Rezension: „Fascination“

Frankreich, Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Dieb Marc (Jean-Marie Lemaire) hat eine Verbrecherbande betrogen und befindet sich nun auf der Flucht vor dieser. Zuflucht findet er in einem von einem Wassergraben umgebenen Château. Dort trifft er auf seine wunderhübsche junge Frauen: Elizabeth (Franca Mai) und Eva (Brigitte Lahaie). Während Elizabeth ihn vor einem geheimnisvollen Gast warnt, der um Mitternacht erwartet wird, versucht Eva ihn zu halten, indem sie ihn verführt. Mittlerweile hat die Bande Marc aufgespürt und bezieht außerhalb des Château Stellung.

Anmerkung: Alle Screenshots stammen von der ebenfalls enthaltenen DVD, nicht der Blu-ray.

Nach dem relativen Erfolg seines hierzulande auch als Zombie-Schocker verkauften, melancholischem Infizierten-Drama „Die Foltermühle der gefangenen Frauen“ aka „Zombis – Geschändete Frauen“, kehrte Jean Rollin zu den Anfängen seiner Karriere zurück. Wobei nicht ganz. Ebenso wie „Die Foltermühle der gefangenen Frauen“ kein richtiger Zombie-Streifen ist (trotz Versatzstücken des Genres, so ist „Fascination“ auch kein richtiger Vampirfilm, obwohl natürlich auch er mit den Mythen des Blutsaugerfilms arbeitet. Tatsächlich sind hier aber keine übernatürlichen Wesen, sondern die Mitglieder eines Blut-Kults unterwegs. Diesen hat es scheinbar wirklich gegeben, wenn auch nicht in der Form, in der ihn der Film präsentiert. Aber die merkwürdig surreale Szene, in der zu Beginn des Filmes fein angezogene Damen der hohen Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts in einem blutgetränkten Schlachthof stehen und in Weingläsern Ochsenblut trinken, hat seine Wurzeln in einer obskuren Therapie, die ein französischer Arzt seinen anämischen Patienten anbot.

Die Szene ist zugleich das erste starke, sich unauslöschlich ins Gehirn brennende Bild, welches Rollin in diesem Film erschafft. Das zweite ist natürlich die nackte Brigitte Lahaie, die in einen schwarzen Umhang gehüllt mit der Sense jagt auf ihre Opfer macht. Diese gehören zu den ikonischen Darstellungen in Rollins Filmkarriere. Bilder, die das Kino des Jean Rollin definieren. Seltsam aus dem Rahmen gefallen. Bedrohlich, aber auch höchst erotisch. Erschreckend, aber von einem unwiderstehlichen Reiz. Gerade für die Darstellung des nackten Todesengels fand Rollin dabei seine perfekte Muse: Die wundervolle Brigitte Lahaie, die er zuvor bereits in „Die Foltermühle der gefangenen Frauen“ perfekt zu inszenieren wusste. Auch dort ist es die Lahaie, die einem als erstes in den Sinn kommt, wenn man sich an den Film zurückerinnert. Wie sie in einer Hommage an Mario Bava mit zwei großen Dobermännern in das rechte Licht gerückt wird. Das seltsame entrückte, was auch ihre Darstellung in „Fascination“ ausmacht. Rollin hatte die Lahaie bei einem seiner Ausflüge in den pornographischen Film kennengelernt und war von ihr auf Anhieb, ja, fasziniert.

Und das zurecht. Brigitte Lahaie war in den 70ern die Königin des französischen Erwachsenenfilms. Vielleicht nicht offiziell, aber in der Rückschau und im Herzen ihrer Bewunderer auf jeden Fall. Wie kaum eine andere Darstellerin war sie in diesen Filmen mit Eleganz und Stil bei der Sache. Brigitte Lahaie erzeugt ganz von selbst eine den Zuschauer gefangennehmende Aura, die nicht von dieser Welt scheint. Sie ist gleichzeitig keine klassische Schönheit und dennoch überirdisch schön. Hier ähnelt sie tatsächlich der zuvor erwähnten Gothic-Horror-Ikone Barbara Steele. Dass der Schöpfer sie noch mit einer atemberaubenden Figur gesegnet hat, spielt da nur die zweite Rolle. Insgesamt sieben Mal spielte sie unter Rollin (den Hardcore-Film“Vibrations sexuelles“ mitgezählt). Immer schlafwandelt sie durch die Filme, als wäre sie gar nicht von dieser Welt. Was perfekt in das cineastische Reich des Jean Rollin passt. Unbedingt sollte man die Filme im Original sehen, um Brigitte Lahaies helle, aber doch auch mysteriösen Stimme zu lauschen. Und ihr Auftritt als Sensenfrau gehört wie Karloffs Frankenstein, Lugosis Dracula oder Barbara Steeles Asa ins große Buch der unvergesslichen Horrorikonen.

Erstmals arbeitet Rollin bei „Fascination“ mit dem Komponisten Philipp D’Aram zusammen, der im selben Jahr seine ersten Soundtracks (für die Claude-Zidi-Komödie „Die Schlafmütze“ und „Unmoralische Engel“ des großen Walarian Borowczyk, einem – wie Rollin – der Protagonisten der Immoral Tales die in den 70er Jahren in Europa entstanden) produziert hatte. Er löste damit Pierre Raph als Rollins Stammkomponisten ab und seine teilweise rockigen, teilweise experimentellen Sounds sollten den Klang der Rollin-Filme bis zu seinem letzten Film „Le masque de la Méduse“ definieren. Mit Ausnahme von der Lahaie, die bereits Kameraerfahrung mitbrachte, stehen die meisten der Schauspieler hier erstmals vor der Kamera. Man merkt dies deutlich, wenn sie etwas steif und ungelenk agieren. Was allerdings die unwirkliche Atmosphäre unterstützt, die in „Fascination“ vorherrscht. Alle wirken, als stammten sie aus einer anderen, unwirklicheren Welt, die mehr die Projektion eines Traumes ist, als in einer realen Historie verwurzelt. Wozu auch die Kostüme der Handelnden beitragen, die gerade bei den Verbrechern und „Helden“ Marc – wenn man bösartig sein möchte – an Faschingskostüme erinnern. Bei den Damen des Blut-Kults an Fetisch-Gewänder. Aber nie an etwas, was jemand im realen Leben tragen würde oder getragen hat. Hier kommt bereits Rollins Liebe zum Pulp-Roman und Comic zum Vorschein, die er Mitte der 80ern in seinen Filmen noch intensiveren sollte.

All dies zusammengenommen ergibt einen Film, der für heutige Sehgewohnheiten vielleicht etwas sperrig daher kommt und in einer ungünstigsten Situation eine partywütige „Geil-voll-der-Trash“-Fraktion (wie unlängst beim Mondo Bizarr in Düsseldorf bei der Vorführung des weitaus zugänglicheren, aber auch viel traurigeren „Foltermühle“ erlitten) zum ungepflegten Grölen bringen würde. Aber der cinephile Connaisseur entdeckt hier einen Film, der die Erinnerung an einen Traum am Ende einer Herbstnacht, die man während eines Lyrik-Semsters bei Kerzenschein mit französischer Pulpliteratur und einer guten Flasche Rotwein verbracht hat.

Dies ist die nunmehr siebte Folge der bei Wicked Vision erschienen Reihe „Jean Rollin Collection“. Und wie den Veröffentlichungen zuvor, merkt man dem Mediabook die Liebe an, die hier hineingeflossen ist. Für die deutsche HD-Premiere des Films wurde der Film von Wicked Vision noch einmal neu vom Originalnegativ abgetastet. Und das merkt man auch. Das Bild ist wirklich sehr gut und verliert auch nicht seinen „film look“. Auch beim Ton braucht man keine Abstriche zu machen. Dieser liegt jeweils auf Deutsch und Französisch sowohl in DTS-HD High Resolution Audio 2.0 Stereo und Dolby Digital 2.0 Stereo vor. Wobei die französische Tonspur zu präferieren ist, da sie natürlicher klingt und zudem die Stimme von Brigitte Lahaie einfach besser zu ihrer Rolle passt. Weiter geht es mit den reichlichen Extras. Das (sehr) kurze Grußwort von Brigitte Lahaie würde ich jetzt nicht dazu zählen, da ist das Intro durch Jean Rollin schon interessanter. Spannend auch die beiden Features „Die Musik von „Fascination“ mit Philippe d’Aram“ und „In Erinnerung an Natalie Perrey“. Ein Interview mit Jean Rollin gehört ebenfalls zu den Extras. Besonders gefreut habe ich mich über die Jean-Rollin-Episode „Virgins and Vampires“ aus der großartigen britischen TV-Reihe „Eurotika“, deren Folgen man zwar auch im Netz, dort aber in z.T. erbarmungswürdiger Qualität findet. Eher von historischem Interesse sind die geschnitten Sexszenen. Einmal mit Brigitte Lahaie und Jean-Marie Lemaire dann mit der Lahaie und einem Mitglied der Verbrecherbande. Dabei handelt es sich um alternative Einstellungen aus den im Film enthaltenden Szenen. Scheinbar nur gedreht, um genügend Schnittmaterial für die letztendlich inkludierten Szenen zu haben. Bildergalerie, deutscher und Original-Trailer runden das Bild ab. Ferner gibt es noch ein sehr spannendes, 24-seitiges Booklet für das vor allem Pelle Felsch verantwortlich zeichnet. Dieses habe ich erst nach dem Erstellen dieser Review gelesen und mich darüber gefreut, dass wir beide dieselben Eindrücke haben. Die zwei zusätzlichen Seiten von David Renske hätte es danach nicht mehr unbedingt gebraucht, ich habe aber positiv zur Kenntnis genommen, dass er hier seinen sonstigen bewusst schnodderigen Stil etwas zurückgenommen hat.

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„35 Millimeter“-Magazin: Ausgabe 31/32 erhältlich und Geburtstagsfeier in Magdeburg

Schon etwas länger erhältlich, wollte ich es nicht versäumen auf das aktuelle 35-Millimeter-Retro-Filmmagazin hinzuweisen. Diesmal ist es eine ganz besondere Ausgabe, denn in der Doppelnummer 31/32 gibt es gleich zwei Jubiläen zu feiern. Zum einen den 210. Geburtstag (oder auch 170. Todestag – aber ich finde, das erstere Ereignis schöner) des großen Edgar Allan Poe. Hierzu haben unsere Redakteure wieder viele tolle, interessante und manchmal auch überraschende Artikel beigesteuert. Ich selber durfte mich Poes Erzählung „Das verräterische Herz“ annehmen und habe mich durch neun Verfilmungen geschaut, welche ich im Heft allesamt vorstelle.

Neben Edgar Allan Poes Geburts- bzw. Todestag feiert aber auch die „35 Millimeter“ ihr nunmehr 5 Jähriges Bestehen. Wow! Ich bin wirklich stolz darauf ein Teil dieses – wie ich ganz ehrlich finde – tollen Heftes zu sein. Und dies seit jetzt auch schon seit der Ausgabe #11 im Oktober 2015 festes Mitglied der 35-Millimeter-Redaktion und ab Ausgabe #17 als stellvertretender Chefredakteur. Unglaublich, wie die Zeit vergeht.

Hierzu ein kleiner Veranstaltungstipp: Anlässlich des 5-Jährigen Jubiläums wird es am Samstag, den 1. Juni im Moritzhof in Magdeburg eine 35-Millimeter-Geburtstags-Sause geben. Das umfangreiche Programm aus Kinofilm, Live-Musik und Lesung. Robert Zion liest aus seinem neuen Buch „Roger Corman – Die Rebellion des Unmittelbaren“, mit vielen Filmausschnitten auf der Kinoleinwand. Jakob Gardemann und Christoph Seelinger begleiten eine italienische Poe-Verfilmung musikalisch. Und am Ende gibt es einen Überraschungsfilm. Durch den Geburtstagsabend aus Bild, Ton und Wort geleitet der Magdeburger Kabarettist und 35-Milliemter-Redakteur Lars Johansen. Ausserdem reisen noch weitere Redaktionsmitglieder aus den unterschiedlichsten Winkeln der Republik an. Unter anderem einer aus Bremen 🙂

Los geht es um 18:00 Uhr und weitere Infos findet man hier: https://moritzhof-magdeburg.de/

Aber zurück zur aktuellen 35-Millimeter Ausgabe. Die steckt natürlich noch randvoll mit noch mehr schönen Dingen. U.a. ein Interview, welches ich mit dem großartigen und super-sympathischen Christian Keßler anläßlich seines Auftritts bei unserer Weird-Xperience-Reihe führen durfte

Und was den Leser sonst noch so erwartet, findet Ihr hier im Inhaltsverzeichnis.

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Das Bloggen der Anderen (13-05-19)

– Die Kurzfilmtage in Oberhausen gehören zu den bedeutendsten, traditionsreichsten und ältesten Filmfestivals in Deutschland. Bald ist es wieder soweit und Frédéric Jaeger lässt die diesjährige Ausgabe auf critic.de noch einmal Revue passieren. Stephan Ahrens blickt auf das portugiesische Kino im Nationalen Wettbewerb des Festivals IndieLisboa zurück.

– Ich gebe zu, dass ich gewisse Vorurteile gegenüber der Genrenale hege. Schön von Sophie Brakemeier auf Filmlöwin zu lesen, dass dort aber auch eigenwillige, rätselhafte Filme wie „Wo kein Schatten fällt“ gezeigt werden.

Kino-zeit.de hat auf einer Klick-Strecke die für die Redaktion interessantesten Filme bei Cannes 2019 zusammengestellt.

– Patrick Holzapfel freut sich auf Jugend ohne Film über den Inhalt (weniger die Machart) des Portraitfilms „Nice Girls Don’t Stay For Breakfast“, der dem großartigen Robert Mitchum versucht ein Denkmal zu setzen.

– Das iranische Kino ist meines Erachtens nach eines der interessantesten überhaupt. Bisher sah ich aus diesem Land nur gute bis sehr gute Filme. Auch der Film „Eine moralische Entscheidung“ von Vahid Jalilvand, den Peter Gutting auf cinetastic vorstellt klingt sehr spannend.

– Für mich bisher einer der Filme des Jahres: „Climax“ von Gaspar Noe, der mich psychisch und sogar physisch sehr mitgenommen hat. Hier die Review von funxton.

Robert Zion zeigt sich sehr begeistert von Peter Fondas Western „Der weite Ritt“.

– Oliver Nöding schreibt viele interessante Dinge zu „Lebendig begraben“ von Roger Corman. Seine spannenden Gedanken kann man auch Remember It For Later nachlesen.

– Ein persönlicher Lieblingsfilm, der bei Bluntwolf auf Nischenkino vielleicht nicht ganz so gut wegkommt, wie bei mir: „Milano Kaliber 9“. Dafür sind wir uns dann aber bei „Das ferpekte Verbrechen“ einig.

– Christian von Schlombies Filmbesprechungen hat sich beim japanischen High-School-Superheldinnen-Film „Sukeban Deka“ so gut amüsiert, dass der auch gleich Teil 2 hinterher geschoben hat, der ihm allerdings weitaus weniger gefiel.

– Zum Abschluss noch ein Klassiker und weiterer Lieblingsfilm: „Der öffentliche Feind“ mit der fabelhaften James Cagney in seiner Paraderolle. Totalschaden von Splattertrash empfiehlt ihn auch.

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Das Bloggen der Anderen (06-05-19)

– Rochus Wolff macht sich auf kino-zeit.de darüber Gedanken wann und wie Kinder an Horrorfilme herangeführt werden sollten und erinnert sich dabei daran, wie das damals bei ihm war. Katrin Doerksen blickt zurück, wie sich Filme, die sich mit dem Thema ungewollten Schwangerschaften und Abtreibungen auseinandersetzen von der Weimarer Republik bis heute verändert haben.

– Immer wieder schön zu lesen: Bert Rebhandl fasst auf Cargo den Inhalt der Zeitschrift „Filmkritik“ aus dem April 1969 zusammen.

– Peter Hartig hat für out takes den Programmleiter Krystof Zlatnik und den Festivalorganisator Paul Andexel der Genrenale interviewt, die nun schon seit sechs Jahren durchgeführt wird und sich in diesem Jahr erstmals terminlich von der Berlinale abgekoppelt hat. Sehr interessant und auch gut nachgefragt. Auch wenn mir eine Frage fehlt: Warum werden einheimische Genrefilme eigentlich nicht vom deutschen Publikum angenommen, wenn sie dann mal auf die Leinwand kommen?

– Filmemacher Christoph Hochhäusler hat einige Filme wiedergesehen und dazu kleine Besprechungen auf seinem Blog Parallel Film verfasst.

– Lukas Foerster hat auf Dirty Laundry einen sehr schönen Text über Artefakte auf analogem Filmmaterial verfasst.

– André Malberg schreibt (auf Englisch. Warum eigentlich?) auf Eskalierende Träume über Roberta Findlays Spätwerk „Lurkers“. Und er empfiehlt William Hellfires “Upsidedown Cross“, den er als “wild crossbreed between Friedkin classic “The Exorcist” and “Her Name Was Lisa” (Roger Watkins, 1979)” bezeichnet.

– Flo Lieb von symparanekronemoi hat den Anime “ Mirai no Mirai“ gesehen. Einen Familienfilm mit phantastischen Elementen, der ihm gut gefallen hat.

Filmlichter über einen der Über-Actionfilme der 80er Jahre. Den im wahrsten Sinne des Wortes explosiven „Phantom-Kommando“. Ein Lieblingsfilm von mir. Damals habe ich mich bei dem sogar ins Kino geschlichen. /

– Lange, lange nicht gesehen. Fulcis später Giallo „Murder Rock“. Damals unter dem Eindruck der „klassischen“ Fulcis als „na ja“ verbucht, bin ich heute – auch nach Bluntwolfs Besprechung auf Nischenkino – doch neugierig, wie er heute, wo ich mich auch ausführlich mit Fulci beschäftigt habe, auf mich wirken würde.

– Oliver Nöding hat sich auf Remember It For Later zweier ganz unterschiedlicher Science-Fiction-Filmen angenommen. Zum einen dem bunten und fantasievollen „This Island Earth“ und zum anderen den eher nüchternen „Andromea Strain“, der mir einst bei seiner TV-Ausstrahlung im ARD-Nachtprogramm den Schlaf geraubt hat.

– Zum Abschluss noch ein Kopfsprung in die Untiefen des deutschen Unterhaltungsfilms der 80er Jahre. Funxton über die Lisa-Produktion „Her mit den kleinen Schweinchen“.

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Blu-ray-Rezension: „Mothra bedroht die Welt“

Nachdem vier Schiffbrüchige von einer durch Atombombenversuche verseuchte, polynesische Insel gerettet werden, stellt man fest, dass sie unter keinerlei Strahlungsvergiftung leiden. Die Geretteten führen dies auf ein Getränk zurück, welches sie von Eingeborenen bekommen hätten. Die Regierung des Landes Roliscia – welches für die Tests verantwortlich war – und Japan stellen eine Expedition unter der Führung des zwielichtigen Roliscianer Clark Nelson (Jerry Ito) zusammen, zu der auch Dr. Shinichi Chūjō (Hiroshi Koizumi) und Journalist Zen’ichiro Fukuda (Frankie Sakai) gehören. Auf der Insel entdecken sie den Eingeborenenstamm, tödliche Riesenpflanzen und zwei winzige Feenwesen (The Peanuts). Nelson sieht die Chance für ein gutes Geschäft und entführt die Feen, um diese in einer sensationellen Show auszustellen. Keine gute Idee, denn die beiden stehen mit einer monströsen Macht auf ihrer Heimatinsel in telepathischen Kontakt. Dr. Chūjō und Fukuda erkennen die drohende Gefahr und versuchen die Feen aus Nelsons Klauen zu befreien. Währenddessen macht sich etwas auf den Weg nach Japan…

Anmerkung: Alle Screenshots stammen von der ebenfalls enthaltenen DVD, nicht der Blu-ray.

Während man hierzulande bei japanischen Monsterfilmen zuallererst an Godzilla denkt, so ist der sogenannte Kajiu-Kosmos doch um einiges reicher und bunter. Bunter trifft vor allem auf den ungewöhnlichsten Monster-“Helden“ zu. Die gigantische Motte Mothra, welche mit dem Schlagen ihrer hübsch gefärbten Flügeln ganze Städte dem Erdboden gleich machen kann. Und die im telepathischen Kontakt mit zwei winzigen Feenwesen steht. Im Gegensatz zu dem grimmigen Godzilla, der zumindest in den ersten Filmen eine echte, bösartige Gefahr für die Menschheit war, ist Mothra im Grunde ihres Motten-Herzens eine gute Seele. Auch in späteren Filmen ist sie immer Retterin in der Not und steht eindeutig auf der Seite des Guten. Dass sie in ihrem Debütfilm „Mothra bedroht die Welt“ einiges an Zerstörung anrichtet, ist dann auch gar nicht ihre Schuld, sondern die eines schleimigen, geldgierigen Schurken, der aus dem fiktiven Land Roliscia (eine Mischung der japanischen Wörter für Amerika und Russland, beides Erzfeinde der Japaner) stammt. Der Schauspieler Jerry Itō – mit japanisch-amerikanischen Wurzeln – spielt diesen Unsympath immer einen Fuß über der Grenze zum over-acting. Sein Nelson ist von solch verabscheuungswürdiger Gier, Skrupellosigkeit und Selbstverliebtheit, dass einem speiübel werden kann. In einer Szene mäht er mit dem Maschinengewehr unschuldige Eingeborene nieder und man sieht ihm zu jedem Moment an, wie er dies genießt.

Es dauert lange, bis Mothra in Aktion tritt. Die Hälfte des Filmes ist übergangen, bis sie sich zunächst in Raupenform auf den Weg nach Japan macht. Davor wird man mit den Helden des Filmes vertraut gemacht, die Nelson auf seiner Expedition auf die polynesische Insel begleiten, wo man trotz exzessiver Atombombenversuche durch Roliscia keine radioaktive Strahlung misst. Was genau Nelson dort zu finden hofft, bleibt im Dunkeln. Gefunden werden jedenfalls die beiden Feenwesen, welche von dem – auch in Deutschland relativ erfolgreichen – japanischen Pop-Duo The Peanuts (Yumi Itō und Emi Itō) gespielt werden. Ferner stößt man auf einen etwas unheimlich wirkenden Eingeborenenstamm und giftige Riesenpflanzen. Aus dieser Konstellation hätte man sicherlich noch mehr herausholen können, doch die Expedition ist nur der Aufhänger zur Story, nicht – wie bei „King Kong“, an den diese Episode entfernt erinnert – ein eigenständiges Plot-Element. Die Entführung der Elfen von der Insel setzt dann endlich die Ereignisse in Gang, die zur Erweckung Mothras und der Zerstörung durch die Riesenmotte führen. Wie immer, wenn Mothra in einem Film auftaucht wird es musikalisch. Denn ausführlich wird der Eingeborenenstamm bei seiner gesanglichen und tänzerischen Beschwörung Mothras gezeigt. Aber auch die Besetzung der Feen mit den Peanuts erfolgte nicht ohne Grund. Ihr Gesangstalent wird von Nelson schamlos in einer Bühnenshow ausgebeutet, was fast schon zu Musical-ähnlichen Szenen führt. Zu dumm (oder für den Kaiju-Fan zum Glück), dass zum Song-Repertoire auch das Beschwörungslied gehört, welches Mothra erweckt.

Obwohl man lange auf Mothras ersten Auftritt warten muss, ist der Film von Anfang an rasant, gradlinig und sehr unterhaltsam ausgefallen. Was neben dem schillernden Bösewicht auch an den sympathischen Helden liegt. Schön die erste Szene, in der Dr. Shinichi Chūjō eingeführt wird. Die ganze Zeit sieht man ihn (oder sieht ihn gerade nicht) hinter einer Zeitung, da er sehr pressescheu ist und verhindern will, dass Presse-Fotografin (Kyoko Kagawa, in diesem Film leider eher Beiwerk) ihn ablichtet. Als man ihn dann sieht, wirkt er unrasiert und mit wirrem Haar dann, als sei er gerade aus dem Bett aufgestanden. Neben dem guten Doktor gibt es noch einen kräftig gebauten Zeitungsreporter, der zunächst als lustige Nebenfigur eingeführt wird, dann sich dann aber mit zunehmender Handlung als überraschend kompetenter und schlagkräftiger Held erweist, der es auch mal mit einer ganzen Gruppe Schlägern aufnimmt. Vor allem stimmt die Chemie zwischen den Protagonisten, was sich auch auf den Zuschauer überträgt. Dort fügt sich sogar Dr. Chūjōs übergewichtiger, kleiner Sohn ein, der nicht als typischer nervend-aufgeregter Neunmalklug inszeniert wird, sondern wie die anderen dazu beiträgt, dass die Geschichte am Ende gut ausgeht.

Mit den menschlichen Darstellern hat „Mothra“ also schon mal ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Wie sieht es mit dem eigentlich Star des Films, der Riesenmotte Mothra aus? Mothra war schon immer eines der interessantesten Monsterwesen aus Japan. Was einerseits an der eher ungewöhnlichen Mythologie mit den Feen und dem polynesischen Inselbewohnern liegt, andererseits daran, dass Mothra eben eine Motte ist, und kein klassisches „gefährliches“ und „hässliches“ Wesen, wie seine Kollegen. Mothra hat immer etwas Elegantes und Knuddeliges. Mothra war nie wirklich böse und hatte ein ätherisches, nettes Wesen. Lediglich in seiner Inkarnation als Raupe – nicht besonders hübsch, aber auch nicht wirklich furchterregend – hat Mothra zumindest einen Hauch von „Monster“. Die Spur der Zerstörung, die Mothra durch Japan und Roliscia eine Mischung aus Notwehr (eigentlich will Mothra nur die Feen aus den schmierigen Klauen Nelsons retten) und Missverständnis (Mothra zerstört nicht mutwillig, sondern das Schlagen ihrer Flügel ist für die enormen Druckwellen verantwortlich). Die Zerstörung ist wie bei den frühen Godzilla-Filmen oder Rhodan wieder sehr liebevoll mit Modellen umgesetzt. Auch wenn hier manchmal etwas exzessiv dieselben Kulissen verwendet werden. Für die Tricksequenzen griff Regisseur Ishirô Honda auf das Team zurück, mit dem er schon bei „Godzilla“ und „Die fliegenden Monster von Osaka“ zusammengearbeitet hat. Vor allem dem großen Eiji Tsuburaya, der zeitweise mit Willis O’Brien und Ray Harryhausen in einem Atemzug genannt wird.

Schön, dass nach „Godzilla“ auch andere Kaiju-Monster eine solch schöne Auswertung in Deutschland erhalten. Mothra ist in dem Zusammenhang sicherlich eines der beliebtesten und mit seiner im eigenen Mythologie auch eines der bekanntesten kaiju. In ihrem Filmdebüt taucht die große Motte nicht besonders häufig auf und es dauert lange, bis sie in voller Pracht und in Aktion zu bewundern ist. Darum ist „Mothra bedroht die Welt“ weitaus mehr als anderen japanischen Monsterproduktion von seinen menschlichen Hauptdarstellern abhängig. Dies schien auch Regisseur Ishirô Honda bewusst, denn hier stimmt die Chemie der Helden untereinander und der eklige Schurke ist wunderbar hassenswert. So kommt auch ohne geballte Monster-Action keine Langeweile auf.

Erstmals enthält eine Erstveröffentlichung aus Anolis‘ wunderbaren und schnell vergriffenen Kaiju-Classics in der charakteristischen Metallhülle eine Blu-ray. Bisher waren das ja immer reine DVDs, wobei vor Kurzem einige Blu-ray-Versionen nachgereicht wurden. Die Bildqualität ist wie erwartet eine Wucht. Zwar besteht meiner Meinung nach gerade bei den kaiju-Filmen die Frage, ob das große Plus an Qualität der Bilder nicht zu viele Illusionen zerstören, wenn man alle Fäden und Spielzeigmodelle in größter Klarheit sieht. Doch spätestens, wenn man die wundervoll schimemrnde Mothr durch die Lüfte segeln sieht, sind diese Bedenken zerstreut. Man kann zwischen der gekürzten US-Fassung (auf der auch die deutsche, erstmalig 1994 auf Kabel Eins ausgestrahlten, Fassung beruht) und der japanischen Fassung wählen. Die deutsche (TV)-Synchro ist solides Mittelmaß. Der Ton der japanischen Fassung klingt etwas lebendiger. Die gekürzte Fassung hat zudem noch eine englische Tonspur. Dann wird wieder einiges an Audiokommentaren aufgefahren. Zunächst ein englischsprachiger Kommentar mit Steve Ryfle und Ed Godziszewski, den Autoren der Dokumentation „Bringing Godzilla Down to Size: The Art of Japanese Special Effects“. Dann einen deutschsprachigen vom bewährten Trio Jörg Buttgereit, Bodo Traber und Ingo Strecker. Und zuletzt noch ein Solo-Kommentar von Florian Bahr. Ansonsten hat man auf der Extras-Seite noch eine rund 4-minütige Super-8-Fassung im unrestaurierten Vollbild und Trailer. Nicht zu vergessen noch das 20-seitige Booklet von Ingo Strecker mit dem schönen Titel „Hier kommt Madame Butterfly“.

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