Frankreich, Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Dieb Marc (Jean-Marie Lemaire) hat eine Verbrecherbande betrogen und befindet sich nun auf der Flucht vor dieser. Zuflucht findet er in einem von einem Wassergraben umgebenen Château. Dort trifft er auf seine wunderhübsche junge Frauen: Elizabeth (Franca Mai) und Eva (Brigitte Lahaie). Während Elizabeth ihn vor einem geheimnisvollen Gast warnt, der um Mitternacht erwartet wird, versucht Eva ihn zu halten, indem sie ihn verführt. Mittlerweile hat die Bande Marc aufgespürt und bezieht außerhalb des Château Stellung.
Anmerkung: Alle Screenshots stammen von der ebenfalls enthaltenen DVD, nicht der Blu-ray.
Nach dem relativen Erfolg seines hierzulande auch als Zombie-Schocker verkauften, melancholischem Infizierten-Drama „Die Foltermühle der gefangenen Frauen“ aka „Zombis – Geschändete Frauen“, kehrte Jean Rollin zu den Anfängen seiner Karriere zurück. Wobei nicht ganz. Ebenso wie „Die Foltermühle der gefangenen Frauen“ kein richtiger Zombie-Streifen ist (trotz Versatzstücken des Genres, so ist „Fascination“ auch kein richtiger Vampirfilm, obwohl natürlich auch er mit den Mythen des Blutsaugerfilms arbeitet. Tatsächlich sind hier aber keine übernatürlichen Wesen, sondern die Mitglieder eines Blut-Kults unterwegs. Diesen hat es scheinbar wirklich gegeben, wenn auch nicht in der Form, in der ihn der Film präsentiert. Aber die merkwürdig surreale Szene, in der zu Beginn des Filmes fein angezogene Damen der hohen Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts in einem blutgetränkten Schlachthof stehen und in Weingläsern Ochsenblut trinken, hat seine Wurzeln in einer obskuren Therapie, die ein französischer Arzt seinen anämischen Patienten anbot.
Die Szene ist zugleich das erste starke, sich unauslöschlich ins Gehirn brennende Bild, welches Rollin in diesem Film erschafft. Das zweite ist natürlich die nackte Brigitte Lahaie, die in einen schwarzen Umhang gehüllt mit der Sense jagt auf ihre Opfer macht. Diese gehören zu den ikonischen Darstellungen in Rollins Filmkarriere. Bilder, die das Kino des Jean Rollin definieren. Seltsam aus dem Rahmen gefallen. Bedrohlich, aber auch höchst erotisch. Erschreckend, aber von einem unwiderstehlichen Reiz. Gerade für die Darstellung des nackten Todesengels fand Rollin dabei seine perfekte Muse: Die wundervolle Brigitte Lahaie, die er zuvor bereits in „Die Foltermühle der gefangenen Frauen“ perfekt zu inszenieren wusste. Auch dort ist es die Lahaie, die einem als erstes in den Sinn kommt, wenn man sich an den Film zurückerinnert. Wie sie in einer Hommage an Mario Bava mit zwei großen Dobermännern in das rechte Licht gerückt wird. Das seltsame entrückte, was auch ihre Darstellung in „Fascination“ ausmacht. Rollin hatte die Lahaie bei einem seiner Ausflüge in den pornographischen Film kennengelernt und war von ihr auf Anhieb, ja, fasziniert.
Und das zurecht. Brigitte Lahaie war in den 70ern die Königin des französischen Erwachsenenfilms. Vielleicht nicht offiziell, aber in der Rückschau und im Herzen ihrer Bewunderer auf jeden Fall. Wie kaum eine andere Darstellerin war sie in diesen Filmen mit Eleganz und Stil bei der Sache. Brigitte Lahaie erzeugt ganz von selbst eine den Zuschauer gefangennehmende Aura, die nicht von dieser Welt scheint. Sie ist gleichzeitig keine klassische Schönheit und dennoch überirdisch schön. Hier ähnelt sie tatsächlich der zuvor erwähnten Gothic-Horror-Ikone Barbara Steele. Dass der Schöpfer sie noch mit einer atemberaubenden Figur gesegnet hat, spielt da nur die zweite Rolle. Insgesamt sieben Mal spielte sie unter Rollin (den Hardcore-Film“Vibrations sexuelles“ mitgezählt). Immer schlafwandelt sie durch die Filme, als wäre sie gar nicht von dieser Welt. Was perfekt in das cineastische Reich des Jean Rollin passt. Unbedingt sollte man die Filme im Original sehen, um Brigitte Lahaies helle, aber doch auch mysteriösen Stimme zu lauschen. Und ihr Auftritt als Sensenfrau gehört wie Karloffs Frankenstein, Lugosis Dracula oder Barbara Steeles Asa ins große Buch der unvergesslichen Horrorikonen.
Erstmals arbeitet Rollin bei „Fascination“ mit dem Komponisten Philipp D’Aram zusammen, der im selben Jahr seine ersten Soundtracks (für die Claude-Zidi-Komödie „Die Schlafmütze“ und „Unmoralische Engel“ des großen Walarian Borowczyk, einem – wie Rollin – der Protagonisten der Immoral Tales die in den 70er Jahren in Europa entstanden) produziert hatte. Er löste damit Pierre Raph als Rollins Stammkomponisten ab und seine teilweise rockigen, teilweise experimentellen Sounds sollten den Klang der Rollin-Filme bis zu seinem letzten Film „Le masque de la Méduse“ definieren. Mit Ausnahme von der Lahaie, die bereits Kameraerfahrung mitbrachte, stehen die meisten der Schauspieler hier erstmals vor der Kamera. Man merkt dies deutlich, wenn sie etwas steif und ungelenk agieren. Was allerdings die unwirkliche Atmosphäre unterstützt, die in „Fascination“ vorherrscht. Alle wirken, als stammten sie aus einer anderen, unwirklicheren Welt, die mehr die Projektion eines Traumes ist, als in einer realen Historie verwurzelt. Wozu auch die Kostüme der Handelnden beitragen, die gerade bei den Verbrechern und „Helden“ Marc – wenn man bösartig sein möchte – an Faschingskostüme erinnern. Bei den Damen des Blut-Kults an Fetisch-Gewänder. Aber nie an etwas, was jemand im realen Leben tragen würde oder getragen hat. Hier kommt bereits Rollins Liebe zum Pulp-Roman und Comic zum Vorschein, die er Mitte der 80ern in seinen Filmen noch intensiveren sollte.
All dies zusammengenommen ergibt einen Film, der für heutige Sehgewohnheiten vielleicht etwas sperrig daher kommt und in einer ungünstigsten Situation eine partywütige „Geil-voll-der-Trash“-Fraktion (wie unlängst beim Mondo Bizarr in Düsseldorf bei der Vorführung des weitaus zugänglicheren, aber auch viel traurigeren „Foltermühle“ erlitten) zum ungepflegten Grölen bringen würde. Aber der cinephile Connaisseur entdeckt hier einen Film, der die Erinnerung an einen Traum am Ende einer Herbstnacht, die man während eines Lyrik-Semsters bei Kerzenschein mit französischer Pulpliteratur und einer guten Flasche Rotwein verbracht hat.
Dies ist die nunmehr siebte Folge der bei Wicked Vision erschienen Reihe „Jean Rollin Collection“. Und wie den Veröffentlichungen zuvor, merkt man dem Mediabook die Liebe an, die hier hineingeflossen ist. Für die deutsche HD-Premiere des Films wurde der Film von Wicked Vision noch einmal neu vom Originalnegativ abgetastet. Und das merkt man auch. Das Bild ist wirklich sehr gut und verliert auch nicht seinen „film look“. Auch beim Ton braucht man keine Abstriche zu machen. Dieser liegt jeweils auf Deutsch und Französisch sowohl in DTS-HD High Resolution Audio 2.0 Stereo und Dolby Digital 2.0 Stereo vor. Wobei die französische Tonspur zu präferieren ist, da sie natürlicher klingt und zudem die Stimme von Brigitte Lahaie einfach besser zu ihrer Rolle passt. Weiter geht es mit den reichlichen Extras. Das (sehr) kurze Grußwort von Brigitte Lahaie würde ich jetzt nicht dazu zählen, da ist das Intro durch Jean Rollin schon interessanter. Spannend auch die beiden Features „Die Musik von „Fascination“ mit Philippe d’Aram“ und „In Erinnerung an Natalie Perrey“. Ein Interview mit Jean Rollin gehört ebenfalls zu den Extras. Besonders gefreut habe ich mich über die Jean-Rollin-Episode „Virgins and Vampires“ aus der großartigen britischen TV-Reihe „Eurotika“, deren Folgen man zwar auch im Netz, dort aber in z.T. erbarmungswürdiger Qualität findet. Eher von historischem Interesse sind die geschnitten Sexszenen. Einmal mit Brigitte Lahaie und Jean-Marie Lemaire dann mit der Lahaie und einem Mitglied der Verbrecherbande. Dabei handelt es sich um alternative Einstellungen aus den im Film enthaltenden Szenen. Scheinbar nur gedreht, um genügend Schnittmaterial für die letztendlich inkludierten Szenen zu haben. Bildergalerie, deutscher und Original-Trailer runden das Bild ab. Ferner gibt es noch ein sehr spannendes, 24-seitiges Booklet für das vor allem Pelle Felsch verantwortlich zeichnet. Dieses habe ich erst nach dem Erstellen dieser Review gelesen und mich darüber gefreut, dass wir beide dieselben Eindrücke haben. Die zwei zusätzlichen Seiten von David Renske hätte es danach nicht mehr unbedingt gebraucht, ich habe aber positiv zur Kenntnis genommen, dass er hier seinen sonstigen bewusst schnodderigen Stil etwas zurückgenommen hat.