Es war schön, auch in diesem Jahr wieder zum Internationalen Filmfest Oldenburg fahren zu können. Mittlerweile ist es das 31ste. Und ich habe mal nachgeschaut, dass ich bei der 16. Ausgabe 2009 das erste Mal dabei war. Noch heute erinnere ich mich gerne daran und habe es – trotz Pandemie – tatsächlich geschafft, seitdem keinen einzigen Jahrgang auszulassen. Von daher habe ich das Filmfest wachsen und schrumpfen sehen. In diesem Jahr hatte ich das Gefühl, dass weniger Filme am Start waren, was ich aber nicht nachgezählt habe. Mir ist aber aufgefallen, dass es weniger Vorstellungen gab. Die Mitternachtsschiene ist bis auf wenige Ausnahmen fast ganz weg, am Sonntag lief um 21:30 nur noch ein einziger Film und das Casablanca beteiligt sich nur noch sehr selektiv. Spielstätten wie die Exerzierhalle oder die Flaiva (in meinen Augen kein großer Verlust) sind nicht mehr dabei. Und ganz am Anfang war sogar das Cinemaxx noch unter den Spielstätten. Die richteten nun immerhin die Eröffnungsveranstaltung aus. So beschränkt sich das Filmfest nun im Grunde auf das kleine cineK Muvi, das etwas größere cineK Studio und den recht geräumigen Theaterhof plus ein wenig Casablanca. Ich vermute einmal, daran liegt es auch, dass ich das erste Mal seit Jahren wieder keine Karten für alle Vorstellungen bekommen habe. Wobei sich das im Rahmen hielt und nur eine Zeitschiene betraf. Und vielleicht war das auch nur dem Datum geschuldet, denn mein erster Tag beim Festival fiel auf Freitag, den 13. Das Festivalzentrum wurde wieder verlegt und befand sich nun an der ehrwürdigen Adresse Poststrasse 1. Hier hatte ich den Eindruck, dass alles auch besser organisiert war als im Vorjahr. Vor allem wurden die Öffnungszeiten wieder ausgeweitet, so dass das Besorgen der Tickets und der Beginn meines ersten Films am Freitag nicht unmittelbar aufeinander erfolgten.
Wie gesagt, hatte ich leider großes Pech, denn der mexikanische Film „A History of Love and War“, den ich sehr gerne gesehen hätte, war bereits ausverkauft. Ebenso mein Ausweichfilm „Flieg Steil“. Blieb also nur noch die Wahl zwischen sich die Stadt ansehen oder ins Casablanca zu wandern, wo es noch Karten für „Traumnovelle“ gab. Ich entschied mich natürlich für Letzteres.
Traumnovelle – „Traumnovelle“ war der Eröffnungsfilm des Festivals und ist eine weitere Verfilmung der gleichnamigen Novelle von Arthur Schnitzler. Von den vorherigen Verfilmungen ist natürlich „Eyes Wide Shut“ von Stanley Kubrick die bekannteste. Und auch diejenige, die am meisten Vergleiche herausfordert. Um es vorweg zu sagen: Ja, es gibt selbstverständlich einige Verweise auf den Vorgänger, wovon manche auch recht hübsch geraten sind. Zum Beispiel ein wenig name-dropping, wenn die Patienten des guten Doktors Namen aus Kubrick-Filmen tragen. Ansonsten bemüht sich Regisseur und Drehbuchautor Florian Frerichs etwas Eigenes zu schaffen. Wobei ihm sehr viel weniger Geld und Ressourcen zur Verfügung standen als einem Kubrick. Tatsächlich waren diese im Vergleich zu anderen deutschen Produktionen sehr gering, da auch nicht auf die Filmförderung zugegriffen wurde (was ich durchaus begrüße). Die knappen Mittel sieht man dem Film über weite Strecken nicht an, wofür die gute Kamera von Konstantin Freyer verantwortlich ist. Aber auch Ausleuchtung und Ausstattung können mit große Produktionen locker mithalten. Wo man „Traumnovelle“ anmerkt, dass der Film ein Low-Budget-Indie-Projekt ist, sind jene Szenen, die eine größere Anzahl Komparsen gebraucht hätten. Wenn z.B. eine angesagten und angeblich gut besuchte Disco aus der immer gleichen Handvoll Leute besteht, die strategisch so hingestellt werden, dass man nicht merkt, dass da der Laden eigentlich ziemlich leer ist. Davon gibt es hier naturgemäß dann so einige Beispiele. Dies kombiniert mit der in meinen Augen fatalen Entscheidung das Ganze auf Englisch zu drehen, führte dazu, dass ich mich oftmals an deutschen Amateurproduktionen erinnert fühlte, die krampfhaft versuchen auf großes Hollywood zu machen, obwohl der Cast aus Freunden und Familie besteht und der Dschungel Vietnams nur der Garten hinter dem Haus ist. Ich hatte auch das Gefühl, dass die „künstliche“ Sprache die Darstellung der Schauspieler*innen nicht zum Guten beeinflusste, und sie oftmals etwas hölzern agieren lies. Nichtsdestotrotz merkte man das Herzblut, welches Frerichs in das Projekt gesteckt hat. Allein schon durch die kleinen versteckten Gags am Rande, die angenehm vermuten lassen, dass er auch ein sympathischer Filmnerd ist. Ich fand nur schade, dass ich den Eindruck bekam, dass er etwas mit angezogener Handbremse und scheinbar auch mit Blick auf Festivalstarts und internationale Auswertung inszeniert hat. Ich hatte das starke Gefühl, dass er gerne mehr „die Sau“ rausgelassen hätte, wie man an einer Episode sah, in der ein Charakter sich von einem riesigen Umschnalldildo verwöhnen lies. Ich hätte mir da mehr „Dreck“ und Wahnsinn gewünscht, statt Arthauskino, welches versucht sein kleines Budget zu kaschieren.
Beim anschließenden Q&A mit dem ultrasympathischen Frerichs gab dieser auch zu, dass die Entscheidung den Film auf Englisch zu drehen (obwohl er in Berlin spielt und auch mit deutschen Schauspieler*innen gedreht wurde) auch davon getragen wurde, dass man sich eine bessere Vermarktung im Ausland erhoffte. Dass ferner die Entfremdung und Außenseitertum des Ehepaars (in der Novelle eine jüdisches Paar im Wien der 20er) hier eine Rolle spielte, kann ich so nicht ganz abnehmen, da ja alle im Film miteinander Englisch sprechen (sogar Detlev Buck!), nicht nur das Ehepaar. Highlight des Filmes für mich übrigens der Satz: „Bremen ist eine wunderschöne Stadt“. Danke dafür!
$$$ – Dieser amerikanischen Indi-No-Budget-Film wurde mir im Vorfeld vom Festivalleiter empfohlen und damit war natürlich klar, dass ich mich hier um Karten bemühen würde. Und wie oben geschrieben, blieb das „A History of Love and War“-Debakel die einzige Ausnahme, wo mir dies nicht gelang. Gezeigt wurde $$$ im kleinen, kuscheligen cineK Muvi, wo er ausgezeichnet hinpasste. Denn auch $$$ ist ein kleiner Film. Die Handkamera folgt mehreren Bewohnern einer weniger gut beleumundeten Ecke New Yorks für einige Zeit durch ihr Leben. Die Darsteller waren größtenteils Amateure, die sich quasi selbst spielten. Es geht um Kleinkriminalität, Drogenhandel und vor allem die Sucht nach Pferdewetten. Dabei ist die Kamera immer ganz dicht dabei und so unmittelbar im Geschehen, dass man manchmal Mühe hatte, zu erkennen was vor sich ging. Dazu trug auch der New-York-Strassen-Slang der Akteure bei, bei dem auch Untertitel nicht viel helfen konnte. Trotzdem verstand man, nachdem man sich im Film orientiert hatte, worum es geht. Die Ausweglosigkeit der Figuren, deren irrationalen Glauben an das große Los, welches man bestimmt noch ziehen wird. Um Gewalt, Armut und kleine kriminelle Handlungen, um über die Runden zu kommen und nicht unterzugehen.
Regisseur Jake Remington kommt vom Dokumentarfilm und das merkt man $$$ auch an. Der Film fühlt sich sehr authentisch an und man hat über weite Strecken das Gefühl, wirklich den handelnden Figuren über die Schulter zu schauen. Ein interessanter Blick in eine größtenteils unbekannte Welt.
Skunk – „Skunk“ ist der neue Film des von mir sehr verehrten Belgiers Koen Mortier, dem Regisseur des schonungslosen Meisterwerks „Ex-Drummer“. Und hier kehrt er in „Ex-Drummer“-Gefilde zurück und zeigt schonungslos den traurigen und hoffnungslosen Werdegang einer durch die eigene Familie völlig zerstörten Seele. Das ist teilweise sehr schwer zu ertragen. Die Gewalt, physisch wie verbal, die hier gegen Kinder und Heranwachsende ausgeübt wird, führt einen – gerade als Familienvater – schnell an die Grenze. Dass man nicht fluchtartig das Kino verlässt, ist Mortiers großer Sensibilität zu verdanken. Denn er schafft es Respekt und Mitgefühl für seine Figuren aufzubringen, die dadurch nicht zum Kuriositätenkabinett werden, sondern vielschichtige Menschen, für deren teilweise unfassbaren Gewaltausbrüche gegen sich und andere man nicht unbedingt Verständnis, wohl aber Mitgefühl aufbringt. Schwarz-Weiß gibt es hier nicht. Die Erzieher des Jugendheims, in das die Hauptfigur Liam kommt, sind weder gut und edel, noch böse und diktatorisch. Sondern einfach Menschen am Rande der Belastbarkeit, die irgendwie versuchen ihren Job gut zu machen. Und dabei natürlich auch Fehler machen. Der fiese Bully im Heim kein durch und durch böser Mensch, sondern jemand, der versucht sich das bisschen Macht, welches er erobert, zu sichern. Jemand, der nicht böse geboren ist, sondern von den Verhältnissen in diese Rolle getrieben wurde. Was man auch in den wenigen Momenten, wo eine zarte Pflanze der Kameradschaft zwischen den Jungen aufzukeimen scheint, sieht. Die dann wieder rigoros niedergetrampelt wird.
Die einzigen Personen, die recht stereotyp geraten sind, sind die Eltern Liams, die scheinbar direkt aus der Hölle kommen und alles Schlechte in sich vereinen: Extreme Gewalt, Rechtsradikalismus, Drogen, Alkohol und Lust an der Zerstörung – auch des eigenen Kindes. Man mag sich nicht ausmalen, dass es solche Menschen da draußen wirklich gibt. Allerdings habe ich die große Angst, dass dem so ist. Liam hat von Anfang an keine Chance. Mit seinem Hauptdarsteller Thibaud Dooms hat Mortier dann auch das große Los gezogen. Zu keiner Sekunde hat man das Gefühl, hier einem Schauspieler bei der Arbeit zuzuschauen. Thibaud IST Liam. Und er verkörpert authentisch seine große Sensibilität, seine Verzweiflung, sein nicht wissen wo in der Welt er steht, wer er ist. Seine Tränen sind so real wie seine gewalttätigen Wutausbrüche. Hier wirkt er wie ein kleiner Junge, der mit großen Augen in die Welt schaut, dort wie einer tollwütiger Pitbull. Einmal bricht er ganz ruhig und eiskalt einem Katzenbaby das Genick. Ob aus Sadismus oder sie vor einem schlimmeren Schicksal zu bewahren lässt Moriter offen. Somit geht einem der Film noch lange, lange nach. Neben Thibaud Dooms muss man aber auch noch die anderen Schauspieler erwähnen, die allesamt unglaublich intensiv und realistisch agieren. Insbesondere Natali Broods, die eine überforderte, aber noch immer idealistische Erzieherin spielt.
Regisseur Koen Mortier war zu meiner großen Überraschung (ich dachte er sei „zu groß“ für Oldenburg) persönlich anwesend und erzählt viel Wissenswertes über die Dreharbeiten und seine jungen Darsteller, die teilweise selber Heimbewohner waren und von denen auch einige während der Dreharbeiten mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Er berichtete ferner über die Zustände in belgischen Jugendheimen und meinte, dass diese noch weitaus schlimmer seien, als er das im Film umgesetzt habe. Eine schockierende Vorstellung. Ein starker Film, aber auch einer wie ein kräftiger und gut gezielter Hieb in die Magengrube.
Danach traf ich schönerweise auf meinen Weird-Xperience-Kollegen Stefan, sodass ich das Gesehene im Gespräch etwas verarbeiten konnte, und durch das gemütlich Gespräch auf einem der Sofas im cineK die Gedanken sortieren und gleichzeitig auch auf andere kommen konnte. Dann ging es im Kopf aufgeräumter nach Hause.