Wie die Zeit verfliegt! Eben noch kam es mir so vor, als wäre das Internationale Filmfest Oldenburg noch Monate entfernt, da werden schon die ersten Filme angekündigt. Und ich stelle fest: Das sind ja nur noch knapp drei Wochen!
Das 31. Internationale Filmfest Oldenburg findet vom 11. bis 15. September stattfindet und ich habe wie in den letzten Jahren auch immer, die Ankündigungstexte der Pressemeldung übernommen und im Anschluss mit meinen eigenen Anmerkungen versehen.
Traumnovelle, Deutschland 2024, Florian Frerichs
Nikolai Kinski und Laurine Price verkörpern das bürgerliche Ehepaar Jacob und Amelia. Als Jacob von seiner Frau erfährt, dass in ihren heimlichen sexuellen Träumen ein fremder Mann eine Rolle spielte, will er sein eigenes sexuelles Verlangen erforschen. Eine bürgerliche Fassade voller Einengung und unterdrückter Sehnsüchte bricht in dieser Nacht zusammen. Nachdem niemand geringeres als Stanley Kubrick 1999 Tom Cruise und Nicole Kidman als New Yorker Upper Class Paar in den schnitzlerschen Kosmos aus Erotik und Bürgerlichkeit schickte, verlegt nun Florian Frerichs seinen noch näher am Original angelehnten zweiten Spielfilm in das nächtliche Berlin. Mit Nikolai Kinski und Laurine Price in den Hauptrollen und einer aufregenden Darstellerliste von Detlev Buck und Bruno Eyron über die Neuentdeckung Nora Islei zu wunderbaren Gastauftritten von Sharon Brauner und Sharon Kovacs hat Frerichs bemerkenswertes geschaffen: aufwendiges Kino, komplett unabhängig produziert. – Der Eröffnungsfilm. Die Kubrick-Variante mochte ich ja sehr. Damals hat mich die ganze Atmosphäre sehr gereizt und irgendwo mich auch in die Hauptfigur hineinversetzen. Die neue Verfilmung finde ich schon von daher interessant, als dass der Regisseur seine ersten Schritte mit Horror-Kurzfilmen machte. Da würde ich spannend finden, wenn man diese Ursprünge merken würde. Ansonsten der klassische Eröffnungsfilm: Deutsch produziert mit vielen bekannten Namen und auch vielen Gästen auf dem roten Teppich. 2025 soll der Film übrigens einen offiziellen Kinostart bekommen.
Flieg Steil, Deutschland 2024, Martina Schöne-Radunski und Lana Cooper
In ihrem Debütfilm als Filmemacherinnen gehen die deutschen Schauspielerinnen Martina Schöne-Radunski und Lana Cooper dem aufkommenden Radikalismus auf den Grund. Konnie, eine Nazi-Rockmusikerin, die einer faschistischen Untergrundszene in Berlin angehört, verliert an Popularität unter Gleichgesinnten. Seit sie begonnen hat, gender-, sex- und körperfreundliche Botschaften in ihre nazi-zentrierte Musik einzubauen und ihre ultra-feministischen Ansichten öffentlich zu verteidigen, wenden sich ihre Kameraden gegen sie. Vor allem der Nazi-Kneipenbesitzer und Gruppenleiter Andi will ihr eine Lektion erteilen, die sie nicht vergessen wird. In einer Dreiecksbeziehung zwischen links und rechts, die mit dem Tod endet, ist „Flieg Steil“ mutig und kraftvoll, da es verdrängte Grenzen verschiebt. Weltpremiere – Das klingt sehr spannend. Ich hoffe mal sehr, dass die Regisseurinnen hier alle naheliegenden Klischees und Stereotypen umschiffen. Könnte harter Stoff werden. Kommt auf jeden Fall auf die „Vielleicht“-Liste.
James, Kanada 2024, Max Train
Eine Noir-Comedy über einen Mann, der sein Leben nicht in den Griff bekommen will, bis er ganz unten ankommt und in einem Müllhaufen ein altes Rennradgestell findet. Dylan Beatch spielt die Hauptrolle des James: ein vom Pech verfolgter Mann, der das Excalibur unter den Fahrrädern entdeckt und damit neuen Schwung in sein Leben bringt. Aber es kommt wie es kommen muss: Das Glück ruft Neider auf den Plan, ein gerissener und zu allem entschlossener Sammler, der als einziger die wahre Geschichte und den Wert dieses Fahrrads erkennt, stellt sich ihm in den Weg. Der Geist von Jim Jarmush und den Cohen Brüdern weht durch Max Trains Liebeserklärung an das Fahrrad als Kultobjekt. Weltpremiere – Fahrräder sind für mich ja eher Gebrauchsgegenstände auf die ich in der Stadt angewiesen bin. Aber vielleicht überzeugt mich der Film ja von deren Kult-Charakter. Klingt nach Indie-Feel-Good, was man ja ab und an ganz gut gebrauchen kann. Auch „Vielleicht“.
Baby Brother, UK 2024, Michael J. Long
Michael J. Long hat sich mit „Baby Brother“ so nah an das wahre Leben ganz weit am Rande der Gesellschaft begeben, wie es kein Film mit größerem Budget jemals schaffen würde. In seinem kraftvollen Regiedebüt über Adam und seinem viel zu gutmütigen kleinen Bruder Liam, die in einer zerrütteten Familie in einem heruntergekommenen Viertel von Liverpool aufgewachsen sind, erzählt er teilweise unerträglich hart und dann wieder durchmischt mit Momenten purer Freude und Poesie von Leben, die bereits im Moment der Geburt zum Scheitern verurteilt sind. Eine eindringliche Geschichte von brüderlicher Liebe, die durch die Umstände verloren geht. Weltpremiere – Sicherlich ein guter und wichtiger Film, aber ich werde wohl passen. Nicht, weil ich Sozialdramen skeptisch gegenüber stehe, sondern weil mir momentan nicht der Sinn nach so viel Realismus steht, der mir ja irgendwie täglich auf der Straße sehr nahe ist. Mit anderen Worten ist meiner Person der Film zu nah an dem, was ich tagtäglich mit ansehen muss, und was mich deprimiert. Aber mal sehen, vielleicht rutscht er ja doch noch mangels Alternativen auf meinen „Guck-Plan“.
$$ (Money), USA 2024, Jake Remington
In seinem Spielfilmdebüt kombiniert der amerikanische Autodidakt unverfälschtes Dokumentarfilmmaterial mit einer Guerilla-Produktion, um eine New Yorker Untergrundwelt einzufangen, die man selten auf der Leinwand sieht. In der Hoffnung, dem Treibsand der Fußstapfen ihres Vaters zu entkommen, spielen Joe Sonnenblick und Teo Babini die Hauptrollen Joe und Teo. Sie sind zwei beste Freunde, die versuchen, ihr Schicksal durch Drogen und Pferdewetten zu ändern. In diesem emotionalen, rauen und aufregenden Ritt lässt Jake Remington eine Cassavetes-Atmosphäre und die unnachgiebige Kraft von Bresson aufleben. Während der Dreharbeiten wurde echtes Geld verwettet, gewonnen und verloren, was das Wagnis widerspiegelt, einen Film in dieser Männerwelt zu drehen. Ein Wagnis, das sich gelohnt hat. Internationale Premiere – So ganz werde ich aus der Beschreibung des Pressetextes nicht schlau. Aber das, was ich mir so zusammenreime klingt höchst interessant. Ich kann mir auch vorstellen, dass der Film gewinnt, wenn man mehr über die Dreharbeiten und dem Konzept dahinter erfährt. Darum hoffe ich mal, der Filmemacher wird anwesend sein. Kommt auch auf die Liste.
The Second Act, Frankreich 2024, Quentin Dupieux
Die Geschichte von David, der seine Eroberung Florence lieber in die Arme seines Kumpels Willy treiben will, als selbst in einer festen Beziehung zu landen. Florence dagegen plant David sofort ihrem Vater vorzustellen, um die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu untermauern. Die vier treffen in dem Café „Le Deuxieme Acte“ aufeinander. Der diesjährige Eröffnungsfilm von Cannes zeigt Frankreichs Enfant Terrible Quentin Dupieux auf der Höhe seiner Kunst, Erwartungen seines Publikums zu brechen, Regeln der Filmerzählung auf den Kopf zu stellen und dabei eine unerschöpfliche Quelle der wildesten Inspiration zu sein. Deutschlandpremiere – Quentin Dupieux ist für mich ein „Must-See“. Ich verfolge seine Arbeit seit seinem Debüt „Wrong“ und bin in der Regel immer hellauf begeistert gewesen, was der ehemalige „Mister Oizo“ da so fabriziert. Seine letzte drei Filme muss ich noch nachholen. Diesen hier werden ich auf jeden Fall versuchen zu schauen.
Bang Bang, USA 2024, Vincent Grashaw
Tim Blake Nelson in einer Paraderolle als einsamer und verbitterter Ex-Boxer, dem das Leben zu viele Schläge versetzt hat und, egal wie sehr er es sich wünschen würde, das Schicksal ihm eine Revanche verweigert. Erst als sein Enkel Justin bei ihm einzieht, scheint das Schicksal ihm doch noch seinen großen Kampf zu spendieren. Wie er versucht, scheitert, hinfällt und wieder aufsteht, ist die Geschichte und das Herz von „Bang Bang“, einer wunderbar herzlichen, urkomischen, oft anstößigen Erzählung über einen Mann, der sich selbst in Bedrängnis gebracht hat. Deutschlandpremiere – Klingt nach klassischem US-Indie-Stoff mit Herz. Im Grunde hat man bei der Zusammenfassung das Gefühl, den Film schon gesehen zu haben. Besonders, wenn man seit vielen Jahren die Indie-Schiene in Oldenburg begleitet. Aber vielleicht wartet der Film ja doch mit einigen Überraschungen auf. So oder so, kann man da meine ich nicht viel falsch machen. Die IMDb-Bewertungen sind auch sehr gut und Hauptdarsteller kennt man aus vielen Hollywood-Filmen und den Filmen der Coen Brothers.
Am Ende der Wahrheit, Deutschland 2024, Saralisa Volm
Saralisa Volm erzählt nuanciert die Geschichte von Martina, einer erfolgreichen Chirurgin, deren Leben durch einen Moment des ersehnten Kontrollverlusts aus der Bahn gerät. In einem Umfeld, in dem der äußere Schein alles bedeutet und Gefühle stets hinter dem Erwartungsdruck einer gesellschaftlichen Moral zurückstehen müssen, liefert Maria Furtwängler beim taumelnden Wiedereintritt in die bürgerliche Normalität eine schauspielerische Tour de Force. – Hier bin ich wegen Saralisa Volm durchaus interessiert, denn sie hat damals in vier Klaus-Lemke-Filmen ihre Schauspielkarriere begonnen (und wie ich gerade gesehen habe auch in einem Kurzfilm von Björn Last). Dass sie mittlerweile selber Filme dreht, hatte ich am Rande mitbekommen. Maria Furtwängler ist jetzt nicht meine favorisierte Schauspielerin, aber wenn so ein bisschen Lemke-Rau- und Dreckigkeit in dem Film steckt, dann könnte das eine interessante Paarung sein.
Electra, Italien / USA 2024, Hala Matar
Ein Journalist reist mit seiner Freundin nach Rom, um einen berühmten Musiker zu interviewen. Doch das Interview scheint bei weitem nicht alles zu sein, was das Pärchen begehrt. Mit Anleihen von der griechischen Tragödie erzählt Hala Matar in ihren ersten Spielfilm eine betörende Geschichte um Liebe, Verrat und Begehren. Als Hommage an ihr Vorbild Fellini entwirft sie mit ausschweifendem Produktionsdesign, berauschend schönen italienischen Settings einen Film, der gekonnt das Drama mit Leichtigkeit, Farben und sehr vielen erfrischenden Ideen balanciert. Hala Matars Regiedebüt ist der erste von einer Frau aus Bahrain inszenierte Spielfilm. Deutschlandpremiere – Ich bin ja immer vorsichtig, wenn in den Pressetexten Vergleiche zu den großen Vorbildern gezogen werden. Und Fellini ist ja nun nicht nur Produktionsdesign und Italien. Auf den Bildern zum Film sehe ich jetzt auch erst einmal nur schöne, junge Menschen. Ich bin skeptisch.
THREE, Vereinigte Arabische Emirate 2024, Nayla Al Khaja
In ihrem Spielfilmdebüt „Three“ erzählt Nayla Al Khaja, die erste weibliche Regisseurin in den Vereinigten Arabischen Emiraten, eine metaphorische, psychologische Horror-Geschichte, um die Gegensätze zwischen östlichen und westlichen Glaubenssystemen zu durchdringen. Der junge Ahmed (gespielt von dem Newcomer Saud Alzarooni) wird in der Schule gemobbt und beginnt, sich seltsam zu verhalten, woraufhin seine Mutter überzeugt ist, dass er verflucht sei und ihn zu einem traditionellen Heiler bringt. Ein engagierter britischer Arzt (Jefferson Hall) ist anfangs skeptisch gegenüber Behauptungen über den „bösen Blick“, jedoch muss er in die Kultur des Jungen eintauchen, um ihn zu retten. In Anlehnung an die erschreckende Kraft von William Friedkins Klassiker „Der Exorzist“ von 1973 überschreitet Regisseurin Nayla Al Khaja Grenzen und stellt Überzeugungen in Frage. Europapremiere – Der Film läuft in meiner Lieblingssektion „Midnite Xpress“ und ist allein von daher schon mal gesetzt. Auch hier glaube ich, dass der Verweis auf „Der Exorzist dem Film und der Erwartungshaltung nicht gut tut. Daher versuche ich mal zwischen den Zeilen zu lesen, worum es wirklich geht und erwarte einen eher metaphorischen Film, bei dem sich der Grusel eher über andere Ebenen anschleicht. Aber das Debüt der erste weibliche Regisseurin in den Vereinigten Arabischen Emiraten kann man sich eigentlich auch nicht entgehen lassen, oder?
Telepathic Letters, Portugal 2024, Edgar Pêra
Edgar Pêra ist Europas unbändigster Bilderstürmer. Als Künstler ebenso wie als Filmemacher sucht er permanent nach den Grenzverläufen zwischen Unterbewusstsein, Moral und gesellschaftlicher Einengung. Fast unumgänglich ist daraus seine Faszination für die Schriftsteller Fernando Pessoa und H.P. Lovecraft erwachsen, denen er in seinem traumwandlerischen „Telepathic Letters“ eine Brieffreundschaft andichtet, die es zwar nie real gab, aus der Logik des Träumers aber in einer höheren Dimension so gegeben haben muss. Film als bewusstseinserweiterndes Medium at its best. Deutschlandpremiere – Hmmm, noch einmal „Midnite Xpress“. Edgar Pêras Film „The Nothingness Club“, der letztes Jahr in Oldenburg lief, konnte mich leider gar nicht überzeugen. Was teilweise sicherlich daran lag, dass ich mit dem Werk des Schriftstellers Fernando Pessoa überhaupt nicht vertraut bin. Und der Film funktionierte eben als „Insider-Kommentar“ auf dessen Arbeiten. Da war man irgendwie außen vor, so wie jemand der auf einer Party in einer Gruppe von Menschen steht, die sich ständig über Geschichten und Personen unterhalten, bei denen man nicht dabei war und die man nicht kennt. In seinem neuen Film lässt er Pessoa auf H.P. Lovecraft treffen. Als Lovecraft-Fan bin ich jetzt ja zumindest mit dessen Leben und Wirken vertraut. Vielleicht riskiere ich dann doch noch einmal einen Blick.
Saint Clare, USA 2024, Mitzi Peirone
Basierend auf dem Roman „Clare at 16“ erzählt Mitzi Peirone in ihrem zweiten Spielfilm die Geschichte von Clare, einem katholischen Schulmädchen, das in einer Kleinstadt als Waise bei ihren Großeltern lebt. Ihre unbedingte Liebe zur guten Sache bringt sie an den Punkt, an dem sie nicht mehr klar definieren kann, welchen Weg sie beschreiten muss in ihrem Leben. Als ihr Stimmen im Kopf empfehlen das Böse auszulöschen, wird sie zu einem Racheengel in Schuluniform. Mit Bella Thorne in der Titelrolle und Ryan Phillippe und Rebecca de Mornay aufregend besetzt, hat Mitzi Peirone eine ebenso vergnügliche wie beängstigende Horror-Romanze geschaffen. Deutschlandpremiere – „Midnite Xpress“ zum Dritten. Die Story klingt etwas nach amerikanischer Videoware der 80er. Was ich ausdrücklich nicht als Herabsetzung verstanden wissen möchte. Es macht mich auf jeden Fall sehr neugierig, und ich habe ihn mir schon einmal vorgemerkt.