Blu-ray-Rezension: „Der Gorilla“

Dem ehemaligen Stuntman Marco Sartori gelingt es durch einen Trick von dem reichen Bauunternehmer Gaetano Sampioni als Leibwächter angeheuert zu werden. Marco mag den Job nicht, aber um seine Geschwister zu unterstützen benötigt er das Geld. Bald gerät Sampioni in das Visier einer Erpresserbande, die sich darauf spezialisiert hat, mit Drohungen und Einschüchterungen reiche Italiener zu hohen Schutzgeldzahlungen zu zwingen. Sampioni weigert sich allerdings zu zahlen. Als Marco von der Bande gefangen genommen und brutal zusammengeschlagen wird, sinnt er auf Rache und macht sich auf dem Anführer der Gang, einen gewissen Berto, das Handwerk zu legen.

Vor acht Jahren durfte ich bei einem ganz besonderen Ereignis dabei sein. Damals lief im Rahmen des siebten Forentreffens von deliria-italiano.de in Düsseldorf die einzige und bis dahin völlig unbekannte Kopie des italienischen Actionfilms „Der Gorilla“. Scheinbar sollte der Film einst einen Kinoeinsatz bekommen, welcher allerdings nie erfolgte. Zwei 35mm-Kopien soll es damals gegeben habe. Eine ist scheinbar im Müll gelandet, die andere konnte sich einer der Admins des Forums sichern. Und so erlebte „Der Gorilla“ am 15. Oktober 2016 um 18:00 Uhr seine deutsche Kinopremiere in der Black Box in Düsseldorf. Die Kopie war noch nie gespielt und absolut tadellos. Und die Zuschauer waren begeistert. Auf Deliria Italiano konnte man im Anschluss Sätze lesen wie: „„Der Gorilla“ (geht) in der zweiten Halbzeit ja völlig durch die Decke und lässt den Zuschauer fassungslos und geplättet zurück.“, „Neben filmischen guten Szenen gibt es auch immer wieder Kracher“ oder „ein gerade für Genre-Freunde wahrlich sehenswerter Poliziesco bzw. Gangster-Streifen, den Testi gut schultert und der das damalige gesellschaftliche Klima auf die Leinwand zu transportieren vermag“. Als dann angekündigt wurde, dass eben diese tolle Kopie von einem Label digital abgetastet und für den Heimkinomarkt veröffentlicht werde, herrschte unisono große Freude. Und nun ist die Veröffentlichung da. Und das Warten hat sich gelohnt.

Doch vorab einige Worte zum Film selber. Dieser setzt seine Actionspitzen sorgsam ein. Statt sofort das Gaspedal durchzudrücken, nimmt er sich Zeit. Es werden zunächst die handelnden Personen charakterisiert. Vor allem natürlich Testis Marco, der seinen neuen Job als „Gorilla“ nur widerwillig ausübt und diesen lediglich als Übergang sieht, um nach dem erzwungenen Ende seiner Stuntman-Karriere (Testi hat seine Karriere tatsächlich selber als Stuntman angefangen) seine Familie (Schwester und jüngeren Bruder) ernähren zu können. Testi macht das gut, denn neben seinem großartigen Aussehen und seiner athletischen Figur, besitzt er auch Charisma und kann schauspielern. Man nimmt ihm das melancholische, ebenso wie den zornigen Actionstar ab. Neben zahlreichen Western und Poliziotteschi wurde Testi auch von Arthaus-Regisseuren wie Andrej Zulawski, Vittorio De Sica oder Claude Chabrol besetzt. Testi bringt immer eine große Präsenz mit, die Kamera schmeichelt ihm und aufgrund seiner Athletik weiß er auch in Actionszenen vollends zu überzeugen. Oder wie es ein User im deliria-italiano.de-Forum schreibt: „ (Testi) ist irgendwie einer der wenigen, der mit so offenem Hemd herumlaufen kann ohne das es durch zu viele Muskeln oder eine Hahn-Haltung albern oder aufgesetzt wirkt“. Ihm zur Seite steht der immer zuverlässige Renzo Palmer, der für doppelbödige Figuren steht, welche sich nie wirklich in die Schubladen „gut“ oder „böse“ pressen lassen. Auch sein Gaetani Sampioni ist eine ambivalente Figur. Einerseits aufbrausend, starrköpfig und ständig am Schimpfen und Beleidigen. Andererseits aber versteht er die Situation in der er sich befindet, sorgt sich um seine Tochter und weiß haargenau, wann er sich besser auf Leute wie Marco verlässt. Und auch, wenn sein schroffes, beleidigendes Auftreten auf den ersten Blick etwas anderes vermuten lässt, so pocht da drinnen doch ein anständiges Herz und versteckt sich ein kluger Kopf.

Überraschend auch Saverio Marconi als Marcos junger Bruder Piero fällt durch einen psychotischen Blick und aggressive Hyperaktivität auf, die ihn zum idealen Darsteller eines unzuverlässigen, durch seine hitzige Art alle in Gefahr bringenden Kleinkriminellen. Interessanterweise spielt Regisseur Tonino Valerii auch sehr kreativ hiermit.

Ebenfalls zu erwähnen ist auch der Amerikaner Al Lettieri in einer für jemanden, der in großen Hollywoodfilmen dabei war, eine wichtige Figur in Peckinpahs „Getaway“ und in „Der Pate“ gespielt hat, überraschend kleinen Rolle. Auch diese ist geprägt von Ambivalenz, welches Lettieri großartig umsetzt. Leider verstarb dieser heute fast vergessene, großartige Schauspieler kurz nach den Dreharbeiten mit nur 47 Jahren an einer Herzattacke. „Der Gorilla“ sollte sein vorletzter Film sein. Sein letzter war der ebenfalls in Italien gedrehte „Bordella“ von Pupi Avati. Eine Musical-Komödie in der er die Hauptrolle inne hatte.

Neben unbestreitbaren Stärken in der Zeichnung der Protagonisten, muss man leider ein wenig Abstriche auf der Seite der Bösen machen. So wird deren Anführer als geheimnisvolle Figur im Hintergrund eingeführt, von der man lediglich die Stiefel sieht. Dadurch, dass man hier nie das Gesicht sieht, nimmt man natürlich an, dass sich hinter dem Anführer eine bereits bekannte Figur verbirgt. Doch weit gefehlt, wenn endlich das Gesicht des Schurken enthüllt wird, ist dies eine völlig unbekannte Gestalt, was das Versteckspiel am Anfang natürlich ad absurdum führt. Dieser Berto wird gespielt von Antonio Marsina als Mann ohne große Tiefe. Während die Protagonisten dreidimensionale Charaktere sind, so ist Berto einfach nur ein durchgeknallter Böse, wahrscheinlich Jung-Faschist und völlig durchgeknallt.

Was mich zu einem zweiten Kritikpunkt bringt. Während die Motivation bei den Protagonisten sorgfältig herausgearbeitet wird, springt das Drehbuch mit den Antagonisten weniger durchdacht um. Zunächst verfolgen diese einen ausgeklügelten Plan, ihre Opfer unter Druck zu setzen ohne direkte Gewalt auszuüben. Tatsächlich wenden sie einige Mühe auf, um die Opfer nicht zu körperlich zu schädigen, sondern ihnen lediglich Angst einzujagen. Doch sobald Marco der Organisation auf die Schliche gekommen ist, bleibt davon nicht mehr viel übrig und sie verwandeln sich in rasende Bestien, die alles aus dem Weg räumen, welches diesen kreuzt. Was dann zu einer zugeben spannenden und vor allem actionreichen Schlusssequenz führt, die dem Zuschauer tatsächlich mehr als einmal ob der exzessiven und rücksichtslosen Gewalt die Kinnlade hinunter klappen lässt.

Auch die Figur der Tochter von Vera Sampioni gespielt von Claudia Marsani, wirkt eindimensional und scheint sie nur dafür da zu sein, um Testis Marco eine kleine Liebesgeschichte zu gönnen und damit den Film ein wenig zu strecken. Wie generell sind die Frauen in „Der Gorilla“, sofern sie überhaupt eine Rolle spielen, zu reinen Klischees reduziert werden.

Trotzdem überwiegen bei „Der Gorilla“ bei weitem die positiven Eindrücke und gerade das rasante Schlussdrittel entschädigt all diejenigen, die möglicherweise am Anfang die Action etwas vermisst haben. Untermalt wird dies alles von einem hübschen Soundtrack der bewährten Kräfte Franco Bixio – Fabio Frizzi – Vince Tempera, die ein paar Jahre später für Lucio Fulci die Pforten der Hölle öffnen sollten. Dieser bedient sich bei seinem Hauptthema ordentlich bei „Papa was a Rolling Stone“, bringt aber auch seine eigenen Qualitäten mit. So geht er auch in den langsamen Phasen gut ins Ohr und ist 2010 dankenswerterweise auch als CD veröffentlicht worden, die allerdings leider nicht ganz günstig ist. Wem das Titelthema reicht, dem sei der Sampler „Bixio, Frizzi & Tempera – Magnetic Systems“ empfohlen, der nicht ganz so teuer ist und neben dem „Vai Gorilla“-Thema noch andere hörenswerte Stücke jenseits der bekannten Fulci-Soundtracks enthält.

„Der Gorilla“ ist der lang erwartete 21. Teil der Filmart Polizieschi Edition. Das Bild ist wie gewohnt gut und die Abtastung der Vorlage sehr gelungen. Zum Vergleich kann man sich auch als Bonus die unrestaurierte Fassung anschauen, welche ein etwas schärferes Bild, dafür aber auch kleiner Filmschäden aufweist. Neben der sehr guten deutschen Synchronfassung ist noch englischer und italienischer Ton mit an Bord. Als Extras gibt es den italienischen Vor- und Abspann, sowie einen hochinteressanten Schnittvergleich, denn die deutsche Fassung enthält einige Szenen, die der italienischen Fassung gegenüber länger und drastischer sind. Es wäre spannend zu erfahren, wie es dazu kam. Das Booklet enthält noch einen Satz italienischer Aushangfotos. Insgesamt wieder eine feine Veröffentlichung. Man darf gespannt auf die Nummer 22 sein.

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