Durch einen Zufall findet der Hobbyboxer und jetzige KZ-Kommandant Kraft (Manfred Krug) heraus, dass der von ihm zum Tode durch Erschießen verurteilte Häftling Komínek (Štefan Kvietik) ebenfalls einmal Boxer war. Kraft setzt Komíneks Exekution aus, um ihn als Sparringspartner für einen kleinen Übungskampf zu nutzen. Der ausgemergelte und kraftlose Komínek hält allerdings keine Runde durch bevor er auf die Bretter geht. Damit unzufrieden und gelangweilt vom einsamen Training gegen den Sandsack gewährt Kraft Komínek in den nächsten Wochen alle Freiheiten, damit dieser zu Kräften kommt und einen ernsthaften Gegner abgibt. Im Lager sorgt Komíneks privilegierter Status allerdings zunehmend für Spannungen…
Mit „Der Boxer und der Tod“ setzt Bildstörung seine Reihe mit Veröffentlichungen von fast vergessenen Meisterwerken fort, die es verdienen von neuen Generationen entdeckt zu werden. Zudem zeigt Bildstörung auch wieder ein großes Herz für das tschechoslowakische Kino, wo noch zahlreiche Juwelen darauf warten, ausgegraben und auf Hochglanz poliert zu werden. „Der Boxer und der Tod“ ist solch ein Juwel. Der slowakische Film basiert auf einer Kurzgeschichte des polnischen Schriftstellers und Dramaturgen Józef Hen, Der multilinguale Film wurde mit deutschen, slowakischen, tschechischen und polnischen Schauspielern realisiert. Der Autor der Vorlage, Józef Hen, schrieb zusammen mit Drehbuchautor Tibor Vichta und Regisseur Peter Solan das Drehbuch. Gedreht wurde vor Ort in einem 1941 errichteten, ehemaligen jüdischen Arbeitslager nahe der slowakischen Stadt Nováky. Etwas, was man dem Film interessanterweise auch anmerkt. Es liegt ein trister Realismus in der Luft, auch ohne dass man weiß, dass die Kulissen echt sind.
Regisseur Peter Solan ist niemand, an den man als erster denkt, wenn es um das Kino der CSSR geht. Da sind seine tschechischen Kollegen wie Miloš Forman, Juraj Herz oder Jiří Menzel sehr viel präsenter. Umso lobenswerter, dass Bildstörung ihn nun wieder entdeckt hat. In dem spannenden Interview welches in den Extras zu finden ist, schwärmt Filmhistoriker Olaf Möller von Solan und seinem Werk, und er lädt dazu ein, sich näher mit dem Werk dieses außergewöhnlichen Regisseurs zu beschäftigen. In „Der Boxer und der Tod“ nutzt Solan einen ebenso minimalistischen, wie präzisen Stil. Da gibt es kein Zierrat. Keine denkwürdigen, besonders aufwändig komponierten Einstellungen. Nichts, was allein dem Auge schmeichelt. Dafür sind seine Bilder unglaublich exakt. Jedes Bild für den Film unverzichtbar und genau auf den Punkt. Und unter den Bildern schafft Solan eine ganze Welt, die sich im Kopf des Zuschauers zusammensetzt. Wenn Komínek zum Kommandanten gerufen wird, kommt er an einem Zaun vorbei, hinter dem eine Gruppe zivil gekleideter Häftlinge wartet. Frauen, Kinder, Alte. Mit ihren Koffern und dem wenigen, was ihnen an Hab und Gut geblieben ist. Kurze Zeit später kommt Komínek wieder an dem Zaun vorbei und die Menschen sind weg. Nur ihre Habseligkeiten liegen verstreut am Boden. Im Hintergrund quillt dicker schwarzer Rauch aus einem Schornstein. Da muss Solan gar nicht das Schicksal der Opfer ausformulieren. In diesen kargen Bildern ist alles gesagt. Und sie hinterlassen einen dicken Knoten im Magen des Zuschauers.
Später wird Solan das Bild der qualmenden Schornsteine noch einmal nutzen. Krafts Ehefrau Helga (Valentina Thielová) lamentiert, wie böse die Menschen doch sein können. Kraft solle das endlich einsehen: „Die Menschen sind so gemein“. Natürlich meint sie damit den Offizier Holder, welcher Intrigen gegen Kraft spinnt und scheinbar dessen Position einnehmen will. Und die Leute Zuhause, die Kraft nicht den Respekt zollen werden, wenn sie von Krafts Verbindung zu Kominek hören. Um Hintergrund verdunkelt sich der Himmel im schwarzen Rauch der armen Seelen, die Kraft in den Tod geschickt hat. Die verbrannten Körper der Kinder, der Frauen, der Schwachen, der Opfer. Vielleicht trägt Solan hier in dieser Szene einmalig etwas dick auf, doch diese grausame Relativierung, dieses Vergessen der Leiden der Opfer und das Bagatellisieren dadurch, dass man seine eigenen, profanen Probleme über das Leben der anderen, der „Fliegen“, wie sie Kraft abwertend nennt, ist ein Thema, welches heute noch aktuell ist. Wenn man sich selber als Opfer stilisiert, weil man keine Arbeit hat und gleichzeitig für den grausamen Tod kleiner Kinder, die hilflos im Mittelmeer ertrinken und deren kleine, leblosen Leiber am Strand angespült werden noch nicht einmal ein Schulterzucken übrig hat. Nein, natürlich hat derjenige, der so reagiert die Kinder nicht eigenhändig ersäuft. Aber auch Krafts Ehefrau hat niemanden in die Gaskammern geschickt. Sie nimmt es aber hin, weil ihr das Leben der anderen nichts wert ist. Weil diese Anderen außerhalb ihrer kleinen Welt, die nur um sich selbst kreist, existieren.
Solans großer Verdienst und die Stärke seines Films ist es, dass er plumpe schwarz-weiß-Malerei vermeidet. Man kann heute nicht mehr nachvollziehen, was die Besetzung des Lagerkommandanten Kraft durch Manfred Krug damals bedeutete. Heute ist Krug natürlich durch seine zahlreichen Rollen im West-TV eine Marke. Schauspieler und Rollen verschwimmen. Daher ist es erst einmal ein kleiner Schock Krug als Nazi zu sehen. Zumal er den Kraft ebenso jovial, kumpelhaft und präsent anlegt, wie später beispielsweise seinen „Liebling Kreuzberg“. Auch diese gewisse Selbstverliebtheit Krafts, ist in Krugs späteren Rollen auch immer präsent. Da Krug heute aber durchweg positiv besetzt ist, strahlt dies auch auf Kraft ab. Der mitnichten wie ein Monster daher kommt, obwohl er ohne mit den Wimpern zu zucken Erschießungen und Folterungen anordnet. Obwohl klar ist, dass er Kominek in erster Linie als privates Spielzeug hält, um sich immer wieder selbst als ach so großer Boxer zu bestätigen. Trotzdem scheint immer wieder der Mensch (oder vielmehr auch der Typ Manfred Krug, wie wir ihn als TV-Figur kennen) unter der Uniform hervor. Einer, der sich unter anderen Umständen vielleicht tatsächlich mit Kominek hätte befreunden können. Der aber jetzt, mit Uniform und Macht versehen, sich in der Rolle des „Übermenschen“ gefällt. Ebenso ambivalent ist der Deutsch-Slowake Willie gezeigt. Der einerseits scheinbar aufrichtige Sympathien für Kominek hegt, freundlich und lustig daher kommt, ihn aber auch gleichzeitig für seine eigenen Zwecke skrupellos ausnutzt und ihn immer wieder in seine „Schranken“ weißt. Allein Gerhard Rachold als Holder, der typischer intriganter Karriere-Nazi und Józef Kondrat als gütig-verschmitzter polnischer Boxlehrer sind eindeutiger den Seiten Gut und Böse zuzuordnen.
Der slowakische Schauspieler Štefan Kvietik ist das heftig pochende Herz des Filmes. Kvietiks ausdrucksstarkes Gesicht, welches tatsächlich einem Boxer gehören könnte, spiegelt gleichzeitig Verzweiflung und Hoffnung, Resignation und Wut, Furcht und Mut. Sein Kominek wird zunächst getrieben von dem bloßen Impuls zu überleben. Später, wenn er zu Kräften kommt, scheint er förmlich zu erwachen. Mit der Kraft kehrt auch der Tatendrang zurück. Doch immer wieder wird er von der Angst niedergedrückt. Er weiß, er könnte Kraft jederzeit besiegen – trotzdem fügt er sich seinem Schicksal und geht klaglos auf die Matte. Gleichzeitig versucht er im Kleinen etwas zu ändern, wohl wissend, dass seine Möglichkeiten sehr begrenzt sind. Immer wieder versucht er schüchtern in gebrochenen Deutsch so etwas wie eine Beziehung zu Kraft aufzubauen, um diesen ebenso zu nutzen, wie Kraft ihn nutzt. Sich als Individuum und nicht nur als „Fliege“ bemerkbar zu machen. Diese Annäherung fängt Solan in seinem Film sensibel ein. Letztendlich weiß Kominek, dass er nur Überleben kann, wenn er es schafft, dass Kraft ihn als seelenverwandten Sportler in seinen von pathetischen Sportsgeist (Fluchtversuche und Widerstand straft Kraft als „Fouls“ mit tödlichen Konsequenzen ab) und verklärter Boxer-Romantik triefenden Weltsicht wahrnimmt. Nie würde Kominek Kraft als „Freund“ bezeichnen und er weiß auch, dass Kraft ihn nie als Freund, wohl aber als „Sportkameraden“ ansehen würde. Und dass jeder Schritt, jedes Wort, jeder Schlag Kraft dazu bringen kann, Kominek fallenzulassen. Wie Kominek vorsichtig versucht Kraft zu manipulieren, und dabei seinen eigenen Stolz, sein eigenes Grauen, sein eigenes Leid herunterschluckt, liest sich eindrucksvoll in Štefan Kvietik subtilere Darstellung.
Wieder einmal hat Bildstörung eine absolute Referenzveröffentlichung vorgelegt. Das schwarz-weiße Bild ist gestochen scharf und klar. Der Ton sauber und sehr klar. Im Film wird Deutsch, Slowakisch und Polnisch gesprochen, wobei die slowakischen und polnischen Dialoge deutsch untertitelt werden. Neben der Blu-Ray mit dem Film ist noch eine DVD beigegeben, die randvoll mit fast zwei Stunden an Extras steckt. Den Hauptanteil macht hier ein einstündiges Interview mit Regisseur Peter Solan aus, welches kurz vor seinem Tod im Jahr 2013 aufgenommen wurde. „Die Woche im Film“ ist ein zeitgenössisches Werbe-Featurette. Solans unter die Haut gehender achtminütiger Kurzfilm „Deutschdorf“ aus dem Jahr 1974 zeigt Handkamera-Aufnahmen von Wiesen an einer Autobahn, unterlegt mit Schilderungen der hier stattgefundenen von Tötungen Unschuldiger aus der Perspektive der Täter. In einem 10-minütigen Feature doziert der aus Bratislava stammende Filmwissenschaftler Martin Kaňuch darüber, wie „Der Boxer und der Tod“ den slowakischen Film in den 60er Jahren verändert hat. Sehr gut hat mir ein weiteres, 24-minütiges filmhistorisches Feature gefallen, in dem Olaf Möller (dem ich sowieso stundenlang zuhören könnte) „Der Boxer und der Tod“ und dessen Wirkung analysiert seine und dabei noch einmal die Qualitäten seines Regisseurs herausstellt. Sehr schön fand ich ferner, dass das umfangreiche, 20-seitige Booklet nicht die Inhalte der beiden Features variiert, sondern einen ganz anderen Weg geht. Hier widmet sich der Sportjournalist Martin Krauss dem heute kaum bekannten Themas „Sport in Konzentrationslagern“. Dieses ist mitnichten eine Erfindung solcher Filme wie „Flucht oder Sieg“ oder eben „Der Boxer und der Tod“, sondern ein ganz reales Kapitel der grauenvollen Geschichte der KZs. Er schreibt hier auch nicht nur über Tadeusz Pietrzykowski, auf dessen Leben „Der Boxer und der Tod“ basiert, sondern auch viele andere Boxer, die ein ganz ähnliches Schicksal erlitten. Für uns Bremer dabei besonders interessant das Schicksal von Rukeli „Gipsy“ Trollmanns, dessen Leidensgeschichte der Bremer Filmemacher Eike Besuden als Doku-Drama verfilmt hat.
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Schöner Text. Hab unter unserer Rezension mal hierhin verlinkt: https://dienachtderlebendentexte.wordpress.com/2018/05/29/der-boxer-und-der-tod/