Der zweite Tag in Oldenburg begann naturgemäß sehr viel entspannter, als der chaotische erste Tag. In netter Begleitung meines „Weird Xperience“-Kompagnons Stefan und seiner reizenden Frau ging es zunächst wieder in den Theaterhof, wo uns der serbische „Travelator“ erwartete, den ich am Vortag für den guten „Dixieland“ hatte sausen lassen.
Travelator: Slav, ein junger serbischer Mann, der Champion in Ego-Shooter-Wettbewerben ist, wird nach Las Vegas geschickt, wo er einen echten Tötungsauftrag ausführen soll. Hier lebt ein korrupter serbischer Politiker im Zeugenschutzprogramm. Der junge Attentäter verliert sich zunächst in der Glitzerstadt und beginnt eine Liebesaffäre mit einer Prostituierten. Doch dann schreitet er doch noch zur Tat…
Der Film war im Vorberichterstattung des Festivals mehrmals positiv erwähnt worden und im Programmheft als „Taxi Driver meets Blade Runner“ angekündigt worden. Bei der anschließenden Q&A hätte ich den anwesenden Regisseur gerne mal gefragt, was er denkt, wenn er solch einen Quatsch liest. Ich habe es dann aber gelassen. Die Frage ist allerdings berechtigt, denn der Film hat weder mit „Taxi Driver“ (mit sehr viel gutem Willen kann man das abschließende Massaker als Parallele sehen, aber dazu gehört schon viel Fantasie), noch mit „Blade Runner“ (Las Vegas als futuristischer Moloch?) etwas zu tun. Davon einmal abgesehen ist „Travelator“ ein Film mit viel Licht und leider auch viel Schatten.
Zunächst der Schatten: Die Bilder sind zwar schön, aber Regisseur Dusan Milic versucht sie ständig mit religiösen Metaphern und Vergleichen aufzuladen. Was nicht in seiner Häufigkeit nicht nur recht penetrant, sondern auch vollkommen überflüssig ist. Scheinbar begreift Milic seinen (Anti)Helden als Märtyrer, der in Versuchung geführt wird, sich am Ende dann aber opfert. Und dieses Ende nimmt Milic schon in der ersten Szenen geradezu 1:1 vorweg. So gibt es am Ende auch keine Überraschung mehr, es ist von vornherein vorgezeichnet. Gerade dadurch wird der sich immer wieder einschleichende Leerlauf, wenn Dusan Milic beispielsweise so sehr von der Stadt Las Vegas fasziniert ist, dass er mit seinen Kamerafahrten kein Ende findet, umso spürbarer wird. Auch die merkwürdige Liebesgeschichte, bei der man nie so recht weiß, ob sie nun real oder eine Fantasie des jungen Slav ist, kann weder faszinieren, noch irgendwo überzeugen.
Auf der Seite des Lichts gelingen Milic teilweise atemberaubend schöne Bilder, die uns Las Vegas oder auch Serbien als fremdartigen, ausserweltlichen Kosmos zeigen. Dass Dusan Milic eine gutes Auge für umwerfen Bildgestaltung hat, merkt man jederzeit. Leider übertreibt er es häufig auch und findet kein Ende, selbst wenn seine Bilderwelten anfangen zu langweilen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Finale, in dem der tödlich verletzte Slav ziellos durch Las Vegas treibt und man nach gefühlten 10 Minuten nur noch laut aufschreien möchte: „Jetzt stirb doch endlich!“. Demgegenüber steht das große Showdown in Video-Game-Optik, welches wirklich gelungen und mitreißend inszeniert ist. Wie oben bereits geschrieben: Viel Licht, viel Schatten – aber Regisseur Dusan Milic und Hauptdarsteller Nikola Rakocevic (der bei der Q&A allerdings nicht den fittesten Eindruck machte, und sichtlich unter der Festival-Party des Vorabends litt) sollte man im Auge behalten. Rakocevic gewann in Oldenburg übrigens auch den Preis als bester Darsteller.
„Too Late“: Eine junge Frau hat etwas herausgefunden und will sich mit einem heruntergekommen Privatdetektiv treffen, damit dieser sie schützt. Bevor dieser aber am vereinbarten Treffpunkt eintrifft, wird die junge Frau ermordet. Der Privatdetektiv schwört Rache…
Ja, so simple ist der Plot dieses Neo-Noir. Und doch wird ihm die knappe Inhaltsangabe nicht gerecht. Denn er besitzt einige wundervolle Szenen und nette Ideen, die ihn über den Durchschnitt heben und am Rande der eigentlichen Handlung liegen. Natürlich ist der Film spürbar Tarantino-inspiriert. Die vielen, wortreichen und skurril-coolen Dialoge und Monologe, die schrägen Typen und die Besetzung mit einem Tarantino-Veteranen (Robert Forster aus „Jackie Brown“) und dem alten Haudegen Jeff Fahley aus „Machete“ sprechen da im wahrsten Sinne des Wortes Bände. Als besonderer Gag bedient sich Regisseur Dennis Hauck zweier Kniffe. Einmal bricht er seinen Film in fünf durchgängig gefilmte 20-minütigenen Szenen herunter, die er dann ala „Pulp Fiction“ in einen nicht-chronologischen Reihenfolge montiert. Dieses „Filmen in einer Einstellung“ scheint sich zu einer Mode zu entwickeln, man denke nur an den Oldenburg-Gewinner des letzten Jahres, „Hany“ oder Sebastian Schippers Abräumer „Victoria“. Hier ist dieser Trick nicht unbedingt nötig, stört aber auch nicht. Nur in der ersten Szene hat man einmal das unangenehme Gefühl von „Hey, guck mal was ich tolles kann“.
Die große Stärke des Filmes ist sein Hauptdarsteller John Hawkes, dem man den alten Privatdetektiv jederzeit abnimmt und der eine ganz natürliche Coolness ausstrahlt, die man sich nicht für Geld kaufen kann. So ist dann auch die mit Abstand schönste und beste Sequenz eine, in der sich nicht die Leichen türmen und das Blut spritzt, sondern ein stiller Tanz zu einem leisen Countrysong und ein kleines improvisiertes Liedchen, welches Hawkes höchstselbst zum Besten geht. Mit der letzten Szene, in der dann die losen Fäden teilweise entwirrt werden und ein neues Licht auf das Verhältnis zwischen Privatdetektiv und Opfer geworfen wird, bekommt diese wundervolle Szene dann noch einmal eine wunderbar zärtliche und tieftraurige Qualität, die dem ganzen Film sehr gut tut. Der Rest ist dann wirklich eine Trantino-inspierte Gangstergeschichte mit harten Stripperinnen, abgebrühten Gangsterbossen mit menschlichen Schwächen, postmodernen Verweisen und Schnackereien über die Liebe zum Kino. Ein Film, der gut in die Post-Pulp-Fiction-Welle Ende der 90er gepasst hätte und dort zumindest nicht negativ aufgefallen wäre. Unterhaltsam, aber nicht weiter wichtig – wenn diese eine Szene nicht wäre.
Danach trennten sich die Wege von meiner Begleitung und mir, und ich lief schnell zur Exerzierhalle herüber, wo der Film lief, auf den ich mich im Vorfeld am Meisten gefreut hatte.
„Dark“: Die junge Kate lebt in einer Beziehung mit der Fotografin Leah. Doch Kate fühlt sich nicht gut. Sie glaubt, die Beziehung würde sich dem Ende zuneigen. Sie ist mit sich selbst nicht im Einklang, und weiß nicht recht etwas mit ihrem Leben anzufangen. Als es in New York zu einem Stromausfall kommt, verfällt sie langsam in einen Wahnzustand…
Ich weiß nicht, ob es an einer von den reißerischen Ankündigungen gesteuerte falsche Erwartungshaltung war, oder der Film tatsächlich auf jeder Ebene vollkommen versagt: „Dark“ ist eine der größten Enttäuschungen, die ich bisher in Oldenburg erleben musste. Zwischenzeitlich war ich so genervt, dass ich am Liebsten meinem Unmut lautstark Ausdruck verliehen hätte. Aber einerseits bin ich gut erzogen, andererseits gebot es der Anstand vor Regisseur Nick Basile und seiner zugegeben fabelhaften Hauptdarstellerin Whitney Able, die beide im Publikum saßen, derart ausfällig zu werden. Viele Zuschauer stimmten derweil mit den Füssen ab und verließen die Exerzierhalle. Darum vorab doch ein paar positive Worte. Vor der Leistung und dem Mut von Frau Able kann man ruhig den Hut ziehen. Ungeschminkt und mit einigen Kilo zu viel, sowie keiner Scheu ihren Körper zur Schau zu stellen, gab sie wirklich alles und weitaus mehr, als ein aufstrebendes Hollywood-Sternchen gewagt hätte. Von der wunderhübschen Whitney Able, die einen in „Monsters“ noch bezaubert hatte, war hier nicht mehr viel zu erkennen. Auch stellte sie den immer stärker von ihr Besitz ergreifenden Wahn sehr spürbar dar.
Hier enden aber schon die empfehlenswerten Dinge. Zunächst beobachten wir den Tagesablauf einer nicht besonders sympathischen Aerobic-Trainerin mit reichlich Problemen, die sich ständig selber im Wege steht, und unter Minderwertigkeits-Komplexen zu leiden scheint. Als dann endlich das Licht ausgeht, hat dies zunächst nicht viel Effekt auf unsere Protagonistin. Sie brezelt sich auf, flirtet in einer Bar bei Kerzenschein sehr intensiv – obwohl sie in einer festen Partnerschaft mit einer anderen Frau ist – mit einem attraktiven Mann, besäuft sich, und torkelt wieder nach Hause. Dort sitzt sie erst einmal herum, fotografiert sich, hat ein eher komisches Erlebnis mit ihrem Nachbarn, träumt sich ihre Bar-Bekanntschaft herbei, und dreht immer mehr durch. Sie versucht das Haus zu verlassen, und kriecht dann wieder zurück (was man aufgrund der Dunkelheit mehr erahnt als sieht). Am Ende bildet sich ein, jemand würde versuchen, in ihre Wohnung einzudringen. Der Regisseur erklärt bei der sehr kurze Q&A (niemand hatte Lust, eine Frage zu stellen), dass er die Auswirkungen einer schweren Depression zeigen wollte. Warum dann das Kinoplakat zwei panisch aufgerissene Augen und einen nackten Frauenkörper zeigt, bleibt ein Geheimnis. Und auch die große Ankündigung, dass der Film von Joe Dante produziert wurde (der laut Programmheft dem „Film seinen Stempel aufgedrückt hat“) mag man kaum glauben. Der durch Plakat und Programmheft suggerierte Horror-Thriller war es nicht, und als Psychogramm war der Film schlichtweg zu konfus, vage und – ja – schrecklich nervig. Schade drum.
Als letzter Film des Tages (und für mich des Festivals) stand dann wieder eine Film aus der George Armitage-Retro auf dem Programm. Für „Gas! -Or- It Became Necessary to Destroy the World in Order to Save It.“ hatte er das Drehbuch geschrieben und der legendäre Roger Corman die Regie übernommen. Zeitgemäß – der Film entstand 1970 – geht es um Hippies. Er ist absurd, episodenhaft, kryptisch, lustig und sehr kostengünstig hergestellt. Die Handlung lässt sich nicht so einfach nacherzählen. Ein Unfall mit einem für militärische Zwecke hergestellten Gas hat alle Menschen über 25 dahingerafft. Die Jugend hat in dieser Endzeitwelt die Herrschaft übernommen und das Konzept des freien Spaßhabens, trifft auf konservative Football-Player, die eine autoritäre Ordnung wiederherstellen wollen.
Dazwischen passiert sehr viel, was ich aber nicht genau wiedergeben kann. Einerseits, weil die Handlung episodenhaft ist und keinem wirklichen roten Faden folgt, andererseits, weil der zweite Festivaltag und die sehr späte Uhrzeit ihren Tribut forderten und mir zwischenzeitlich die Augen zu fielen. Am Ende erhob sich der anwesende George Armitage, seufzte laut „What the hell were we thinking?“, dann dreht er sich zum Publikum um und fragte: „Do you have any questions? Well, I have a lot.“ Dann ging er kopfschüttelnd Richtung Ausgang und die Q&A war vorbei. Und für mich auch das 22. Internationale Filmfest Oldenburg.