Ein deutscher Ornithologe (Franz von Treuberg) zieht sich in das Gästehaus eines verlassenen Anwesens in Umbrien zurück, um sich hier in Ruhe seinen Studien zu widmen. Bei seinen Exkursionen durch den weitläufigen Garten des Anwesens entdeckt er einen Haufen mit Tonbändern. Wieder zurück, reinigt er diese und hört sie sich an. Bei den Tonbandaufnahmen handelt es sich um Mitschnitte der psychiatrischen Sitzung der ehemaligen Herrin des Anwesens, Azzura (Erika Blanc), die nach ihrem versuchten Selbstmord entstanden. Azzura kann sich nicht erklären, warum sie sich umbringen wollte und hat auch keinerlei Erinnerungen an die Tat. Hat ihre seltsame von Hass und Abhängigkeiten geprägte Beziehung mit ihrem Bruder Manfredi (Peter Lee Lawrence) etwas damit zu tun? Bald schon breitet sich vor dem Ornithologen das ganze Drama einer krankhaften Beziehung aus, die auch alle um sie herum in den Abgrund zu reißen droht. Fasziniert versucht der Ornithologe hinter das Geheimnis zu kommen, was damals auf dem Anwesen geschehen ist. Dabei gerät er selber in tödliche Gefahr.
Den Film mit dem wunderschönen Titel „Liebe und Tod im Garten der Götter“ auf das Label „Giallo“ zu reduzieren, wird diesem Werk nicht wirklich gerecht. Zwar ist die Bezeichnung „Giallo“ im Italienischen ein Sammelbegriff wie der deutsche „Krimi“, trotzdem erweckt dieser Terminus bei den Filmfreunden augenblicklich die Assoziation: kreative Morde, beatig-fluffige Musik und wunderschöne Frauen. Während „Liebe und Tod im Garten der Götter“ dem letztgenannten mit der grandiosen Erika Blanc, deren herb-mysteröses Gesicht mit den blassblauen Augen, in denen man wie in einem eiskalten Bergsee versinkt, diese Klischee-Vorgabe, ebenso wie die süße Orchidea de Santis die Klischeevorgabe erfüllt, gilt dies für die beiden erstgenannten nur bedingt. Giancarlo Chiaramellos herrliche Musik ist alles, nur nicht beatig-fluffig, sondern orientiert sich häufig am der klassischen Musik verpflichtete Soundtrack, ohne dabei banal zu werden. Im Kern ist „Liebe und Tod im Garten der Götter“ ein vertracktes, und eigentlich doch ganz simples, Psychodrama um zwei verrottete Seelen, ein Geschwisterpaar, deren ungesunde Hass-Liebe, ebenso wie ihre gegenseitige Abhängigkeit, einen tödlicheren Strudel verursachen, in den alle Personen in ihrer Nähe hineingezogen werden und darin umkommen.
Regisseur und Drehbuchautor Sauro Scavolini – der weniger für seine handvoll Regiearbeiten, als vielmehr für die von ihm geschriebenen Italo-Western und „Giallo“-Drehbücher für Sergio Martino bekannt ist – wählt keinen direkten Weg, um seine Geschichte zu erzählen. Vielmehr präsentiert er dem Publikum ein lückenhaftes Mosaik, welches der von Franz von Treuberg gespielte Ornithologe stellvertretend für den Zuschauer zusammensetzt. Und ebenso wie dieser wird der Betrachter des Filmes immer tiefer in die Geschichte hineingezogen, erkennt langsam die Zusammenhänge und muss feststellen, dass der Arm der im Dunkeln liegenden Vergangenheit in die Gegenwart hineingreift und dort zu einer gefährlichen Bedrohung wird. Ein zentrales Motiv, welches nicht nur typisch für den italienischen Giallo ist, sondern dem auch im gotischen Horrorfilm eine bedeutende Rolle zukommt. Und an einen Geisterfilm muss man auch hier denken, den die toten Stimmen dringen vom Tonband in eine Zeit ein, wo sie nur noch körperlose Gespenster sind, aber trotzdem noch Macht ausüben können.
Sauro Scavolini wird bei diesem Film von seinem weitaus bekannteren Bruder Romano unterstützt, der für die intensive Kameraarbeit zuständig ist. Immer wieder folgt er den handelnden Personen ganz dicht, rennt mit ihnen durch den Garten der Götter und erreicht dabei eine Intensität, die an die Dogma-Filme erinnert. Neben Erika Blank und dem fiebrigen Peter Lee Lawrence als ihr Bruder Manfredi, werden die weiteren Figuren zu den wortwörtlichen Nebendarstellern degradiert. Kaum etwas erfährt man über den dem Alkohol verfallenden Timothy, außer dass er er der falsche Mann für die dominante Azzurra ist, sich aber nicht aus ihrem Bannkreis zu befreien vermag. Noch weniger Informationen bekommt man über die schöne Viola. Sie hat Manfredi zufällig in einem Zug kennengelernt und ist seiner wahrscheinlich gar nicht ganz ernstgemeinten Aufforderung nachgekommen, ihn in seiner Villa zu besuchen. Obwohl sie für ihn eine Art Fluchtpunkt darstellt, bleibt dieser Charakter doch unterentwickelt.
Der Psychiater und der Ornithologe nehmen die doppelte Rolle des Zuschauers ein. Der eine fragt, der andere hört zu. Und beide setzten dabei unbewusst ihr Leben aufs Spiel. Es ist eben eine gefährliche Sache, sich zu tief in fremde Geschichte zu drängen und die Vergangenheit nicht ruhen zu lassen. Eine wichtige Rolle in diesem Film nimmt auch die Kulisse ein, vor der sich das Drama einer inzestuösen Beziehung entfaltet. Die dekadente Villa irgendwo in Umbrien, mit ihrem riesigen Garten, scheinbar ganz abgeschnitten von der Welt. Nur sehr selten verlässt der Film dieses abgeschiedene Reich der heimlichen Gelüste und krankhaft-intensiven Gefühle, irgendwo zwischen der Welt der Lebenden und der Toten. Der Liebe und dem Tod. Welches jeden, der sich hierher begibt, mit der gleichen Melancholie und dem kalten Hauch des Todes streichelt.
Mit „Liebe und Tod im Garten der Götter“ hat filmArt eine in Deutschland bisher unveröffentlichte, beinahe vergessene Giallo-Perle veröffentlicht, welche sich nicht in das Klischee-Bild des Genres fügen möchte. Vielmehr ist der wunderbare Film von Sauro Scavolini ein ruhiges und morbides Psycho-Drama mit Anleihen im Gothic Horror. Neben der faszinierenden Erika Blanc, weiß auch die Bildgestaltung und die für einen Giallo ungewöhnliche Instrumentierung zu gefallen. Für Liebhaber ausgewöhnlicher Filmkunst eine klare Empfehlung. Wer für seine Giallos unbedingt schwarz behandschuhte Killer mit Rasiermessern braucht, der ist hier eher fehl am Platze.
Die vorbildliche Veröffentlichung aus dem Hause filmArt weiß durch eine sehr gutes Bild zu glänzen, welches aussieht, wie von einer frischen 35mm-Kopie gezogen. Da der Film bisher keine deutschsprachige Veröffentlichung spendiert bekommen hatte, existiert auch keine deutsche Synchronisation, und der Film liegt auf Italienisch mit gut lesbaren, deutschen Untertiteln vor. Auch die Extras können sich sehen lassen. Neben einem netten Grußwort durch Erika Blanc, gibt es noch ein interessantes Interview (11 Minuten) mit ihr, welches Uwe Huber geführt hat und in dem Sie auch näher auf ihre Freundschaft mit Peter Lee Lawrence eingeht. Ferner glänzt die Veröffentlichung mit einem sehr kenntnisreichen und informativen Audiokommentar, der von Dr. Marcus Stiglegger und Kai Naumann eingesprochen wurde. Ebenfalls hervorzuheben ist ein sehr individuell und leidenschaftlich geschriebenes 12-seitiges Booklet von Christoph Draxtra, der auch für die Untertitel des Filmes verantwortlich ist.