Der Actionfilm ist eine Filmgattung, welches in der ernsthaften Beschäftigung mit dem Medium Film fast gar keine Rolle spielt, obwohl der „Actionfilm“ – neben der Komödie – das kommerziell erfolgreichste und beim Publikum beliebteste Genres ist. Was sicherlich auch daran liegen mag, wie das sehr empfehlenswerte, von Ingo Irsigler, Gerrit Lembke und Willem Strank herausgegebene, Buch „Actionkino – Moderne Klassiker des populären Films“ herausarbeitet, dass der Actionfilm fast immer ein Hybrid ist. D.h. dass er auch immer zu einem anderen Genre gehört. „Dirty Harry“ wird zumeist dem Copfilm oder Krimi zugeschlagen. „The Terminator“ ist Science Fiction, James Bond – und die „Mission: Impossible“-Reihe Agentenfilm. Und eben innerhalb dieser Genres werden sie zumeist dann auch nur betrachtet. Eine dezidierte Untersuchung auf ihre „Actionfilm“-Spezifikationen, kommt so gut wie nie vor. Daraus folgt auch eine gewisse Schwierigkeit den „Actionfilm“ als solchen zu klassifizieren, und als Genre greifbar zu machen.
Vor diesem Dilemma stehen auch Irsigler, Lembke und Strank. Eine umfassende Untersuchung des Genres und das Aufzeigen einer „gemeinsamen Grammatik“ wollen sie dann auch gar nicht angehen, sondern „nur“ 8 Klassikern des Actionskinos analysieren. Welche in ihren Augen aber auch die „enorme Bandbreite als auch die zentralen Gemeinsamkeiten des Kinos (abbilden)“. Nichtsdestotrotz leisten sie schon einmal eine nicht zu unterschätzende Pionierarbeit, indem sie in 11 Thesen zu umreißen versuchen, was allen „Actionfilmen“ gemein ist. Und tatsächlich lassen sich diese 11 Thesen, mehr und weniger gut, auf alle acht auf den ersten Blick so unterschiedlichen Beispiele, in diesem Buch besprochen werden, anwenden und geben eine gute Idee davon, wie komplex und inhomogen das Genre des „Actionfilms“ ist.
Der erste Film, welcher dann im Detail besprochen wird, ist der Copfilm-Klassiker „Dirty Harry“, bei dem man zunächst nicht unbedingt an einen „Actionfilm“, sondern einen Polizeithriller denkt. Willem Strank untersucht die ganze fünfteilige Reihe nach ihrer Doppeldeutigkeit. Denn die Figur „Dirty Harry“ ist „einerseits ein Individualist, der effektiv das bewerkstelligt, was eigentlich das System leisten sollte, indem er gegen dessen Gesetzte verstößt; und reaktionärer Faschist, der seine Ziele durch undemokratischen Waffengebrauch erreicht“. Dieses Spannungsfeld ist laut Strank typisch für einen Actionhelden, und in seinem Artikel geht er dann auch eingehend auf die gesellschaftliche Rezeption des ersten Filmes und die Reaktion darauf im weiteren Verlauf der Reihe ein.
Gerrit Lembke schreibt ausgesprochen interessant über „Rambo“ und führt anhand der Abweichungen von Roman und Film auf, welche unterschiedlichen, aber trotzdem auch ähnliche, Ansätze beide verfolgen, und in wieweit für den Film die Vorlage abgeändert wurde, damit sie als Actionfilm funktioniert. Eckhard Pabst beschäftigt sich mit den beiden ersten „Terminator“-Filmen und die Art, wie hier Entscheidungen inszeniert werden und welche Bedeutung sie für die Aussage der beiden Filme besitzen. Dabei geht er auch generell auf wiederkehrende Aspekte im Kino James Camerons ein. Ingo Irsigler zeigt überzeugend die Parallelen zwischen dem klassischen Western – und hier insbesondere dem Film „12 Uhr Mittags“ – und dem Actionklassiker „Stirb langsam“ auf. Dieses Essay hat mir persönlich am Besten gefallen, was wahrscheinlich meiner Liebe zu diesem Film und meiner gleichzeitigen Affinität zum Western-Grenre geschuldet ist. Dominik Orth entdeckt in der „Mission: Impossible“-Reihe einerseits ein Beispiel für den Lebenszyklus eines Genres, andererseits auch, wie die Reihe durch seine vier Filme hindurch, ein neues Männlichkeitsideal für seinen Actionhelden (und damit letztendlich auch dessen Darsteller) erschafft, welches sich vom Actionhelden er 80er Jahre deutlich unterscheidet.
Christoph Rauen hat Quentin Tarantions beiden „Kill Bill“-Teile auf ihre Struktur als Rache-, wie auch Familienfilm untersucht. Dabei stellt er fest, dass Tarantino nicht nur die bekannten Formen des Rachefilms durchexerziert, sondern sich auch damit befasst, welchen Einfluss die Gewalt auf die Kinder hat. „Die Wiedergeburt eines Unsterblichen“ nennt Jan Tilman Schwab seinen Artikel über das große James-Bond-Comeback und Daniel-Craig-Debüt „Casino Royale“. Ob dies nun wirklich der beste und wichtigste James-Bond-Film aller Zeiten ist, wie Schwab immer wieder betont, mag dahingestellt sein. Seine Analyse des Filmes und seiner Wichtigkeit nicht nur für die Serie, ist aber ausgesprochen präzise. Das Buch endet dann mit „Der Rückkehr der Körpertäter“, wo sich nochmals Gerrit Lembke zu Wort meldet und auf die „Expendables“-Reihe und ihre Bedeutung für das (post)moderne Actionkino eingeht.
Wenn man dem Buch „Actionkino – Moderne Klassiker des populären Films“ etwas vorwerfen kann, dann, dass es mit 176 Seiten zu kurz ist. Gerne hätte man noch mehr über das Genre des Actionfilms gelesen. Denn das Buch weckt nicht nur den Appetit darauf, noch einmal den einen oder anderen Actionfilmklassiker in den Player zu werfen, sondern reizt noch mehr dazu, Genrefilme zu durchleuchten und einmal von einer ganz anderen Perspektive aus zu betrachten. Auch fällt auf, dass das Buch sehr USA-konzentriert ist. Wenn man „Casino Royale“ einmal Hollywood und nicht der britischen Filmindustrie zuschlägt, so wären in der Tat nur US-Filme besprochen worden. Das asiatische Kino, welches in den 70er und vor allem den 80er Jahren einen enormen Einfluss auch auf das US-Kino hatte, wird hier ganz außen vor gelassen. Ebenso wie z.B. die französischen Actionfilme eines Luc Besson. Weiterhin wäre es auch interessant, in dem Kontext des Actionfilmes nicht nur die „großen“ Filme anzusehen, sondern gerade auch die kleinen, billigen Ripp-Offs, die ja die Essenz der großen Vorbilder noch einmal verdichten und verstärken, was ebenfalls ein hochspannendes Untersuchungsobjekt wäre.
Aber dies ist Jammern auf sehr hohem Niveau und zudem unfair. Denn wie Irsigler, Lembke und Strank bereits ganz am Anfang ausführen, war solch eine umfassende Betrachtung des Actionfilmes ja auch nie die Zielsetzung dieses Buches gewesen. Es wäre aber spannend, wenn die Autoren sich an eine entsprechende Fortsetzung ihres Buches wagen würden. Schließlich haben sie ja in ihren Thesen, wie auch den Filmanalysen, treffend ausgeführt, dass Sequels ein herausstechendes Merkmal des Actionfilms sind.
Ingo Irsigler, Gerrit Lembke und Willem Strank (Hrsg.) „Actionkino – Moderne Klassiker des populären Films“, Bertz+Fischer, 176 Seiten, € 16,90
Ahoi!
Danke für die Besprechung! Da habe ich doch nun glatt etwas für meinen Wunschzettel.