Bericht vom 21. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 2

oldenburg2Der zweite Tag in Oldenburg begann mit einer halbstündigen Verspätung, da mein freundlicher Fahrer noch aufgehalten worden war. Immerhin waren wir aber so pünktlich in Oldenburg, dass wir noch schnell in die gemütliche VIP-Lounge schauen konnte, wo wir zwei renommierte Filmkritiker trafen. Als ich erwähnte, dass ich am heutigen Tage noch den norwegisch-deutschen Film „Zwei Leben“ schauen wollte, stieß dies bei einem der Beiden auf Skepsis, da er den Film – der aus 2012 stammte – schon an anderer Stelle gesehen hatte.

Wie dem auch sei, für mich stand jetzt erst einmal der griechische Spielfilm „Luton“ auf dem Programm. Zwar war ich nach dem weinerlichen „The Boy Eating the Bird’s Food“ griechischen Independent-Filmen gegenüber skeptisch eingestellt, doch da der Film einerseits als „Psycho-Thriller“ angekündigt war, und andererseits der Produzent Yorgos Tsourgiannis auch den überall hochgelobten „Dogtooth“ gemacht hatte, hatte ich meine Bedenken zerstreut. Zudem gab es in dieser Zeitschiene auch keine attraktiveren Alternativen.

Luton – „Luton“ ist ein Film, der im Nachhinein besser ist, als während der Vorführung. Kennt man die finale Wendung, macht es durchaus Sinn, den Film so zu drehen, wie es Regisseur Michalis Konstantatos getan hat. Nur ist es während des Betrachtens des Filmes ein hartes Stück Arbeit und eine Herausforderung, nicht einfach weg zu nicken.

Die ersten knapp 90 Minuten sehen wir drei Menschen in ihrem ausgesprochen öden und tristen Leben. Da ist zunächst eine junge Frau, die beruflich scheinbar erfolgreich ist – wobei nie wirklich ersichtlich wird, was sie da eigentlich macht – , Probleme mit ihrem Partner hat und gerne bei der Anprobe in der Ankleideraum eines edlen Kaufhauses masturbiert. Dann ist da ein junger Mann, der scheinbar unter der Kälte seines ständig telefonierenden Vaters, augenscheinlich ein ebenfalls sehr erfolgreicher Businessmann, leidet und in eine seiner Mitschülerrinnen verliebt ist, die allerdings einen anderen hat. Als drittes lernen wir noch der Besitzer eines Kiosks kennen, der Geldprobleme hat und mit seiner Frau in einer bereits erkalteten Beziehung lebt. 90 Minuten beobachtet man die Drei – die scheinbar nichts miteinander zu tun haben –  in ihrem langweiligen Alltag, ohne dass man eine Beziehung zu einer der Figuren aufbauen kann. Zu distanziert bleibt die Erzählung. Oft ist man auch nur damit beschäftigt, zu überlegen, was die da handelnden Personen jetzt eigentlich machen und in welcher Beziehung sie zueinander stehen mögen.

Erst im letzten Drittel schneiden sich zunächst kaum merklich ihre Wege. Plötzlich und unvermittelt sieht man die Frau neben dem Kioskbesitzer sitzen oder eine SMS vom Handy der Frau gelangt  auf das Handy des Schülers. Doch das ist alles nicht interessant. Nur unterkühlt und ebenso langweilig, wie die drei Figuren ihr Leben erfinden. Natürlich will Konstantatos dies auch genauso zeigen, aber dafür nimmt er sich einfach zu viel Zeit. Wenn nach über einer Stunde noch immer nichts passiert ist, bleibt man nicht mehr bei den Figuren auf der Leinwand, sondern fängt an, genervt auf die Uhr zu schauen und die Gedanken in andere Richtungen schweifen zu lassen. Ich z.B. begann auf einmal damit, intensiv darüber nachzudenken, ob ich mein Ticket für „Zwei Leben“ nicht noch gegen eins für die Roger-Ebert-Doku „Life Itself“ eintausche. Auch unter dem restlichen Publikum machte sich Unruhe und Gähnen breit. Einige verließen sichtbar ermüdet den Saal.

Nun kann man Konstantatos nicht vorwerfen, dass er sein Handwerk nicht verstehen würde. Eine quälende Szene, in der er einen freudlosen Geschlechtsakt zwischen dem Kioskbesitzer und seiner Frau auf dem Esszimmertisch zwischen zwei Mahlzeiten in einem Ulrich-Seidl-artigen Tableau inszenierte, wirkte ausgesprochen beklemmend. Zudem ist die Kühle und Distanz ein Spiegelbild der Beziehungen, in denen sich die Figuren befinden. Vor dem Hintergrund der Aussage des Filmes, ist dies alles gut und richtig – nur eben mäßig interessant anzusehen. Insbesondere, wenn der Film als „Thriller“ angekündigt wird – was natürlich nicht seine Schuld ist.

An dieser Stelle muss ich auf die letzten 10 Minuten zu sprechen kommen. Wer den Film noch sehen möchte und sich die Überraschung nicht verderben will, möge nun an diesem Punkt zur nächsten Review springen.  Die Pointe der ganzen Geschichte ist es, dass sich diese drei so unterschiedlichen Menschen zu einer Gruppe zusammengefunden haben, die die Leere ihres Lebens nachts durch gemeinsam begangene Grausamkeiten füllen. Da werden dann alte Omas zusammengeschlagen, Obdachlose angezündet oder ein Transvestit auf dem Straßenstrich aufgelesen, halbtot geprügelt und vergewaltigt. Nach dem doch öden Beginn wirken diese Szenen besonders drastisch. Vor allem prasseln sie ohne Vorwarnung auf den Zuschauer ein. Erst hier wird auch die Intention des Regisseurs Michalis Konstantatos klar und „Luton“ zu einem starken Statement. Die Frage ist nur, ob es dazu wirklich diesen quälend langen Vorlauf gebraucht hätte und 100 Minuten hier nicht doch zu viel sind.

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Produzent Yorgos Tsourgiannis

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Yorgos Tsourgiannis

Nach „Luton“ blieb mir kaum noch Zeit, um in die alte Fleiwa zu wechseln. Also tat ich das, was ich gedanklich gerade ein paar Mal durchgespielt hatte, ich ließ die Q&A mit dem „Luton“-Produzenten Yorgos Tsourgiannis sausen, gab die Tickets für „Zwei Leben“ wieder zurück und ließ mir stattdessen eine Karte für die Roger-Ebert-Doku „Life Itself“ geben. Und weil ich schon dabei war, tauschte ich auch „Time Lapse“ gegen den Retrospektive-Beitrag „The Return of Captain Invincible“, der mir am Vorabend schmackhaft gemacht wurde. Die Dame an der Kasse war darüber zwar nicht begeistert, aber letztendlich lief dann doch alles glatt. Also schnell rüber geflitzt zum theaterhof. Zum Essen war leider keine Zeit mehr. Das passte zwar so gar nicht in meinen Plan, aber gut.

Life Itself – Roger Ebert war in den USA als Filmkritiker eine Institution. Er war nicht nur der erste Filmkritiker, der jemals einen Pulitzer-Preis gewann, zwischen 1982 und 1999 führte auch zusammen mit seinem Kollegen Gene Siskel durch die legendäre Sendung „Siskel & Ebert“, in denen die beiden sich in herzlicher Hassliebe zugeneigten Kritiker Rededuelle über aktuelle Filme lieferten (so wie man es hier vom „Literarischen Quartett“ kennt). Waren sich beide mal einig, gab es „Two Thumbs Up“, was zum geflügelten Wort wurde. Diese simple „Daumen hoch – Daumen runter“ -System hatte ebenso viele Kritiker, wie Nachahmer. 1999 starb Siskel und Ebert führte die Sendung mit seinem Kollegen Richard Roeper bis 2008 als „Ebert & Roeper“ weiter – etwas, was in „Life Itself“ übrigens mit keiner Silbe erwähnt wird. Mir persönlich kommt auch ein wenig sein kurzer Ausflug unter die Drehbuchautoren zu kurz. Zwar wird sein Drehbuch zu Russ Meyers „Blumen ohne Duft“ erwähnt, aber seine Freundschaft mit Meyer und auch die beiden anderen Filme, für die er unter Pseudonym die Drehbücher beisteuerte  -die unglaublichen „Drunter, drüber und drauf“ und „Im tiefen Tal der Superhexen“ -, kommen leider nicht zur Sprache.

2002 erkrankte Ebert an Schilddrüsenkrebs, was ihm über die Jahre durch zahllose Operationen die Fähigkeit zu sprechen, zu trinken und zu essen kostete. Der Film steigt 2013 ein, als Ebert gerade aufgrund eines Sturzes, bei dem er sich die Hüfte brach, wieder einmal ins Krankenhaus muss.Filmemacher Steve James verdankt Ebert viel, denn dieser setzte sich 1994 stark für James‘ Film „Hoop Dreams“ ein, den er den besten Film des Jahres 1994 nannte. Vor solch einen Hintergrund könnte man befürchten, dass „Life Itself“ zu einer freundschaftlichen Heldenverehrung verkommt. Dass dies nicht der Fall ist und James Ebert nicht als durchgängig sympathischen Charakter zeigt, ist dem Film hoch anzurechnen. Wie überhaupt Eberts Rolle als Filmkritiker, der auch immer wieder auch die Nähe zu Hollywood und seinen Stars suchte, durchaus kritisch durchleuchtet wird. Am Ende geht es dann auch gar nicht so sehr um den Filmkritiker Ebert – obwohl seine Karriere sehr akribisch nachgezeichnet wird – als vielmehr um den Menschen Ebert, der von einem harten Schicksal getroffen wird. Und es geht um seine Ehefrau Chaz, die eine unglaubliche Kraft aufbringt, um ihren Ehemann zu helfen und sein Leben so lebenswert wie möglich zu machen.

So ist „Life Itself“ vor allem auch ein Porträt einer großen Liebe vor dem Hintergrund einer schrecklichen Krankheit. Wenn man Ebert in diesem Film das erste Mal sieht, erschreckt man sich. Ihm wurde der Kiefer und Teile des Halses amputiert. Nun hängen Haut und Fleisch dessen, was einst sein Mund gewesen war, über den Bandagen, die seinen Hals bedecken. Nein, ein schöner Anblick ist das nicht. Dass Ebert permanent zu lächeln scheint, hat auch nichts mit seiner Gemütsverfassung zu tun. Was von seinem Mund übriggeblieben ist, ist in dieser Pose erstarrt. Doch Ebert hat nicht aufgesteckt. Er arbeitet mithilfe des Internets weiter, will seine Gedanken anderen Menschen mitteilen und freut sich darüber, dass nun ein Blog für ihn eingerichtet wurde, auf dem er weiter Filmkritiken veröffentlichen, direkt mit seinen Lesern in Kontakt treten, sowie gleichzeitig seine alten Kritiken archivieren kann. Dann und wann scheint aber doch Resignation durch, doch dann ist immer seine Ehefrau Chaz zur Stelle, die ihn motiviert, sein Leben wieder in die Hand zu nehmen – was sichtlich an ihrer Kraft zehrt.

Natürlich zeichnet „Life Itself“ auch Eberts Leben nach. Seine ersten Erfolge, aber auch seinen schwieriger Charakter. Seine Alkoholprobleme und die Freund-Feindschaft zu Gene Siskel, der ihm in Aussehen und Weltgewandtheit überlegen scheint, und der den egozentrischen Ebert – wie Ausschnitte aus Proben zu ihrer Sendung belegen – auch verbal gerne mit scharfer Zunge auskonterte. Nichtsdestotrotz, wird aber auch Eberts enormer Einfluss, ebenso wie sein Wille, kleine Produktionen, die sonst keine Chance hätten, zu bewerben – wenn er es für nötig hielt – aufgezeigt. Ebert leidet darunter ein einsamer, nicht besonders attraktiver Mensch zu sein, der sich nach einem Leben im Glanz der Stars sehnt. Wenn Chaz dann in sein Leben tritt, ändert sich dieser Mensch. Er wird sanfter, lernt Dinge kennen, die ihm nun immer wichtiger werden und die er vorher nicht kannte, wie ein Familienleben.

Obwohl es so nicht intendiert war, folgt James‘ Dokumentarfilm dem Sterben Eberts und als Zuschauer ist man quasi „live“ dabei. Als die Dreharbeiten begannen, sollte der Film vor allem von Eberts „zweites Leben“ im Internet  handeln, doch dann verschlechterte sich Eberts Zustand immer mehr. Er war am Ende nicht einmal mehr fähig, James‘ Fragen zu antworten, so schwach war er geworden und am 4. April 2013 – nur einen Tag nach seinem letzten Blogeintrag, in dem er ankündigte künftig kürzer treten zu wollen – verstarb Ebert. „Life Itself“ – auch der Titel von Roger Eberts Autobiographie, aus der hier immer wieder Passagen vorgelesen werden – ist ein sehr passender Titel für diesen Dokumentarfilm, den genau darum geht es hier.

Leider war „Life Itself“ am Ende gut 20 Minuten länger, als im Programmheft ausgelobt, weshalb mir kaum Zeit blieb, zur Alten Fleiwa  zu kommen, die vom Zentrum des Festivals aus gesehen am A… der Welt liegt. Aber dafür hat sich das Filmfest Oldenburg etwas sehr Cleveres einfallen lassen. Es standen auch in diesem Jahr wieder Shuttle-Wagen zur Verfügung, die einen schnell und sicher von A nach B brachten. Dieser Service steht übrigens nicht nur Akkreditierten,  sondern allen Zuschauern zur Verfügung, und ich wundere mich, dass er nicht häufiger genutzt wurde. Wahrscheinlich kommen die Oldenburger mit dem eigenen Wagen oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Und so richtig notwendig ist der Service in erster Linie auch nur, um zur Fleiwa zu kommen – und vielleicht noch zum Casablanca, wenn die Zeit knapp wird. Ansonsten kann man ja alle Abspielstationen bequem zu Fuß erreichen. In der Fleiwa angekommen, konnte ich meinen mittlerweile beachtlichen Hunger mit einer trockenen Bretzel und einem Schokoriegel stillen. Groß war das Nahrungsangebot dort nicht, aber zumindest gab es hier eins, wofür ich sehr dankbar war.

Der Samurai – Der junge Dorfpolizist Jakob erhält eines Tages ein geheimnisvolles Paket, welches an „den einsamen Wolf“ adressiert ist. Am Abend erhält er einen Anruf, er solle das Paket in den Wald bringen und dort seinem rechtmäßigen Besitzer übergeben.  Jakob folgt der Aufforderung und trifft in einem Haus am Waldesrand auf einen mysteriösen, jungen Mann in einem weißen Kleid. Dieser nimmt das Paket an sich und entnimmt ihm ein Samurai-Schwert. Damit ausgestattet zieht er durch das Dorf, in welchem er zunächst die Vorgärten verwüstet, um dann auch dessen Bewohner zu dezimieren. Jakob bleibt ihm zwar auf der Fährte, doch es gelingt ihm zunächst nicht, der unheimlichen Gestalt Herr zu werden.

Der deutsche Film traut sich wieder etwas. „Der Samurai“ bietet blutige Enthauptungen, einen erigierten Penis in Nahaufnahme, eine nach Traumstrukturen laufende Geschichte und homoerotische Anspielungen. Belohnt wurde dies mit einem vielbeachteten Auftritt auf der diesjährigen Berlinale, und auch auf ausländischen Festivals soll der „Samurai“ sehr gut ankommen. Demnächst gibt es auch einen regulären Kinostart, was mich sehr freut. Nun ist es ja eine – seltsamerweise gerade von Genrefans gestreute – Mär, dass aus Deutschland keine Genrefilme kommen würden. Trotzdem tut  es doch gut, wenn ein Film abseits des Mainstreams und der Berliner Schule wieder einmal für Furore sorgt.Man täte „Der Samurai“ auch unrecht, würde man ihn ganz auf die Horrorschiene festnageln. Vielmehr ist „Der Samurai“ eine Allegorie auf eine Befreiung des eigenen Selbst. Die Hauptfigur, der junge Dorfpolizist Jakob, muss sein wahres Ich, den Wolf in sich selber, unterdrücken. Immer versucht er, die Kontrolle über sich behalten, wird von den Dorfbewohnern – insbesondere von denen seiner Generation –  nicht ernst genommen und lächerlich gemacht. Zudem scheint er mühsam homoerotische Gefühle zu unterdrücken und generell mit seiner Sexualität nicht wirklich klarzukommen. Einmal wird er ausgelacht, weil er „seine Kanone noch nie abgefeuert hätte“. Seine Eltern sind tot, er lebt bei seiner Großmutter, wo er auf dem Dachboden das enge Dorf als Modellbahnlandschaft nachgebaut hat – was später zu einer wunderschönen Aufnahme führt, wenn Modellsatz und Realität ineinander verschmelzen.

Natürlich denkt man bei diesem Film zu allererst an David Lynch. Farbgebung und eine surreale Stimmung, welche Atmosphäre über das logisch Nachvollziehbare stellt, hat etwas von „Lost Highway„. Mehr noch scheint der Film aber eine Horror-Variante von „Blue Velvet“ zu sein, der mit einer ähnlich naiven, sexuell unterdrückten Hauptfigur und einem triebgesteuerten, dämonischen Bösewicht aufwartet. Dieser wird hier brillant von Pit Bukowski gegeben, der aussieht wie eine Mischung aus Heath Ledgers Joker und Ferris MC. Da sitzt jeder lodernde Blick, jedes teuflisch-sarkastische Lächeln. Und vor allem weiß Pit Bukowski mit seiner Stimme umzugehen, wie weiland Klaus Kinski. Dagegen muss  Michel Diercks als Jakob schon per Definition der Rolle abfallen, denn Jakob wird von Anfang an als etwas langweilig eingeführt. Zudem fällt bei ihm eine etwas unnatürliche Diktion auf.Große Komplimente muss man auch dem Kameramann Martin Hanslmayr aussprechen, der trotz eines sehr begrenzten Budgets, mit einer kleinen Digitalkamera große Bilder findet und eine albtraumhafte Stimmung auf die Leinwand zaubert, sowie Conrad Oleak, der für die kongeniale Musik sorgt.

„Der Samurai“ mag nicht der ganz große Wurf sein, den man aufgrund der begeisterten Reaktionen auf der Berlinale erhofft hat, dafür orientiert er sich teilweise etwas zu stark an den großen Vorbildern und es fehlt ihm an einigen Stellen auch der rechte Schwung und vor allem noch mehr Mut zu radikalen Bildern. Aber er ist erfrischend, mit viel Herz und Liebe gemacht und vermeidet es auch, seine im Grunde recht simple Geschichte zu sehr ausufern zu lassen. Mit 78 Minuten hat „Der Samurai“ genau die richtige Länge. Regisseur Till Kleinert hat jedenfalls  die Latte für seine weiteren Werke sehr hoch gelegt. In den Q&A verriet er, dass er derzeit an einer TV-Serie über eine verwunschene Plattenbausiedlung sitzt. Das klingt doch schon mal sehr vielversprechend.

Bei der Q&A waren außer dem überaus sympathischen und bescheidenen Till Kleinert noch sein Hauptdarsteller Michel Diercks, sowie die beiden Produzenten des Filmes Anna und Linus de Paoli zu Gast. Diese beiden kennt man von dem Film „Dr. Ketel„, der 2012 auf dem Filmfest Oldenburg für Aufsehen sorgte und damals den Publikumspreis gewann. Leider verschwand er danach mehr oder weniger wieder. Bei „Dr. Ketel“ war auch Till Kleinert – übrigens ebenso wie „Samurai“ Pit Bukowski – als Nebendarsteller beteiligt. Er spielte damals eine Nebenrolle. Tatsächlich ist das Trio Kleinert/di Paoli ein „Filmkollektiv“, welches sich zu Studienzeiten geformt hatte und „Schattenkante“ nennt. Hier hilft jeder jedem in verschiedenen Positionen. So ist hier „Ketel“-Regisseur Linus de Paoli hier zusammen mit seiner Ehefrau Anna, die am Drehbuch für „Dr. Ketel“ mitschrieb, als Produzent unterwegs. Linus de Paoli plant als nächstes einen deutschen „Die durch die Hölle gehen„, der vor, während und nach dem 2. Weltkrieg spielt. Auch dieses Projekt klingt sehr spannend und man darf sich freuen, dass es die „Schattenkante“ gibt und die Mitglieder sich aktiv um den deutschen (Genre)-Film kümmern. Ich bin sehr gespannt, was da noch so alles kommt.

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Das „Samurai“-Team

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Hauptdarsteller Michel Diercks und Produzent Linus de Paoli

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Produzentin Anna de Paoli

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Regisseur Till Kleinert

Nach der Q&A heiß es dann für mich, schnell raus, um noch ein Shuttle zurück zum cineK zu bekommen, denn – natürlich – war es mittlerweile schon wieder sehr spät geworden, und die Zeit tickte gegen mich. Aber es klappte alles ohne Probleme, und diesmal hatte ich hinter mir sogar einen Beifahrer, mit dem ich einige Worte wechseln konnte, auch wenn ich sein Gesicht nicht sah. Auch eine seltsame Erfahrung. Im cineK erlebte ich noch ein paar bange Minuten, als ich partout mein Ticket nicht finden  konnte – aber auch dies löste sich in Wohlgefallen auf und der Abend – und für mich damit auch das 21. Internationale Filmfest Oldenburg – sollte auf wunderschöne Weise ausklingen.

Über den Film „The Return of Captain Invincible“ , der in der Philippe-Mora-Retrospektive lief, selber will ich auch gar nicht so viel schreiben. Es ist eine wunderbare Superhelden-Parodie, die mit ihrem versoffenen Helden den ein  Jahr später entstandenen  „Superman III“ und „Hancock“ von 2008 vorweg nimmt. Angefüllt mit viel 80er Jahre Flair und spontanen Musical-Nummern (geschrieben u.a. vom „Rocky Horror Picture Show“-Schöpfer Richard O’Brien), die von den Schauspielern selber eingesungen wurden (auch eine Vorwegnahme eines aktuellen Trends), sorgt der Film für viel gute Laune und intelligenten Spaß.

Neben dem hervorragenden Hauptdarsteller Alan Arkin, erlebt man den fantastischen Christopher Lee in einer seiner schönsten Rollen als Bösewicht „Mr. Midnight“, der mit seiner voller Stimme (immerhin war Lee ja ausgebildete Opernsänger) einige Ohrwürmer zum Besten gibt – u.a. „Name Your Poision“, einer der schönsten Songnummern der Filmgeschichte.Diesen Film in einem vollbesetzten Kino zu erleben, war schon ein Highlight, und ich bin im Nachhinein sehr froh, dass ich mich kurzfristig entschlossen hatte, diesen Film aus der Retrospektive dem aktuellen „Time Lapse“ vorgezogen zu haben. Zumal ich zu „The Return of Captain Invincible“ nun einige schöne Erinnerungen mitnehmen kann. Dies lag an Regisseur Philippe Mora und Festivalleiter Torsten Neumann. Dieser kündigte den Film als einen seiner „Lieblingsfilme“ an und auch als einen der Filme, die ihn und seine Filmliebe geprägt haben.  Das ist schon mal sehr sympathisch und untypisch für einen Festivalleiter. Ich denke mal, die meisten anderen Festivalleiterleiter würden hier eher auf Antonioni oder Fassbinder gehen, und weniger auf ein quitschbuntes  80er-Jahre-Superhelden-Parodie-Musical. Aber in Oldenburg ist eben alles anders. Vor allem hatte Neumann fasziniert, dass derselbe Regisseur auch einen Film namens „Swastika“ gedreht hat (lief auch in der Retrospektive), der auf den ersten Blick so gar nichts mit „Captain Invincible“ zu tun hat. Und darum freue er sich ganz besonders, Philippe Mora in diesem Jahr in Oldenburg begrüßen zu können.

Mora selber erzählte noch einige nette Anekdoten zum Film und über Christopher Lee – der übrigens „The Return of Captain Invincible“ zu seinen Lieblingsfilmen zählt. Nach der Einführung ist es ja in der Regel üblich, dass die Gäste dann verschwinden, sich an die Bar setzen und erst zum Q&A wieder erscheinen. Hier allerdings nicht. Mora, seine Frau (?) und Torsten Neumann blieben noch in der Tür stehen, um sich den Anfang des Filmes anzusehen. Und blieben und blieben. Sie hatten alle drei sichtlich Spaß am Film und irgendwann brachte jemand Philippe Mora einen Stuhl und ein Glas Wein. Das habe ich so noch nie erlebt und das breite Strahlen auf den Gesichtern zeigte mir, dass diese Menschen wirklich den Film lieben, und dass das auch keine Pflichtveranstaltung für sie war, sondern wirklich Spaß und Vergnügen. Da wurde mir ganz warm ums Herz und ich würde die Vorstellung von „The Return of Captain Invincible“ auch deshalb zu meinen persönlichen Höhepunkten in fünf Jahren Filmfest Oldenburg bezeichnen. Danke auch dafür!

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Philippe Mora und Torsten Neumann

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Ihm galt die diesjährige Retrospektive: Regisseur Philippe Mora

Damit war das Festival dann in diesem Jahr für mich vorbei, denn am Sonntag forderte dann die Familie ihr Recht. Eine Anekdote bleibt mir aber noch zu berichten. Vor der „Captain Invincible“-Vorstellung betrat eine attraktive Frau das cineK und setzte sich in die Reihe vor mich, wo sie sich erst leise mit ihrer jungen Begleitung unterhielt und dann schon bald selig einschlummerte. Nach dem Film lief mir die sehr freundliche Dame noch ein paar Mal über den Weg  und man wechselte ein paar belanglose Sätze vom Kaliber „Ja, bitte, setzen sie sich doch“– dann steckte mir jemand, dass es sich hierbei um Sean „Blade Runner“ Young handelte.  Etwas, was ich unvorsichtiger Weise auch meinem Fahrer kurz vor unserem Aufbruch erzählte, der sich sogleich in den Kopf setzte, ein Foto von mir und Ms Young zu machen. Allerdings ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass mir so etwas immer furchtbar peinlich ist. Lange Rede – kurzer Sinn, das Foto existiert nun, Ms Young war professionell (wenn auch nach  dem dritten Versuch, wegen  vergessenem Blitz und verwackelter Aufnahme) etwas genervt – und ich weiß jetzt, wie ich mit einem hochrotem Kopf aussehe. Und das Foto bleibt auch privat.

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2 Antworten zu Bericht vom 21. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 2

  1. Sonja sagt:

    Oldenburg ist eines dieser Festivals, bei denen ich immer überlege, ob ich dort einmal hinfahren soll. Aber letztlich ist es dann mit Übernachtungskosten einfach zu viel Geld, dass ich dafür ausgeben müsste. Umso mehr freut ich mich über Deine ausführlichen Berichte. 🙂 Und insbesondere „Life itself“ hätte ich schon sehr gerne gesehen.

  2. Marco Koch sagt:

    Hallo Sonja. Danke für die lieben Worte. Oldenburg lohnt sich auf jeden Fall, auch wenn man nicht alle Tage da ist. Wenn Du dich irgendwann einmal entschließen solltest, dem „Pilgerort für Cineasten“ (laut „Die Zeit“) einen Besuch abzustatten, kann ich das Hotel Sprenz empfehlen. Sehr nett, nahe am „Casablanca“ und nicht so schrecklich teuer.

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