Wieder einmal Oldenburg. Wie jedes Jahr habe ich mich auch in diesem Jahr auf in die schöne Nachbarstadt (mit nur 45km kann man durchaus noch von Nachbarschaft sprechen) gemacht. Das 21. Internationale Filmfest rief, und ich war nur allzu bereit, dem Ruf zu folgen. Im Vorfeld waren wieder einige unerfreuliche Dinge bezüglich der mangelhaften Unterstützung durch die Stadt zu hören gewesen. Fast macht es den Anschein, als hätten die politisch Verantwortlichen einen persönlichen Hass auf das Festival. Und wenn man sich noch einmal die mimosenhaften Streitereien aus dem Vorjahr ins Gedächtnis ruft, ist man fast geneigt, diese Möglichkeit Glauben zu schenken.
Noch kann die fehlende Unterstützung der Stadt so halbwegs mit Sponsorengeldern und viel Improvisation mehr oder weniger kompensiert werden. Aber es stellt sich die bange Frage: Wie lange noch? So war ich sehr gespannt, was mich dieses Jahr in Oldenburg erwarteten würde. Wird man die Einschnitte bemerken? Die Antwort lautet: Nein. Der „normale“ Zuschauer wird die dünnen Fäden, mit denen alles zusammengehalten wurde, nicht bemerkt haben. Dafür ein ganz großes Kompliment an Torsten Neumann und sein Team.
Wenn man ganz genau hinsieht, fällt einem natürlich auf, dass der German Independence Award auf Eis gelegt werden musste, so dass es dafür auch keine Jury mit bekannten Namen gibt. Dass das Filmangebot weiter ausgedünnt wurde und vor allem wieder neue, scheinbar kostengünstigere Abspielstätten (mit dem winzigen cineK und dem Casablanca nehmen wieder nur zwei „echte“ Kinos teil) dazukamen, und. Andererseits unterstreicht letzteres noch die familiäre Intimität dieses Festival. Ich erinnere mich noch, dass diese spezielle Stimmung einer großen, cineastischen Familie, in den beiden Cinemaxx-Sälen, die bis 2012 noch zur Verfügung standen, nicht aufkam. Mit der Ausnahme des Casablanca und der weit abseits gelegenen, ungemütlichen Alten Flaiva, konzentriert sich das Festival nun ganz auf die Bahnhofstr. mit cineK, Kulturetage und theaterhof. Was zur Folge hat, dass man sich trotz Kinowechsel immer wieder über den Weg läuft und sich auf der Straße Festival-Gäste und Publikum wunderbar vermischen. Was diesmal sicherlich auch daran lag, dass uns das Wetter laue Altweibersommer-Nächte beschwerte.
Vielleicht war das gute Wetter auch daran Schuld, dass die immer schon recht positive Stimmung auf dem Filmfest Oldenburg, einem diesmal gleich noch wärmer erschien. Oder waren es die Gäste? Viele junge Regiedebütanten, die sichtlich stolz und sympathisch ihre Filme präsentierten und im Anschluss charmant und witzig für Fragen und Antworten zur Verfügung standen. Und die man dann auch später wieder sah, wenn sie die Rolle wechselten und von „Stars“ zu normalen Zuschauern des weiteren Programms wurden. Dies ist ein wundervoller Nebeneffekt der „Provinz“. Da Oldenburg (man mag mir da nicht böse sein, aber es ist so) nicht so schrecklich viele Ablenkungsmöglichkeiten bietet wie Berlin, Hamburg oder München, hängen die Gäste eben bis zur letzten Vorstellung auf dem Filmfest herum. So kann man die Gelegenheit nutzen – sofern man in dieser Hinsicht nicht so schrecklich schüchtern ist wie ich – jederzeit mit interessanten Filmemachern ins Gespräch zu kommen.
Dass im Hintergrund kräftig gespart wurde, merkte ich auch daran, dass ich diesmal im Vorfeld kein Programmheft erhalten hatte. Aber wozu gibt es das Internet? Auf der gut strukturieren Seite konnte ich mir vorab schon mal ein provisorisches Programm zusammenstellen. An den Programmheften schien aber generell gespart worden zu sein, denn als ich am Freitag in Oldenburg ankam, waren diese schon überall vergriffen. Gut, dass mir noch eins in der Pressemappe gesteckt worden war. „Normale“ Zuschauer mussten bei später Anreise in die Röhre schauen.
Für den ersten Tag hatte ich mich für einen bunten Mix aus einem französischen, einem tschechischen und einem kanadischen Film entschieden. Erstmals erlebte ich auch, dass es für einen Film keine Pressekarten mehr gab. „Miss Meadows“ war sowohl für die Freitag, als auch für die Samstag-Vorstellung bereits restlos ausverkauft. Was auch keine so große Überraschung ist. Sieht man einmal von der Retrospektive ab, war dies der einzige Film, der mit einem großen Namen protzen konnte. Ex-Ms-Tom-Cruise Katie Holmes spielte die Hauptrolle, und wer sie nicht aus dem Kino kennt, der hat ihren Namen zumindest mal in der Klatschpresse gelesen. Dies dürfte viele „normale“ Zuschauer angezogen haben, die normalerweise nicht ins Kino gehen und sich nur bei Festivals mal vom Fernseher weg wagen. Gerade diesen Film in das sehr kleine cineK zu stecken, fand ich etwas ungeschickt. Hier hätten z.B. in der weitaus größeren Kulturetage sicherlich mehr Karten verkauft werden können.
Fever – Mein Tag (welcher der 3. des Festivals war, doch durch berufliche und familiäre Verpflichtungen konnte ich auch in diesem Jahr nur zwei Tage anwesend sein) begann im cineK, wo der französische Debütfilm „Fever“ gezeigt wurde. Dieser handelt von zwei Schülern, Damien (großartig: Martin Loizillon) und Pierre (Pierre Moure), welche zu Beginn des Filmes einen Mord begangen haben. Ihr Motiv war eine philosophische Frage. Ist es wirklich Mord, wenn das Opfer durch das Zufallsprinzip ausgewählt wurde und keine persönlichen, niederen Beweggründe für den Mord bestehen? Bring der Zufall die absolute Freiheit, weil man so für seinen Tat keine Verantwortung übernimmt? Der Zufall und nicht man selber bestimmt ja, wer getötet wird. Zu diesem Zeitpunkt meint man den Film bereits zu kennen. Natürlich ist die Geschichte von dem Leopold-Loeb-Fall inspiriert, der in den 20er in den USA für Aufsehen sorgte, und sowohl 1948 Alfred Hitchcocks „Rope – Cocktail für eine Leiche“, als auch 2002 „Mord nach Plan“ inspirierte. Tatsächlich bleibt der Film zunächst im Fahrwasser eben dieser Filme. Es werden Abhängigkeiten zwischen den beiden Jungen gezeigt, bei denen zunächst Damien, der dominantere ist und Pierre ihm willfährig zu folgen scheint. Doch auch Damien ist von Pierre abhängig und von der Angst beseelt, dieser könnte ihn verlassen. Regisseur Raphaël Neal lässt immer wieder ein homoerotisches Begehren Damiens mitschwingen, wobei dieses nie ausformuliert wird, was man dem Film anrechnen muss. Ein zu direktes Vorgehen hätte auch ausgesprochen plump in einem Film gewirkt, der sich mit Erklärungen und zu direkten Szenen angenehm zurückhält, und den Zuschauer in die Verpflichtung nimmt, sich selbst seine Gedanken zu machen.
Bald schon zieht Neal noch weitere Ebenen in seine Geschichte ein. Damien entdeckt durch eine beiläufige Bemerkung seines Großvaters, dass dieser während der deutschen Besatzung an der Deportation französischer Juden beteiligt war. Damien und Pierre verbeißen sich in diese Geschichte, die Ähnlichkeit mit ihrer eigenen Tat hat. Bei den Deportationen wurde teilweise ebenfalls das Zufallsprinzip angewandt, was dafür sorgte, dass sich die Verantwortlichen später ihrer Schuld entledigen konnten. Es mussten eben Quoten erfüllt werden. Hier rechnet Neal mit dem Schweigen seiner Landsleute über diese Zeit ab. Wo lediglich die Helden der Résistance gefeiert werden, die kleinen Helfershelfer des Vichy-Regimes aber dadurch freigesprochen werden, dass sie persönlich keine Schuld an den Deportationen traf. Sie folgten ja nur einem höheren Willen. Dieses Desinteresse an den Mördern spiegelt sich auch in der Gestalt der jungen Optikerin Zoe (gespielt von der talentierten Julie-Marie Parmentier) wieder, die früh ahnt, dass die beiden Jungen den Mord begangen haben und dies auch beweisen könnte. Am Ende hält aber auch sie den Mund, weil sie erst einmal ihr eigenes Leben regeln muss und das Opfer auch nicht persönlich kannte. Dadurch, dass Neal weder den Mord, noch das Opfer zeigt, entsteht auch beim Zuschauer eine große Distanz zur Tat. So muss er sich selber hinterfragen, ob ihm diese nicht auch egal ist, wodurch er Damien und Piere auf eine gewisse Weise freispricht.
An einigen Stellen wirkt der Film mit seinen vielen Ideen und Themen überladen. Wenn beispielsweise eine inzestuöse Beziehung zwischen Damien und seiner Mutter angedeutet wird. Auch ist der wiederholte Gebrauch des Liedes „Fever“ wirkt zunächst sehr stimmungsvoll, später in seiner Häufigkeit aber zu dick aufgetragen. Jedoch kann Raphaël Neal auf phantastische Schauspieler zurückgreifen, die den Film jederzeit authentisch und die Gedanken der Figuren lesbar machen. Was wichtig ist in einem Film, der so stark mit Auslassungen arbeitet. Insbesondere Martin Loizillon in der Rolle des Damien ist eine Offenbarung, und man sollte sich seinen Namen gut merken. Er gibt Damien einen zugleich dämonischen, wie verletzten, zärtlichen und unsicheren Charakter, der jederzeit unberechenbar bleibt. Dass Regisseur Raphaël Neal von der Fotografie kommt, merkt man an den genau durchkomponierten, kühlen Bildern, die viel mehr erzählen, als über den Dialog transportiert wird. Ein empfehlenswerter Film, den man aber erst einmal sacken lassen muss.
Der ausgesprochen sympathische Regisseur des Filmes, war zusammen mit seinem grandiosen Hauptdarsteller Martin Loizillon und seinem Produzenten Jean-Philippe Rouxel zu Gast. Dass er seine Deutschkenntnisse entstaubt hatte und seinen Film mit einem charmanten französischen Akzent ankündigte, brachte ihm gleich die Sympathien des Publikums ein. Nach dem Film sprach er eloquent und mit spürbarer Begeisterung von den Dreharbeiten, die quasi „undercover“ in Paris stattfanden, den großen Schwierigkeiten Geld für sein Projekt aufzutreiben, sowie über die literarische Vorlage und seine Intentionen. Dabei wurde klar, wie intensiv sich Neal mit seinem Thema befasst hat und wie viel Engagement und Leidenschaft in diesem Projekt steckt. Ein Mann aus dem Publikum (offensichtlich selber Filmemacher) bescheinigte ihm, dass er mit solch einem Debütfilm ganz gewiss keine Schwierigkeiten hätte, sich für das nächste Projekt eine vernünftige Finanzierung zu sichern. Das hoffe ich auch und drücke Raphaël Neal ganz fest die Daumen.
Hany – Auf den nächsten Film habe ich mich ganz besonders gefreut. So ganz schlau war ich aus der Inhaltsangabe im Programm nicht geworden. Doch da mich tschechische Filme bisher nie gänzlich enttäuscht haben, wollte ich „Hany“ unbedingt sehen. Angekündigt wurde er von Hollywood-Star Deborah Kara Unger, was ja schon einmal etwas Besonderes ist. Scheinbar lag ihr der Film sehr am Herzen. Was die beiden Gäste, Regisseur Michal Samir und sein gerade einmal 20-jähriger Produzent Matej Chlupacek, dann zu sagen hatten, ließ die Spannung in mir dann noch einmal steigen. Der Film würde das Publikum immer spalten, meinte Regisseur Michal Samir. Entweder würden die Zuschauer den Film hassen oder gut finden. Wenn sie ihn gut finden, dann aber auch gleich auf einem „Ich-will-ein-Kind-von Dir“-Level. Außerdem wäre der Film extrem dialog-intensiv und seine Macher würden hoffen, dass das Publikum (die englischen Untertitel) schnell lesen könne. Nach dem Film stände man dann für Fragen wie „Was sollte das eigentlich alles?“ zur Verfügung.
Das Besondere an „Hany“ ist es, dass der Film in einer Einstellung gedreht wurde. Zunächst hört man über ein Radio, dass es in der Stadt Unruhen gäbe und ein gewalttätiger Mob sich Schlachten mit der Polizei liefern würde. Dies ist dann auch gleich die Grundierung der Geschichte, bei der man nie genau weiß, was als nächstes passieren wird, und die dadurch das Publikum in ein gewisse Unsicherheit zwingt. „Hany“ zeigt zunächst einen jungen Theaterautoren, der in einer Bar sein neues Werk vorlesen möchte. Was er allerdings einen „literarischen Abend“ nennt. Nur hört ihm niemand zu, wie er sein höchst prätentiöses und gestelztes Werk über den „Marquis de Sadness“ einem arrogant-pathetischen Ton vorträgt. Vielmehr konzentriert sich die Kamera rasch auf die anderen Gäste der Bar. Auf die Leute, die kommen und die, die gehen. Hier wird ein Drogendeal durchgezogen, dort hemmungslos geflirtet. Manche Figuren sind bereits hoffnungslos betrunken, andere von einer verzweifelten Traurigkeit erfüllt. Immer wieder verweilt die Kamera kurz bei einer Gruppe, schnappt einige Sätze auf, um dann wahllos jemand anderem zu folgen. Es ist, als würde man selber in der Bar sitzen und mal hier und dann mal dort ein Gespräch belauschen, über das man sich dann seine eigenen Gedanken machen kann. Wer sind wohl diese Menschen, woher kommen und wohin werden sie heute Abend noch gehen.
Bald schon verlagert sich das Geschehen auch auf die Straße, wo wir einsamen Passanten folgen, in fremde Fenster schauen oder einer Person in eine Country-Kneipe zu folgen, um dort alkoholschwangere, dumpfe Parolen zu hören. Die ganze Welt ist für 90 Minuten fast ausschließlich auf einen einzigen Straßenabschnitt beschränkt. Man fühlt sich so, als würde man neugierig diese Welt erkunden, um herauszufinden, was da hinter den Fassenden vor sich geht. Hinter den wörtlichen, wie hinter den menschlichen. Man kann es fast mit einem PC-Adventure vergleichen, wo man sich ebenfalls in einer einem unbekannten Welt bewegt. Was Michal Samir und sein Team dabei technisch leisten ist unglaublich. Da fährt die Kamera (Kameramann: Martin Ziaran) aus einer einzigen langen Bewegung heraus plötzlich eine Häuserwand hoch, um im oberen Stockwerk der Person wieder zu begegnen, die unten das Haus betrat. Man kann nur ahnen, welches exakte Timing und welche ausgeklügelte Choreographie von Nöten war, um diesen Film in genau dieser Form, einer ununterbrochenen Kamerafahrt, zu realisieren. Zu erwähnen ist auch noch der hervorragende Soundtrack, der die unterschiedlichen Stimmungen passend untermalt. Besonders, wenn dann am Ende das Chaos losbricht und die Kamera den einsetzenden Adrenalinrausch der Protagonisten mit den passenden Bildern illustriert. In einer Nacht, in der plötzlich alles möglich ist, weil auf einmal alle Regeln außer Kraft gesetzt sind, wissen die jungen Leute nichts mit ihrer Freiheit anzufangen – außer eben das zu tun, was sie sowieso immer machen: Party till you drop.
Nach dem Film standen Michal Samir und Matej Chlupacek wie versprochen Rede und Antwort (nebenbei gab es für mich auch ein Wiedersehen mit jener Ansagerin, die ich in den Vorjahren schon immer lobend erwähnt habe). Den Beiden hatten eine solch lakonisch-witzige Art, dass die Q&A das reinste Vergnügen wurde. Dabei gaben sie viele „Geheimnisse“ vom Dreh preis. Zum Beispiel, dass sie etwas geschummelt hatten, und der Film nicht in einer einzigen, sondern in drei 30-minütigen Einstellungen in drei Nächten abgedreht wurde (wobei die Vorbereitung zwei Jahre in Anspruch nahm). Und dass der Film in Pilsen gedreht wurde, da die Drehgenehmigung in Prag weit über den Budget des gesamten Filmes lag. Das Team hätte nun Drehverbot in Pilsen, da nachts zu sehr die Nachtruhe gestört worden war. Eine Darstellerin war unter dem Druck der exakten Choreographie zusammengebrochen und musste ins Krankenhaus. Für die Durchführung der letzten 30 Minuten am dritten und letzten Drehtag standen nach technischen Problemen plötzlich nur noch 1,5 Stunden zur Verfügung, was bedeutete, dass nur ein einziger Take machbar war – wäre dieser daneben gegangen, gäbe es heute keinen Film. Und schließlich offenbarte Michal Samir, dass die Hauptfigur Jiri die eine Seite von ihm verkörperte und der Dichter Egon die andere. Ich hatte Film und Filmemacher schon in mein Herz geschlossen und eilte voller Glückseligkeit zur nächsten Vorstellung. Dem Oldenburger Publikum erging es scheinbar ähnlich, denn „Hany“ gewann – völlig zurecht – den Publikumspreis.
Schnell wieder rüber zur Kulturetage, die in diesem Jahr ebenfalls zum Kino umfunktioniert worden war. Man merkte zwar deutlich, dass der große Saal eher für Konzerte gedacht ist, aber die Projektion war gut. In der dritten Reihe hatte man zwar einen „Rasiersitz“, aber dafür niemanden vor einem. Was bei der ebenerdigen Sitz-Anordnung nicht ganz unwichtig ist. Nur die Stühle wurden auf die Dauer etwas unbequem.
Bad City – Es gab eine Weltpremiere zu bestaunen: Den kanadischen Film „Bad City“, der zuvor auf allen anderen Festivals abgelehnt worden war. Kein Wunder, ist er doch purer und herzhafter Quatsch ohne jeden Tiefgang. Also genau das, was „anspruchsvolle“ Festivals nicht so gerne sehen – was aber das Programm auch mal hübsch auflockert. Es muss ja nicht immer Anspruch sein und nach zwei Filmen darf es auch gerne mal etwas sein, bei dem man das Hirn auch Durchzug stellen kann. Sehr schön, dass das Filmfest in Oldenburg auch dies wagt und sich damit von den erhabenen, bierernsten Festivals abhebt. Was einen erwartet, kündigte der als Gast erschienene Hauptdarsteller und Drehbuch-Autor Aaron Brooks gleich selber an. Nach dem Film können man ihm sagen „how bad Bad City is“.
Bei einem Film, der als „verlorener Kanukploitation-Klassiker“ (das sollen dann kanadischen Filme aus den 70ern sein, die so tun, als wären sie Blaxploitation-Filme – in denen die Hauptrollen aber von weißen Kanadiern gespielt werden) präsentiert wird, weiß man schnell wohin der Hase läuft. „Bad City“ ist eine überdrehte Parodie auf die billigen Actionfilme des 70er-Jahre-Grindhouse-Kinos. Die Helden heißen Detective Franky New-Guinea und Detective Reverend Grizzly Night-Bear, und bei Einschüssen spritzt das Blut meterhoch. Passend zu den geschmacksunsicheren Klamotten, sitzen die gewaltigen Schnurrbärte mehr schlecht als recht, und es werden mit Genuss Anschlussfehler en masse produziert. Alles im Original-Vintage-70er-Look, wobei der Film nie einen Zweifel daran lässt, dass er im Hier und Jetzt gedreht wurde. Ein abstruser Gag folgt dem nächsten. Manche zünden, andere nicht. Zeitweise fühlt man sich in „Die nackte Kanone“ versetzt. Im Grunde ist „Bad City“ tatsächlich eine Mischung aus eben einer dieser ZAZ-Komödien, der deutschen Produktion „City Kill“ und dem Video zu „Sabotage“ von den Beastie Boys. Alle Schauspieler machen ihre Sache absichtlich schlecht, wobei allerdings der Spaß, den alle Beteiligten offensichtlich bei den Dreharbeiten hatten, schnell auf den Zuschauer überspringt. „Bad City“ ist natürlich totaler Quatsch. Ein auf 90 Minuten gedehnter Witz. Also sollte man auch keine hohe Ansprüche an den Film stellen, obwohl Regisseur Carl Bessai eigentlich aus dem Arthouse-Bereich kommt und in Kanada bereits einige Preise gewonnen hat.
Vieles wirkt etwas gezwungen und dann fehlt die Lockerheit, aber man kann auch einfach ein Auge zudrücken und unter Niveau mitlachen. Immerhin ergeht sich der Film mitnichten in platten Furz- und Fäkalhumor, in den sich weniger talentierte Filmemacher so gerne flüchten. So freut man sich über die manchmal durchaus cleveren Späße. Nach dem Film hat man sie eh fast alle wieder vergessen. Gerade im Kontext eines eher anspruchsvollen Festivalprogramms tut dem Hirn eine kleine Pause ja auch mal gut. Und wem anspruchslose Unterhaltung nicht genug ist, der kann sich immer noch an der wirklich komischen Verführungsszene zwischen Detective Franky New-Guinea und der von Amanda Crew gespielten, ausgesprochen heißen Izzy Fontaine ergötzen.
Nach dem Film stand Aaron Brooks wie versprochen für Fragen zur Verfügung und versuchte auch gar nicht, irgendeine tiefere Bedeutung in seinen Film hineinzuinterpretieren. „Bad City“ sei eben eine Übung darin, ein wirklich schlechtes Drehbuch zu schreiben. Was wohl gar nicht so einfach ist, wie es klingt – denn angeblich brauchte Brooks dafür 15 Versuche. Der Film sei purer Eskapismus und auch als solcher gedacht. Der nächste Film, den er schreibe, dürfte dann aber gerne wieder etwas Tiefgang haben. Zum Abschluss bat der freundliche Alan Brooks das Publikum noch, bitte einmal aufzustehen, und so zu tun, als ob es „Standing Ovations“ geben würde. Dies würde er gerne fotografieren und an sein Team schicken. Gesagt, getan. Wer könnte dem smarten Herrn Brooks auch etwas abschlagen? Anschließend forderte er das Publikum noch auf, jetzt mit ihm etwas Trinken zu gehen. Einer Aufforderung, der ich gerne nachgekommen wäre – wäre es nicht so spät gewesen, und hätte ich nicht noch nach Bremen zurückfahren müssen. Alles in allem, ein rundum gelungener Tag.