VoD-Rezension: „Die Muse“

MUSE_Plakat

Der Schriftsteller Fischer (Thomas Limpinsel) entführt die junge Katja (Henriette Müller) und sperrt sie in eine Gefängniszelle, die er im Keller seines Hauses installiert hat. Katja soll ihm als Inspiration für sein neues Buch dienen, von dem er der seinen endgültigen Durchbruch und unsterblichen Ruhm als bedeutender Autor erwartet. Obwohl Fischer immer wieder ruhig betont, dass er Katja nichts antun wolle, agiert er zusehends unberechenbarer…

vlcsnap-2014-07-19-22h52m52s233vlcsnap-2014-07-19-22h53m37s149

Die Österreicher und ihre Keller. Schaurige Geschichten, die einen sofort an den Fall Kampusch oder Fritzl denken lassen. „Die Muse“ wurde zwar in München gedreht und die Darsteller kommen aus Deutschland, aber der Regisseur und Drehbuchautor Christian Genzel lebt in Salzburg, wo er studiert hat und mit einer Arbeit über die Filme von John Carpenter abschloss. Die schreckliche Drastik dieser realen Geschichten erreicht sein Langfilmdebüt von 2011, „Die Muse“, zwar nicht – einen soliden Psychothriller hat er trotzdem geschaffen. Genzel inszeniert nicht nur Filme, sondern schreibt auch drüber. So ist er als freier Autor u.a. für die Salzburger Nachrichten, Mann beißt Film und seinen eigenen Blog „Wilsons Dachboden“, auf dem er auch häufig wunderbar obskure Filme, die in den 80ern in den unteren Videothekenregalen standen, bespricht. Das macht ihn sympathisch und es überrascht auch gleichzeitig, denn sein Thriller „Die Muse“ macht keinerlei Anstalten, diesen Werken in irgendeiner Weise Hommage zu zollen. Im Gegenteil. „Die Muse“ verzichtet fast gänzlich auf alle exploitiven Elemente und ist für sein Thema auch überaus züchtig. Zu keinem Zeitpunkt kommt es zu sexuellen Spannungen zwischen den beiden Protagonisten. Zwar wird kurz angedeutet, dass sich der Entführer auch mehr mit vorstellen könnte, doch dies wird weder verbalisiert, noch in die Handlung eingefügt.

vlcsnap-2014-07-19-22h54m16s34vlcsnap-2014-07-19-22h54m37s26

„Die Muse“ beginnt mit einer Montage, in welcher der Antagonist Fischer die Entführung der Katja vorbereitet. Dann ist man schon mitten drin in der Handlung. Es wäre interessant zu erfahren, ob der Film chronologisch gedreht wurde. Bis auf die Szenen mit dem Dealer, der Fischer bedroht, bietet sich dies ja bei nur einem Schauplatz und zwei Darstellern an. Möglich ist es, denn der Film beginnt zunächst etwas rumpelig. Hier und dort werden unnötige Detailaufnahmen zwischen geschnitten, die den Fluss etwas hemmen. Die Dialoge klingen noch etwas hölzern und Hauptdarstellerin Henriette Müller deklamiert mehr, als dass sie spricht. Was aber auch an den etwas unglücklichen Sätzen liegen kann, die sie aufzusagen hat. Für den Entführer Fischer passen diese Worte mit ihrem pseudo-philosophischen Einschlag wie die Faust aufs Auge. Katjas Entgegnungen besitzen aber den selben Ton, was zu einer gerade frische Entführten, die keine Ahnung hat, was ihr Peiniger mit ihr vorhat, und die scheinbar auch aus einfachen Verhältnissen kommen soll, leider gar nicht passt. Gewöhnungsbedürftig ist auch einmal wieder der brillante HD-Look, der zwar glasklare Bilder liefert, aber eben keinerlei Tiefenschärfe und dadurch eben kein „Film-Feeling“ aufkommen lassen will. Dies ist aber ein Problem, welches so gut wie alle Low-Budget-Produktionen plagt.

vlcsnap-2014-07-19-22h55m45s187vlcsnap-2014-07-19-22h57m21s110

Bleibt man aber daran, wird man schnell belohnt. Genzel gelingt es, den Zuschauer langsam, aber sicher, in seinen Film hineinzuziehen. Die allzu betonte Aussprache seiner Hauptdarstellerin irritiert zwar weiterhin, aber man muss Henriette Müller eine starke physische Präsenz bescheinigen. So ist sie immer dann am Besten, wenn sie nicht sprechen, sondern einfach nur präsent sein muss. Dann sind es die kleinen Blicke, die Verbissenheit, mit der sie ihre kleinen Übungen durchzieht, und vor allem das Finale, in dem sie dann wirklich gefordert wird und zeigen kann, was in ihr steckt. Irgendwann fängt man an, sich wirklich für sie und ihr Schicksal zu interessieren. Dies ist dann der Moment, in dem es Genzel gelungen ist, den Zuschauer trotz einiger kleiner Schwächen an seinen Film zu fesseln. Das größte Pfund, mit dem „Die Muse“ wuchern kann, ist aber der Antagonist Fischer, der von einem brillanten Thomas Limpinsel verkörpert wird. Limpinsel hat ein beeindruckend sanfte, aber trotzdem kräftige Stimme, die er versteht eindrucksvoll einzusetzen. Sie hat auch einen hohen Wiedererkennungswert und ich frage mich, ob ich sie nicht schon bei Synchronarbeiten oder Hörspielen vernommen habe. Man nimmt ihm jederzeit den Psychopathen ab, der sich selber gar nicht als Bösewicht sieht, sondern vielmehr als Helden der Geschichte, und der scheinbar vernünftig und ruhig argumentiert, weshalb das, war er tut, eigentlich gar kein Unrecht ist.

vlcsnap-2014-07-19-22h57m46s116vlcsnap-2014-07-19-22h58m19s197

Der Essener Limpinsel mag kein berühmter Name sein, er ist allerdings seit Ende der 90er in zahlreichen TV-Serien und Filmen aktiv, wo er oftmals Nebenrollen übernahm. Auch in großen Kinoproduktionen wie „Der Untergang“ war er dabei, doch sein Hauptspielfeld scheint das Theater zu sein. Seine große Erfahrung merkt man hier jederzeit. Sein Fischer ist sympathisch, scheinbar rational und unheimlich zugleich. Unberechenbar und doch von einer tiefen Traurigkeit. Ein Feigling und Versager, ebenso wie ein durchtriebener, cleverer Täter. Sehr gelungen ist die Art und Weise, wie langsam das Bild dieses Mannes zusammengesetzt wird, kleine Hinweise hier und dort seine Lügen entlarven, und das Psychogramm eines getriebenen Verlierers der Leistungsgesellschaft offenlegen. Jemand, der ebenso „unwichtig“ und „vergessen“ ist, wie sein Opfer, und verzweifelt versucht seinem elenden Leben etwas Bedeutung zu geben, und sich über das eigene Mittelmaß zu erheben. Weil eben die Medien das Bild vermitteln, dass jeder erfolgreich ist. Selbst die sozial zurückgebliebenen. DSDS lässt grüßen. Der Weg zu Erfolg und Anerkennung ist natürlich sein „Werk“. Eine fixe Idee, mit dem er sein „Recht“ auf Ruhm, Geld und Unsterblichkeit einfordert.

vlcsnap-2014-07-19-22h58m34s61vlcsnap-2014-07-19-22h59m19s18

Fischer ist ein solch interessanter und lebensnaher Charakter, dass man einfach mehr von ihm sehen möchte und ihm fast schon die Daumen drückt, dass sein irrsinniger Plan gelingt. Und je mehr Fischer in seinen Bann zieht, umso sicherer, scheinen sich auch Regie und Kameraführung zu fühlen. War der Beginn noch recht statisch und von typischer Filmschuloptik geprägt, wird im Verlaufe des Filmes mehr gewagt. Es werden die ungewöhnlichen Einstellungen und Auflösungen gesucht. Auch die anfangs monierten Zwischenschnitten von Detailaufnahmen entfallen völlig. Der Film beginnt zu gleiten und eh man sich versieht, biegt er schon in die Zielgrade ein. Natürlich gäbe es noch Kleinigkeiten zu bekritteln. So sind einige Entwicklungen – wie die scheiternden Fluchtversuche Katjas – leicht vorhersehbar, und aus der Figur der Dealers hätte mehr gemacht werden können. Ebenso fehlt eine gewisse Garstigkeit und Schmutz. Solche Elemente werden zwar eingeführt – z.B. in den Szenen, in den Katja, wie einst Popeye Doyle in „French Connection II“, heroinabhängig gemacht wird– aber bei diesen Szenen hat man das Gefühl, es wird mit angezogener Handbremse gearbeitet, um nur niemanden zu sehr auf den Schlips zu treten. Auch das überraschend zur Sache gehende Finale, hätte trotz aller Gemeinheiten ruhig noch eine Schippe drauf vertragen können. Doch da man ganz nah an den Figuren ist und sich für sie und ihr Leben interessiert, funktioniert der Film.

vlcsnap-2014-07-19-22h55m30s31vlcsnap-2014-07-19-23h00m49s122

Trotz einiger verzeihlicher Schwächen gelingt Christian Genzel mit „Die Muse“ ein empfehlenswertes Filmdebüt, welches sich vor allem durch eine gute Figurenzeichnung und die großartigen schauspielerische Leistung Thomas Limpinsels auszeichnet.

vlcsnap-2014-07-19-23h01m22s209vlcsnap-2014-07-19-22h59m02s126

„Die Muse“ ist bei vimeo als Video on Demand erschienen und kann unter www.vimeo.com/ondemand/diemuse für € 2,99 angesehen oder für € 4,99 runter geladen werden. Die Bildqualität ist dabei – wie man auch an den Screenshots sehen kann – ausgesprochen gut. Extras gibt es bei dieser Veröffentlichungsform natürlich nicht. Wer möchte kann sich aber unter http://www.ghostlightproductions.de/muse/ einige Clips ansehen, z.B. mit einem Q&A nach der Premiere und ähnliches mehr. Ich bin sehr gespannt, ob diese Art des Vertriebes – der sich für junge, unabhängige Filmemacher ja anbietet – Erfolg hat. Ich drücke auf jeden Fall die Daumen und möchte jedem ans Herz legen, die paar Euro in „Die Muse“ zu investieren, und ein vielversprechendes, neues Talent damit zu unterstützen.

Dieser Beitrag wurde unter DVD, Film, Filmtagebuch abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

1 Antwort zu VoD-Rezension: „Die Muse“

  1. Pingback: Filmbuch-Rezension: „Der Schulmädchen-Report: Von Aufklärung und anderen Räuberpistolen“ | Filmforum Bremen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.