Die Brüder Roemello (Wesley Snipes) und Raynathan Skuggs (Michael Wright) arbeiten für den italienischen Mafiosi Gus Molino (Abe Vigoda) zusammen, und haben es als Drogenhändler in ihrem Viertel Sugar Hill zu Geld, Macht und Ansehen gebracht. Doch Roemello möchte aussteigen und mit der attraktiven Melissa (Theresa Randle) ein neues Leben beginnen. Sein Bruder will ihn allerdings nicht gehen lassen und ihr Konkurrenten Lolly (Ernie Hudson) versucht mit Gewalt und Tücke ihr Gebiet an sich zu reißen. Roemello versucht vor seinem Verschwinden noch all seine Angelegenheiten zu regeln. Dabei gerät er aber nur noch tiefer hinein in den Sumpf…
Das Cover des Filmes „Sugar Hill“ zeigt einen jungen Wesley Snipes, leicht von unten gezeichnet mit einem skeptisch-arroganten Blick, der sagt: „Mach mich dumm an und wirst es bereuen“. Irgendwie erinnert es an dePalmas „Scarface“ und tatsächlich wird auch hier der Lebensweg eines Gangsters nachgezeichnet. Doch Regisseur Leon Ichaso beginnt nicht ganz unten und zeichnet den in Amerika ungemein populären Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär nach. Nein, Roemello Skuggs ist schon oben angekommen. Nicht ganz oben, denn letztendlich arbeitet er für einen Unterboss der Mafia, aber er hat die Kontrolle über sein Viertel. Und er weiß auch, dass es für ihn, dem schwarzen Kind aus Sugar Hill, ohne sehr viel Blutvergießen auch nicht mehr höher geht. Roemello ist sehr klug, taktisch gewieft und er weiß, dass er ein Leben führt, welches im Grunde nicht zu ihm passt. Er hätte ein Stipendium bekommen können, entschied sich aber dafür, seinen Vater – der es vielleicht gar nicht verdient hat – zu rächen. Nun befindet sich Roemello an einem Punkt, an dem es nur zwei Wege gibt. Raus oder für immer drin bleiben.
Roemello will raus. Dass als Antrieb dazu eine Frau herhalten muss, ist klischeehaft, aber es wird immer wieder angedeutet, dass Romellos Entscheidung schon viel eher gefallen war und er nur noch nach einem Anlass suchte, um Ernst zu machen. Dies sind die Stärken des Filmes: Ein ausgezeichnetes Drehbuch, das glaubwürdige und interessante Figuren schafft, und exzellente Schauspieler, die diese mit Leben füllen. Romelloes Bruder Raynathan wird von dem schlaksigen, rattengesichtigen Michael Wright gespielt. Raynathan weiß, dass ihm sein Bruder intellektuell weit überlegen ist, und er weiß auch, dass er selber nie aus dem Milieu hinaus könnte. Er kennt nichts anderes und in der Welt draußen wäre er ein Alien. Die Schuld an allem gibt er seinem Vater, der nichts gegen den Drogentod der Mutter unternahm und selber süchtig ist. Der durch einen misslungen Betrugsversuch am Mafiaboss unfreiwillig dafür sorgte, dass den Kindern nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater genommen wurde. Die kriminelle Gemeinschaft war dann die Einzige, die Kinder daraufhin aufnahmen. Dies spart der Film interessanterweise aus. In schwarzweißen Rückblenden erlebt man die Kindheit der beiden Brüder bis zu dem Zeitpunkt, als ihr Vater auf dem Dach ihres Wohnhauses brutal zum Krüppel geschossen wird. Wie sie dann an die Mafia gerieten und ihren Weg durch deren Hierarchie antraten, bleibt eine Leerstelle, die aber für den Film nicht weiter wichtig ist. Was zählt ist, dass die beide Brüder nun oben stehen und es nur für einen von Beiden die Möglichkeit gibt, diesem Leben den Rücken zu kehren.
Der Vater, A.R., wird von Clarence Williams III in einer oscarreifen Darstellung verkörpert. Die Vaterfigur ist das emotionale Zentrum des Filmes. Ein Mann, der lieben will und an seiner eigenen Unfähigkeit, ein guter Vater zu sein, zerbricht. Er ist ein Spiegel seines Sohnes Raynathan, welcher ihn leidenschaftlich hasst. Doch in seinem Inneren spürt Raynathan ein riesengroßer Schmerz. Er sehnt sich danach, eine Familie zu haben, in der er sich geborgen fühlt. Er möchte einen Vater haben und vermisst seine Mutter. Und A.R. verkörpert für ihn die Person, die ihm beides nahm. So kann er nicht über seinen Schatten springen und die Hand zur Versöhnung reichen. Ebenso wenig kann A.R. sich selber verzeihen. Er bekommt seine Sucht nicht unter Kontrolle und weiß, dass er es war, der seine Familie zerstört und seine Söhne zu Kriminellen gemacht hat. Dabei wollte der ehemalige Musiker doch eigentlich nur das Beste für seine Familie. In der Szene, in der Raynathan seinem Vater eine Überdosis verschafft und ihm dann beim Sterben zusieht, ist enorm intensiv und von Wright und Williams an der Grenze des Erträglichen gespielt.
In den Nebenrollen sind bekannte Gesichter zu sehen. Abe Vigoda spielt wie so oft einen Mafia-Gangster. Hier jedoch mit so viel Melancholie und Schmerz im Blick, dass dies seinen Gus Molino von den Klischee-Killern, die er sonst verkörpert, deutlich abhebt. Weitaus ungewöhnlicher ist da schon die Besetzung des lustigen „Ghostbusters“ Ernie Hudson als ehemaliger Boxer und Roemellos Konkurrent Lolly. Und er macht seine Sache sehr gut, strahlt hinter seinem Haifischgrinsen große Gefährlichkeit und Arroganz aus. Ein Mann, den man liebt zu hassen. Warhol-Muse, Rolling-Stones-Plattencover-Model und Italo-Genre-Star Joe Dallessandro schaut auch kurz vorbei, hat aber keine große Rolle und ist vor allem mit seinem blonden Fassonschnitt kaum zu erkennen. Theresa Randle ist die Geliebte Roemellos, für die er Sugar Hill verlassen möchte. Eine schnippische, selbstbewusste Frau, die weiß was sie will und vor allem nicht will. Eine Frau, die sich in Roemellos Männerwelt durchaus behaupten kann. Umso unverständlicher eine im Grunde überflüssige Szene, in der sie sich nach einem heißen Flirt von einem Sadisten erniedrigen lässt. Obwohl sie diesem dann wortwörtlich zeigt, wo der Hammer hängt, wird diese Szene ihrem starken Charakter nicht unbedingt gerecht. Wer aufmerksam zuschaut kann auch einen sehr jungen Donald Faison, aus der Erfolgsserie „Scrubs“ in einer sehr frühen Rolle erblicken.
Wer bei „Sugar Hill“ auf dynamische Action-Szenen wartet, wird enttäuscht werden. Der Film rollt gemächlich vor sich hin. Selbst die wenigen Ausbrüche von Gewalt sind unspektakulär und realistisch gefilmt. Alles befindet sich in einem melancholischen Fluss, bei dem man spürt, dass eigentlich niemand wirklich daran glaubt, dass es aus Sugar Hill einen Ausweg gibt. Unterstützt wird dies durch einen wehmütigen Jazz-Score, der durch ein für die frühen 90er typischen, sehnsüchtigen Saxophon getragen wird. Auch Roemello macht trotz seiner zur Schau gestellten Zuversicht, nie wirklich den Eindruck, er würde an ein neues Leben jenseits der Kriminalität und der Gewalt glauben. Umso merkwürdiger ist hier das angeklatscht wirkende Ende, welches sich zwar ein Schlupfloch lässt, um den Film nicht vollends zu verraten, aber trotzdem nicht zu der konsequent finsteren Geschichte passen mag. Ein weiterer Schwachpunkt ist die Gestaltung des Filmes, der zwar (fast schon zu) schöne Bilder findet, aber nie den Eindruck eines großen Kinofilms hinterlässt, sondern eher den einer ambitionierte TV-Episode. Zwar passt das kleine Format zu der kleinen Geschichte, man hätte sich aber trotzdem eine ausdrucksvollere, dunklerer Inszenierung gewünscht.
„Sugar Hill“ lebt vor allem von seinem exzellenten Drehbuch und den glaubwürdige Figuren, die von ausgezeichneten Schauspielern zum Leben erweckt werden. Den gemächlich Gangsterfilm durchzieht eine greifbare Melancholie. Kleinere Abstriche muss man bei der Gestaltung des Filmes machen, die ihn eher wie einen TV-Film wirken lässt, und beim ambivalenten Ende, welches wie nachträglich angeklatscht wirkt.
„Sugar Hill“ ist die erste Veröffentlichung der neuen „Cine Selection“-Reihe des sympathischen Labels filmArt, welches den Filmfreunden schon so manche fast vergessene Perle zugänglich gemacht hat. Und diese ist wieder recht gelungen. Zwar muss man auf Extras – bis auf einen Trailer – leider vollständig verzichten, dafür wird man aber mit einem sehr informativen und umfangreichen Booklet von Oliver Nöding entschädigt. Das Bild der DVD ist gut und der Ton liegt auf Deutsch und Englisch vor. Deutsche Untertitel sind auch dabei.