Nachdem sie mit dem Flugzeug in Paris angekommen ist, wird Tochter des reichen Dupont (Pamela Franklin) wird von einer vierköpfigen Gangster-Bande entführt. Diese besteht aus Bud (Marlon Brando), Wally (Jess Hahn), dessen Schwester – und scheinbar Buds Geliebter – Vi (Rita Moreno) und dem älteren Leer (Richard Boone). Gewissenhaft wird die Übergabe des Lösegelds und die anschließende Flucht vorbereitet, aber Spannungen innerhalb der Bande drohen das Unternehmen scheitern zu lassen…
Als „Die Nacht des folgenden Tages“ 1968 in Kinos kam, wurde er von der Kritik in der Luft zerrissen. Man störte sich an der scheinbar platten Handlung und vor allem an Marlon Brando, der zu dieser Zeit einige veritable Flops hingelegt hatte und nun in einem Film auftrat, der seiner scheinbar unwürdig war. In einigen Gegenden der USA wurde der Film dann gleich im Doppelprogramm mit dem großartigen Lino Ventura/Alain Delon-Vehikel „Die Abenteuer“ gezeigt. Es half auch nicht viel, dass Brando selber den Film nicht mochte und torpedierte, wo er nur konnte. So soll er mit dem Ende nicht einverstanden gewesen sein und beim Dreh ständig Grimassen geschnitten haben. Regisseur Hubert Cornfield berichtet, Brando habe versucht dessen Frau zu verführen und Cornfield über sein Vorhaben stetig unterrichtet. Am Ende sorgte Brando dann dafür, dass Cornfield rausgeworfen wurde und Co-Star Richard Boone die fehlenden Szenen abdrehte. Alles in allem, stand der Film also unter keinem guten Stern.
Sieht man heute mit einem Abstand von 46 Jahren zurück, kann man einerseits versehen, was die Kritiker damals dazu veranlasste, dem Film jeglichen Wert abzusprechen, andererseits entdeckt man auch einen sträflich vernachlässigten Film, der nun dank filmArt endlich wieder ins Scheinwerferlicht gezerrt wird. Richard Thompson schreibe 1969 in der New York Times „This is a dull, stilted and pointless little kidnapping melodrama.“¹ Roger Ebert geht in seiner zeitgenössischen Kritik so gut wir gar nicht auf den Film selber, sondern lediglich auf Marlon Brando ein und fragt :“Should Brando really be wasting his time on this sort of movie?“². Tatsächlich könnte der Film für die amerikanischen Zuschauer, die 1968 einen spannenden Kidnapping-Thriller mit dem Superstar Marlon Brando erwartet haben, eine dicke Enttäuschung gewesen sein. Ja, Marlon Brando ist die Hauptfigur in diesem Film, aber er ist bei weitem nicht die interessanteste. Zudem ergeht er sich in Manierismen, die nicht cool, sondern penetrant wirken. Man merkt leider, dass er nicht voll bei der Sache war (abgesehen von der Szene, in der er mit Vi spricht, die gerade in der Badewanne liegt und sich voll Drogen gepumpt hat. Hier soll er beim Dreh sehr voll – nämlich sternhagelvoll – dabei gewesen sein). Diese Chance lässt sich ein alter Fuchs wie Richard Boone natürlich nicht entgehen, der den eher statischen Brando locker an die Wand spielt.
Richard Boone kam vom Theater und hat, ebenso wie Brando, in den Actor’s Studios sein Handwerk gelernt. In den 50er spielte er erfolgreich eine der Hauptrollen in „Have Gun – Will Travel“ und die Titelrolle als Polizeiarzt in der Serie „Medic“. Im Kino hingegen wurde der lange Schauspieler mit dem Charakterkopf sehr häufig als Schurken eingesetzt. Sein an einen Bassset erinnerndes Gesicht mit der gewaltigen Knollennase hat schon immer etwas leicht versoffenes gehabt, was sich im Alter dann noch verstärkte. Doch seine Augen waren immer klar und wachsam, sein Blick wie Eis. Diese Qualität kommt ihm hier besonders zugute. Selbst wenn seine Figur Leer zunächst freundlich und vernünftig erscheinen möchte, so dringt in seinem Blick schon etwas skrupelloses, gewalttätiges durch. Wenn Leer dann seine Maske fallen lässt und sich als gefährlicher Sadist entpuppt, bleibt er trotzdem freundlich und gelassen, doch sein haifischartiges Lächeln und der stahlharte Blick verraten ihn bereits. Besonders, wenn er sich von einem geschundenen Opfer, welches er offensichtlich misshandelt, missbraucht und in den Rücken geschossen hat (diese Szene, die wenig Zweifel daran zulässt, was sich zugetragen hat, überrascht in ihrer Offenheit) fröhlich mit einem „Danke, für die schöne Zeit“ verabschiedet, läuft es einem kalt den Rücken runter.
Nicht nur durch seinen Schauplatz an der Nordküste Frankreichs, besitzt der Film einen ausgesprochen europäischen, genauer noch französischen, Stil. Es wird viel Wert auf Dialog und noch mehr auf Blicke und Gesten gelegt. Die raue Küstenregion lässt die amerikanische Gangster-Bande einerseits fehl am Platz erscheinen, andererseits spiegelt sie genau den Seelenzustand der Protagonisten wieder. Über diese erfährt man nichts. Die einzigen Informationen, welche man bekommt, sind die, dass Vi Wallys Schwester und scheinbar Buds Geliebte ist. Alle anderen Dingen kann man sich zusammenreimen, aber sie tun für den Film nichts zur Sache. Für die Figuren scheint keine Vergangenheit und auch keine Zukunft zu geben. Sie existieren nur im Hier und Jetzt, was durch das ambivalente Ende noch einmal unterstrichen wird. Dieses Ende irritierte und verärgerte die Zuschauer damals sicherlich. Auch heute kann man über die finale Wendung – sofern sie denn auch wirklich stattfindet – geteilter Meinung sein, und sie als etwas zu verspieltes Mittel zum Zweck abtun. Tatsächlich ist es mehrdeutig und lässt den Film, je nach Interpretation, in unterschiedlichem Licht erscheinen. Eine sehr profunde Deutung kann man im ausgesprochen lesenswerten Booklet von Dr. Marcus Stigglegger nachlesen. Man muss mit seiner Auslegung nicht übereinstimmen, sie lädt aber zum Nachdenken ein.
Der Film hat einen sehr eigenen Stil. Oftmals wirkt er fast wie ein Theaterstück. Die Aktionen der Kidnapper sind betont ruhig, fast schon wie in Zeitlupe. Actionsequenzen findet man keine und über allem liegt der Hauch von etwas Künstlichem. Alles ist umhüllt von einer unterkühlten Aura, und da denen Figuren keine Vergangenheit zugestanden wird, gibt es auch kein Innenleben. Man kann aufgrund ihrer Handlungen zwar ihre Gefühle interpretieren, doch können diese auch als Schutz dienen, um das wahre Gefühlsleben zu verschleiern. Liebt Bud seine Vi? Wie ist überhaupt ihr Verhältnis zueinander? Verliebt er sich in das Entführungsopfer? Hat er Angst vor Leech? Oder fühlt er sich ihm überlegen? Oder ist im am Ende sowieso alles egal? Kann uns als Zuschauer das Schicksal der uns völlig fremden Gangster nicht auch egal sein? Cornfield lässt den Film auf einen großartigen Showdown hinauslaufen, der von Kameramann Willy Kurant unvergesslich in der dunklen Nacht an einem weiten Strand fotografiert wurde. Erst hier schlägt man sich emotional auf Brandos Seite. Aber auch nur, weil diesem nun ein klassisches Rachemotiv zugestanden wird und Leech als wirklich böser Mensch entlarvt wurde. Davor tritt die Figur des Bud nur deshalb als Angebot einer Identifikationsfigur in den Vordergrund, weil sie eben von Brando gespielt wird und da sonst keine andere da ist, der sich dafür eignen würde.
Neben der hervorragenden Kameraarbeit von Willy Kurant, der einen steifen Küstenwind durch die Bilder wehen lässt und bei dessen Bildern von der Küste, man das Salz in der Luft fast schmecken kann, ist vor allem der brillante Score von Stanley Myers hervorzuheben. Dieser besteht aus europäisch klingendem Jazz und erinnert etwas an Komedas Arbeiten. Vielleicht musste ich bei „Der Abend des folgenden Tages“ auch deshalb immer wieder an Polanskis „Wenn Katelbach kommt…“ denken. Ein anderer Film, der in einer raue, unwirkliche Gegend mitten im Wattenmeer spielt. Interessanterweise scheint der Score für Myers nicht ganz typisch zu sein. Sein bekanntestes Stück ist „Cavatina“ von 1970, welches im Film „Die durch die Hölle gehen“ als Hauptthema Verwendung fand. Ansonsten komponierte er auch die Filmmusiken für den britischen Genre-Regisseur Pete Walker, wie z.B. „Frightmare“ und Nicolas Roegs Film „Hexen hexen“. Sein Jazz-Score hier passt perfekt zu dem Film und lässt die Hauptfiguren cool und professionell erscheinen.
„Am Abend des folgenden Tages“ ist vielleicht nicht der große, vergessene Klassiker, aber eine hochinteressante Ausgrabung, welche mit dem zeitlichen Abstand von fast einem halben Jahrhundert heutzutage sicherlich mehr fasziniert als beim ihrer Premiere. Weitaus mehr im damaligen europäischen Kino beheimatet, als in Hollywood, konzentriert sich der Film auf Dialoge, Blicke und Gesten, statt auf eine spannende, actionreiche Handlung. Marlon Brandos etwas lustloses und übertriebenes Spiel wird durch einen glänzenden Richard Boone ausgeglichen, der eiskalte Gefährlichkeit ausstrahlt.
„Am Abend des folgenden Tages“ ist der zweite Film in der neuen filmArt-Reihe Cine Selection. Das Bild ist für das Alter entsprechend okay. Es liegt der Originalton und die deutsche Synchronisation vor. Zudem sind deutsche Untertitel vorhanden. Auf der Bonus-Seite gibt es bis auf einen Trailer leider nichts zu vermelden. Dafür liegt ein hervorragendes Booklet von Dr. Marcus Stiglegger bei, welches man unbedingt nach dem Film lesen sollte, da hier auf interessante Weise vor allem die finale „Pointe“ diskutiert wird.
1) http://www.rogerebert.com/
2) http://www.nytimes.com/