Rezension: „The Canyons“

the_canyons-dvdDie ehemalige Schauspielerin Tara (Lindsay Lohan) lebt mit dem Filmproduzent Christian (James Deen) zusammen. Beide bezieht ihren Kick daraus, dass Christian regelmäßig fremde Personen zum gemeinsamen Sex einlädt. Seit einiger Zeit hat Tara auch ein Verhältnis mit dem Schauspieler Ryan (Nolan Funk), der in Christians neustem Filmprojekt die Hauptrolle spielen soll. Als Christian, der immer und überall die Kontrolle behalten will, davon erfährt, gerät die Situation außer Kontrolle.

Es klingt wie ein großes Versprechen. Ein Film bei dem Paul Schrader Regie führt und Brett Easton Ellis das Drehbuch beisteuert. Kein Wunder also, dass sich genug Leute auf der Crowdfounding-Plattform kickstarter.com fanden, um dies möglich zu machen. Der erste Trailer, ganz im Stile eines alten, verschlissenen 35mm Trailers aus dem 70ern gehalten, sah dann schon ganz vielversprechend aus. Dann kamen die ersten desaströsen Kritiken und der Film wurde als „zu schlecht“ beim Sundance Festival abgelehnt. Linday Lohan wurde für die Goldene Himbeere als schlechteste Darstellerin nominiert und einen Kinostart bekam der Streifen auch nicht, sondern wurde hauptsächlich auf Download- und Streaming-Portalen verwertet. Was ist also dran an „The Canyons„? Triumphiert Schrader mit „The Canyons, weil „er ständig dazu bereit ist, zu scheitern“, wie Michael Kienzl auf critic.de schreibt? Oder steht „The Canyons“ in der „Filmografie aller Beteiligten (…) als Ausreißer nach unten (da), für den sie sich in ein paar Jahren schämen werden.“, wie Sebastian Moitzheim auf kino-zeit.de meint? Irgendwie beides und doch dazwischen. „The Canyons“ ist kein guter Film, obwohl er alle Zutaten dafür hätte, die einem schon beim Durchlesen das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Aber irgendetwas ist beim Rezept durcheinander geraten, und die Suppe schmeckt zwar interessant, aber gleichzeitig auch enttäuschend.

the_canyons-3Paul Schrader ist nicht nur der Drehbuchautor von Martin Scorseses New-Hollywood-Monumenten „Taxi Driver“ und „Wie ein wilder Stier„, sondern hat auch dessen unterschätzten „Letzte Versuchung Christie“ und vor allem „Bringing Out the Dead“ verfasst und mit Filmen wie „Blue Collar„, „Ein Mann für gewisse Stunden“ und „Katzenmenschen“ selber Geschichte geschrieben. Nach seinem besten Film „Light Sleeper“ 1992 war es allerdings still um ihn geworden. Mit keinem seiner späteren Filme konnte er an den Erfolg seiner Anfangstage anknüpfen. Erst recht nicht mit dem verunglückten „Exorzist“-Prequel „Dominion„, welches ihm in der Post-Produktion aus den Händen gerissen und von Renny Harlin noch einmal komplett neu gedreht wurde. So vergingen dann auch zwischen seinem letzten Film „Adam Resurrected“ und „The Canyons“ ganze 5 Jahre. Brett Easton Ellis geht es ähnlich. An den großen Erfolg seiner ersten drei Romane („Unter Null“, „Einfach unwiderstehlich“ und „American Psycho“), die ihn zu einem DER Chronisten des Amerikas der 80er Jahre machten, konnte er mit ambitionierten Werken wie „Glamorama“ und „Lunar Park“ nicht mehr anknüpfen. Trotzdem sind beide Künstler noch wichtige Stimmen und Spezialisten für den Blick auf eine verrotteten Gesellschaft hinter der glamourösen Oberfläche. Eine Zusammenarbeit der Beiden erscheint also nicht nur spannend, sondern auch logisch.

the_canyons-9Ferner weckt die unorthodoxe Besetzung die Neugierde. Lindsay Lohan kennt man eigentlich nur noch aus den Schlagzeilen der Boulevardpresse und ihr Exzesse sind ja bereits legendär. Warum sie nicht einmal in ihrem eigentlich Job neben dem des skandalösen Partygirls fordern? Vielleicht verschmilzt ja bei ihr öffentliche Person und Figur ebenso kongenial wie z.B. bei Mickey Rourke in „The Wrestler„. Und dann noch einen Pornostar in der männlichen Hauptrolle zu casten, der in Titeln wie „Deep Anal Drilling 5“ sein Geld verdient und es auf über 1000 Pornos bringt? Warum nicht? Sasha Grey hat ja auch für Soderbergh gearbeitet und sich dabei nicht blamiert.

Das Problem mit den Beiden ist nur, das sie nicht sonderlich überzeugen können. Die Lohan gibt sich redlich Mühe, wirkt aber steif und unentspannt. Insbesondere ihre letzte Szene mit James Deen, die den emotionalen Höhepunkt des Filmes darstellen soll, ist ihr völlig missraten und reizt eher zum Lachen, als zur Empathie. Selten sah man jemanden so künstlich weinen, wie hier. James Deen wiederum spielt etwas zu entspannt. Er schlafwandelt mit einem Gesichtsausdruck durch den Film, als ob ihn das alles nicht sonderlich interessiert. Allein seine markante Stimme, verleiht seinem Christian Präsenz und auch etwas Gefährlichkeit. Aber diese subtile Bedrohung, die seine Figur ausstrahlen soll, kann er physisch nicht umsetzen. Dazu fehlt ihm einfach richtige Haltung. Nur in seinen Augen blitzt es ab und zu psychotisch. Die anderen Darsteller bleiben blass und austauschbar. Vor allem Nolan Funk als schönem Ryan fehlt, jenseits seines perfekten Modellaussehens, jegliche Ausstrahlung. Und auch Tenille Houston in der nicht unwichtigen Rolle der Cynthia hat man schnell vergessen. Amanda Brooks scheint noch während des Filmes aufzulösen. Seltsamerweise hat man aber ständig das Gefühl, den Schauspielern bei den Proben und nicht dem fertigen Film zuzusehen. Einzig Chris Zeischegg als schwuler Produzent Reed bleibt im Gedächtnis, hat allerdings nur eine sehr kleine Nebenrolle. Was auch schade ist, da sein Charakter durchaus interessant ist und einen längeren Filmauftritt verdient hätte.

the_canyons-12Wo „The Canyons“ punkten kann, ist bei der visuellen Gestaltung. Zumindest zum größten Teil. Die wunderbaren Bilder verfallener Kinos am Anfang beschwört eine trist-melancholische Stimmung herauf, die dann allerdings nicht wieder aufgenommen wird. Oftmals weiß die Kameraarbeit von John DeFazio, der zuvor fast ausschließlich Kurzfilme gemacht hat, interessante Kompositionen zu gestalten. Auch das Produktionsdesign ist rundheraus gelungen. Sei es das futuristische Haus in den Bergen, in dem Christian und Tara leben, Cynthias Garten mit den riesigen Sitzgelegenheiten oder das Diner mit den großen Fensterfassaden, wo es immer so aussieht, als ob die Autos gleich über den Tisch fahren würden. Generell erinnert hier alles an die Filme der frühen 80er Jahre, die das gerade aufkommende Yuppietum und den Geld-Chic eingefangen haben. Insbesondere Schraders eigener „Ein Mann für gewissen Stunden“ stand hierfür wohl Pate. Generell gibt es in beiden Filmen auch eine ähnlich trostlos-oberflächliche Stimmung. Nur, dass „Ein Mann für gewisse Stunden“ die besseren Schauspieler und die weitaus interessanteren, lebendigeren Figuren hatte.

the_canyons-21„The Canyons“ wirkt merkwürdig schizophren, wenn es um die Darstellung von Sex geht. Manchmal wird geradezu verschämt weg geschaut, dann wieder voll drauf gehalten. Doch auch bei den „Schockszenen“, in denen man einen nackten Mann masturbieren sieht oder ein anderer von einem Mann einen Blowjob bekommt, wirken angestrengt. Als ob jemand im Nachhinein gesagt hätte, „Lindsay Lohans nackte Brüste locken niemanden mehr hinter dem Ofen hervor, wir müssen da jetzt mal noch etwas mehr rein bringen“ und eigentlich niemand darauf Lust gehabt hatte. Es fehlt hier alles leichte, schmuddelige, lebensfrohe. Es wirkt erzwungen, mechanisch und kalt. Vielleicht ist das ja auch eine Aussage des Filmes, dass die Figuren keine wahre Freude am Sex empfinden können und solche Exzesse mit fremden Pärchen brauchen, um überhaupt noch irgendwie Befriedigung zu erfahren.

Positiv herausstellen sollte man noch den gelungenen Soundtrack, der – ähnlich wie der geniale „Drive„-Soundtrack – die 80er Jahre wieder zum Leben erweckt, ohne dabei irgendwie altbacken oder unmodern zu wirken. Komponiert hat ihn Brendan Canning, Gründer der Band „Broken Social Scene“, und man möchte sich gerne die CD ins Regal stellen. Allerdings kann auch die tolle Musik die größte Schwäche des Filmes nicht übertünchen. Die große Geschwätzigkeit des Drehbuchs. Der Schriftsteller Ellis scheint die Funktion des „allwissenden Erzählers“ zu vermissen, und ersetzt sie auf eine denkbar unfilmische Art und Weise. Er verlegt sie einfach auf die Dialoge. Und so müssen die Figuren stundenlang erklären wer wann wo mit wem und weshalb. Was eine ziemlich ermüdende Wirkung hat und den Film oftmals träge wie Blei werden the_canyons-8lässt. So bleibt „The Canyons“ ein Versprechen, welches letztendlich nicht eingelöst wird. In der Rückschau bleibt der Film vielleicht in einer besseren Erinnerung als er eigentlich war, weil man die Zutaten ja eigentlich spannend findet. Und weil man sich so sehr einen besseren Film gewünscht hatte, fügt man sie im Nachhinein im Kopf zu einem interessanteren Film neu zusammen.

Leider lag mir zur Rezension keine richtige DVD, sondern nur ein minderwertiger Screener mit riesigem Wasserzeichen mitten im Bild vor. Daher kann ich in Bezug auf Bild, Ton und Extras leider keine Aussagen treffen. Wer sich selber ein Bild machen möchte: Am 17. März erscheint der Film bei NewKSM auf DVD und Blu-ray.

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