Blu-ray Rezension: „Singapore Sling“

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Ein Detektiv (Panos Thanassoulis) sucht nach der verschwundenen Laura. Seine Suche führt ihn in einer regnerischen Gewitternacht, schwer verletzt und erschöpft, in ein abseits gelegenes Anwesen. Dort leben zwei geheimnisvolle Frauen (Michele Valley und Meredyth Herold) leben, die sich gegenseitig als Mutter und Tochter bezeichnen. Gerade haben die Beiden ihren Chauffeur umgebracht und überhaupt besteht ihr Leben darin, sich sexuellen Rollenspielen hinzugeben und dann und wann einen Besucher umzubringen. Auch der Detektiv droht Opfer der Beiden zu werden. Doch bevor sie sich seiner endgültig entledigen, soll er ihnen noch als Spielzeug für ihre bizarren Obsessionen dienen

Wichtige Anmerkung: Da es mir leider (noch?) nicht möglich ist Screenshots von Blu-ray-Filmen zu machen, stammen die hier verwendeten Bilder NICHT von der bei „Bildstörung “ erschienenen Blu-ray, sondern von der amerikanischen DVD von Synapse.

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Der 2007 leider viel zu früh verstorbene, griechische Regisseur Nikos Nikolaidis ist hierzulande einer der großen Unbekannten des internationalen Kinos. Obwohl seine zwischen 1975 und 2005 entstandenen acht Spielfilme in seinem Heimatland immer wieder mit Preisen überschüttet wurden, gab es doch bis heute keine Heimkino-Auswertungen in Deutschland. Und auch international sind keine DVDs mit englischen Untertiteln zu finden. Die einzige Ausnahme bildet sein bekanntester Film „Singapore Sling“, der in Kennerkreisen Kult-Status genießt. Und dies völlig zurecht, verbindet er doch die Optik eleganten Arthaus-Kinos mit den obskuren Fetischen des Mitternachtskinos. Dank des großartigen Labels „Bildstörung“ ist dieses dunkle und auf bizarre Art und Weise schwarz-humorige Meisterwerk nun auch in Deutschland erhältlich.

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Wie die meisten Filme Nikolaidis‘, entstand auch dieses Werk wieder in seinem eigenen Haus, einem geräumigen Anwesen in dem er vor den Dreharbeiten auch mit den Darstellern seiner Filme lebte. Sieht man „Singapore Sling“, kann man verstehen warum ihm dies wichtig war. Sie mussten ein großes Vertrauen zu ihrem Regisseur finden, denn dieser verlangte ihnen während des Drehs eine ganze Menge ab. So muss sich Hauptdarsteller Panos Thanassoulis ankotzen und anpissen lassen, während Meredyth Herold explizit mit einer Kiwi masturbiert. Allerdings erwartet einen kein trashiger Underground-Film. Damit hat „Singapore Sling“ rein gar nichts zu tun. Obwohl Nikolaidos kein großes Budget zur Verfügung stand, schaffte er es, eine elegante, sehr stylische Optik entstehen zu lassen, die nach großem, klassischem Hollywood-Kino aussieht. Vergleicht man z.B. „Singapore Sling“ mit Curt McDowells „Thundercrack!“, an den er teilweise erinnert, dann fällt auf, wie viel Sorgfalt Nikos Nikolaidis in seine Inszenierung legt. Kuchars Film ist eine wilde Melange aus expressionistischem Horrorfilm der 20er und 30er, Sex, Körperflüssigkeiten und Wahnsinn. Letztere drei genannten Komponenten kommen auch in „Singapore Sling“ in großer Vielzahl vor, doch ist die Wirkung bei Nikolaidis ungleich verstörender, da diese Elemente hier durch die schönen Bilder umso fremdartiger und surrealistischer erscheinen.

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Nikos Nikolaidis orientiert sich am amerikanischen Film Noir, dessen Stimmung und expressionistische Schattenspiele er perfekt wieder auferstehen lässt. Der andere Film, der dabei über allem schwebt, ist Otto Premingers „Laura“ von 1944. In diesem Film geht es um einen Polizisten, der den Mord an eben jener Laura aufklären soll. Während seiner Ermittlungen verliebt er sich in die Tote, die er nur von einem großen Portrait kennt, welches in ihrer Wohnung hängt (dieses Portrait taucht auch in „Singapore Sling“ wieder auf). Relativ schnell kommt aber heraus, dass Laura lebt und eine andere Frau an ihrer Stelle ermordet wurde. Auf dem ersten Blick scheint „Laura“ so etwas wie die Vorgeschichte zu „Singapore Sling“ darzustellen, allerdings nutzt Nikolaidis „Laura“ weniger als Blaupause für seinen Film, sondern der Film selber scheint von „Laura“ zu träumen. Immer wieder werden Bruchstücke des einen in den anderen Film geworfen. Personen rezitieren aus dem Zusammenhang gerissene Dialoge aus „Laura“, stellen Fragen, sie sich auf Premingers Film und nicht auf die eigentliche Handlung beziehen. Der gleichnamige, vom Film inspirierte Song wird nicht nur immer wieder gespielt und hallt als traurig-unheimliches Echo durch die Räume des Anwesens, sondern wird von den Charakteren in ihre Dialoge eingeflochten. So fragt das Mädchen, wann Laura den Zug genommen hat – womit sie sich auf eben dieses Lied, nicht auf den Film bezieht. „Laura“ ist die Schicht, die unter „Singapore Sling“ liegt und an manchen Stellen dringt sie wieder an die Oberfläche durch.

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Merkwürdigerweise wirkt „Singapore Sling“ geradezu prophetischer Kommentar auf die heutige Situation Griechenlands. Der formale Held wird von einem Griechen gespielt, der auch ausschließlich Griechisch spricht, und sich seinen beiden Peinigern nicht verständlich machen kann. Zudem jagt er einem idealisierten Traum einer besseren Zeit – eben seiner Laura – nach. Die beiden Frauen sind dekadente, reiche Ausländer, die den Griechen zu ihrem Spielzeug machen. Die ihn erniedrigen und bereits seine Entsorgung planen, die sich nur deshalb hinauszögert, weil sie ihn vorher noch ausgiebig für ihre perversen Zwecke nutzen wollen. Nun sprechen die Beiden hier Englisch, aber möglicherweise würde Nikolaidis sie heutzutage Deutsch sprechen lassen. Denn so wie der Mann, den sie Singapore Sling nennen, von den dekadenten Reichen ausgenutzt und erniedrigt wird, so fühlen sich sicherlich viele Griechen in Anbetracht der Eurokrise und der Rolle der reichen EU-Geber-Länder. Und dass sich Singapore Sling, am Ende sein eigenes Grab schaufelt, kann man ebenfalls als recht hellseherisch begreifen.

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Lässt man diese höchst spekulative Interpretation außen vor, geht es in „Singapore Sling“ vor allem um Sex, und man darf die vertauschten Rollen (hier sind die Frauen sexsüchtig bis über den Wahnsinn hinaus und kennen keine Skrupel, ihr Opfer wie ein Ding zu behandeln, während der Mann romantischen Vorstellungen von der Liebe über den Tod hinaus nachhängt) auch als direkten Kommentar darauf lesen, wie sich in der Regel die Männer den Frauen gegenüber verhalten. Eben wie skrupellose Tiere. Das Viehische wird auch in den ekligen Dinner-Szenen betont, wo die beiden Frauen ihre Freude daran haben, ihr Essen immer wieder auszukotzen. Diese spielerische Freude, mit der sie männliche Verhaltensweisen ins Extreme überzeichnen, lässt einen auch an Marie und Marie aus (dem ebenfalls bei „Bildstörung“ erschienen) „Tausendschönchen“ denken, wo ebenfalls zwei Frauen bzw. Mädchen, aus der Rolle fallen und ihre zugewiesenen Rollenklischees nicht mehr erfüllen. Besonders wenn die beiden Frauen Laurel & Hardy zitieren (z.B. doch den berühmten „Soft Shoe Dance“ aus „Zwei ritten nach Texas“ und dem Öhrchen-Kniechen-Spiel aus „Die Teufelsbrüder“) oder die eine einen tödlichen Herzinfarkt vortäuscht, um dann unter lautem Gelächter wieder zum Leben erweckt zu werden, sind diese Parallelen offensichtlich.

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Endlich ist Dank „Bildstörung“ dieses bizarre Meisterwerk des hierzulande sträflicherweise weitgehend unbekannten griechischen Regisseurs Nikos Nikolaidis in Deutschland erschienen. „Singapore Sling“s provokante Mischung aus eleganter Film-Noir-Optik, Gedärm, Körperflüssigkeiten, nacktem Wahnsinn und bösem Humor sichert ihm Kultfilm-Status. Aber auch darüber hinaus hat der Film viel Hintersinniges, nicht nur zum Rollenspiel zwischen Männlein und Weiblein, zu sagen.

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Im obigen Text wurde das Label „Bildstörung“ schon so oft gelobt, dass es beinahe unangenehm ist, hier weiterhin die Arbeit in höchsten Tönen zu preisen, die das Label in ihre vorbildliche Veröffentlichung gesteckt hat. Das Bilder der Blu-ray ist gestochen scharf und bringt die wunderschöne Fotografie des Filmes noch mehr zum Strahlen. Im Gegensatz zur US-DVD sind auch die Untertitel ausblendbar. Da der Film allerdings auf Englisch, Französisch und Griechisch gedreht wurde, sind diese für nicht Multi-Linguisten unverzichtbar. Da für den Film das Sprachgewirr ungemein wichtig ist, ist es nur selbstverständlich, dass keine deutsche Synchronfassung angefertigt wurde. Auch in Sachen Extras stellt die „Singapore Sling“-Veröffentlichung eine Referenz dar. Auf einer zweiten DVD (der Film ist auf Blu-ray, die Extras auf der DVD) wird sich eingehend mit Nikos Nikolaidis beschäftigen. Zentral ist hier die 77-minütige Dokumentation „Directing Hell – A film about Nikos Nikolaidis“, die scheinbar bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Film entstand. Hier zeichnen Schauspieler und Weggefährten ein differenziertes Bild des im Grunde sympathischen und einfühlsamen Regisseurs, der bei den Dreharbeiten aber scheinbar zum Despoten mutierte. Ferner findet sich ein 22-minütiges Interview mit Nikolaidis unter den Extras. Da Nikolaidis seine Brötchen auch mit Werbefilmen verdiente, finden sich einige dieser Spots ebenfalls auf der DVD. Unbedingt erwähnenswert ist auch wieder das, diesmal von Gerd Reda verfasste, 12-seitige Booklet, welches bei „Bildstörung“ nie ein bunter Werbe-Flyer, sondern immer ein profundes Essays ist.

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