Filmbuch-Rezension: Michael Cholewa “Vaya Con Dios“

Kaum ein Genre genießt auch heute bei den Fans solch eine Liebe und Hingabe wie der Italo-Western. Was man an den nicht gerade wenigen Veröffentlichungen zum Thema sieht, die hierzulande in Buchform erschienen sind. Ganz oben auf der Liste steht natürlich Christian Keßlers „Willkommen in der Hölle“ von 2001, welches für mich bis heute das deutschsprachige Standardwerk ist. Aber man sollte auch nicht „Für ein paar Leichen mehr“ von Ulrich P. Bruckner vergessen. Dann gibt es noch „Dreckige Spaghetti“ von Uwe Killing, „Gott spricht Gnade – Amen sein Colt“ von Michael Striss, die gute Essay-Sammlung „Um sie weht der Hauch des Todes“, sowie Bücher über Sergio Leone oder Bud Spencer und Terence Hill und noch einiges mehr.

Nun wird dieser Reigen durch ein weiteres Buch ergänzt. „Vaya Con Dios“ heißt das Werk von Michael Cholewa, einst Mit-Herausgeber des wegweisenden Keßler-Buches. Mit an Bord hat sich Michael Cholewa den Filmemacher Andreas Marschall geholt, der im Vorwort auf die Geschichte und Faszination des Italo-Western eingeht. Filmproduzent Tim Luna liefert ein Nachwort, in dem es vor allem um das Plakat zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ und dessen Maler Frank McCarthy geht. Als zusätzlicher Autoren für ungefähr 70 der über 470 Filmvorstellungen fungiert der Magdeburger Kabarettist, Kulturschaffende und „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“-Redakteur Lars Johansen.

Was bietet nun das neue Buch dem interessierten Leser? Nun, zunächst einmal Bilder. Sehr viele Bilder. Tatsächlich findet man in „Vaya Con Dios“ Abbildungen aller deutschen Italo-Western-VHS-Kassetten. Das ist natürlich wunderschön und man kann stundenlang in dem mal weniger, häufiger mehr gelungen Artwork aus einer vergangenen Zeit schwelgen. Auch sonst geizt das Buch nicht an alternativen Filmplakaten und Lobby-Cards. Da gehen einem die Augen schon mal über. Zudem sind die Texte, welche Lars Johansen beisteuert fundiert und lesenswert. Man merkt dem Mann einfach an, dass er sich schon seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt und bereits einige einschlägige Booklets verfasst hat. Diese Texte sind gut zu lesen und orthographisch einwandfrei. Dagegen fallen die übrigen Texte dann leider ab.

Was mich zu einem Kritikpunkt bringt: Ein Lektorat scheint hier nicht stattgefunden zu haben. So wird aus „Blindman“ auch schon mal ein „Blinman“, und mancher etwas ungelenke und bandwurmartige Schachtelsatz hätte vermieden werden können. Meine Hauptkritik betrifft allerdings das Layout, welches mir leider gar nicht gefällt. Und dies betrifft nicht nur die gewagte Entscheidung, schwarzen Text auf teilweise dunkelbraunen Hintergrund zu drucken. Auch die Bildaufteilung wirkt sehr willkürlich und unaufgeräumt. Unterschiedliche Zeilenabstände und Textaufteilungen irritieren zudem. Und ob es besser gewesen wäre, ein paar der Bilder mangels vernünftiger Auflösung lieber ganz rauszunehmen, möchte ich hier nicht beurteilen. Aber vielleicht betrifft dies alles auch nur mein persönliches ästhetisches Empfinden. Ob einen diese von mir bemängelten Punkte von einem Kauf abhalten würden, muss jeder für sich selber entscheiden.

Wer zuschlägt, bekommt ein sich gut anfühlendes, schweres Hardcoverbuch, welches in der Hand einen wertigen Eindruck hinterlässt. Man kann sich an viel, viel Bildmaterial zum immer wieder anschauen erfreuen und an den von mir hier ja bereits hervorgehobenen Texte von Lars Johansen. Wer noch nicht genug hat, findet im Anhang noch 30 weitere Seite mit artverwandten Filmen, die ohne erklärenden Text vorgestellt werden. Ferner gibt es noch eine Karte der wichtigsten spanischen Drehorte (die italienische fehlt leider) und einige aktuelle Fotos der Westernstädte.

Auf jeden Fall macht das Buch Lust darauf, selber mal wieder einen schönen Italo-Western in den Player zu werfen und sich von Django und Konsorten die blauen Bohnen um die Ohren pfeifen zu lassen.

Michael Cholewa „Vaya Con Dios“, Subversiv Media, 404 Seiten, gebunden, farbige Abbildungen, € 59,90

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Das Bloggen der Anderen (11-01-21)

Ich wünsche all meinen Leserinnen und Leser ein frohes neues Jahr! Dann legen wir mal gleich los.

– Durch die Weihnachts-/Neujahrespause habe ich vermutlich die ganzen Jahresrückblicke verpasst. Einer ist mir jetzt aber noch untergekommen und den fand ich auch sehr lesenswert. Er stammt von symparanekronemoi

– Wer kennt Ruth Rose? Christian Neffe widmet der Dame, die u.a. an „King Kong“ mitschrieb auf kino-zeit.de ein Portrait.

– Sebastian stellt auf Magazin des Glücks vier Hollywood-Filme von René Clair vor.

Filmlichtung betreibt ein wenig Ehrenrettung des 1998er „Psycho“-Remakes von Gus Van Zant. Interessant.

– Einem meiner liebsten Regisseure (auch wenn ich lange nichts mehr von ihm gesehen habe, aber früher habe ich sein Werk geliebt) widmet sich Bluntwolf auf Nischenkino. Zunächst mit dem wunderbaren avantgardistischen Pop-Art-Giallo „Ich bin wie ich bin“, dann mit „Eine unmoralische Frau“ (ich war schon immer ein wenig in Claudia Koll) verliebt) und schließlich der feurige „Paprika“ mit der ehemaligen Frau Kinski. Saftig!

– Volker Schönenberger schreibt auf Die Nacht der lebenden Texte über Terry Gilliams „Jabberwocky“, den ich bei der Erstsichtung vor vielen, vielen Jahren gar nicht mochte (da ich Monty Python erwartete= und der mir über die Jahre sehr ans Herz gewachsen ist. Ob mir das bei „Theo gegen den Rest der Welt“ auch so ginge, wenn ich den nach einer TV-Ausstrahlung in den frühen 80ern noch einmal gucken würde? Lars Johansens Text legt das nahe.

Funxton ist sehr angetan von Roman Polanskis bislang letztem Film „Intrige“. Das freut mich.

– In meiner Top10 für 2020 kam ja auch „After Midnight“ vor. Schlombies Filmbesprechungen empfehlen den Film ebenfalls.

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Mein ganz persönlicher Jahresrückblick 2020

Was für ein seltsames Jahr. Nein, keine Angst, ich werde jetzt nicht seitenweise über Covid-19 schreiben. Aber die Pandemie hat natürlich vieles beeinflusst. Beispielsweise die Filmfestivals. Normalerweise wäre ich im November in Braunschweig gewesen. Oder hätte zumindest mal einen Tag beim Bremer Filmfestival vorbei geschaut. Aber das eine fand lediglich Online statt, das andere wurde auf Frühjahr 2021 verschoben. Und Oldenburg war auch nicht das, was ich aus den Vorjahren kannte und liebte. Ja, Festival Online habe ich auch einmal versucht, es ist aber nicht dasselbe und irgendwie eine Dusche mit Regenmantel und Regenschirm. Aber vielleicht liegt das auch an mir.

Immerhin gab es noch zwei Highlights: Einmal den wundervollen Mondo-Bizarr-Weekender in Düsseldorf, den wir noch mitnehmen konnten (dass die 2021er Ausgabe abgesagt werden musste, schmerzt dafür umso mehr). Hier gab es schon mal einen Vorgeschmack auf die Dinge, die da kommen sollten, als die Vorstellung am dritten Tag aufgrund eines Sturms jeden Moment hätte abgesagt werden können. Wurde sie aber dann doch nicht. Aber die Stimmung war schon seltsam. Im Oktober konnte noch das 11. Delirio-Italiano-Forentreffen stattfinden. Diesmal in Karlsruhe in einem der schönsten Kinos Deutschlands und mit einer wahrhaft exquisiten Filmauswahl. Leider war auch dieses Event von der Pandemie überschattet. Viele konnten nicht anreisen, das Hin- und Her mit dem Beherbergungsverbot war auch nicht schön. Dann hatte mich am Ende der Virus auch noch erwischt, was wirklich keine gute Erfahrung war, und mich auch die Teilnahme an einem Halloween-Abend in unserer ersten Weird-Xperience-Heimat dem City 46 kostete, auf den ich mich sehr gefreut hatte.

Unsere Weird Xperience-Reihe im Cinema Ostertor konnte auch nur sporadisch stattfinden. Aber Stefan und ich haben einen „Ersatz“ ins Leben gerufen und bieten in der Kino-losen Zeit eine Online-Sendung auf YouTube an, wo wir über einst gezeigte Filme, Kino, Bremen und das Leben als Filmverrückte an sich sprechen. Das macht Spaß, aber ist natürlich kein vollwertiger Ersatz für unsere Vorstellungen und den direkten Kontakt mit dem Publikum. Aber immerhin: Das Feedback ist sehr positiv und motiviert uns. Wer Lust hat, kann unseren bislang letzten (und längsten) Beitrag hier schauen: Weird Xperience Bremen Online 07

Weiter mit dem Positiven: Im Sommer habe ich meinen ersten Audiokommentar für die kürzlich veröffentlichte Blu-ray „Hinter den Mauern des Grauens“ von Ostalgica eingesprochen. Zusammen mit dem wunderbaren Lars Johansen. Und für die im Januar anstehende Veröffentlichung „Der rote Schatten“ aus demselben Hause folgte ein Videoessay. Für eine kommende Veröffentlichung habe ich Booklet, Videoessay und Audiokommentar beigesteuert und noch ein weiteres Booklet ist auch schon fertig. Es stehen jetzt noch drei Videoessays aus, und es sieht sehr danach aus, dass es danach noch weiter geht. Darüber freue ich mich natürlich sehr, und ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei der „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“ ohne die dies nicht möglich gewesen wäre.

Was den Blog angeht, so sind die Nutzerzahlen auch dieses Jahr wieder leicht um -2,2% und die Seitenaufrufe um -4,6% zurück gegangen. Allerdings gab es 2019 auch einen gewaltigen Ausreißer mit über 800 Zugriffen an nur einem Tag. Den gab es 2020 nicht. Zudem habe ich es 2020 auf nur 67 Beiträge gebracht, das waren im Vorjahr noch 78, also +16% mehr. Vor dem Hintergrund dieser beiden Effekte, würde ich das Nutzeraufkommen auf dem Blog als stabil bezeichnen. Wenn ich mir die Top10-Seiten ansehe, dann merke ich auch wieder „Sex sells“, den die Rezis zu „Django Nudo“, „Die Sex Abenteuer der drei Musketiere“ und „Eine Armee Gretchen“ befinden sich alle zusammen mit dem Stichwort „Ingrid Steeger“ in der Top10. Angeführt wird diese von meiner Ankündigung des Autokinos in Brinkum (also ein Bremisches Thema, was mich freut), gefolgt von der unvermeidliche Rezi zu „Das Ende“, die sich da seit Jahren immer ganz oben tummelt.

Zum Abschluss die obligatorischen Listen. 211 Filme habe ich 2020 gesehen, das sind ganze 34 (!) mehr als im letzten Jahr und damit so viel, wie seit über sieben Jahren nicht mehr. Was teilweise auch Corona-bedingt war, da man abends eben nicht losziehen und andere Dinge machen konnte – und ich während meiner Corona-Erkrankung, als es wieder ging, exzessiv Filme geguckt habe. Was anderes war da auch nicht drin. Nur im Kino bin ich dieses Jahr kaum gewesen. Aber das dürfte ja allen so ergangen sein.

Top 10 aktuelle Filme (Produktionsjahr 2019/2020) – und da die Liste sehr kurz ist, auch noch mit Filmen, die 2018 produziert wurden, aber erst 2020 im Kino liefen

1. Jojo Rabbit* (Taika Waititi, 2019)
2. The Nightingale* (Jennifer Kent, 2018)
3. Shorta* (Frederik Louis Hviid, Anders Ølholm, 2020) – meine Besprechung
4. American Thief* (Miguel Silveira, 2020) –meine Besprechung
5. Jam* (Sabu, 2018)
6. Midsommar (Ari Aster, 2019)
7. Onward* (Dan Scanlon, 2020)
8. Color Out of Space* (Richard Stanley, 2019)
9. After Midnight (Jeremy Gardner, Christian Stella, 2019) – meine Besprechung
10. Tenet* (Christopher Nolan, 2020)

* im Kino gesehen

Top 10 ältere Filme (nur Erstsichtungen)

1. Idi i smotri (Elem Klimov, 1985) – meine Besprechung
2. Madeo (Bong Joon Ho, 2009)
3. Já, spravedlnost (Zbynek Brynych, 1968) – meine Besprechung
4. The Manchurian Candidate (John Frankenheimer, 1962) – meine Besprechung
5. Ostre sledované vlaky (Jirí Menzel, 1966)
6. Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (Martin McDonagh, 2017)
7. Network (Sidney Lumet, 1976)
8. Ex Machina (Alex Garland, 2014)
9. Pink Floyd: The Wall (Alan Parker, 1982)
10. Long Weekend (Colin Eggleston, 1978)

Ich wünsche allen meinen Lesern frohe, besinnliche und vor allem entspannte Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Bleibt gesund! Wir lesen/sehen uns wieder in 2021!

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Blu-ray-Rezension: „Komm und sieh“

Der junge Fljora (Aleksei Krawtschenko) schließt sich gegen den Willen seiner Mutter im Jahre 1943 einer Gruppe weißrussischer Partisanen an, die gegen die deutschen Besetzer kämpfen. Von diesen wird er nicht ganz ernst genommen und so bleibt er beim ersten Einsatz im Waldquartier der Gruppe zurück. Er lernt die etwas ältere Glascha (Olga Mironowa) kennen, die Geliebte des Hauptmanns. Nach der Bombardierung des Waldes durch die Deutschen, bei der Fljora und Glascha knapp mit dem Leben davon kommen. Kehrt Fljora mit Glascha in sein Dorf zurück, das nun menschenleer ist. Für Fljora beginnt eine Reise durch die Hölle des Krieges…

Es gibt Film vor denen man Angst hat. Nicht, dass sie einen aus dem Regal heraus anfallen könnten. Nein, Filme vor denen man sich fürchtet, weil sie einen bis und über seine Belastungsgrenze führen können. Weil sie einem Dinge zeigen, die man nicht sehen möchte und von denen man nicht weiß, ob man sie aushalten kann. Ein solcher Film vor dem ich mich gefürchtet habe war „Komm und sieh“. Das sowjetische Meisterwerk, welches zu den wenigen echten „Antikriegsfilmen“ zählt und die von der Wehrmacht begangenen Gräuel im heutigen Weißrussland ihm Zweiten Weltkrieg aus der Sicht eines Jungen beschreibt. Da ich bei der Verbindung Gewalt, Tod und Kinder eine schwache Stelle habe und meine Toleranzschwelle dort, seit ich selber Familienvater bin, sehr niedrig liegt, habe ich mir lange überlegt, ob ich mir „Komm und sieh“ wirklich anschauen möchte/kann. Da Elem Klimovs Film allerdings unisono als sehr wichtiger Film und darüber hinaus noch einer der – laut Kanon – besten aller Zeiten gilt, habe ich mich meiner Angst gestellt.

So unerträglich, wie ich es mir vorgestellt habe, ist „Komm und sieh“ dann nicht. Aber er springt einem Beine voran mit voller Wucht in die Magengrube. Klimov verfällt nicht dem Fehler, den Film durch plattes Zeigen und drauf halten zum Spektakel verkommen zu machen. Tatsächlich ist „Komm und sieh“ indem was er zeigt, relativ zurückhaltend. Es ist das wie, welches es so schwer macht, den Film wieder aus dem Kopf zu bekommen. Besonders signifikant ist dies bei einer der berühmtesten Szenen des Films. Der junge Fljora kehrt mit seiner Begleiterin Glascha in sein Heimatdorf zurück und findet dies verlassen vor. Er geht in das Haus in der er mit seiner Mutter, seinem jüngeren Bruder und seinen den kleinen Zwillingsschwestern gelebt hat. Klimov bereitet einen subtil auf das schlimmste vor. Auf der Tonspur ein niederfrequentes Dröhnen, das Summen von Fliegen. Auf dem Boden liegen die Spielsachen der Kinder, der Tisch ist noch gedeckt, die Suppe noch warm. Jede Sekunde wird deutlicher, dass hier etwas Schreckliches passiert ist. Doch Fljora will die Zeichen nicht sehen, während Glascha bereits weiß, was sich hier zugetragen hat. Doch Fljora ist sich plötzlich sicher, seine Familie wäre ins Moor geflohen. Er stürmt aus dem Haus, einen Feldweg entlang, Glascha und die Kamera hinter ihm her. Da dreht sich Glascha kurz um und erblickt (gemeinsam mit dem Zuschauer) den Leichenberg hinter einem Haus. Nur kurz erblickt man dieses schreckliche Bild, kaum lange genug um voll zu erfassen, was man da sieht. Doch im Kopf wächst das Bild, breitet sich aus und gebiert einen viel größeren Schrecken als es der Fall gewesen wäre, wenn Klimov die Szene graphischer und ausführlicher gezeigt hätte.

Diese Taktik wendet Klimov immer wieder sehr effektiv bei „Komm und sieh“ an. Er zeigt keine Kampfhandlungen, doch die Folgen dieser oder wirft seine Figuren in tödliche Situationen, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. In der Welt von „Komm und sieh“ ist der Tod ein ständiger Begleiter, der alles durchdringt. Der alle Lebewesen und auch die Natur umgibt. Ein Leben kann so schnell erlöschen wie eine Kerze im Wind. Es gibt keine Sicherheit. Nur das bisschen Glück, wenn man dem allgegenwärtigen Tod diesmal entkommen kann. Dass dieses Gefühl der Unsicherheit und permanenten Gefahr für den Zuschauer in „Komm und sieh“ körperlich spürbar wird, liegt zum einen an der Kameraführung. Immer ist die Kamera mitten im Geschehen, Fljoras Blick auf den Terror ist der unsere. Wir werden förmlich zu Fljora, stehen dem Ganzen ebenso entsetzt, hilflos und verzweifelt gegenüber wie er. Auf der zweiten Ebene ist es die Tonspur die einen zermürbt. Das bereits oben erwähnte niederfrequente Dröhnen, die Kakophonie aus überlauten Natur- und Kriegsgeräuschen, der man nicht entkommen kann. Besonders eindrucksvoll nach einer Szene, in der Fljora nur knapp einem Bombenangriff im Wald entgeht und vorübergehend sein Gehör verliert. Nun hören wir das, was in seinem Kopf ist. Die gedämpfte Umwelt, das Piepen und Dröhnen. Fljora greift sich mehrmals an den Kopf, um die Geräusche herauszuquetschen, dem Zuschauer geht es ähnlich. Was für einen Eindruck muss dieser Film im Kino hinterlassen, wo es keine Fluchtmöglichkeit, keine Ablenkung gibt?

Es gibt auch schöne Augenblicke, aber sie sind selten. Erinnern wird man sich immer an Glascha wunderbar verspielten Tanz im Wald, unter dem Regenbogen und wie in einer verzauberten Märchenwelt gefangen. Doch am Ende wird auch diese vernichtet sein und Glascha zu den Opfern des Krieges gehören. Wie Fljora, dessen kindliche Seele zerstört wurde, der um Jahre gealtert voller Wut auf ein Bild von Hitler schießt. Übrigens seine erste Kampfhandlung im Film. Er schießt und schießt während die Zeit scheinbar rückwärts läuft, hin zum Anfang des Bösen. Aber wo ist der Anfang? Ist es das Kind? Hat der sadistische Mörder Recht, der meint, die Kinder müssten vernichtet werden, da sie der Anfang von allem sind? Oder gerade nicht. „Komm und sieh“ wirft auch viele Frage auf, die einen noch lange beschäftigen. Und ist auch ein starker, schmerzhafter Appell: „So etwas darf sich nie wieder wiederholen“. Keine Macht den Faschisten. Keine Macht den Nazis.

Diese Bildstörung-Veröffentlichung vorbildlich zu nennen ist fast schon eine kleine Untertreibung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man es besser machen kann und bin schlichtweg begeistert. Das fängt der Bildqualität an. Genutzt wurde eine bei den Filmfestspielen in Venedig preisgekrönte Restauration. Und das sieht man auch. Das Bild ist so, wie man es sich wünscht. Von perfekter Qualität ohne dabei den Filtertod zu sterben. So sieht Kino aus. Vielleicht meckert jemand, dass die Tonspur nur im Original vorliegt. Aber ein Synchronisation würde dem Film überhaupt nicht guttun. Gerade durch das Sprachgemisch Deutsch-Russisch. Die Tonspur ist bei diesem Film sehr wichtig, wie ich oben ausgeführt habe. Und obwohl nur Linear PCM 2.0 Mono kommt der Sound sehr kraftvoll und intensiv rüber. Auf der zweiten Tonspur befindet sich ein Audiokommentar von Audiokommentar mit Barbara Wurm (Auswahlkomitee Berlinale) & Filmkritiker Olaf Möller. Der Film kommt mit einer zusätzlichen Bonus DVD daher. Und diese hat es in sich. Zunächst ein 50 Minutiges Portrait des Regisseurs, welches 1987 anlässlich seines Besuchs in den USA von einem britischen Team aufgenommen wurde. Dem folgen drei Dokumentar-Kurzfilme zwischen 10 und 27 Minuten, welche 1975 vom weißrussische Regisseur Wiktar Daschuk gedreht wurden. Diese bilden eine sehr schmerzhafte Ergänzung zum Hauptfilm, denn sie zeigen Menschen, die die Massaker der Deutschen in Weißrussland überlebten und detailliert und emotional von den grauenvollen Taten berichten. Ich gebe zu, mir war das direkt nach „Komm und sieh“ zu hart und ich musste die Sichtung mit Tränen in den Augen und einem verkrampften Magen abbrechen. Werde aber irgendwann mit etwas Abstand noch einmal hineinschauen. Denn es ist wichtig aus der Vergangenheit zu lernen. So unbequem das auch ist. Mit dem 35-Minütigen Videoessay von Michal Kosakowski und Marcus Stiglegger habe ich so meine Probleme. Gar nicht, was es inhaltlich angeht. Beide sprechen sehr persönlich über „Komm und sieh“ und bieten sehr interessante Denkanstöße. Aber mit der Machart des Essays kann ich mich nicht anfreunden. Wenn beispielsweise Stiglegger aus Ales Adamowitschs „Stätten des Schweigens“, welches Erinnerungen von Überlebenden enthält, vorliest und zur Illustrierung offensichtlich Ausschnitte aus Kosakowskis „German Angst“-Episode „Make a Wish“ verwendet werden*, empfinde ich das als problematisch. Ich hätte ein reines Gespräch gerade bei diesem Film für angemessener gehalten. Vor allem, weil ja Beide viel zu sagen haben. Es folgen sehr interessante Interviews, die scheinbar 2002 für eine russische (?) Veröffentlichung aufgenommen wurden. Es werden interviewt: Regisseur Elem Klimov (20 Minuten), Hauptdarsteller Aleksei Krawtschenko (13 Minuten), Set Designer Viktor Petrow (8 Minuten) und von 2007 Regieassistent Wladimir Kozlow (23 Minuten). Ein zeitgenössisches Making-Of (10 Minuten), Trailer und eine Bildergalerie mit 21 Bildern runden das Material auf der Bonus-DVD ab. Das 20-seitiges Booklet mit dem Text „Elem Klimovs Vermächtnis“ von Prof. Dr. Marcus Stiglegger ist wie immer lesenswert.

*Marcus Stiglegger machte mich darauf aufmerksam, dass es sich bei den im Film verwendeten Ausschnitten NICHT um Szenen aus GERMAN ANGST handelt, sondern um dokumentarische Szenen aus dem Ausstellungsprojekt, das Michal Kosakowski und er gerade vorbereiten. Das ist auch so im Abspann vermerkt. Die Szenen sind zudem nicht von Michal Kosakowski selbst gedreht. Ferner kann man diesen Film durchaus als eigenständiges Werk begreifen.

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Mein Artikel über Lucio Fulci ist im NeonZombie erschienen

Endlich kann ich eines der frustrierendsten Kapitel in meinen Leben abschließen. Vor sechs Jahren war ich zusammen mit weitaus illustreren Namen Teil eines Projektes, welches „das definitive deutschsprachige Buch über Lucio Fulci“ werden sollte. Vor ziemlich genau fünf Jahren waren meine Texte fertig und abgegeben. Danach wurde man hingehalten, dann kam gar nichts mehr, dann wieder Versprechungen, Hinhalten, Stille. Irgendwann kam dann plötzlich von einigen der ursprünglich involvierten Autoren ein ganz eigenes Buch zum Thema.

Das tat alles sehr weh und beschäftigt mich bis heute weitaus mehr als es sollte. Jetzt sind meine Texte leicht überarbeitet und zu einem Artikel zusammengefasst doch noch gedruckt worden. Zwar nicht in einem Buch, aber in einer Zeitschrift. Ich hoffe, damit vergeht jetzt die große Enttäuschung über diese Geschichte, und vielleicht geht ja irgendwann trotzdem mein kleiner Traum in Erfüllung, einmal Teil eines tollen Buches zu sein. Wer weiß. Bis dahin kann man gerne den Neon Zombie kaufen und lesen, was ich über Fulcis Ausbruchversuche aus dem Genre-Käfig geschrieben habe.

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Das Bloggen der Anderen (07-12-20)

Wenn mich jemand fragt (und um es gleich zu sagen, es tut keiner), wo letzte Woche das „Bloggen der Anderen“ geblieben ist, dann muss ich leider antworten: „Ich habe es schlicht und einfach vergessen“. Ja, tatsächlich. Nach einem Tag an dem ich mit allerlei anderen Dingen beschäftigt war, fiel mir erst am sehr späten Abend ein, dass es ja Zeit gewesen wäre, vom Bloggen der Anderen zu berichten. Was mich gleich mal wieder zur Sinnfrage führte. Lohnt es sich eigentlich überhaupt noch, sich jeden Montag die Mühe zu machen, um aus der Welt des Filmbloggens zu berichten? Viele Blogs haben aufgegeben oder senden nur noch sporadisch ein Lebenszeichen. Das Interesse nimmt scheinbar auch immer weiter ab, wenn ich die sinkenden Zugriffszahlen und kümmerlichen „Likes“ betrachte. Auf jeden Fall gehe ich jetzt bald in Winterpause und denke mal gründlich drüber nach, ob ich mit der Rubrik weiter mache. Es wird bis Jahresende noch ein paar Artikel geben, aber den Stress wöchentlich auf den Tag etwas fertig zu haben, werde ich mir in der Vorweihnachtszeit und im Jahresendspurt nicht machen. Zumal noch einige andere Arbeiten in der Pipeline sind, die meine Zeit und vor allem Aufmerksamkeit erfordern. Doch jetzt erst einmal, zum letzten Mal in diesem Jahr: „Das Bloggen der Anderen“.

– Das ist mal sehr spannend. Als Freund des polnischen Kinos war ich sehr überrascht, dass mir der Name Janusz Majewski spontan nichts sagte. Dabei habe ich seinen Gruselfilm „Lokis“ sogar in der Sammlung. Doch dadurch, dass man in Polen noch schändlicher mit seiner filmischen Vergangenheit umgeht als hierzulande (was ich fast nicht möglich gehalten habe), ist es seit mehr als 10 Jahren bis auf einige kuratierte Reihen, völlig unmöglich an Filme aus den 60ern bis 80er Jahren zu kommen. Insbesondere, wenn sie nicht zum etablierten Kanon gehören oder von Wajda gedreht wurden. Selbst einen Zanussi habe ich da lange nicht mehr bei Empik oder anderen Läden stehen sehen. Umso schöner, dass man scheinbar auf YouTube so einiges findet und noch schöner, dass Patrick Kokoszynski drei hochinteressante Filme besagten Janusz Majewskis auf diesem Portal entdeckt hat und diese auf critic.de ausführlich vorstellt.

Was ist Bahnhofskino? Sebastian von Nischenkino hat dazu ein sehr schönes und lesenswertes Interview mit Patrick Lohmeier und Daniel Gramsch vom Podcast Bahnhofskino geführt. Und wer bei Deliria-Italieno-Forentreffen dabei war, erinnert sich wahrscheinlich noch lebhaft an den Trailer zu „Dschungel Django“. Bluntwolf hat sich mal den dazugehörigen Film angesehen.

– Bianca Jasmina Rauch empfiehlt auf Filmlöwin das Buch „Die Filme der Jessica Hausner“, vermisst aber Tiefe im feministischen Kontext.

Funxton beschäftigt sich mit dem Kino des Yorgos Lanthimos und zeigt sich begeistert von „The Killing of a Sacred Deer“ und noch mehr von „The Favourite“.

– Ist es eine gute Idee einen ausgewiesenen Liebhaber des klassischen Hollywood-Kinos wie Tonio Klein über Jess Francos „Der Teufel kam aus Akasava“ schreiben zu lassen? Heraus kommt der zu erwartende Verriss, allerdings auch ein anderer Blick auf Francos Schaffen, den ich als eher konservativ bezeichnen würde, da ich wiederrum eine gänzlich andere Sicht vertrete. Aber vielleicht ist es ja auch genau andersherum. Auf jeden Fall ein interessanter Blick durch die Hollywood-Brille auf das freidrehende Kino des Herrn Franco. Nachzulesen auf Die Nacht der lebenden Texte.

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Filmbuch-Rezension: Markus Stiglegger “Jenseits der Grenze“

Wie konnte das geschehen? Bereits im letzten Jahr erschien der abschließende Band der sogenannten „Grenz-Trilogie“ von Marcus Stiglegger. Ich hatte bei den ersten beiden Büchern das Gefühl, dass das Rauschen in den Sozialen Medien weitaus größer war als beim dritten „Grenz“-Werk. Zumindest war es mir so durch die Finger gerutscht. Daher dauerte es jetzt ein Jahr bis ich das Buch im Haus hatte, und ich mich eingehend damit beschäftigen konnte. Im Grunde kann man über „Jenseits der Grenze“ dasselbe schreiben, was man bereits über „Grenzkontakte“ und „Grenzüberschreitungen“ zu Papier gebracht hat. Wie zuvor besteht das Buch vor allem aus Texten, die zuvor bereits an anderer Stelle erschienen sind. Vor allem einige Booklet-Texte sind wieder dabei. Das hat zur Folge, dass die Abschnitte auch sehr unterschiedlich sind. Bei einigen (z.B. über Horror-Western und Zahnarzt-Horror) hat man das Gefühl, dass es sich um Auftragsarbeiten für die DVD/Blu-ray-Veröffentlichung eines bestimmten Filmes handelt. Die lesen sich dann zwar auch interessant, haben aber auch etwas „aus dem Ärmel geschütteltes“ an sich. Sehr viel spannender sind da Texte, bei denen man deutlich merkt, dass Marcus Stiglegger die Filme über die es geht, sehr am Herzen liegen und er eine persönliche Verbindung zu ihnen hat. So ist zum Beispiel das Essay zu „Das Messer am Ufer“ ein ganz wundervoller, persönlicher Text geworden.

Sehr schön ist natürlich das Vorwort vom großartigen Dominik Graf, der gerne auch selber mal wieder etwas veröffentlichen darf. Sein „Es schläft..“ ist für mich immer noch eines der schönsten deutschsprachigen Bücher über Film. Dominik Graf ist es auch, der das Buch – und damit die „Grenz-Trilogie“ – am Ende zu einem Abschluss führt. Nämlich in einem sehr lesenswerten und spannenden Interview, welches Marcus Stiglegger bereits 2011 mit Graf geführt hatte, welches aber keinesfalls an Relevanz verloren hat.
Trotz der Ankündigung, den Horrorfilm eigentlich schon im zweiten Band der „Grenz“-Trilogie abgehandelt zu haben, finden sich auch in „Jenseits der Grenze“ viele Filme aus diesem Genre. Überraschenderweise auch „The Last Horror Movie“, den ich einst auf dem Fantasy Filmfest sah, und der mir danach nicht wieder untergekommen ist. Eine schöne Überraschung, insbesondere da Marcus Stiglegger viel zum Film, sowie das Thema „Snuff“-Film zu sagen hat. Ansonsten sind von den – ich sage mal provokant „erwartbaren“ Themen „Maniac“ (Remake und Original), „Conan“ (sehr lesenswert!), „David Cronenberg (ein sehr gutes, auf den Punkt gebrachtes Portrait), „Pans Labyrinth“, „Under the Skin“, das Kino Pascal Laugiers und „Suspiria“ dabei.

Aber es gibt auch große Überraschungen: „Matador“ von Almodovar wird in einem großartigen, Liebe und Tod untersuchendes Essay vorgestellt. Es gibt ein herausforderndes, aber gerade deshalb sehr lohendes Kapital über Malicks „Der schmale Grat“. An ein Tabu-Thema wagt sich Stiglegger mit der Pädophilen-Studie „Michael“ und es gibt ein aufschlussreiches Kapitel über S. Craig Zahler. Auch „Noturnal Animals“ von Tom Ford zähle ich unter die Filme, die ich hier nicht erwartet hätte. Ganz besonders gefreut habe ich mich, dass Stiglegger auch dem deutschen Horrorfilm seinen Platz einräumt. Während man „German Angst“ allein aufgrund der persönlichen Verbindung zu den Machern erwarten konnte, so ist es nicht selbstverständlich, dass die großartige und seltsamerweise trotz größerer Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray (auch international) doch recht unbekannte gebliebene Produktion „Hagazussa“ von Lukas Feigelfeld hier auftaucht. Und Marcus Stiglegger erfüllt dann auch das, was ich mir ganz besonders von diesem dritten Band gewünscht habe: Mit Philippe Grandrieux stellt er einen Filmemacher vor, dessen Werk mir bisher vollkommen unbekannt war, weshalb ich mich über diese Horizonterweiterung ganz besonders freue.

Ich kann jetzt nicht sagen, dass „Jenseits der Grenze“ nun der beste Band der Trilogie geworden ist. Ich hätte mir gerade „jenseits der Grenze“ noch mehr provokativere, abseitigere Filme gewünscht. Er ist aber auf jeden Fall nicht schlechter als die anderen beiden Teile. Daher kann ich jedem, der „Grenzkontakte“ und „Grenzüberschreitungen“ mit Gewinn gelesen hat, auch dieses Buch ans Herz legen.

Markus Stiglegger „Jenseits der Grenze – Im Abseits der Filmgeschichte“, Martin Schmitz Verlag, 240 Seiten, € 17,80

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„35 Millimeter“-Magazin: Ausgabe 39 erhältlich

Schon wieder vor Tagen aus der Druckerei gekommen und über den 35-Millimeter-Shop zu bekommen: Die neue Ausgabe unseres Retro-Filmmagazins, welches die Filmgeschichte bis 1965 beleuchtet.

Im Titelthema geht es diesmal um Alkohol und Drogen. Da habe ich natürlich gleich zwei Beiträge. Einmal habe ich mir den unglaublichen „Bekenntnisse eine Opiumsüchtigen“ mit dem großen Vincent Price angesehen und dann das erschütternde Trinkerdrama „Die Schlinge“ aus Polen, welches von einem meiner Lieblings-Regisseure in Szene gesetzt wurde: Wojciech Has.

Die Redaktionskollegen waren auch sehr fleißig, wir ihr am Inhaltsverzeichnis sehen könnt. Da sehr ihr dann auch, dass es neben dem Titelthema auch wieder viele andere spannende Artikel gibt.

Heft #38 kann man HIER für € 6,00 zzgl. Versand beziehen.

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Das Bloggen der Anderen (23-11-20)

– Eigentlich hätte Nino Klingler von critic.de vor Ort beim Filmfestival Mannheim-Heidelberg dabei sein sollen. Doch dann kam der Teil-Lockdown und das Festival fand rein online statt. Das führt bei ihm einerseits zu Gedanken darüber, was Festivals eigentlich ausmacht und andererseits werden von ihm auch einige interessante Festival-Beiträge vorgestellt.

– Katrin Doerksen macht auf kino-zeit auf eine neue Filmzeitschrift aufmerksam, die von einem rein weiblichen Team geführt wird. Spannend, denn so etwas gab es – meines Wissens nach – zuvor noch nie und weibliche Stimmen sind ja leider in dieser Szene selten.

– Hurra! Ich freue mich darüber, mal wieder etwas von Whoknows presents zu lesen. Damit will ich jetzt nicht Schreibfaulheit bei den Kollegen unterstellen, aber ich musste ja auch eine lange Pause einlegen und hatte da mit anderen Dingen zu kämpfen, als dem „Das Bloggen der Anderen“ zu folgen. David schreibt: „Ich habe mich dieses Jahr in Sam Firstenbergs Filme verliebt“. Er erklärt diese Liebe und hat auch noch zwei sehr frühe Kurzfilme von Firstenberg ausgegraben, die er ausführlich vorstellt.

– Beim Internationalen Filmfest Oldenburg hatte ich kurz überlegt, ob ich mir „Happy Times“ anschaue. Dann ist er doch nur auf die „Alternativen“-Liste gerutscht und ich war sehr überrascht, dass er kurz darauf eine deutsche Veröffentlichung bekam. Lucas Gröning hat ihn für Die Nacht der lebenden Texte besprochen und ich denke, meine Wahl damals war eine gute.

– Auf youTube habe ich den schönen amerikanischen Vlog „Into the Blu“ gefunden, wo der Vloger seine „Top 10 Western of the Decade“ vorstellte. Darunter auch „Seraphim Falls“. Nach Sebastians begeisterter Review eben dieses Films auf Nischenkino, muss der wohl demnächst definitiv in den Einkaufskorb. Bluntwolfs Vorstellung des Italo-Kriegsfilms „Todeskommando Panthersprung“ klingt ebenfalls sehr vielversprechend. Wenn auch auf andere Weise.

– Ich muss den endlich mal vom „Pile Of Shame“ mit den hunderten ungesehenen Scheiben nehmen: „Hagazussa – Der Hexenfluch“ von dem ja nun wirklich jeder schwer begeistert ist. So auch Heiko von Allesglotzer.

– Anime-Zeit Teil 1: Flo Lieb schreibt auf symparanekronemoi über „Tenki no Ko“ (aka Weathering with You) und…

– Anime-Zeit Teil 2: .. totalschaden hat sich auf Splattertrash „Sternenkrieger – Warriors of the Wind“ von 1984 vorgenommen.

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Blu-ray-Rezension: „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“

Italien 1974. Überall lauert Gewalt und Verbrechen. Auch Carlo Antonelli (Franco Nero) wird zum Opfer, als er in einen Banküberfall verwickelt wird. Er wird von den Tätern misshandelt und als Geisel mitgenommen. Gedemütigt und voller Wut auf die Polizei, der er Versagen vorwirft, beschließt er die Übeltäter selber Dingfest zu machen. Um an die Täter heranzukommen, erpresst er den Kleinkriminellen Tommy (Giancarlo Prete). Doch so einfach, wie Antonelli sich das alles ausgedacht hat, ist es nicht. Und bald schon muss er um sein Leben fürchten…

Anmerkung: Alle Screenshots stammen von der ebenfalls enthaltenen DVD, nicht der Blu-ray.

Es ist schon merkwürdig, dass gerade die Ausflüge des großen italienischen Action-Spezialisten Enzo G. Castellari in den Polizieschi an einer Hand abzuzählen sind. Aber es kommt ja nicht auf die Quantität, sondern die Qualität an. Und Castellaris „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ zählt zu den Höhepunkten des Genres. Wobei sich Castellari stark an Michael Winners gerade mal zwei Monate zuvor in den USA angelaufenen „Ein Mann sieht rot“ orientiert. Schon dieser Film mit Charles Bronson hat heute im einen sehr reaktionären Ruf, welcher sich allerdings eher aus dem Mythos und den Sequels speist. Ähnlich auch wie „Rambo“ heute mehr mit Teil 2 und 3 als dem gesellschaftskritischen ersten Film in Zusammenhang gebracht wird. Die Parallelen zu „Ein Mann sieht rot“ sind so überraschend deutlich, dass man sich fragt, ob die Italiener nach dem Erfolg des Winner-Films im Rekordtempo „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ auf die Strecke gebracht haben oder bereits zuvor darauf gesetzt haben, dass die sich in der Produktion befindliche Winner-/Bronson-Kombo ein solcher Erfolg wird. Gerade die letzte Einstellung ist in ihrer Aussage beinahe identisch.

Wie Bronsons ursprünglicher Paul Kersey ist auch Franco Neros Carlo Antonelli kein harter Kerl oder gar Superbulle (wie es z.B. Maurizio Merli nach ihm sein sollte), sondern eine gutbürgerlicher, gesellschaftlich und finanziell gut gestellte Person, die sich etwas naiv in die Rolle des Vigilanten begibt. Und die dann feststellen muss, dass das mit dem „Aufräumen in der Unterwelt“ nicht ganz so einfach und problemlos ist, wie man sich das vorstellt. Während Kersey sich nach seiner ersten Aktion noch im heimischen Badezimmer übergibt, wird Antonelli gleich zu Beginn seiner „Detektivarbeit“ von den Kleinkriminellen des Viertels durchschaut und muss ordentlich Fersengeld geben, um mit heiler Haut davonzukommen. Nein, in Held ist Antonelli nun gar nicht. Immer wieder macht er schmerzhafte Fehler, bringt sich und andere in Gefahr und kommt keinen Schritt weiter. Interessant, dass sowohl Kersey als auch Antonelli von Schauspielern gespielt werden, bei denen man eigentlich etwas anderes erwartet. Wobei Bronson da die größere Überraschung ist, da er zuvor mit der Darstellung harter, cooler und siegessicherer Typen bekannt geworden ist (obwohl er in der Frühzeit seiner Karriere auch ambivalente, schwache Charaktere gespielt hat). Franco Nero ist demgegenüber zu diesem Zeitpunkt der vielseitigere Schauspieler, der auch häufiger (charakter)-schwache Menschen gegeben hat. Man denke nur an seinen Vanzi in dem brillanten „Das Verfahren ist eingestellt – Vergessen Sie’s!“. Wenn man allerdings einen Filmtitel wie „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ vor den Augen hat, denke man bei Nero automatisch an seinen Django, den Schweden oder Kommissar Belli. So könnte der Film für die Freunde der „Immer feste druff“-Fraktion vielleicht etwas verstörend sein.

Einen wesentlichen Unterschied gibt es allerdings zwischen Kersey und Antonelli. Während das Drehbuch Kersey einen „echten“ Grund zum Amoklauf gibt (seine Frau wurde ermordet, die Tochter durch eine brutale Vergewaltigung in den Wahnsinn getrieben), so ist es bei Antonelli vor allem gekränkte Eitelkeit, die ihn zur Tat schreiten lassen. Als er in den Banküberfall verwickelt wird, lenkt er die Aufmerksamkeit der Täter auf sich, als er nach einem Bündel Geldscheinen greift, welches er kurz zuvor auf sein Konto einzahlen wollte und das immer noch auf dem Banktresen liegt. Es geht ihm also in erster Linie um sein Geld, seinen Besitz. Die Gangster missverstehen seinen Griff zum Geld als Versuch „den Helden zu spielen“, nehmen ihn als Geisel mit, verprügeln ihn – und als schließlich die Polizei eintrifft und den zurückgelassenen Antonelli findet, da wird dieser in seiner misslichen Lage von einer großen Traube Schaulustiger beglotzt. Man sieht, dass es genau dieser Moment ist, der ihn am meisten verletzt und wütend macht. Gekränkte Eitelkeit, ein sich lächerlich gemacht fühlen. Hier entsteht der Gedanke, sich „an der Unterwelt zu rächen“ und wieder als echter Kerl dazustehen. Vor sich und vor allen anderen.

Enzo G. Castellaris sichere Regie wird für eine dynamische Kameraarbeit des Veteranen Carlo Carlini unterstützt, die das Seelenleben des Protagonisten in Bewegung umsetzt. So ist die Kamera gerade am Anfang, wenn Antonelli emotional aufgewühlt ob der ihm widerfahrenen „Schande“ ist, ständig in Bewegung, umkreist aufgeregt die Figuren und spiegelt seine innere Unruhe wider. Auch sonst ist die Kamera in den zahlreichen Actionszenen nah am Geschehen und involviert den Zuschauer, ohne dass dieser dien Überblick verlieren würde. Begleitet wird dies durch die kongeniale Musik von Guido und Maurizio De Angelis, die nicht nur einen ohrwurmerzeugenden Titelsong („Goodbye, My Friend“) zu bieten hat, sondern auch sonst mit einer Mischung aus Prog-Rock, Funk und Blues den Film emotional auflädt. Für die deutschen Zuschauer nett: Franco Nero wird in diesem Film von Bud-Spencers-Stammsprecher Wolfgang Hess synchronisiert. Und in einer Szene mit Nero läuft im Hintergrund der Smash-Hit „Dune Buggy“, den die De-Angelis-Brüder unter ihrem Pseudonym „Oliver Onions“ für den Spencer/Hill-Film „Zwei wie Pech und Schwefel“ komponiert haben.

Die Actionszenen in „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ sind wieder einmal superb. Dass Castellari hier ganz genau bei Sam Peckinpah hingeschaut hat, ist offensichtlich. Aber er kopiert nicht nur stumpf, sondern erschafft sich sein eigenes Markenzeichen. Einen Castellari-Film erkennt man an den Action-Szenen, in denen Bewegung, Zeitlupe, Schnitt und akustische Begleitung ein festes Ganzes ergeben und die Dramatik der Szene auf einen Höhepunkt treiben. Für immer im Gedächtnis bleibt vor allem jene Szene, in der Antonelli vor einem Auto flieht, welches ihn überrollen will. Dabei sieht man nicht nur deutlich, dass Franco Nero hier die gefährlichen und spektakulären Stunts selber übernahm, es stock einem auch mehrmals der Atem und das Zusammenspiel aus Action, Zeitlupe und „Goodbye, My Friend“ bohrt sich tief ins Gedächtnis und lässt einen auch Jahre später nicht los.

Neben einem stark aufspielenden Nero ist es vor allem ein noch sehr junger Giancarlo Prete als Kleinkrimineller Tommy, der den Film trägt. Tommy ist ein sehr amivalenter Charakter. Sympathisch, durchtrieben – und mit einem ganz eigenen Ehrencodex (der in höchster Not ums eigene Leben aber auch gerne mal etwas gedehnt werden darf). Einer, der im Leben keine Chance hatte und fast automatisch ins Verbrechen abrutschte. Der aber auch große Träume hat. Dass diese großen Träume dann „nur“ eine eigene Werkstatt sind, passt sehr gut zu Tommy. Giancarlo Prete hat in seiner Karriere zumeist nur Nebenrollen gespielt. Etwas bekannter wurde er unter dem Name „Timothy Brent“, als er in den 80ern in einigen Endzeitfilmen mitspielte und in dem ebenfalls von Castellari gedrehten „Metropolis 2000“ eine seiner raren Hauptrollen spielen durfte. Die weiteren Darsteller fallen nicht sonderlich auf. Barbara Bach bleibt blass, Renzo Palmer zieht seine bekannte „Gehobener Beamter“-Nummer durch. Allenfalls Romano Puppo markantes Gesicht als Anführer der Bankräuber sticht noch heraus. Das macht aber wenig aus, da Nero und Petre den Film auch ganz alleine tragen können.

Auf der Rückseite des Covers steht „Franco Nero sieht rot! Die italienische Antwort auf den Charles Bronson Klassiker Death Wish“. Das kann man so unterschreiben, auch wenn es den potentiellen Käufer auf die falsche Spur lockt. Der Film und vor allem die von Nero gespielte Hauptfigur sind ausgesprochen ambivalent und wenig „heroisch“. Wie bei einem Castellari-Film aus den 70ern ist „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ daneben aber auch ein perfekt gefilmter und Adrenalin produzierender Actionfilm.

FilmArt hat „Ein Bürger setzt sich zur Wehr“ als 15. Teil ihrer „FilmArt Polizieschi Edition“ veröffentlicht. Die DVD-Version befindet sich normal in der Ameray, die Blu-Ray steckt in einer Papphülle, die an der Stelle klemmt, wo normalerweise ein Booklet zu finden ist. Dieses gibt es leider nicht, dabei wäre gerade über diesen Film viel zu schrieben gewesen. Schade. An Extras gibt es einmal die alt, um fast 20 Minuten gekürzte, deutsche Fassung und vor allem ein Audiokommentar von Marcus Stiglegger. Dazu gibt es noch internationale Vor- und Abspänne, den italienischen Trailer, einen italienischer TV-Spot und eine 2-minütige Bildergalerie. Das Bild der Blu-ray ist sehr gut und vor allem nicht todgefiltert. So muss das aussehen. Die drei Tonspuren sind auf der Blu-ray in DTS-HD Master Mono 1.0 und auf der DVD in Mono 1.0. Die deutsche Tonspur überzeugt mit tollen Sprechern, wobei Hess auf Nero sehr gewöhnungsbedürftig ist. Die Englische Tonspur irritiert damit, dass Neros Figur die einzige ist, die mit einem starken Akzent (soll wohl Italienisch sein) spricht, während alle um sie herum normales Englisch sprechen. Daneben gibt es noch die italienische Tonspur. Insgesamt eine gute Veröffentlichung.

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