Blu-ray-Rezension: „Komm und sieh“

Der junge Fljora (Aleksei Krawtschenko) schließt sich gegen den Willen seiner Mutter im Jahre 1943 einer Gruppe weißrussischer Partisanen an, die gegen die deutschen Besetzer kämpfen. Von diesen wird er nicht ganz ernst genommen und so bleibt er beim ersten Einsatz im Waldquartier der Gruppe zurück. Er lernt die etwas ältere Glascha (Olga Mironowa) kennen, die Geliebte des Hauptmanns. Nach der Bombardierung des Waldes durch die Deutschen, bei der Fljora und Glascha knapp mit dem Leben davon kommen. Kehrt Fljora mit Glascha in sein Dorf zurück, das nun menschenleer ist. Für Fljora beginnt eine Reise durch die Hölle des Krieges…

Es gibt Film vor denen man Angst hat. Nicht, dass sie einen aus dem Regal heraus anfallen könnten. Nein, Filme vor denen man sich fürchtet, weil sie einen bis und über seine Belastungsgrenze führen können. Weil sie einem Dinge zeigen, die man nicht sehen möchte und von denen man nicht weiß, ob man sie aushalten kann. Ein solcher Film vor dem ich mich gefürchtet habe war „Komm und sieh“. Das sowjetische Meisterwerk, welches zu den wenigen echten „Antikriegsfilmen“ zählt und die von der Wehrmacht begangenen Gräuel im heutigen Weißrussland ihm Zweiten Weltkrieg aus der Sicht eines Jungen beschreibt. Da ich bei der Verbindung Gewalt, Tod und Kinder eine schwache Stelle habe und meine Toleranzschwelle dort, seit ich selber Familienvater bin, sehr niedrig liegt, habe ich mir lange überlegt, ob ich mir „Komm und sieh“ wirklich anschauen möchte/kann. Da Elem Klimovs Film allerdings unisono als sehr wichtiger Film und darüber hinaus noch einer der – laut Kanon – besten aller Zeiten gilt, habe ich mich meiner Angst gestellt.

So unerträglich, wie ich es mir vorgestellt habe, ist „Komm und sieh“ dann nicht. Aber er springt einem Beine voran mit voller Wucht in die Magengrube. Klimov verfällt nicht dem Fehler, den Film durch plattes Zeigen und drauf halten zum Spektakel verkommen zu machen. Tatsächlich ist „Komm und sieh“ indem was er zeigt, relativ zurückhaltend. Es ist das wie, welches es so schwer macht, den Film wieder aus dem Kopf zu bekommen. Besonders signifikant ist dies bei einer der berühmtesten Szenen des Films. Der junge Fljora kehrt mit seiner Begleiterin Glascha in sein Heimatdorf zurück und findet dies verlassen vor. Er geht in das Haus in der er mit seiner Mutter, seinem jüngeren Bruder und seinen den kleinen Zwillingsschwestern gelebt hat. Klimov bereitet einen subtil auf das schlimmste vor. Auf der Tonspur ein niederfrequentes Dröhnen, das Summen von Fliegen. Auf dem Boden liegen die Spielsachen der Kinder, der Tisch ist noch gedeckt, die Suppe noch warm. Jede Sekunde wird deutlicher, dass hier etwas Schreckliches passiert ist. Doch Fljora will die Zeichen nicht sehen, während Glascha bereits weiß, was sich hier zugetragen hat. Doch Fljora ist sich plötzlich sicher, seine Familie wäre ins Moor geflohen. Er stürmt aus dem Haus, einen Feldweg entlang, Glascha und die Kamera hinter ihm her. Da dreht sich Glascha kurz um und erblickt (gemeinsam mit dem Zuschauer) den Leichenberg hinter einem Haus. Nur kurz erblickt man dieses schreckliche Bild, kaum lange genug um voll zu erfassen, was man da sieht. Doch im Kopf wächst das Bild, breitet sich aus und gebiert einen viel größeren Schrecken als es der Fall gewesen wäre, wenn Klimov die Szene graphischer und ausführlicher gezeigt hätte.

Diese Taktik wendet Klimov immer wieder sehr effektiv bei „Komm und sieh“ an. Er zeigt keine Kampfhandlungen, doch die Folgen dieser oder wirft seine Figuren in tödliche Situationen, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. In der Welt von „Komm und sieh“ ist der Tod ein ständiger Begleiter, der alles durchdringt. Der alle Lebewesen und auch die Natur umgibt. Ein Leben kann so schnell erlöschen wie eine Kerze im Wind. Es gibt keine Sicherheit. Nur das bisschen Glück, wenn man dem allgegenwärtigen Tod diesmal entkommen kann. Dass dieses Gefühl der Unsicherheit und permanenten Gefahr für den Zuschauer in „Komm und sieh“ körperlich spürbar wird, liegt zum einen an der Kameraführung. Immer ist die Kamera mitten im Geschehen, Fljoras Blick auf den Terror ist der unsere. Wir werden förmlich zu Fljora, stehen dem Ganzen ebenso entsetzt, hilflos und verzweifelt gegenüber wie er. Auf der zweiten Ebene ist es die Tonspur die einen zermürbt. Das bereits oben erwähnte niederfrequente Dröhnen, die Kakophonie aus überlauten Natur- und Kriegsgeräuschen, der man nicht entkommen kann. Besonders eindrucksvoll nach einer Szene, in der Fljora nur knapp einem Bombenangriff im Wald entgeht und vorübergehend sein Gehör verliert. Nun hören wir das, was in seinem Kopf ist. Die gedämpfte Umwelt, das Piepen und Dröhnen. Fljora greift sich mehrmals an den Kopf, um die Geräusche herauszuquetschen, dem Zuschauer geht es ähnlich. Was für einen Eindruck muss dieser Film im Kino hinterlassen, wo es keine Fluchtmöglichkeit, keine Ablenkung gibt?

Es gibt auch schöne Augenblicke, aber sie sind selten. Erinnern wird man sich immer an Glascha wunderbar verspielten Tanz im Wald, unter dem Regenbogen und wie in einer verzauberten Märchenwelt gefangen. Doch am Ende wird auch diese vernichtet sein und Glascha zu den Opfern des Krieges gehören. Wie Fljora, dessen kindliche Seele zerstört wurde, der um Jahre gealtert voller Wut auf ein Bild von Hitler schießt. Übrigens seine erste Kampfhandlung im Film. Er schießt und schießt während die Zeit scheinbar rückwärts läuft, hin zum Anfang des Bösen. Aber wo ist der Anfang? Ist es das Kind? Hat der sadistische Mörder Recht, der meint, die Kinder müssten vernichtet werden, da sie der Anfang von allem sind? Oder gerade nicht. „Komm und sieh“ wirft auch viele Frage auf, die einen noch lange beschäftigen. Und ist auch ein starker, schmerzhafter Appell: „So etwas darf sich nie wieder wiederholen“. Keine Macht den Faschisten. Keine Macht den Nazis.

Diese Bildstörung-Veröffentlichung vorbildlich zu nennen ist fast schon eine kleine Untertreibung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man es besser machen kann und bin schlichtweg begeistert. Das fängt der Bildqualität an. Genutzt wurde eine bei den Filmfestspielen in Venedig preisgekrönte Restauration. Und das sieht man auch. Das Bild ist so, wie man es sich wünscht. Von perfekter Qualität ohne dabei den Filtertod zu sterben. So sieht Kino aus. Vielleicht meckert jemand, dass die Tonspur nur im Original vorliegt. Aber ein Synchronisation würde dem Film überhaupt nicht guttun. Gerade durch das Sprachgemisch Deutsch-Russisch. Die Tonspur ist bei diesem Film sehr wichtig, wie ich oben ausgeführt habe. Und obwohl nur Linear PCM 2.0 Mono kommt der Sound sehr kraftvoll und intensiv rüber. Auf der zweiten Tonspur befindet sich ein Audiokommentar von Audiokommentar mit Barbara Wurm (Auswahlkomitee Berlinale) & Filmkritiker Olaf Möller. Der Film kommt mit einer zusätzlichen Bonus DVD daher. Und diese hat es in sich. Zunächst ein 50 Minutiges Portrait des Regisseurs, welches 1987 anlässlich seines Besuchs in den USA von einem britischen Team aufgenommen wurde. Dem folgen drei Dokumentar-Kurzfilme zwischen 10 und 27 Minuten, welche 1975 vom weißrussische Regisseur Wiktar Daschuk gedreht wurden. Diese bilden eine sehr schmerzhafte Ergänzung zum Hauptfilm, denn sie zeigen Menschen, die die Massaker der Deutschen in Weißrussland überlebten und detailliert und emotional von den grauenvollen Taten berichten. Ich gebe zu, mir war das direkt nach „Komm und sieh“ zu hart und ich musste die Sichtung mit Tränen in den Augen und einem verkrampften Magen abbrechen. Werde aber irgendwann mit etwas Abstand noch einmal hineinschauen. Denn es ist wichtig aus der Vergangenheit zu lernen. So unbequem das auch ist. Mit dem 35-Minütigen Videoessay von Michal Kosakowski und Marcus Stiglegger habe ich so meine Probleme. Gar nicht, was es inhaltlich angeht. Beide sprechen sehr persönlich über „Komm und sieh“ und bieten sehr interessante Denkanstöße. Aber mit der Machart des Essays kann ich mich nicht anfreunden. Wenn beispielsweise Stiglegger aus Ales Adamowitschs „Stätten des Schweigens“, welches Erinnerungen von Überlebenden enthält, vorliest und zur Illustrierung offensichtlich Ausschnitte aus Kosakowskis „German Angst“-Episode „Make a Wish“ verwendet werden*, empfinde ich das als problematisch. Ich hätte ein reines Gespräch gerade bei diesem Film für angemessener gehalten. Vor allem, weil ja Beide viel zu sagen haben. Es folgen sehr interessante Interviews, die scheinbar 2002 für eine russische (?) Veröffentlichung aufgenommen wurden. Es werden interviewt: Regisseur Elem Klimov (20 Minuten), Hauptdarsteller Aleksei Krawtschenko (13 Minuten), Set Designer Viktor Petrow (8 Minuten) und von 2007 Regieassistent Wladimir Kozlow (23 Minuten). Ein zeitgenössisches Making-Of (10 Minuten), Trailer und eine Bildergalerie mit 21 Bildern runden das Material auf der Bonus-DVD ab. Das 20-seitiges Booklet mit dem Text „Elem Klimovs Vermächtnis“ von Prof. Dr. Marcus Stiglegger ist wie immer lesenswert.

*Marcus Stiglegger machte mich darauf aufmerksam, dass es sich bei den im Film verwendeten Ausschnitten NICHT um Szenen aus GERMAN ANGST handelt, sondern um dokumentarische Szenen aus dem Ausstellungsprojekt, das Michal Kosakowski und er gerade vorbereiten. Das ist auch so im Abspann vermerkt. Die Szenen sind zudem nicht von Michal Kosakowski selbst gedreht. Ferner kann man diesen Film durchaus als eigenständiges Werk begreifen.

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2 Antworten zu Blu-ray-Rezension: „Komm und sieh“

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