Blu-ray-Rezension: „Botschafter der Angst“

Im Koreakrieg wird die Einheit von Captain Bennett Marco (Frank Sinatra) und Sergeant Raymond Shaw (Laurence Harvey) in ein Hinterhalt gelockt und in die Mandschurei entführt, wo sie von sowjetischen Wissenschaftlern einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Doch woran sie sich bei ihrer Rückkehr erinnern ist eine ganz andere Geschichte. So konnten sie sich dank des Wagemuts von Shaw aus nordkoreanischer Gefangenschaft befreien, weshalb Shaw die hohe Auszeichnung mit der Medal of Honor verlieren wird. Als der Kriegsheld nach Hause kehrt, wird er dort schon von seiner dominanten Mutter (Angela Lansbury) und ihrem populistischen Ehemann, Senator Iselin (James Gregory), einer jubelnden Menge und der Presse erwartet. Lediglich der von Albträumen geplagte Marco ahnt, dass irgendetwas nicht stimmt und Shaw eine Gefahr darstellt. Tatsächlich stellt sich bald heraus, dass Shaw zu einer willenlosen Mordmaschine der Sowjets umprogrammiert wurde. Wird es Marco gelingen, die Wahrheit aufzudecken und Shaw zu stoppen?

Anmerkung: Alle Screenshots stammen von der ebenfalls enthaltenen DVD, nicht der Blu-ray.

Dank der OFDb Filmworks wird endlich wird eine schmerzliche Lücke in der deutschen Veröffentlichungsgeschichte von John Frankenheimers Paranoia-Klassiker geschlossen. Zwar gab es „Botschafter der Angst“ bereits auf DVD, hier jedoch nur in minderwertigen Ausgaben. Beide MGM-Veröffentlichungen und die SZ-Edition enthalten alle dieselbe Scheibe, der nicht nur die englische Tonspur, sondern auch die für den Film immens wichtige Traumsequenz fehlen. Das prächtige Mediabook von OFDb Filmworks enthält nicht nur beides, sondern wartet auch mit einer tollen Bildqualität auf. Würdig eines Klassikers, dessen Original-Titel „The Manchurian Candidate“ in den amerikanischen Sprachgebrauch eingegangen ist.

Frankenheimers Thriller fühlt sich auch heute noch hoch modern an. Seine Mischung aus dokumentarischer Beobachtung, Noir-Referenzen und innovativen Kameraeinstellungen wirken noch heute frisch, trotz Kalter-Krieg-Thematik. Dies liegt daran, dass Frankenheimer den Kalten Krieg als Vehikel für seinen Thriller nutzt, aber die persönlichen Konflikte und psychologischen Qualen im Vordergrund stehen. Zudem verkommt „Botschafter der Angst“ nie zu herkömmlichen Kommunisten-Bashing. Im Gegenteil werden die verbohrten Kommunisten-Jäger als Teil des Problems und zudem in einer überraschenden Volte als eiskalte, den Hang der Amerikaner zum Populismus ausnutzende Schurken dargestellt. In Bester Paranoia-Tradition hängt alles miteinander zusammen und das Spiel der Mächtigen hinter den Kulissen nimmt keine Rücksicht auf einzelne Individuen. Alles wird dem einen Ziel untergeordnet: Der eigenen Macht.

Intelligent seziert Frankenheimer die Methoden der Populisten. Als Gesicht fungiert Senator Iselin, ein nicht besonders kluger, einfach denkender Mann, der vor allem eins kann: Gut herumbrüllen. Im Hintergrund zieht seine Frau die Fäden, antizipiert Wählerstimmung und die Reaktion der Medien. In nur zwei Szenen erzählt Frankenheimer alles über die Kunst der „Spin Doctors“ und der Manipulation von Medien und Wählern. In der ersten Szene ereifert sich Senator Iselin und spult geifernd erfundene Vorwürfe gegen das US-Verteidigungsministerium herunter, während man im Vordergrund Mrs. Iselin sieht, wie sie nicht ihrem Mann zusieht, sondern den Blick nicht vom Monitor ablässt, um die mediale Wirkung ihres Mannes zu überprüfen. Dabei wiederholt sie scheinbar unmerklich die Worte, die sie ihm vorher in den Mund gelegt hat. In einer anderen Szene beschwert sich Iselin darüber, dass seine Frau ihm immer wieder andere Zahlen in den Mund legt und er sich ständig selbst widerspricht, wodurch er wie eine Idiot dastehen würde. Ruhig erklärt ihm Mrs. Iselin, dass dies durchaus beabsichtigt ist, denn die Frage, die in den Medien gestellt wird, ist dadurch nicht, OB es Verräter im Ministerium gäbe, sondern nur WIEVIEL. In Zeiten, in denen ein Irrer im Weißen Haus sitzt und genau diese Taktik anwendet, wirkt „Botschafter der Angst“ wahrhaft prophetisch.

Ebenfalls prophetisch, wenn man sich den Verlauf der Geschichte ansieht, wirkt das Thema des von Außen gesteuerten Attentäters. Eine Waffe, die immer und überall effektiv eingesetzt werden kann. Als ein Jahr später John F. Kennedy unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen ermordet wurde, konnte man wenn man wollte durchaus Parallelen zu „Botschafter der Angst“ ziehen, wo es ja auch um eine Verschwörung geht, um einen Präsidentschaftskandidaten zu erschießen. Dass der Film kurze Zeit später von Kennedy-Freund Frank Sinatra aus dem Verkehr gezogen wurde, bestärkte noch den Mythos, dass hier Zusammenhänge zwischen Film und Realität bestehen würden. Doch tatsächlich war es eher ein Streit ums liebe Geld zwischen Produzent Sinatra und dem Verleih, der dazu führte, dass man „Botschafter der Angst“ jahrelang nicht sehen konnte. Natürlich kann man in der Retrospektive Vergleiche mit dem Kennedy-Attentat in „Botschafter der Angst“ hineinlesen und sich daraus eine krude Verschwörungstheorie basteln, dass Attentäter Lee Harvey Oswald ein gehirngewaschenes Werkzeug der bösen Sowjets gewesen sei – aber das ist eher beste Werbung für den Film und weniger ein historisch fundiertes Gedankenspiel. Was dies aber zeigt ist, dass Frankheimer seine – bei näherer Betrachtung doch eher abstruse – Prämisse so packend und intensiv umsetzte, dass sie im Gedächtnis blieb, solche Querverweise triggerte und der Originaltitel „Manchurian Candidate“ noch heute wie folgt verwendet wird: „A Manchurian candidate is a person, especially a politician, being used as a puppet by an enemy power. The term is commonly used to indicate disloyalty or corruption, whether intentional or unintentional.“

Neben Frankheimers exakter, zu jeder Sekunde packender und innovativer Inszenierung, sind es vor allem die Darsteller, die aus „Botschafter der Angst“ ein kleines Meisterwerk machen. Allen voran der großartige Laurence Harvey, auch wenn er als eigentlich durch und durch amerikanischer Soldat seine britischen Schauspielausbildung (geboren in Litauen, wuchs Harvey in Südafrika auf und zog nach dem 2. Weltkrieg nach London) nie ganz verleugnen kann. Als gutaussehender Kriegsheld mit gequälter Seele spielt er erschreckend überzeugend. Sein Raymond stürzt den Zuschauer in höchst widersprüchliche Gefühle. Einerseits ist Raymond ein ziemlich unsympathischer Charakter. Andererseits wissen wir, wie er wurde, was er ist. Dass er von seiner dominanten Mutter seit Kindestagen manipuliert und unter Druck gesetzt wurde. Dass seine zaghaften Ausbruchsversuche von ihr drastisch unterbunden wurden. Dass er sich dafür selbst hasst. Die tragische Figur hat von Anfang an keine Chance, egal wie sehr er sich bemüht ein eigenständiger, unabhängiger Charakter zu werden. Am Ende ist er nur eine traurige Marionette, der es nicht gelingt ihre Fäden zu zerschneiden. Harvey gelingt es all diese Facetten zum Leben zu bringen. Man verachtet ihn, fürchtet sich vor ihm, bemitleidet ihn und am Ende verdrückt man wegen ihm vielleicht auch eine kleine Träne.

Der große Star des Films, Frank Sinatra, nimmt sich angenehm zurück, gibt Harvey die Bühne, die er braucht und wirkt tatsächlich nicht wie ein Star, sondern eine Figur, die mit den eigenen Dämonen kämpfen muss und der alles heroische abgeht. Über Angela Lansbury als Mutter-Monster braucht man keine Worte zu verlieren. Dass sie für ihre unter die Haut gehende Darstellung ihre dritte Oscar-Nominierung erhielt ist ein Selbstgänger. Eine Gewinn der kleinen Goldstatue wäre mehr als berechtigt gewesen. Wobei die Lansbury immer schon etwas unangenehmes, dominant diabolisches an sich hatte. Auch in ihrer heute vielleicht bekanntesten Rolle, Jessica Fletcher in „Mord ist ihr Hobby“, hat sie noch immer diese gewisse, egozentrisch-dunkle Hintergründigkeit. Auch sonst ist der Film bis in die kleinste Nebenrolle perfekt besetzt. Sei es James Gregory als einfältiger Populist, John McGiver als sympathischer Demokrat oder Henry Silva als undurchsichtiger Handlanger des Bösen. Wenn man genau hinschaut erkennt man unter den bösen Sowjets auch den immer wieder gern gesehen Erz-Fiesling Reggie Nalder.

Die schwierigste Rolle hat Janet Leigh als Sinatras love interest Eugenie Rose Chaney. Eine Figur, die man entweder als uninteressanteste und verzichtbarste im ganze Film ansehen kann oder als eine der spannendsten. Offensichtlich wurde sie lediglich ins Drehbuch geschrieben, weil man glaubte, eine Liebesgeschichte mit dem Helden und Star (Sinatra) wäre unabdingbar für den finanziellen Erfolg des Filmes. Eugenie trägt genau nichts zur Handlung des Filmes bei, bleibt Staffage und ist auch noch wahnsinnig schlecht in den Film integriert. Sie trifft einen sichtbar psychotisch agierenden Marco im Zug, bändelt sofort mit ihm an und ehe man sich versieht hat sie ihren Verlobten für ihn verlassen und die beiden sind ein Paar. Das geht mit einer solchen Geschwindigkeit und ohne Grund vor sich, dass die Glaubwürdigkeit komplett auf der Strecke bleibt. Es sei denn, man hinterfragt dies alles und eröffnet einen weiteren Handlungsstrang und eine weitere Verschwörung, die nie offen angesprochen, geschweige denn aufgelöst wird. Und Frankenheimer inszeniert Janet Leigh auch genau so. Sie taucht plötzlich auf, wie aus dem Nichts. Die Kamera konzentriert sich ganz auf Marco, der im Zug verzweifelt versucht, sich mit zitternden Händen eine Zigarette anzuzünden, dann wird das Bild aufgemacht und dort ist auch schon Eugenie, die Marco scheinbar die ganze Zeit über beobachtet hat. Kurz darauf entspinnt sich zwischen beiden ein derartig bizarrer, kryptischer Dialog, in welchem sie ihm immer wieder ihre Telefonnummer regelrecht einhämmert, während Marco schwitzend und fast schon delirierend an die Wand gelehnt ist und Eugenie dominant vor ihm steht. Findet hier eine (Re)Programmierung des ja auch von den Sowjets manipulierten Marco statt? Später in der Polizeiwache erinnert sich Marco sofort an ihre Telefonnummer und sie taucht auch augenblicklich auf, um sich um einen ihr eigentlich völlig fremden Mann zu kümmern, der zu allem Überfluss auch gerade festgenommen wurde, weil er in einer fremden Wohnung randaliert und einen anderen Menschen tätlich angegriffen hat. Eine Szene später wohnen sie schon zusammen. Welches Spiel spielt Eugenie? Auf welcher Seite steht sie? Ist das alles Zufall oder Teil einer weiteren Manipulation? Man weiß es nicht, doch so wie Frankenheimer Eugenie inszeniert und Janet Leigh sie spielt, bleibt alles doppelbödig und verleiht dieser im Grunde faden Figur einen bedrohlichen Hintergrund, der dem Film eine weitere, verstörende Ebene verleiht.

Das 2000 Exemplare limitierte Mediabook der OFDb Filmworks ist wirklich schön geworden. Der Film selber liegt in hervorragender Bildqualität und sauberem Ton vor. Auch optisch macht das Mediabook etwas her. Auf der Blu-ray befindet sich der Film, dann die gekürzte alte deutsche Fassung und die meisten Extras. Auf der ersten DVD nur der Film und auf einer zweiten DVD dann noch die Extras der Blu-ray plus die knapp einstündige TV-Doku „The Directors: John Frankenheimer von 1997. Die Extras wurden für diese Veröffentlichung von der amerikanischen Special Edition von 2015 übernommen: Eine locker Gesprächsrunde mit Frank Sinatra, George Axelrod und John Frankenheimer, welche 1988 aufgenommen wurde und auf fast jeder bisherigen DVD-Veröffentlichung zu finden war. Ein Interview mit Angela Lansbury und eine Würdigung des Filmes von William Friedkin. Die Gesprächsrunde ist nett, beschränkt sich aber eher auf Anekdoten, das Interview mit Lansbury recht aufschlussreich und Friedkin lohnt sich ohnehin immer. Die gekürzte deutsche Fassung hat vielleicht historischen Wert, ist aber entbehrlich. Die Episode der „The Directors“-Serie ist wie immer ein guter Start, sich mit Frankenheimer auseinanderzusetzen, man kennt sie allerdings auch schon von der OFDb Filmworks Veröffentlichung von „52 Pick Up“. Der Film hat ferner noch zwei Audiokommentare. Der erste stammt noch von Frankenheimer und war für die erste DVD-Veröffentlichung 1998 aufgenommen worden. Der zweite stammt von Thorsten Hanisch & Andrea Sczuka. Dies Duo hat es zu einigem „Ruhm“ mit ihrem recht verunglückten Audiokommentar zu „Der schwarze Leib der Tarantel“ von CMV gebracht. Die gute Nachricht: Der hier ist besser geworden, aber richtig überzeugen konnte er mich auch nicht. Hanisch wiederholt was er in seinem – übrigens sehr gelungen! – 16-seitigen Booklet geschrieben hatte. Sczuka wirkt eher wie eine Stichwortgeberin, die ab und zu mal längere Texte vorlesen darf. Viele Versprecher und manche Ungenauigkeiten kommen dazu. Es herrscht kein wirkliches Miteinander, sonder eher ein Nebenher und wirkt teilweise sehr improvisiert. Das kann man jetzt charmant finden oder sich darüber aufregen. Das bleibt jedem selbst überlassen.

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