Filmbuch-Rezension: „Stories From The Trenches: Adventures In Making High Octane Hollywood Movies With Cannon Veteran Sam Firstenberg“

Wow! Das ist der erste Gedanke, der einem durch den Kopf geht, wenn man Marco Siedelmanns englischsprachige Buch “Stories From The Trenches: Adventures In Making High Octane Hollywood Movies With Cannon Veteran Sam Firstenberg” in der Hand hält. Oder zumindest versucht es in der Hand zu halten, denn was man dort hat, ist ein wahrer Wackerstein. Mit den Abmessungen 20,5 x 4,1 x 29,2 cm und einem statten Gewicht von um die 2 kg hat man das Gefühl das Telefonbuch einer Millionenstadt vor sich zu haben. Auf den ersten Blick erinnert es aber auch an solche wunderbaren Wälzer wie Stephen Throwers legendäres “American Nightmare” oder Michael Wealdons “The Psychotronic Video Guide”, und wie jene lädt es zu stunden- ja tagelangem Stöbern ein.

Was dabei verwundert: “Stories From The Trenches” handelt nicht von einem Genre oder einem Zeitabschnitt in der Filmgeschichte, sondern von nur einem Mann – und dieser ist wahrscheinlich nur einer Handvoll Actionfilm- und 80s-Affikados ein Begriff: Sam Firstenberg. Firstenberg ist eine weitaus interessantere Gestalt, als man als Außenstehender vielleicht zunächst denken könnte. Geboren als Shmulik Firstenberg in Polen, dann mit der Familie nach Israel ausgewandert, um 1972 in die USA auszuwandern, um Film an der Loyola Marymount University in Los Angeles zu studieren. Dann Mitte der 70er Jahren nach Israel zurückkehrte, um in der lokalen Filmindustrie Fuß zu fassen und als Regieassistent und 2nd-Unit-Director zu arbeiten (etwas, was sein Wikipedia-Eintrag seltsamerweise unterschlägt). Dann ging es 1983 wieder in die USA, wo er bei Cannon zu einem deren wichtigsten Regisseuren aufstieg.

Was das Buch so reizvoll macht, ist seine spannende und höchst unterhaltsame Mischung aus ungeheurer Faktenfülle und Geschichten von den Dreharbeiten. Besonders informativ ist der erste Teil dieses Mammut-Werkes, welcher auf Firstenbergs Anfänge in Israel eingeht. Bis auf die Kishon-Filme (an denen Firstenberg natürlich auch mal beteiligt war), kannte ich absolut nichts von dem, was in Israel in den 70ern gedreht wurde, geschweige denn hatte ich eine Ahnung von der lokalen Filmindustrie. Dies hat sich Dank „Stories From The Trenches“ geändert. Wie in vielen kleineren Ländern ist auch hier das Filmgeschäft fast schon eine familiäre Angelegenheit bei der sich jeder irgendwie kennt. Dementsprechend war Firstenberg überall mit dabei. Auch beim Dreh von William Friedkins „Sorcerer“, dessen Anfang ja teilweise in Tel Aviv spielt. Firstenbergs Anekdoten decken sich ganz gut mit den Geschichten aus Peter Biskinds „Easy Riders, Raging Bulls“ und geben eine gute Idee vom Größenwahnsinn des späten „New Hollywood“.

Dann geht es in die USA, wo Firstenberg 1983 seinen ersten Spielfilm als Regisseur dreht. Ausgerechnet von dem späteren Action-Spezialist kommt das gefühlvolles Drama „One More Chance“ mit John LaMotta alias „Mister Ochmonek“ aus „Alf“ und einer blutjungen Kirstie Alley in den Hauptrollen. Und dann: Cannon. Die legendäre Filmschmiede der beiden israelischen Produzenten Yoram Globus und Menahem Golan in der Firstenberg zu einem der vielbeschäftigsten Regisseure aufsteigt und Kult-B-Filme wie „American Fighter“, „Die Herrschaft der Ninja“ oder „Breakin‘ 2 – Electric Boogaloo“ dreht. Und Aufstieg und Fall des Filmstudios hautnah miterlebt. Danach erlebte er in den 90ern die Anfänge von Nu Image, die den Cannon-Geist bis heute fortsetzten.

Marco Siedelmann hat ein wunderbar detailliertes und mit unfassbarer Fleißarbeit veredeltes Buch verfasst, in dem man sich völlig verlieren kann. Man hat das Gefühl, Siedelmann hätte wirklich jeden Mitarbeiter Firstenbergs aufgestöbert und interviewt. Vom Regieassistenten zum Stuntman. Von den Darstellern bis zum Editor. Alle standen dem Autoren für lange, persönliche und immer spannende Interviews zur Verfügung. Ebenfalls umwerfend: Die unzähligen Fotos. Oftmals sind es private Aufnahmen von den Dreharbeiten, die man so sonst nie zu Gesicht bekommen hätte. Auch interessant: Die vielen zeitgenössischen Kritiken, die Siedelmann akribisch zusammengetragen hat – und welche die Canon-Film gerne mal im Grund und Boden verreißen – aber gleichzeitig mit dem nötigen zeitlichen Abstand auch eine guten Idee davon geben, warum die Filme beim Publikum trotzdem gemocht werden und heute noch ihre Liebhaber haben.

Die Seele des Buches sind die Erinnerungen Firstenbergs, die hier „Anecdotes from the Trenches“ heißen und jeden seiner Filme abrunden. Offenbar hatte ich Firstenberg selber mit dem Gedanken getragen ein Buch zu schreiben und schon einiges aufgeschrieben, bevor Siedelmann ihn kontaktierte. So ist „Anecdotes from the Trenches“ ebenso seine Autobiographie, wie ein Buch über ihn. Um den Kreis zu schließen und wieder an den Anfang dieser Besprechung zurückzukehren. Ein durchweg empfehlenswertes Buch, nicht nur (aber ganz besonders) für Cannon-Fans, welches einem erst einmal nur ein Wort in den Sinn kommen lässt: Wow.

Marco Siedelmann „Stories From The Trenches: Adventures In Making High Octane Hollywood Movies With Cannon Veteran Sam Firstenberg“, Editions Moustache , 755 Seiten, € 37,44

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