Filmbuch-Rezension: Henning Engelke “Metaphern einer anderen Filmgeschichte“

Ich wage einfach einmal eine Unterstellung: Auch eingefleischte Filmfans sind sich nicht bewusst darüber, dass es neben dem klassischen Hollywood und den kleinen unabhängigen B-Picture-Lieferanten in den 40er und 50er Jahren in den USA noch eine ganz andere, reiche Filmwelt gab. Die Welt des Experimentalfilms mit Protagonisten wie Kenneth Anger, Maya Deren, Jonas Mekas, Brakhage um nur mal diejenigen zu nennen, die noch am Ehesten einem größeren Publikum bekannt sind.

Wie groß und einflussreich diese ausgesprochen fruchtbare Szene mit ihren verschiedenen Strömungen war, dürfte trotzdem viele überraschen. Die Filmemacher verstanden sich als Künstler, die statt Leinwand oder Stein, das neue Medium Film nutzten, um ihre Werke zu gestalten. Und wie in jeder Künstlerszene gab es hier verschiedene Richtungen, Dogmen, Streitigkeiten und Zirkel. Manche Künstler filmten im Stillen vor sich hin, andere versuchten eine Bewegung ins Leben zu rufen. Manche glaubten Regeln aufstellen zu müssen, anderer scherten sich keinen Deut darum. Es war tatsächlich eine „andere Filmgeschichte“, die sich hier abspielte. Eine, die in der Regel keine Schnittmengen zum „Unterhaltungsfilmbetrieb“ aufwies. Allein Curtis Harrington – ein Weggefährte Kenneth Angers – machte „zur anderen Seite“ rüber und drehte in den 60er und 70er einige bemerkenswert seltsame Horrorfilme und Psychothriller, die in ihren besten und merkwürdigsten Momenten an seine Vergangenheit als Experimentalfilmer erinnerten.

Dem Kunsthistoriker und Filmwissenschaftler Henning Engelke gebührt die Ehre mit seinem Buch „Metaphern einer anderen Filmgeschichte“ vielleicht DAS deutsche Standardwerk zum amerikanischen Experimentalfilm zwischen 1940 und 1960 geschrieben zu haben. In seinem 576 (nicht 480, wie vom Verlag angegeben) Seiten starken Werk beleuchtet er diese Jahre aus den verschiedensten Blickwinkeln, stellt die Filmemacher vor, untersucht eingehend repräsentative Arbeiten und verschafft seinen Leser so einen umfassenden Überblick über die damalige Experimentalfilm-Szene, ihre Bedeutung, ihre Strömungen und ihre Geschichte. „Metaphern einer anderen Filmgeschichte“ ist eine Habilitationsschrift, die an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main entstanden ist. Trotzdem versteigt sich Engelke dabei nicht in allzu akademische Begrifflichkeiten, sondern breitet auf angenehm lesbare und trotzdem anspruchsvolle Weise die Fakten aus.

Das klingt nun sehr nüchtern, doch trotz des sehr sachlichen Stiles ist man fasziniert von dieser sehr komplexen alternativen Filmgeschichte, von seinen Hauptfiguren und den Filmen, die damals geschaffen wurden. Ja, von dieser „ Art that never was“, wie Engelke seine Einführung überschrieben hat. So bleibt nach der sehr anregenden Lektüre dieses sehr dicken und gut bebilderten Buches – welches jetzt schon zu meinen Lieblingen aus den letzten Jahren zählt – eigentlich nur noch eine Frage offen: Wo kann ich all diese faszinierenden Filmen sehen (und wann)?

Henning Engelke „Metaphern einer anderen Filmgeschichte – Amerikanischer Experimentalfilm 1940-1960“, Schüren Verlag, 576 Seiten, € 48,00.

Dieser Beitrag wurde unter Bücher, Film abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Filmbuch-Rezension: Henning Engelke “Metaphern einer anderen Filmgeschichte“

  1. … eigentlich nur noch eine Frage offen: Wo kann ich all diese faszinierenden Filmen sehen (und wann)?

    Viele wohl (mit vertretbarem Aufwand) nie, etliche aber doch. Es erscheinen ja immer wieder mal DVD- und Blu-ray-Boxen, die sich diesem Thema widmen, etwa diese oder jene, von denen freilich die meisten inzwischen nur noch schwer, überteuert oder gar nicht mehr aufzutreiben sind. Da muss man eben rechtzeitig zugreifen (ich bin da immer wachsam).

    Momentan kann ich diese Box empfehlen. Wer schon eines oder mehrere der älteren Sets hat, bekommt zwar etliche Überschneidungen, aber allein die vorher noch nicht erhältlichen Titel sind (für mich) schon das Geld wert, und die anderen bekommt man teilweise in besserer Bildqualität als vorher.

    Maya Deren, Kenneth Anger, Stan Brakhage, Oskar Fischinger und Norman McLaren (wenn man mal Kanada auch noch dazunimmt) wurden ja in der Vergangenheit schon mit eigenen DVDs oder ganzen Sets gewürdigt. Bei anderen Größen wie Marie Menken oder Jonas Mekas steht das noch aus. Aber was nicht ist, kann ja noch werden …

  2. Marco Koch sagt:

    Hallo Manfred,

    Danke für die Tipps! Die „Unseen Cinema“ hatte ich damals auch häufiger im Warenkorb, habe aber nie zugeschlagen, weil ich das Meiste schon aus der „Avant-Garde“-Reihe von Kino on Video (hier) hatte und so eine dicke Box immer regelmäßig im Zoll hängen bleibt. Von der „Avant Garde“-Reihe habe ich die ersten beiden Ausgaben und fand die hervorragend. Den dritten Teil habe ich dann aber aus irgendwelchen Gründen nicht mehr gekauft – was ich bei den jetzt verlangten Mondpreisen (Wow!) gerade sehr bedauere. Die „Masterworks“ behalte ich mal im Auge.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.