DVD-Rezension: „Kosmische Reise“

Moskau. 10 Jahre in der Zukunft. 1946. Der alte Wissenschaftler Pavel Sedikh (Sergei Komarov) hat zwei Raketen gebaut und plant nun, mit einer von ihnen als erster Mensch zum Mond zu fliegen. Sein Vorgesetzter Professor Karin (Vasili Kovrigin) versucht diesen Plan in letzter Sekunde zu verhindern, da vorherige Testflüge für ihn ergaben, dass ein Mensch diese Belastung nicht aushalten würde. Sedikh sieht das aber anders und es gelingt ihm mit Hilfe des 10-jährigen Andryusha (Vassili Gaponenko) und seiner Mitarbeiterin Marina (Ksenya Moskalenko) an Bord zu kommen. Zu dritt starten sie die Rakete und machen sich auf den Weg zum Mond…

Als ich im Oktober 2015 meinen ersten Artikel als Redakteur der 35 Millimeter Retro-Filmmagazin schrieb, unterlief mir ein kleiner Fehler, der sogleich von einem Leser aufgegriffen wurde. Ich schrieb über den Film „Aelita“ und nannte ihn „den einzigen sowjetischen Science-Fiction-Film der Stummfilmzeit “. Was denn mit „Kosmische Reise“ sei, fragte daraufhin ein kundiger Leser nach. Nun, ich musste zugeben, dass mir dieser Film bis dato vollkommen unbekannt war, und ich auch bei meinen Recherchen nicht drüber gestolpert bin, da ich der Annahme war, dass ein Film von 1936 kein Stummfilm mehr sein könne. Vor Kurzem ist „Kosmische Reise“ bei der edition filmmuseum erschienen, und ich konnte mich selbst davon überzeugen, dass ich nicht nur falsch lag, sondern auch ein Werk verpasst hatte, welches mich nun stark beeindruckte. In „Aelita“ wird die Raumfahrt nur in einer Nebenhandlung abgewickelt und entpuppt sich zudem als Fantasie. Der Film bleibt durch die im wahrsten Sinne des Wortes phantastischen Dekors, sowie der ausgefallen Kleidung im Gedächtnis und erinnert stark an einen expressionistischen Traum erinnert. Demgegenüber beeindruckt „Kosmische Reise“ durch seinen Realismus. Das Moskau einer damals nicht allzu fernen Zukunft wirkt nicht gänzlich übertrieben, sondern scheint sich an einer leicht futuristischen Version amerikanischer Metropolen zu orientieren. Auch das Raumschiff, die Schwerelosigkeit, die Raumanzüge und das „Springen“ bei der Fortbewegung auf dem Mond sind nicht soweit von dem entfernt, was man 1969 beim ersten realen Flug zum Mond zu sehen bekam. Dass die Crew den Flug in einer Art Schlafkammer verbringt, ist spätestens seit „Alien“ ein beliebtes Motiv und wird noch heute teilweise 1:1 so in anderen Science-Fiction-Filmen verwendet. Lediglich die bergige Mondlandschaft sieht – zumindest in den Bildern, die ich kenne – in Realität sehr viel flacher und trostloser aus.

In „Kosmische Reise“ steht auch tatsächlich die Wissenschaft im Vordergrund. Auf Firlefanz wie Außerirdische Lebensformen wird komplett verzichtet. Für einen sowjetischen Film ungewöhnlich: Es wird nicht ständig mit dem Ideologie-Hammer auf einen eingedroschen. Zwar heißt die Rakete zum Mond „Joseph Stalin I“ und am Ende darf der Professor noch eine pathetischen Rede halten. Aber generell hat man nicht das Gefühl, dass man indoktriniert werden soll. Was bei „Aelita“ mit seiner Mars-Revolution nicht unbedingt der Fall war. In dem sehr lesenswerten Booklet-Text von Alexander Schwarz wird zwar darauf hingewiesen, dass der Film durchaus stalinistischen Geist atmet und hier die Überlegenheit der sowjetischen Wissenschaft und deren Aufgabe innerhalb einer kommunistischen Weltrevolution herausgestellt werden soll. Bis auf die Tatsache, dass die Protagonisten Sowjets sind, die Namen der Raumschiffe und die rote Fahne, die auf dem Mond gehisst wird, ist dieser Aspekt mit dem Abstand mehrere Jahre (und dem Tod des Kommunismus als Klassenfeind) aber nicht mehr besonders auffällig oder stößt einem auf. Außerdem sind die amerikanischen Produktionen der 50er in Sachen Patriotismus kein Deut besser. Im Gegenteil. So kann man „Kosmische Reise“ heute als überraschend realistischen, in seinen Trickaufnahmen für die Zeit beeindruckenden Sciene-Fiction-Film genießen. Die Tricktechnik ist für einen Film der 30er Jahre makellos (wenn die Kosmonauten schwerelos im Raumschiff hin und her fliegen) oder erinnert teilweise an Ray Harryhausen (wenn sie auf dem schwerelosen Mond spazieren gehen, kleine Figuren im Stop-Motion-Verfahren meterhoch hüpfen und sich Abgründe hinunterstürzen). An den liebevollen und aufwändigen Details mag man sich kaum satt sehen. Dass diese so viel von dem vorwegnehmen, was man bei echten Raumfahrtmissionen sehen konnte, liegt an dem Wissenschaftler Konstantin Tsiolkovsky, auf dessen Roman „Vne Zemlider“ sich der Film als Vorlage beruft und bei den zwei-jährigen Dreharbeiten beratende zur Seite stand. Der Autodidakt setzte sich bereits seit 1885 (!) intensiv mit der Möglichkeit und technischen Durchführung von Raumfahrten auseinander und gilt als Wegbereitern der Raumfahrt und Begründer der modernen Kosmonautik. Leider erlebte er die Premiere von „Kosmische Reise“ nicht mehr.

Obwohl Regisseur Vasili Zhuravlyov es immer bestritten hat, ist „Kosmische Reise“ sehr deutlich von Fritz Langs „Die Frau im Mond“ inspiriert, welcher eine recht ähnliche Geschichte mit mehr oder weniger identischer Figurenkonstellation erzählt. Im Vergleich werden aber auch die Unterschiede sehr deutlich. Während Langs Film bei der Gestaltung des Mondes weniger Wert auf akkurate Wissenschaft legte, so hatte seine Geschichte doch etwas, was „Kosmische Reise“ deutlich fehlt: Einen Bösewicht. In „Kosmische Reise“ ist die einzige Figur, welche die Reise zum Mond vereiteln will, die des Professor Karin. Dieser handelt aber nicht aus niederen Beweggründen, sondern weil er sich ernsthaft Sorgen um die Sicherheit der Mission macht. Zwar kann man argumentieren, dass es eben im Weltbild des Sozialismus eben keine bösen Sowjets gibt, aber man hätte da ja dann einen Amerikaner oder Deutschen als Antagonist einbauen können. Da (natürlich) auch keine gefährlichen Mondbewohner auftauchen, fehlt es dem Film hier etwas an Spannung. Zwar gibt es das Problem mit Sauerstoff und Brennstoff, um zur Erde zurückzukehren, dieses wird aber auch eher unspektakulär abgehandelt und man hat nicht das Gefühl, hier könnte es zur lunaren Katastrophe kommen. Nichtsdestotrotz bietet „Kosmische Reise“ über seinen filmgeschichtlichen Wert und die beeindruckende Tricktechnik hinaus gute Unterhaltung mit eben ein wenig Spannung, etwas Action und einer Priese Humor (besonders die Szenen zwischen Sedikh und der ihm warme Wäsche für die Mondreise einpackende Ehefrau sind absurd-komisch).

Die DVD aus der edition filmmuseum ist wieder einmal ein Traum. Zwar birst sie nicht – wie die kürzlich besprochene Doppel-DVD „Liebelei“/“Lola Mondez“ – vor Extras, trotzdem hat man das Gefühl, dass man mit dieser Veröffentlichung alles in der Hand hat, was man zum Verständnis und der filmhistorischen Einordnung des Filmes braucht. Neben dem sehr ausführlichen und informativen 20-seitigen zweisprachigen Booklet mit einem Essay von Alexander Schwarz ist das der 10-minütige, avantgardistische Kurzfilm „Meplanetnaja revoljucija“ (Interplanetarische Revolution) von 1924, den Zenon Komissarenko, Jurij Merkulov und Nikolaj Chodataev umsetzten. Dieser propagandistischer Science-Fiction-Kurzfilm spielte eine wichtige Rolle auf dem Weg zu „Kosmische Reise“, wie man im Booklet nachlesen kann. Die Musik hier stammt von Masha Khotimski. Beim Hauptfilm kann man sich zwischen einem vollen, epischen Orchestersound (der mich leicht an Goldsmiths „Star Trek – The Motion Picture“-Score erinnerte) von Neil Brand und einem sehr viel sparsamere, live eingespielte Klavierbegleitung durch Richard Siedhof entscheiden. Hier hat mir der Brand-Score deutlich besser gefallen, da er die Wucht der Bilder besser komplementierte. Aber das ist Geschmackssache. Das Bild ist bis auf wenige altersbedingte Schwächen gut. Die Edition wurde übrigens von der Filmdienst-Redaktion mit dem Silberling 2018 ausgezeichnet.

Zuletzt ein Tipp: Bei meiner Recherche bin ich auf diesen englischsprachigen Artikel gestossen: https://scifist.wordpress.com/2014/11/21/cosmic-voyage/ in dem sehr ausführlich auf den Film und seine Produktionsgeschichte eingegangen wird. Überhaupt ist die Seite Scifist für Freunde des Science-Fiction-Films ausgesprochen informativ.Schade, dass der letzte Artikel hier aus dem März 2017 stammt, und die Seite scheinbar nicht mehr fortgeführt wird.

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