Bericht vom 24. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 2

Der zweite Tag auf dem 24. Internationalen Filmfest Oldenburg begann weitaus ruhiger als der chaotische Vortag. Diesmal war ich allein unterwegs, aber so früh in Bremen losgefahren, dass mich selbst die langwierige Parkplatzsuche nicht aus der Ruhe bringen konnte. Schnell wurden noch die letzten Tickets gekauft, dann glitt ich ganz entspannt in den Kinosessel des kleinen cineK Muvi, um mit einem amerikanischen Independent-Film in den Tag zu starten.

A VIOLENT MAN – „A Violent Man“ ein Film, der irgendwie aus der Zeit gefallen scheint. Ein kleiner B-Film, ein Neo-Noir, ein Film, der in den 40er Jahren wohl als Double-Feature gelaufen wäre. Regisseur Matthew Berkowitz nahm sich dann auch seinen Lieblings-Noir „Ein einsamer Ort“, ebenso wie Fitz Langs „Strasse der Versuchung“ (von dem im Film dezent ein Plakat platziert wurde) zum Vorbild, und lässt lange offen, ob nun sein beschädigter Held nun Opfer oder Täter ist. Angesiedelt hat er seinen Film ganz klassisch in der undurchsichtigen Welt des Boxsports, die upgedated als Mix Martial Arts (MMA). Ein MMA-Fighter wird in die schmutzige Welt hinter den Kulissen hineingezogen und in den Mord an einer Journalistin verwickelt, den er eventuell selber begangen hat oder auch nicht. Er kann sich nach einer Nacht voller Alkohol und Sex daran nicht recht erinnern.

Im Grunde ist „A Violent Man“ ist die prototypische Geschichte eines lächerlichen Mannes, der glaubt alles im Griff zu haben und sich doch sein Leben durch allzu selbstsicheres Verhalten und grenzenlose Naivität selber kaputt macht. Ein Coup ist Regisseur Berkowitz mit der Besetzung der Hauptrolle gelungen, MMA-Kämpfer Ty wird von Ex-Football-Star Thomas Q. Jones gespielt, der in dieser Rolle einerseits wie ein netter Teddybär wirkt, andererseits aber auch sehr dunkle Seiten durchscheinen lässt, die den Zuschauer immer wieder zwischen großer Sympathie für den netten Kerl und Abgestossenheit vor der muskelbepackten Kampfmaschine mit ihren plötzlichen Gewaltausbrüchen und ihrer seltsamen Unehrlichkeit schwanken lässt.

Jones gelingt es perfekt die Ambivalenz dieses typischen Noir-Charakters zu verkörpern. Jederzeit trauen wir ihm den Mord zu, fiebern aber trotzdem mit ihm mit, wenn er versucht, trotz aller Widrigkeiten sein Leben in den Griff zu bekommen und nach den Sternen zu greifen. Dabei wählt er allerdings den maximal unglücklichsten Weg, verheddert sich immer mehr in seine einigen Notlügen und durchschaut bis zum Schluss nicht, dass er gerade dabei ist, das bisschen Glück, welches ihm Halt gibt, systematisch zu zerstören. Eine großartige Leistung für einen Schauspieler, der eigentlich Sportler ist (aber nach seiner Karriere Schauspielunterricht nahm) und zuvor nur eine Handvoll Filmauftritt in kleineren Rollen aufweisen konnte. Auch in den Kampfszenen weiß er zu überzeugen, selbst wenn diese recht durchschnittlich umgesetzt wurden und sich einmal mehr auf schnelle Schnitte verlassen.

In einer prägnanten Nebenrolle kann man dann auch den echte MMA-Star Chuck Liddell sehen. Wie generell die Nebenrollen gut besetzt sind, So freut man sich darüber, altbekannte und schon lange nicht mehr gesehene Gesichter wie Denise Richards, als Femme Fatale, oder Jim-Jarmusch-Spezi Isaach De Bankolé zu sehen. Ein im besten Sinne des Wortes solider B-Film und Neo-Noir, der eine deutsche Veröffentlichung mehr als verdient hätte.

Produzent mit Regisseur Matthew Berkowitz

Nach diesem gelungen Auftakt, schlenderte ich hinüber zum Theaterhof, wo ich bald schon zwei Bekannte traf, die erfreulicherweise ein ganz ähnliches Filmprogramm wie ich auf dem Zettel hatten.

MIDNIGHTERS – „Midnighters“ glänzt zwar nicht gerade durch Originalität, kann aber mit handwerkliches Können, Spannung und vor allem hervorragende Schauspieler punkten. Das Vier-Personen-Stück handelt davon, wie Misstrauen, Verrat und Gier die Menschen zerstören – und erinnert stark an Vorbilder wie „Shallow Grave“. Wer solche Filme mag, kommt hier voll auf seine Kosten. Ein Ehepaar fährt in der Silvesternacht einen Mann um, der ihnen dann beim Transport zum Krankenhaus stirbt. Und wo der jetzt schon mal tot ist, braucht ja auch niemand was von dem Unfall zu wissen. Also nehmen sie ihn mit nach Hause. Dort stellt sich heraus, dass sich der bewaffnete Fremde eh auf dem Weg zu ihnen befunden hat. Die Frage ist, warum? Was war sein Plan? Hat die Schwester der Frau etwas damit zu tun? Diese hat sich schließlich schon mal in schlechter Gesellschaft herum getrieben. Und der Polizist, der da an der Tür klingelt macht auch nicht gerade einen vertrauenerweckenden Eindruck. Es dauert nicht lange, dann fängt das Blut an zu fließen.

Nein, besonders innovativ ist das alles nicht. Aber sehr konsequent und spannend umgesetzt – und mit einigen „Iiiirgghh“-Effekten. Alle Darsteller sind bestens besetzt und machen ihre Sache ausgezeichnet. Am deutlichsten im Gedächtnis bleiben dabei die wunderbare Alex Essoe und Ward Horton, der einen zwielichtigen Soziopathen spielt. Ebenfalls herausstreichen kann man, dass Regisseur Julius Ramsay, der hier ein Drehbuch seines Bruders Alston verfilmt hat, auf unnötige Sperenzien und billige Gags verzichtet. Stattdessen führt er seine Geschichte schnörkellos und souverän zu einem Ende, welches dann zwar doch nicht auf einen kleinen Twist verzichten kann, dieser aber durchaus befriedigend und vor allem passend zur Geschichte ausfällt.

Alston und Julius Ramsay mit Moderator

Nach dem Film erzählten die Brüder Ramsay noch einige interessante Anekdoten und stellten sich als zwei ruhig, sympathische Zeitgenosssen heraus, denen man noch lange hätte zuhören können. Doch der nächste Film rief und ich musste den in diesem Jahr für mich weitesten Weg zurücklegen. Es ging zur Exerzierhalle Da einer meiner Bekannten sich aber als Chauffeur anbot, war der Zeitdruck nicht ganz so hoch wie befürchtet.

OUTRAGE CODA – Der neue Kitano. Leider habe ich es bisher versäumt, mir die ersten beiden Kapitel der „Outrage“-Trilogie anzusehen. Ich hatte aber beim Betrachten des abschließenden Teils nicht das Gefühl, dass diese essentiell zum Verständnis gewesen wären. Kitano spielt selber wieder die Hauptrolle des Otomo. Einen Yakuza, der nach dem zweiten Teil scheinbar Richtung Südkorea ausgewandert ist und dort die Geschäfte für den lokalen Paten regelt. Als sich eines Tages ein Yakuza mit zwei Prostituierten, die unter Otomos Schutz stehen, daneben benimmt, die Zeche prellt und auch noch zwei von Otomos Leuten umbringen lässt, führt dies nicht nur dazu, dass Otomo sich der Sache persönlich annimmt, sondern auch zu einem Machtkampf innerhalb der Yakuza in Japan.

Da wird dann viel gebrüllt, undurchsichtige Politik betrieben, Machtspielchen veranstaltet und noch mehr herumgebrüllt. Immer wieder geht es um den Begriff der „Ehre“, beziehungsweise das, was zu jeweiligem Zeitpunkt nützlich ist, als „Ehre“ bezeichnet zu werden. Irgendwann droht man den Überblick über die vielen handelnden Personen und ihre großen und kleinen Intrigen zu verlieren. Doch eigentlich ist es auch egal, wer jetzt gerade mit wem gegen wem agiert. Kitano deckt schonungslos die Lächerlichkeit der angeblich so großen Bosse auf. Das komplizierte Geflecht der Yakuza-Clans, die zwar die ganze Zeit von Ehre und Treue faseln, aber in Wirklichkeit nur versuchen dem Anderen das Messer in den Rücken zu rammen. Das nimmt dann schon grotesk-komische Formen an. Kitano hat eben auch einen rabenschwarzen Sinn für Humor.

Wenn dann seine Figur Otomo in Japan ankommt, ist erst einmal Schluss mit lustig und überall bleiben nur noch kleine, rote Fetzen übrig. Doch Otomo ist alles andere als ein Übermensch und unbesiegbarer Killer, sondern ein getriebener Melancholiker, der nur so wahnsinnig cool und überlegen wirkt, weil ihm mittlerweile einfach alles egal ist. Er will nur noch seinen letzten Job erledigen, einige Rechnungen einkassieren und dann ist Schluss. Auch mit der „Outrage“-Trilogie. Wer sich auf Kitanos zynischen, mit bösen Humor gezogenen, unaufgeregten Inszenierungsstil einlässt, der wird wieder reichlich belohnt. Ich war bereits ab der erste Szene wieder in dieser seltsamen Kitano-Welt gefangen und blieb dort auch gerne bis zum bitteren Ende. Ein Film, der einem noch lange durch den Kopf geht und auch nach dem Abspann bei meinen Bekannten und mir noch für angeregte Diskussionen sorgte.

Dann verabschiedete ich mich von meinen Bekannten, die sich wieder auf gen Bremen machten. Da mein Auto eh hinter der Kulturetage stand und ich mich noch recht fit fühlte, beschloss ich kurzerhand noch im cineK Studio den Mitternachtsfilm „Fashionista“ mitzunehmen. Keine schlechte Entscheidung.

FASHIONISTA – „Inspired by the films of Nicholas Roeg“ und das merkt man auch. Ein angenehm seltsamer Film, bei dem man nie weiß, wo auf dem Zeitstrahl man sich gerade befindet und ob das, was man sieht, nun Traum oder Realität ist. Oder vielleicht auch eine merkwürdig verzehrte Wahrnehmung der Realität. Vielfältig interpretierbar mit einem grandiosen Zusammenspiel von Bild und Musik. Hauptdarstellerin Amanda Fuller ist fantastisch, wie auch die anderen Schauspieler ihre Sache sehr gut machen. Hervorgehoben werden muss hier neben der Fuller auch Ethan Embry als ihr schwacher, selbstmitleidiger Mann. Ein Weichei, welches sich hinter Hipster-Attitüde und unzähligen Tattoos versteckt.

Grob gesagt geht es in „Fashionista“ um eine Boutiquen-Besitzerin, die Angst hat, ihren Mann zu verlieren, und die gleichzeitig an einem Kleidungs-Fetisch leidet. Als ihr Mann mit einer Angestellten abhaut, bricht für sie zunächst alles zusammen. Doch dann lernt sie einen geheimnisvollen Typen kennen, der sich als ausgesprochen gefährlich entpuppt. Oder so. Der nicht linear erzählte Film ist sehr verspielt, ohne dabei aufdringlich zu sein. Regisseur Simon Rumley (der dieses Jahr auch mit dem gänzlich anders gearteten „Crowhurst“ im Oldenburger Programm vertreten war) hat spürbar Freude daran, dem Zuschauer immer wieder den sicheren Boden unter den Füssen wegzuziehen.

Ab und zu schwankt „Fashionista“ auch auf das Terrain des Horrorfilms, dann deutet Rumley wieder einen Thriller an, um bei einem Beziehungs-Drama und sogar einer Komödie zu landen. Doch immer wenn man glaubt, den Film fassen zu können, schlägt er wieder einen Haken, bis er zu einer etwas enttäuschenden – da ausnahmsweise einmal erwartbaren – Auflösung kommt, bei der es aber immerhin ein schönes Wiedersehen mit der wundervollen Alex Essoe kommt, die ich gerade eben noch in „Midnighters“ bewundert hatte.

„Fashionista“ ist ein Film, der sein Publikum sicherlich spalten wird. Er macht es einem ebenso leicht, ihn genervt zu hassen, wie ihn zu lieben. Wer allerdings Spaß an Mindfuck ala Roeg hat, und die Liebe Rumleys zum exzentrischen Horrorfilm teilt (in Amander Fullers Wohnung hängen u.a. Plakate von Dario Argentos „Opera“ und vielen anderen liebgewonnen Eurocult-Favoriten), kann durchaus seine Freude an dem Film haben. So erging es mir zumindest und ich werde zukünftig ein aufmerksames Auge auf Simon Rumley werfen.

Nach diesem schönen Abschluss des Tages, ging es dann einmal mehr über die nebelverhangene Autobahn nach Hause.

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