DVD-Rezension: „Borgman“

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Eines Tages steht vor der Tür des gut situierten Ehepaares Richard (Jeroen Perceval) und Marina (Hadewych Minis) ein Landstreicher (Jan Bijvoet), der sie bittet, bei ihnen ein Bad nehmen zu dürfen. Als er dann noch behauptet, Marina zu kennen, rastet Richard aus und verprügelt den Mann. Am Abend findet Marina den verletzten Landstreicher, der sich nun Camiel Borgman nennt, in ihrem Gartenhaus. Sie pflegt ihn und lässt ihn heimlich weiter im Gartenhaus wohnen. Bald schon nimmt Borgman auch Kontakt zu den Kindern des Ehepaares auf, die ihm scheinbar vertrauen. Gleichzeitig kontaktiert er seine Freunde Pascal (Tom Dewispelaere) und Ludwig (Alex van Warmerdam), später kommen noch Brenda (Annet Malherbe) und Ilonka (Eva van de Wijdeven) hinzu. Gemeinsam räumen sie zunächst den Gärtner des Anwesens und dessen Ehefrau aus dem Weg. Frisch frisiert nimmt Borgman daraufhin die Stelle als neuer Gärtner bei Richard und Marina an und holt umgehend seine Freunde als angebliche Helfer mit ins Haus…

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Alex van Warmerdams Film „Borgman“ lief im letzten Jahr auf einigen Filmfestivals, neben Cannes waren es vorzugsweise jene, die sich dem fantastischen Film verschrieben haben. Ob „Borgman“ nun dahin passt oder nicht, kann man mit ja und nein beantworten. Zwar werden in „Borgman“ immer wieder übernatürliche Dinge angedeutet, aber sie spiele keine große Rolle. Scheinbar besitzt die Titelfigur Camiel Borgman die Fähigkeit, die Träume anderer zu beeinflussen. Immer wieder wird gezeigt, wie er des nachts nackt auf der Brust der Protagonistin sitzt, die sich unter ihm in Albträumen windet. Selbstverständlich zitiert van Warmerdams dabei Johann Heinrich Füslis „Nachtmahr“, aber ist Borgman dieser Dämon? Gleich zu Beginn wird gezeigt, wie sich drei Männer aufmachen, Borgman in seinem unterirdischen Versteck zu vernichten. Einer davon ist ein Priester, dessen verbrämter Gesichtsausdruck zeigt, dass er sich auf einer heiligen Mission wähnt. Doch bis auf diese Szene und eine kurze Sequenz, in der plötzlich zwei abgemagerte Wundhunde scheinbar aus dem Nichts im Hause der Familie auftauchen (ob diese nur Borgmans Freunde Ludwig und Pascal oder Brenda und Ilonka in anderer Gestalt sind, bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen), hält sich Van Warmerdam mit übersinnlichen Phänomenen stark zurück. Seine Bande an merkwürdigen Außenseitern, die da in das Leben einer gut situierten Mittelklasse-Familie eindringt, braucht auch keine Hilfe von „unten“, sondern nur einen festen Willen und eiskalte Skrupellosigkeit, um ihren Plan (welcher zunächst diffus bleibt) in die Tat umzusetzen. Dabei gehen sie mit einer emotionslosen Professionalität vor, wie man sie aus caper-movies kennt. Jeder kennt seinen Platz im Geflecht und führt mit größter Präzision seine Aufgaben durch. Es ist aber nicht so, dass hier eine Maschine in Gang gesetzt wird, die sich nicht aufhalten ließe. Natürlich könnte sich die Familie gegen die perfiden Manipulationen wehren, doch Borgman kennt ihre Natur zu gut, und Marina und Richard agieren zu dumm und zu egozentrisch, um das große Bild zu erkennen.

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Die Geschichte des Fremden, der plötzlich in das Leben einer Familie tritt, um diese kräftig durcheinander zu rütteln, kennt man aus Renoirs „Boudu – Aus den Wassern gerettet„, Pasolinis „Teorema“ oder Miikes „Visitor Q„. Zwar gehen diese Geschichte in der Regel nicht immer gut aus, doch steht am Ende zumeist ein manchmal schmerzhaftes Selbsterkennen der Beteiligten, die sich ihrer wahren Natur oder zumindest einer lohnenswerten Alternative gegenüber stehen sehen. Doch in „Borgman“ bleibt der Familie diese Erleuchtung vorenthalten. Bis zum Schluss begreifen sie ihr eigenes Wesen nicht, verstehen nicht, was sie in den Abgrund führt und dass ihr Verhalten, ihre Egozentrik und Arroganz es waren, die den Angreifern ein so leichtes Spiel gemacht hat. Ja, sie verstehen noch nicht einmal, dass sie Opfer eines Angriffs geworden sind, so borniert gehen sie von ihrer Unfehlbarkeit aus. Das moderne Designer-Haus, welches mitten in die Natur geklotzt wurde, ist ein Sinnbild für Richard und Marina. Auf den ersten Blick beeindruckend und vielleicht sogar begehrenswert, will es bei näherer Betrachtung gar nicht in seine Umwelt passen. Dort wirkt es wie fetter, kalter und unpersönlicher Brocken, ein alles dominierender und einnehmender Fremdkörper, der alles andere mit kalter Brutalität verdrängt. Auch innerhalb des Hauses wirkt alles steril und ungemütlich. Erst wenn am Ende das Haus ganz von Borgman und seinen Mitstreitern vereinnahmt wurde, scheint es sich zu verändern. Dann wirkt das Wohnzimmer plötzlich wie ein Lounge-Bar aus den 70er Jahren, und das auch das elterliche Schlafzimmer bekommt eine schwül-barocke Note. Nein, einladend ist es immer noch nicht, aber immerhin zeigt es Charakter. ebenso wie Borgman und Genossen, die man auch nicht gerne zu sich nach Hause einladen würde, die aber sich aber immerhin bewusst sind, was sie sind und was sie wollen. Im Gegensatz zu Richard und seiner Frau Marina, die ein Scheinleben führen, bei dem Selbst- und Fremdwahrnehmung gehörig auseinander klaffen.

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Marina hält sich für eine liberale Frau mit künstlerische Ambitionen und eine gute Mutter. Doch tatsächlich erfüllt sie keine dieser Kriterien. Nicht nur, dass sie den rassistischen Äußerungen ihres Ehemanns nicht entschlossen entgegen tritt, sie selbst verhält sich dem dänischen Dienstmädchen gegenüber, wie eine strenge Herrin gegenüber der Dienstmagd und betont immer wieder, dass diese nicht den sozialen Stand besitzt, wie ihre Familie. Ihren künstlerische Ambitionen geht sie eher gelangweilt und planlos nach, statt mit Leidenschaft. So als wenn diese eben zum guten Ton dazu gehören. Und als Mutter versagt sie, wenn sie die Aufsicht und Erziehung ganz ohne Not an das Kindermädchen abgibt und dabei völlig den Kontakt zu ihren Kindern verliert, die sich dann auch schnell anderen Bezugspersonen zuwenden. Richard ist der simpelste und damit auch langweiligste Charakter in diesem Film. Cholerisch verprügelt er Obdachlose, knallt afrikanischen Arbeitssuchenden die Tür vor der Nase zu und hintergeht in seiner Firma scheinbar auch seinen Partner. An seiner Frau ist er ebenso wenig interessiert, wie an seinen Kindern, die er schnell mal an ihm Unbekannte abschiebt, als es ihm lästig ist, sie zur Schule zu fahren. Und so bereiten den Boden für den eigenen Untergang. Während Jeroen Perceval als Richard seine Rolle recht offen und eindimensional als aggressives Ekelpaket anlegt, gelingt Hadewych Minis als Marina der Spagat zwischen verbitterter Erkenntnis, dass ihr Leben nicht so ist, wie sie es sich vorgestellt hat und gleichzeitigem arroganten Stolz auf darauf, wie man finanziell und sozial dasteht. Diese Ambivalenz zeichnet sich auch im ganzen Auftritt Hadewych Minis‘ – die entfernt an Julianne Moore erinnert – ab, der sie mal als attraktiv-mondäne Frau und manchmal als ein leicht übergewichtiger Trampel erscheinen lässt. Eine faszinierende Schauspielerin von der mehr gerne mehr sehen würde.

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Ebenfalls faszinierend ist Jan Bijvoet in der Titelrolle. Schon zu Beginn, lässt er unter der Zottelfrisur und dem wilden Bart einen distinguierten Gentleman durchscheinen. Seine Art sich zu bewegen und auszudrücken passt dann auch gar nicht zu seinem Waldschrat-Outfit. Vielleicht ist es dann auch genau das, was Marina dazu bringt, ihm zu helfen und eine immer stärker werdende Faszinationen für diesen geheimnisvollen Typen zu entwickeln. Ohne übertriebene Gesten, mit fast unbewegtem Gesicht, füllt Bijvoet den Film ganz mit seiner Persönlichkeit aus und sein Borgman liegt wie ein bedrohlicher Schatten über jeder Szene. Kongenial sind auch seine Partner besetzt. Tom Dewispelaere als Pascal und Regisseur und Drehbuchautor Alex van Warmerdam in der Rolle des Ludwig, wirken zunächst wie ein Komiker-Pärchen, offenbaren aber bald, dass sie unter ihrer scheinbar harmlose-lustigen Fassade ebenso kaltblütig und gefährlich sind, wie Borgman selber. Auch die großartige Annet Malherbe als Brenda und Eva van de Wijdeven als Illonka vermitteln einem mit ihrer scheinbaren Normalität, und verwundert auch nicht, dass die mollige Malherbe mühelos und sehr glaubwürdig die Rolle einer fürsorglichen Ärztin annehmen kann. Da man der Zuschauer aber schnell lernt, dass diese scheinbare Fürsorge jederzeit in tödliche Aktionen umschlagen kann, entsteht ein unangenehmes Gefühl.

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„Borgman“ wird häufig mit Michael Hanekes „Funny Games“ verglichen. Aber obwohl eine thematische Verwandtschaft mit diesem besteht, erinnert „Borgman“ doch vielmehr an die „stillern“ Filme eines Michael Hanke und weniger mit dem sehr plakativen, „lauten“ „Funny Games“. Vor allem erinnert er an „Caché“ und „Das weiße Band„, die auch dieses unheilvolle Vibrieren unter den Bildern besaßen, welches von einer diffusen, noch nicht greifbaren Gefahr zeugt. Auch die blasse Farben und die oftmals in Tableaus angeordneten Szenen, in denen sich die Figuren verlieren, erinnern an die Werke des Österreichers. Doch während dieser dem Zuschauer die Auflösung seiner filmischen Rätsel absichtlich verweigert, ist Alex van Warmerdam nicht ganz so grausam. Zwar wählt auch er bewusst nicht den einfachen Weg und erklärt dem zuschauer seinen Film bis ins Letzte, aber er gibt mit einigen wenigen Hinweisen und vor allem aber dem Eingangszitat und dem Schlussbild, dem Zuschauer genug Futter, um die Puzzleteile zu einem – wenn auch noch unvollständigen, letztendlich aber doch recht eindeutigen Bild zusammenzusetzen.

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Alex van Warmerdams Film erzählt in (beun)ruhigen(den) Bildern davon, wie eine Gruppe Fremder sich mit eiskalter Professionalität in das Leben einer finanziell gutgestellten, aber arroganten und egoistischen Familie einschleicht, und diese durch perfide Intrigen vernichtet. Die kühle und stilbewußte Erzählweise erinnert dabei an die Filme Michael Hanekes, erweist sich aber als zugänglicher. Getragen wird der Film von einem faszinierenden Jan Bijvoet in der Titelrolle und sehr guten Nebendarstellern.

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Das Bild der bei Pandastrom erschienen DVD wirkt an vielen stellen etwas zu hell. Dass die Farben in vielen Szenen eher blass und kontrastarm sind, mag einem visuellen Konzept folgen, doch insbesondere die Schwarztöne wirken oftmals eher dunkelgrau. Der Ton ist sehr klar, auf irgendwelche Effekte wird verzichtet. Leider ist das Bonusmaterial nur sehr spärlich. Neben dem Trailer gibt es lediglich 6 Minuten nicht verwendeten Materials, welches allerdings von daher interessant ist, dass hier dem Freund des dänischen Kindermädchens ein gänzlich anderes Schicksal als im fertigen Film widerfährt.

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1 Antwort zu DVD-Rezension: „Borgman“

  1. Illegitim sagt:

    Der Höhepunkt des letzten Kinojahres, und in der Tat deutlich zugänglicher als die Filme Hanekes, die ich häufig als ermüdend empfinde, während Warmerdams Film fast schon als Groteske funktioniert und gleichermaßen schockt wie amüsiert, eine Kombination, die selten genug funktioniert – in diesem Fall eben schon, und wie!

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