Drei Geschichten nach Edgar Allan Poe.
„Metzengerstein“: Die grausame Gräfin Frederique von Metzengerstein terrorisiert und quält ihre Umwelt, bis sie eines Tages zufällig ihren verfeindeten Cousine Baron Wilhelm Berlifitzing trifft und sich ihn verliebt. Als dieser ihre Gefühle nicht erwidert, lässt sie seinen Pferdestall niederbrennen. Bei dem Versuch sein geliebtes Pferd zu retten, kommt Berlifitzing in den Flammen um. Kurze Zeit später erscheint ein riesiges Pferd im Hof des Schlosses zu Metzengerstein, das auf Frederique eine seltsame Faszination ausübt.
„William Wilson“: Der gefühlskalte und sadistische William Wilson wird seinem Doppelgänger konfrontiert, der immer wieder seine bösen Pläne durchkreuzt.
„Toby Dammit“: Der ständig betrunkene, englische Schauspieler Toby Dammit reist nach Rom, wo er die Hauptrolle in einem christlichen Italo-Western spielen soll. In Rom angekommen begegnet Dammit allerlei skurril-grotesken Gestalten und trifft immer wieder auf ein unheimliches Mädchen…
In den 60er Jahren erlebte eine Filmform seine Blüte, die heute kaum bis gar nicht mehr gepflegt wird: Der Omnibus-Film bei denen drei oder mehr berühmte Regisseure einen Kurzfilm zu einem Thema liefern. Natürlich gibt es solche Phänomene auch heute, man denke nur an die beiden „V-H-S„-Filme oder „Paris, je t’aime„, doch das sind eher kleinere Produktionen oder – wie im Fall von „Paris, je t’aime“ – bunte Kaleidoskope und kleine Fingerübungen für die Beteiligten. Früher konnten die Segmente durchaus dem Hauptwerk eines Regisseurs zugeordnet werden. Pasolinis berühmter „La Riccota“ gehörte zu einem Film namens „Ro.Go.Pa.G.“ an dem ansonsten noch Jean-Luc Godard und Roberto Rossellini mitarbeiteten. „Hexen von heute“ vereinte neben Pasolini noch Vittorio De Sica und Luccino Visconti. Und François Truffauts Episode „Antoine et Colette“ in „Liebe mit Zwanzig“ (mit weiteren Episoden von Marcel Ophüls und Andrzej Wajda) ist sogar ein wichtiger Bestandteil seiner Antoine-Doinell-Saga. Bei „Außergewöhnliche Geschichten“ ist das gemeinsame Bindeglied zwischen den Filmen der große Edgar Allan Poe. Dieser wurde sicherlich auch vor dem Hintergrund der damals sehr erfolgreichen Reihe mit Roger-Corman-Verfilmungen – die 1968 allerdings schon beendet war – ausgewählt. Der Film wurde dann als italienisch-französische Co-Produktion realisiert, wobei die Franzosen als Regisseure Roger Vadim und Louis Malle, und die Italiener Federico Fellini ins Feld führten. Ursprünglich war noch Orson Welles für das Projekt vorgesehen und sollte zwei Episoden („Die Maske des roten Todes“ und „Das Fass Amontillado“) inszenieren. doch dies zerschlug sich recht bald. Schade, beide Stoffe hätten sich gut in sein Werk eingefügt. Statt Welles wurde Fellini an Bord geholt und dies wahrlich nicht zum Nachteil des Filmes.
Die erste Episode, „Metzengerstein“, wurde von Roger Vadim umgesetzt, der gerade frisch von den „Barbarella„-Dreharbeiten kam. Von dort hatte er dann auch gleich seine Ehefrau Jane Fonda mitgebracht, die hier die sadistische Gräfin Federica Metzengerstein (in der Vorlage noch ein Frederick) spielt. Die Fonda trägt dann auch gleich einige übriggebliebene „Barbarella“-Kostüme auf, was den männlichen Zuschauer natürlich sehr entzückt. Überhaupt wird sie von ihrem Ehemann ausgesprochen vorteilhaft in Szene gesetzt, so dass sie das ganze Segment mit ihrer strahlenden Schönheit überstrahlt. Und dies ist auch ganz gut so, denn sehr viel mehr hat „Metzengerstein“ leider nicht zu bieten. Nach einem vielversprechenden Anfang, der Federicas Verkommenheit und ihren Sadismus illustrieren soll – dabei allerdings sehr verspielt und weniger erschreckend erscheint – wir die zeit durch zahlreiche Ausflüge der Gräfin zu Pferde gestreckt. Was zwar schön gefilmt ist und neben Frau Fonda auch mit wunderbaren aufnahmen der Bretagne landschaftlich einiges für das Auge bietet, aber darüber hinaus auch reichlich zäh ist. Vadim ist ganz offensichtlich mehr daran gelegen, seine Frau ins rechte Licht zu rücken, als einen gewissen Poe’schen Schrecken zu kultivieren. So bleibt die Geschichte, um den Cousin der in der Gestalt eines riesigen Pferdes zurückkehrt, um sich zu rächen, flach und uninspiriert. Auch die Geschichte um den Wandteppich kann keine gruselige Stimmung hervorrufen und das Ende soll dann wohl lyrisch wirken, enttäuscht aber mit seinem beiläufig Unspektakulären. Immerhin kann man in „Metzengerstein“ den bislang einzigen gemeinsamen Auftritt der Geschwister Fonda bewundern. Pikanterweise als verhindertes Liebespaar.
Louis Malle nahm die Regie der nächsten Episode, „Wilhelm Wilson“. Zunächst wollte er bei „Außergewöhnliche Geschichten“ nicht mitmachen und sagte erst bei einer zweiten Nachfrage spontan zu, da er aus Paris raus wollte und er den Film in Italien drehen konnte. Das merkt man leider auch an der Inszenierung, die wie „mit links“ gemacht scheint. Malle selber sagt dazu in „Louis Malle über Louis Malle“: „Alles in allem hat mir die Arbeit an dem Film keinen Spaß gemacht. (…) Das Drehbuch war mäßig, eine Regie völlig unkonzentriert.“ Obwohl „William Wilson“ mit Alain Delon einen passenden Hauptdarsteller verfügt und die Geschichte um den geheimnisvollen Doppelgänger durchaus zu Poes Besten gehört, fehlt das gewisse Etwas. Was möglicherweise an der recht beiläufigen Art und Weise liegt, wie die eigentlich Höhepunkte der Episode – die Konfrontationen zwischen Wilson und seinem Doppelgänger – inszeniert sind. Auch erscheint die Rahmenhandlung der Episode, in der protestantische Wilson seine Geschichte einem katholischen Priester beichten will und dann in Panik – und recht sinnfrei – auf den Glockenturm rennt, an den Haaren herbeigezogen und nicht unbedingt zwingend. Immerhin gibt Alain Delon dem Wilhelm Wilson ein arrogantes, kaltes und sehr unsympathisches Gesicht, so dass man ihm durchaus den Tod an den Hals wünscht. Was wohl auch auf Delon selber zutraf. Dazu wieder Malle: „Die Arbeit mit Delon war schrecklich, er ist einer der schwierigsten Schauspieler, mit denen ich je zu tun hatte, nein, er ist der schwierigste Schauspieler mit dem ich je zu tun hatte. (…) er war wütend auf mich, und das kam der Ausgestaltung der Figur zugute -, und ich tat, was ich konnte, ihn in einem permanenten Zustand des Zorns zu halten!“.“ Wenn allerdings sein Gegenspieler nie richtig in Erscheinung tritt und dessen Agenda auch im Dunkeln bleibt, wird es mit dem Spannungsbogen etwas schwierig. Höhepunkt der Geschichte ist das Kartenspiel zwischen Wilson und der von einer schwarzhaarigen Brigitte Bardot – die Malle selber für schrecklich fehlbesetzt hielt – gespielten Giuseppina. Aber auch hier fehlt etwas, eine gewisse Dichte und Spannung. Man sieht zu, bleibt aber emotional außen vor. so kann man „William Wilson“ dann auch als kompetent gefilmtes, letztendlich aber etwas lebloses, Werk ansehen, doch außer den eiskalten Augen von Delon und den irritierend pechschwarzen Haaren der Bardot bleibt am Ende nicht viel im Gedächtnis hängen.
„Toby Dammit“ von Federico Fellini ist demgegenüber ein ganz anderes Kaliber. Gleich zu Beginn führt Fellini den Zuschauer beim Anflug des Flugzeugs, welches den englischen Shakespeare-Schauspieler Toby Dammit in das ihm fremde Rom bringen in eine ganz und gar unwirkliche Welt, welche augenblicklich an das Fegefeuer erinnert. Die ganze Künstlichkeit in dieser Szene mit dem in feuer- orange leuchtendem Himmel erinnert stark an z.B. „Goke – der Vampir auf dem Weltraum“ (aus dem selben Jahr) oder den 12 Jahre später entstandenen „Flash Gordon“ (dessen Set-Designer und Ausstatter Danilo Donati interessanterweise ab Fellinis nächstem Film „Satyricon“ an fast jeden weiteren Fellini-Film in gleicher Funktion mitarbeitete). Auch wenn das Flugzeug gelandet ist und ein zwischen einer Marlon-Brando/Richard-Burton-Parodie und einer lebender Leiche changierender Terence Stamp von Bord stolpert, beschwören Fellini und sein Kameramann Giuseppe Rotunno, der ebenfalls ab „Toby Dammit“ zu Fellinis Stammcrew gehörte – hier ist vielleicht die Verbindung zu Danilo zu finden) die Bilder aus der Zwischenwelt. Terence Stamp als alkoholisierter, ständig über den Rand des Wahnsinns schwankender Toby Dammit ist eine typischen Fellini-Gestalt und erscheint wie ein ins Groteske Überzogener Guido Anselmi aus „8 1/2“). Wie er durch diese surreale Zwischenwelt zwischen Traum und Wirklichkeit, Leben und Tod, Erde und Hölle wankt und dabei lamentiert, schimpft und sich vor irrem Lachen biegt, wirkt fast so unheimlich, wie Klaus Kinski in einem Talkshow-Auftritt in den 70er.
Unheimlich ist auch Fellinis Welt in „Toby Dammit“, in der schrille Gestalten mit dem, was man gemeinhin als „Fellini-Gesichter“ nennt, ausstaffiert sind und die von Nino Rotas genialem Score untermalt wird. Die Szenen in den Dammit mit seinem Ferrari durch scheinbar immer wieder die selben Dörfer rast und dabei Figuren am Straßenrand stehen, die mal Mensch mal Puppe zu sein scheinen, lässt einen frösteln. Ebenso das Mädchen, welches ihm immer wieder begegnet und das scheinbar eine Inkarnation des Teufels ist. Ihr gruseliger, in Zeitlupe hüpfender Spielball ist dabei eine deutliche Anspielung auf Mario Bavas Meisterwerk „Die toten Augen des Dr. Dracula“. Und die apokalyptische letzte Einstellung nimmt schon Fulcis „Geisterstadt der Zombies“-Finale vorweg. Fellinis Episode ist die mit Abstand stärkste, was auch dadurch gewürdigt wurde, dass sie für das Filmfestival in Tribeca aufwändig von Kameramann Giuseppe Rotunno persönlich restauriert und vom Publikum als Fellinis verlorenes Meisterwerk gefeiert wurde. Zuvor hatte Fellini nach „Julia und die Geister“ drei Jahre lang keinen Film mehr gedreht. Somit war „Toby Dammit“ so etwas wie sein Comeback und läutete die zweite Phase seiner Karriere ein. Auch stilistisch werden schon Elemente vorweg genommen, die er dann bei „Satyricon“, „Rom“oder „Casanova“ noch weiter übersteigerte.
„Außergewöhnliche Geschichten“ leidet an der gleichen Schwäche, wie viele andere „Omnibus-Filme“ auch, er wirkt sehr inhomogen. Nach der langweilig-belanglosen Vadim-Episode und der zwar besseren, aber unter seinen Möglichkeiten bleibenden Malle-Episode, ist die von Federico Fellini inszenierte, großartige „Toby Dammit“-Geschichte das Highlight dieser Zusammenstellung und gleichzeitig auch ein wichtiges Werk in Fellinis Schaffen. Allein hierfür lohnt es sich, die DVD zu erstehen.
Das Bild der DVD ist gut, der Ton anständig. Dieser liegt auf Deutsch, Englisch (hier übernimmt der Star der Corman-Poe-Filme, Vincent Price, die Stimme des Erzählers), Französisch und multilingual vor. Letztere Option ist zu bevorzugen, da „Metzengerstein“ auf Englisch, „William Wilson“ auf Französisch und „Toby Dammit“ der Geschichte entsprecht auf Italienisch und Englisch gedreht wurde. Die Extras sind leider sehr mager. Außer einem Trailer hat man noch die Chance, die drei Geschichten einzeln anzuwählen, was aber natürlich auch über das Kapitelmenü möglich wäre und für mich kein wirkliches „Extra“ darstellt. Wenn sich eine Reihe „Masterpieces of Cinema“ nennt, erwartet man doch schon etwas mehr Mühe.
Alle Zitate von Louis Malle aus „Louis Malle über Louis Malle“, herausgegeben von Philip French, Alexander Verlag Berlin, 1998