Filmbuch-Rezension: „Dario Argento – Anatomie der Angst“

Bertz+Fischer_Dario_ArgentoUm eventuelle Enttäuschungen schon im Vorfeld auszuräumen, möchte ich darauf hinweisen, dass es in dem exzellenten Buch „Dario Argento – Anatomie der Angst“ nicht um die Person Dario Argento geht, sondern allein um sein filmisches Werk. Natürlich steckt darin auch der Regisseur und Drehbuchautor Argento, aber wer sich ein Buch, welches den Untertitel „Sein Leben – seine Filme“ tragen könnte, erhofft hatte, wird zwangsläufig enttäuscht werden. „Anatomie der Angst“ ist keine Biographie und auch Anekdoten von Dreharbeiten oder gar Erinnerungen vom Maestro persönlich, sind hier nicht zu finden.

Im Mittelpunkt von „Anatomie der Angst“ stehen Argentos Filme, und wie die Opfer der unheimlichen Killer mit den scharfen Messern, die seine Werke bevölkern, werden diese von fast drei Dutzend Filmwissenschaftlern und -journalisten feinsäuberlich aufgeschnitten und in ihre Bestandteile zerlegt. Wie immer, wenn sich eine Vielzahl an Personen einem Thema widmet, sind die Beiträge sehr unterschiedlich ausgefallen und reichen von mitreißender Begeisterung (Dominik Graf) bis hin zu nahezu kryptischen, streng wissenschaftlichen Fremdwortungetümen (Ivo Ritzer). Ein kleines Manko ist es vielleicht, dass Argento nicht selber zu Wort kommt, um über seine Filme zu sprechen. Vielleicht würde dies einiges wieder relativeren, denn oftmals fällt eine Tendenz zum Überinterpretieren auf und es werden Dinge in die Filme hinein gelesen, von denen es einem sehr schwerfällt zu glauben, dass Argento sie bei den Dreharbeiten tatsächlich so im Sinn hatte. Trotzdem fördert die intensive Beschäftigung mit einem bestimmten Aspekt, wie z.B. die Kunst in Argentos Filmen oder die Bedeutung der Architektur, viele interessante Perspektiven und Einsichten zutage. Und vor allem macht es auch Lust, Argentos Filme wieder einmal zu sehen. Auch – oder vielleicht grade – sein bei den Fans sehr unbeliebtes Spätwerk.

Die Idee zu dem Buch entstand beim letztjährigen Cinestrange-Festival in Dresden, bei dem Dario Argento Stargast war und ihm eine Retrospektive gewidmet wurde. Die Laudatio – die nun in verlängerter Form die Einleitung des Buches bildet – hielt Marcus Stiglegger, der zusammen mit dem Festival-Gründer Michael Flintrop auch als Herausgeber von „Dario Argento – Anatomie der Angst“ fungiert. In der Folge lieferten dann die halbe Autorenmannschaft des legendären – und für eine ganze Generation von Filmfans prägenden – Filmmagazins „Splatting Image“ (für das auch Stiglegger schreibt), aber auch bekannte Liebhaber des italienischen „Trivialfilms“, wie der Regisseur Dominik Graf (der mit „Der scharlachrote Engel“ selber schon einen Giallo-mäßigen „Polizeiruf 110“ inszeniert hat) oder Leonard Elias Lemke, der eine regelmäßige Kolumne über italienisches Genrekino in dem Filmmagazin „Deadline“ hat, vor allem aber Geisteswissenschaftler mit unterschiedlichsten Schwerpunkten, Essays, Aufsätze und Filmbesprechungen ab. Durch diese bunte Mischung ist das Buch naturgemäß recht inhomogen, aber gerade die große Bandbreite an unterschiedlichen Autoren macht das Projekt auch sehr spannend.

Der erste Teil des Buches beginnt mit der oben angesprochen Laudatio, welche etwas über die Hintergründe von Argentos Filmen, ihre Einordnung in den filmgeschichtlichen Kontext und Argento selber berichtet. Man merkt deutlich, dass der Text ursprünglich als Laudatio – also Lobrede zur Ehren einer Person – gedacht war, denn an einigen Stellen droht sich dadurch der Beigeschmack unkritischer Heldenverehrung breitzumachen. Doch davon abgesehen, eignet sich der Text sehr gut, den Leser auf den Weg zu schicken, die filmischen Welten des Dario Argento zu entdecken.

Kunstwissenschaftlerin Joanna Barck schreibt dann zunächst über die Rolle, die Gemälde und Kunstgegenstände in Argentos Werk einnehmen. Dies ist sehr interessant und nachvollziehbar, nur wenn Frau Barck anfängt, dies auch noch psychoanalytisch zu fundamentieren, ist dies ein wenig zu viel des Guten und führt in Sphären, denen man nicht mehr so recht folgen mag. Theaterwissenschaftler Jörg von Brincken zeigt die Verbindung zwischen Argentos Filmen und dem legendären Grand Guignol Theater in Paris auf, dessen Geschichte er auch näher ausführt. Um Räume und die Architektur in Argentos Filmen geht es bei Johannes Binotto. Ein sehr interessanter Artikel, der noch einmal den Blick auf das unheimliche und durchdachte Set-Design bei Argento schärft.

Dr. phil. Ivo Rizer beschäftigt sich mit „Genre und Gender bei Dario Argento“. Ein spannendes Thema, welches hier leider mit einer derart hochgestochenen Wissenschaftssprache abgehandelt wird, dass man selbst als Absolvent eines eines anderen Studienzweiges oftmals das Wörterbuch zu Rate zieht, oder glaubt ein Medientheoretisches Studium absolvieren haben zu müssen, um den Text nachvollziehen zu können. Das macht ein flüssiges und genussvolles Lesen recht unmöglich und nervt auch schnell. Als rein wissenschaftliche Arbeit sicherlich ohne Fehl und Tadel, aber man sollte zur Diskussion stellen dürfen, ob man in einem Buch, welches sich auch an Leser wendet, die nicht in dem selben Fachbereich wie Dr. Rizer habilitiert haben, diesen ständig solche Satzungetüme wie „…,wie es sich geradezu paradigmatisch ausnimmt für Mechanismen der Doppelcodierung im postklassischen Kino. Derselbe Signifikant besitzt multiple Signifikanten, er produziert mehrere Bedeutungsketten, die eine semantische Ambivalenz auslösen, um mit de Genrebewusstsein zu spielen“ zumuten muss. Schade um das interessante Thema.

Demgegenüber versöhnt Dominik Grafs leidenschaftlicher Artikel über die Musik in Argentos Filmen. Wer Grafs Buch „Es schläft ein Lied in allen Dingen“ gelesen hat, weiß bereits, wie begeisternd Graf über Filme schreibt. Der Titel seines Textes „Der wildeste Rausch von allen“ gibt das gut wieder. Folgerichtig gibt es darauf ein (leider recht kurzes) Interview von Marc Fehse mit Claudio Simonetti, der zu insgesamt 13 Argentos die Filmmusik, allein oder mit der Gruppe „Goblin“, beigesteuert hat.

Sebastian Selig begibt sich auf die Spur von Argentos Meisterwerk „Suspiria“, besucht die Drehorte in München und Freiburg und vergleicht einst mit jetzt. Ein schöner, gut zu lesender Text, der allerdings etwas nach Füllmaterial aussieht, da er sich im Gegensatz zu den andern Essays, nicht tiefer mit einem besonderen Aspekt Argentos Arbeit widmet. Der Text wurde auch in der „Splatting Image“ wiederverwendet und die Vermutung liegt nahe, dass er ursprünglich auch dafür geschrieben wurde, da er im Buch wie ein Fremdkörper wirkt.

Der Journalist Ingo Knott räumt, indem er beide Regisseure gegenüberstellt, mit dem Vorurteil auf, Argento wäre ein „Schüler“ des großen Mario Bava. Etwas, was Argento scheinbar auch selber immer vehement – und in jüngerer Zeit immer verärgerter – bestritten hat. Ein anderer Regisseur mit dem Argento häufig – und das nicht ganz zu unrecht – verglichen wird, ist Brian de Palma. In einem der schönsten Artikel des Buches, vergleicht Medien – und Literaturwisenschaftler Heiko Nemitz die unterschiedlichen Herangehensweisen der Beiden an ihre Themen und entdeckt dabei sowohl Gemeinsamkeiten, wie auch bedeutende Unterschiede. Zudem führt er an die Wurzeln ihrer Filmleidenschaft und betont, dass Argento zwar – wie de Palma – immer mit Hitchcock in Zusammenhang gebracht wird, seine Wurzeln aber bei Lang und Antonioni liegen. Der Text macht nicht nur Lust auf Argentos Filme, sondern auch auf eine Neuentdeckung von De Palmas Werken.

Filmwissenschaftler Harald Steinwender wiederum widmet sich einem in der Regel leider wenig beleuchteten Kapitel, nämlich Argentos, zumeist im Italo-Western verorteten, Drehbucharbeiten für andere Regisseure. Zu guter Letzt informiert Mit-Herausgeber und Cinestrange-Gründer Michael Flintrop – der „im wahren Leben“ als Strafverteidiger arbeitet – nicht nur über die Probleme, die Argentos Filme mit den deutschen Behörden hatten, sondern gibt auch einen fundierten und interessanten Einblick in die, gerade in der Vergangenheit oftmals willkürliche, Praxis der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

Im zweiten Teil des Buches werden sämtliche Filme, bei denen Argento als Regisseur tätig war – dies umfasst auch seine TV-Arbeiten – vorgestellt und analysiert. Dabei wird mir für meinen Geschmack vor allem in den späteren Filmen teilweise etwas zu unkritisch mit dem Gegenstand der Betrachtung umgegangen und scheinbare Schwächen als gewollte Mittel des Regisseurs interpretiert, sich durch das Unterlaufen von Erwartungen, aus dem Korsett der eigenen ruhmreichen Vergangenheit zu befreien und dabei das Genre bewusst zu dekonstruieren. Hier könnte sich der Verdacht einschleichen, dass hier krampfhaft nach Elementen gesucht wurde, die durch eine Überhöhung aus einem eher misslungen, dann doch noch ein gelungenes Werk gemacht wird. Interessant ist an dieser Stelle z.B. der Text von Beatrice Behn über den bis dato letzten Argento-Film “Dracula 3D“, den man mit jenem vergleichen kann, den sie auf kino-zeit.de zum selben Film geschrieben hat. Während sie dort recht deutlich mit dem Film abrechnet, wird im Buch daraus die Intention Argentos, eine Persiflage abzuliefern und alles nicht ernst, sondern ironisch zu meinen. Etwas, was sich aus Argentos eigenen Äußerungen zum Film, nicht unbedingt herauslesen lässt. Hier wäre es vielleicht angebracht gewesen, auch einmal auf die Schwächen und Missratens hinzuweisen, wie es z.B. Ulrich von Berg seiner Analyse von „Torn Curtain“ in dem ebenfalls bei Bertz+Fischer erschienen Buch über Alfred Hitchcock getan hat.

Ebenfalls schade ist es, dass Jochen Werners Analyse zu „Giallo“ nun schon die dritte Auswertung des Textes darstellt, nachdem er bereits in der „Splatting Image“ und im Internet auf f.lm – Texte zum Film erschienen ist. Hier hätte man vielleicht darüber nachdenken können, einen frischen Text von einem anderen Autoren zu nehmen. Aber dies sind nur kleine Kritikpunkte an einem ansonsten rundum gelungenen Projekt, welches einerseits wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, als auch den interessierten Laien und Filmfreund wertvolle Denkanstöße und spannende Blickwinkel auf das Werk eines der interessantesten (und in der „seriösen“ Filmwissenschaft schmerzlichst unterschlagenen) Regisseure offenbart.

Eine umfangreiche Filmo- und Biblographie runden diese vorbehaltlos empfehlenswerte Veröffentlichung des Bertz+Fischer-Verlages ab. Das Werk hat 304 Seiten und 204 schwarz-weiß Abbildungen. Es ist zum Preis von Euro 25,00 erhältlich, und wer etwas Gutes tun möchte, bestellt es direkt beim Verlag und umgeht damit die hohen Provisionen, die Amazon & Co einsacken, und die am Ende diesem kleinen Verlag fehlen.

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