Das letzte Jahr war ein sehr gutes Jahr für Freunde obskurer Filmmusik. Aus Wien kommt ein neues Musiklabel, welches sich die Veröffentlichung von bisher ungehörten Soundtracks auf die Fahnen geschrieben hat: Cineploit. Und diese „Soundtracks“ sind deshalb so „ungehört“, weil es die Filme dazu gar nicht gibt. Cineploit bringt Musik heraus, die wie vergessene Soundtracks klingt, aber tatsächlich von Liebhabern italienischer Soundtracks der 60er und 70er oder atmosphärischer Scores á la David Lynch komponiert und einspielt wurde. Das Ergebnis weiß auf ganzer Linie zu überzeugen und macht sich sehr gut im heimischen Musikregal, und das nicht nur bei Fans ungewöhnlicher Filme.
Grundsätzlich ist Cineploit der handgemachten, analogen Musik (am Computer entstandene Stücke sucht man hier vergebens) und dem guten, alten Vinyl verpflichtet. So können einige Sonderpressungen dann auch nur als Schallplatte geordert werden. Die hier besprochenen fünf Hauptveröffentlichungen sind aber auch als CD zu haben – entscheidet man sich hier aber für Vinyl, so liegt jeder Schallplatte auch eine kostenlose CD bei. Man merkt an der liebevollen Aufmachung der Vinyl-Scheiben, dass hier absolute Liebhaber der Materie am Werk sind. Die CDs fallen weniger opulent aus, sind dafür aber auch etwas günstiger.
Kopf hinter dem Cineploit-Label ist Alex Wank. Dieser dürfte einigen noch als Gründungsmitglied und Drummer der berühmt-berüchtigten österreichischen Death-Metal-Band „Pungent Stench“ in Erinnerung sein. Mit Cineploit lebt er seine Leidenschaft für obskure Exploitationfilme, vorzugsweise aus Bella Italia, und der dazugehörigen Filmmusik aus. Daher auch der Name seines Labels: Cinema + Exploitation = Cineploit.
Die ersten beiden Veröffentlichungen erschienen im April. Bis heute sind noch drei weitere gefolgt.
Thelema – Hearing the Light (Cine01)
Bei Thelema handelt es sich um eine Band, die schon seit 1994 Musik macht. Kopf hinter Thelema ist Hans-Jürgen und Ziel der neuen Platte „Hearing the Light“ ist es, „a virtual soundtrack mixing Film Noir with `60s and `70s Euro Trash“ zu schaffen. Der Sound ist besonders bei den ersten Tracks eher düster und erinnert leicht an Bands wie „Bohren & the Club of Gore“ oder „The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble“. Die Stimmung ist dicht und dahin wälzend. Ab Track 4, Becoming a Hearer, ändert sich dies etwas. Der tröpfelnde Synthesizer und eine zwischen lasziv-rauchig und hell-unschuldig oszillierende Frauenstimme lassen einen an melancholisch tanzende Elfen auf vom Morgentau benetzten Feldern denken. Ein Höhepunkt dieses gelungenen Albums ist der Titeltrack Hearing the Light, wo zunächst ein einsames Xylophon unbarmherzig das musikalische Thema des Albums hämmert, bis das klagende Keyboard einsetzt. Gleich darauf folgt mit dem passend betitelten Heading Forward das mächtigste Stück des Albums, welches gar eine Santana-esque Gitarre einsetzt und definitiv Ohrwurmqualität besitzt. Auf Still Hearing the Light wiederholen sich noch einmal die musikalischen Themen. Wieder wird die weibliche Stimme eingesetzt, die nun aber gar nichts Unschuldiges mehr hat. Der Synthie verleiht dem Stück eine süße Bedrohlichkeit. Oftmals werden bei Thelema Rhythmen wiederholt, bis durch ihre Überlagerung etwas Neues entsteht. Thelema unterscheidet sich etwas von den restlichen Veröffentlichungen des Cineploit-Labels, da hier nur wenig an alte Italo-Soundtracks erinnert. Stattdessen wird man in eine düster-melancholische Welt hineingezogen, die oftmals mit den Filmen David Lynchs verglichen wird. Ein Vergleich, den ich so nicht zu 100% unterschreiben würde (Angelo Badalamentis Musik unterscheidet sich schon stark von dem Thelema-Sound. Allein I Repeat erinnert mit seinem jazzigen Schlagzeug an den „Twin Peaks“-Soundtrack), aber um die Richtung anzudeuten, finde ich ihn schon statthaft. Der ideale Soundtrack für die Zeit zwischen Sonnenuntergang und finsterer Nacht.
Soundsamples:
http://soundcloud.com/thelema-cineploit-com
http://thelema-music.bandcamp.com
MalaBimba – MalaBimba (Cine02)
Das Duo MalaBima, welches sich hinter Pseudonymen versteckt (tatsächlich sitzt hier Label-Boss Alex Wank höchstpersönlich hinter den Drums) benannte sich nach dem gleichnamigen Horror-Porno des italienischen Sleaze-Meisters Andrea Bianchi und das gibt schon mal die Stoßrichtung vor. Pate für die Sounds standen italienische Soundtrack-Komponisten wie Riz Ortolani, Franco Micalizzi, Goblin oder Stelvio Cipriani. MalaBimbas Musik ist aber auf das Äußerste reduziert. Fausto di Cipolla spielt einen alten Synthesizer und Nello di Cipolla gibt mit dem Schlagzeug den Takt vor. Dieses knackige Sound-Skelett wirkt erst einmal gewöhnungsbedürftig. Auch die Tatsache, dass sich die Melodien innerhalb eines Stückes gerne mal mit nur leichten Variationen wiederholen, lässt einen mehr an Minimalmusik Glass’scher Prägung, als an die explosiven Scores eines Stelvio Cipriani denken. Doch wie bei Philipp Glass, fängt auch hier die Musik mit mehrmaligem Hören an, unaufhaltsam zu wachsen. Die Melodien bleiben im Gehörgang kleben und breiten sich im Hirn aus, bis man den ganzen Tag lang Stücke von der MalaBimba-Platte vor sich hin summt und damit einfach nicht mehr aufhören kann. Man mag gar keinen Track besonders herausheben, da jeder einzelne ein hohes Suchtpotential mit sich bringt. Anspielen sollte man aber auf jeden Fall mal Malabimba 1, Senza Disciplina oder Addormentato (sogni d’oro).
http://soundcloud.com/malabimba
http://myspace.com/malabimbakomm
Zoltan – First Stage Zoltan (Cine03)
Zoltan unterscheidet sich wieder deutlich von den vorangegangenen beiden Veröffentlichungen, bleibt aber dem Geist des Labels absolut treu. Statt nach Giallo oder Noir, klingen Zoltan nach frühen 80ern. Nach Goblin in ihrer „Dawn of the Dead“ und „Buio Omega“-Phase, nach Science Fiction (mit Echos des genialen „Captain Future“-Soundtracks von Christian Bruhn oder der Arbeit von Queen an „Flash Gordon“) und nach Italo-Endzeit-Filmen. Wie MalaBimba besteht die Instrumentierung vornehmlich aus Keyboards und Drums, hier und dort aufgelockert durch einen Bass und eine 12-saitige Akustikgitarre. Und was sind das für herrlich drückende, bedrohlich wummernde Keyboards. Ursprünglich kam dieses Projekt nur zustande, weil Andy Thompson – einer der drei britischen Bandmitglieder – seine Sammlung alter analoger Synthesizer ausprobieren wollte. Daraus entstand, zusammen mit seinem Bruder Matt und dem Drummer Andrew Prestidge, dann „Zoltan“. Zoltans Sound stapelt mächtige Türme aus Synthie-Klängen übereinander, die von energischen Drums und einem pulsierenden Bass unerbittlich vorangetrieben werden. Entsprechend Platz brauchen die Stücke, um sich zu entfalten und ihre düster-psychedelische Energie zu verströmen. So dauert der letzte Track der Platte (Black Iron Prison) dann auch gleich mal 14 Minuten. Würden sich Zoltans Klänge materialisieren und auf Zelluloid gebannt werden, käme am Ende wahrscheinlich der legendäre SF-Sleazer „The Beast in Space“ dabei heraus.
http://www.soundcloud.com/zoltantheband
Orgasmo Sonore – Revisiting Obscure Music – Volume 2 (Cine04)
Orgasmo Sonore ist ein Ein-Mann-Projekt des franko-kanadischen Multi-Instrumentalisten Frank Rideau. Im Gegensatz zu den anderen Cineploit-Bands setzt Orgasmo Sonore vor allen Dingen auf Coverversionen und so heißt sein Album auch folgerichtig „Revisiting Obscure Music Vol.2“ (Vol. 1 erschien 2011 noch in einer auf 200 Kopien limitierten Eigenproduktion). Wobei die Songauswahl für Fans des Genres nicht unbedingt „obskur“ sein sollte. Tatsächlich bearbeitet Orgasmo Sonore viele von Italo-Soundtrack-Liebhabern hochgeschätzte Tracks. Da er diese aber auf seine ganz eigene Art interpretiert, soll einen dies nicht stören. Bereits mit dem fetzigen Opener, dem Morricone-Cover La Seconda Caccia kann Frank Rideau alias Mr. Orgasmo die Herzen der Fans für sich gewinnen. Auch Bruno Nicolais Perché quelle strane gocce di sangue sul corpo di Jennifer? ist ein echter Dauerbrenner, den man gerne in die Dauerrotation nimmt. Das schönste Stück auf der Platte ist aber das süchtig machende, drogenschwangere Pearls von Piero Piccioni. Das sollte auf jeder Party laufen! Orgasmo Sonores Bearbeitungen decken die ganze Bandbreite ab: Von stark dem Original folgend (das geniale Bronx 1990 von Walter Rizzati) bis sehr freien Interpretationen, wie das Liebesthema aus „Hexen bis aufs Blut gequält“ von Michael Holm. Sogar ein Original gibt es zu bestaunen: Summertime Bossa, ein hübsches Musikstück, welches Rideau für eine spanische Komödie namens „Summertime“ komponiert hat und welches nach dem klingt, was der Titel verspricht. Da darf man hoffen, dass auf einer dritten Platte dann vielleicht noch mehr eigene Werke Eingang finden.
http://soundcloud.com/orgasmo-sonore
Sospetto – Segni Misteriosi, con il sangue dipinto sul muro (Cine05)
Über Sospetto weiß man nicht viel. Nur, dass dahinter ein deutsches Duo steckt. Was sehr schade ist, denn die beiden Jungs (?) hätten etwas mehr Ruhm verdient. Ihr Erstlingswerk ist ein geniales Konzeptalbum, welches die Giallo-Soundtracks der 70er in ihrer ganzen Glorie wieder auferstehen lässt. Dabei werden Knabenstimmen, Männerchöre und liebliche Frau-Stimmen eingesetzt. Schneidende Bassriffs und Old-School-Synthesizer verleihen dem Ganzen eine gewaltige Dichte und Vielstimmigkeit. Man glaubt sogar, ein großes Orchester im Hintergrund zu hören. Gleichzeitig gibt es verführerische Melodien, zwischen deren Noten sich etwas Beängstigendes versteckt. Nicht unterschätzt werden sollte auch das Schlagzeug, welches die Richtung vorgibt und den Sound immer weiter nach vorne drängt. „ Segni Misteriosi, con il sangue dipinto sul muro “ soll klingen wie „a soundtrack of a never-filmed Giallo.“ Und das ist absolut gelungen. Wunderbar auch die Spielfreude des Duos, welches keine Experimente scheut und gerne mal in den kurzen Zwischenstücken mit schrägen Tönen und Klängen experimentiert. Interessanterweise wirkt „Segni Misteriosi, con il sangue dipinto sul muro“ trotz der Vielfältigkeit der Musikstile aus einem Guss. Besonders schön ist das, sowohl an Peter Thomas Wallace-Scores, als auch sonnige Eurospy-Themen, erinnernde La fiducia e l’omicidio. Oder die exotische Bossa-Rhythmen in Agente d’Oriente, bei denen man Bettie Page als weiblichen James Bond wieder auferstehen sieht. Das luftig-süßliche Sotto l sole, mit seinem mysteriösen Unterton, hätten auch die großen Meister wie Morricone, Cipriani und Nicolai nicht viel besser hinbekommen. Und das temporeiche, von Handclaps unterstützte Dottore Phelps contro il pipistrello wird man so schnell auch nicht mehr los. Mit „Segni Misteriosi, con il sangue dipinto sul muro“ nimmt uns Sospetto mit auf eine Reise in das Kino einer anderen Zeit. Zu gerne würde man hier den Film zum Soundtrack sehen. Könnte das bitte mal jemand übernehmen? Jetzt! Schnell!
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