Vom vergangenen Mittwoch bis zum gestrigen Sonntag fand nun schon zum 19. Mal das Internationale Filmfest in Oldenburg statt. Wie es mir zur lieben Gewohnheit geworden ist, habe ich auch in diesem Jahr wieder vorbeigeschaut. Im Gegensatz zu den Vorjahren konnte ich diesmal schon am Freitag anreisen und hatte daher die Möglichkeit, mehr Filme als im Vorjahr zu sehen.
Leider machte mir in den meisten Fällen die ausgesprochen unglückliche Programmierung der Filme einen Strich durch die Rechnung. Filme, auf die ich mich am meisten gefreut hatte (wie „Outrage Beyond“), liefen zu Zeiten, wo ich noch nicht oder nicht mehr anwesend war. Was ich dem Programmplan nicht anlasten möchte, denn es ist ja meine eigene Entscheidung, welche Tage ich da bin und welche nicht.
Sehr viel ärgerlicher war es, dass viele der wirklich interessanten Filme zeitgleich liefen und es dann viele Zeitschienen gab, wo wirklich gar nichts Ansprechendes lief. So musste ich einige für mich interessante Filme links liegen lassen, während ich dann Filme angeguckt habe, die auf meiner Prioritätenliste ganz weit hinten standen. Aber so ist halt das Festivalleben. Immerhin habe ich es geschafft, bis auf „Outrage Beyond“, „Oh Boy!“ und „God Bless America“, eigentlich alle Wunschfilme zu sehen. Wenn auch zum Teil mit erheblichen Mühen.
Und wie jedes Jahr habe ich auch diesmal wieder den von der Jury mit dem German Independence Award und den von den Zuschauern mit dem Publikumspreis ausgezeichneten Film verpasst. Wobei dies diesmal auch ein und derselbe war: „Oh Boy!“ von Jan Ole Gerster .Ich hoffe aber, dass dieser Film es nach seinem Doppelerfolg auch demnächst in ein Bremer Kino schafft.
Noch einmal ganz deutlich muss die wunderbar freundliche und familiäre Atmosphäre beim Internationalen Filmfest Oldenburg hervorgehoben werden. Man fühlt sich immer willkommen und alle Mitarbeiter zeichnen sich durch große Freundlichkeit und Engagement aus. Danke dafür.
Das Filmfestival begann für mich am Freitag um 17:30 Uhr im cine K mit dem Film „Booster“. Im „cine K“ ist es immer gut, wenn man dort die erste Vorstellung am Tag erwischt, denn die Luft wird in dem kleinen Raum stündlich schlechter.
„Booster“ von Debütant Matt Ruskin ist ein kleiner Low-low Budget Film, der im Bostoner Kleinkriminellen-Milieu spielt. Die Schauspieler rekrutieren sich vor allem aus dem Freundeskreis des Regisseurs, wie z.B. Adam DuPaul, der den Freund der Hauptperson spielt und im wahren Leben eigentlich als Bauarbeiter und Türsteher arbeitet.
Die Hauptfigur Simon (gespielt von Nico Stone, einem Kindergartenfreund des Regisseurs, der hier das erste Mal vor der Kamera steht) hält sich mit kleinen Ladendiebstählen über Wasser und kümmert sich nebenbei um seine Großmutter, einen kranken Ex-Gangster (Filmfest-Maskottchen Seymour Cassel) und seinen älteren Bruder. Als dieser einen Waschsalon ausraubt und kurz darauf verhaftet wird, gerät Simons Leben ins Wanken. Von allen Seiten wird Druck auf ihn ausgeübt, damit er mit einer Saddam-Maske (die sein Bruder bei dem Überfall trug) weitere Waschsalons ausraubt, um den Verdacht von seinem Bruder abzulenken. Zudem findet der frisch verliebte Simon heraus, dass sein Bruder noch in größere Dinge verwickelt war und Ärger mit der lokalen Mafia hat. Immer wieder blickt Simon während es Filmes versonnen Flugzeugen nach. Er möchte gerne aufhören und mit seiner neuen Liebe irgendwo weit weg ein neues Leben beginnen. Raus aus dem Milieu, weg von der Familie und den übermächtigen Verpflichtungen. Auf der anderen Seite ist Simon jemand, der ein starkes Verantwortungsgefühl hat. Verantwortung für seine Großmutter, seinen Bruder, dem Ex-Gangster und auch seiner Freundin. Diesen inneren Druck nimmt Simon mit stoischer Gelassenheit hin. Nur ab und zu geben kleine Details einen Hinweis darauf, was für einen Kampf er in seinem Inneren führt. Ein Konflikt, für den es keine einfache Lösung gibt.
„Booster“ ist sehr, sehr ruhig erzählt. Zunächst in statischen Bildern, dann aber wird – mit der Steigerung des inneren Drucks – die Kamera immer beweglicher und bleibt dicht dran am Protagonisten. Das erinnert dann zeitweilig an Darren Aronofsky, dem im Abspann auch gedankt wird. Ansonsten wirkt der Film zum Teil aufgrund von Farbgebung und dem schweigsamen Protagonisten – der sich nach einem anderen Leben, an der Seite der von ihm geliebten Frau sehnt – auch von Nicolas Winding Refns Meisterwerk „Drive“ inspiriert. Trotz der unspektakulären Erzählweise wirkt Matt Ruskins Film lange nach und wächst mit größer werdendem Abstand sogar noch.
Nach „Booster“ hieß es dann rüberwandern ins „Casablanca“, welches sehr gut gefüllt war. Und das, obwohl „nur“ eine Dokumentation gezeigt wurde.
„The Punk Syndrome“ ist ein finnischer Dokumentarfilm über die Punkband Pertti Kurikan nimipäivät (Pertti Kurikka’s Name Day) , deren vier Mitglieder alle an einer geistigen Behinderung leiden. Der Film folgt ihnen nicht auf einer Tournee, die sie u.a. nach Hamburg (und in einer kurzen Szene auch nach Bremen!) führt, sondern beschäftigt sich auch mit ihrem Leben außerhalb der Band. Punk ist das ideale Ventil für sie, ihrer Wut und ihrer Frustration Ausdruck zu verleihen. Sie brüllen heraus, was ihnen nicht passt. Dass die Gesellschaft sie nicht richtig wahrnimmt, nicht für sie da ist und dass sie ständig bevormundet werden. Ihre Musik ist dabei überraschend eingängig. Urwüchsiger, rauer und wütender Punk. Auf der Bühne merkt man den Vieren ihre Behinderung fast gar nicht an. Da sind sie wer, da stehen die an den Rand Gedrängten endlich einmal im Mittelpunkt. Der Blick hinter die Kulissen erinnert an ähnlich intime Bandportraits, wie z.B. „Some Kind of Monster“. Mit all den Empfindlichkeiten und Egoproblemen, die sich auch bei Bands finden, deren Mitglieder nicht gehandikapt sind.
Im Leben jenseits des Probenraums wird gezeigt wie Sänger Kari Aalto heiratet. Drummer Toni Välitalo soll in das Behinderten-Wohnheim, in dem bereits seine Freundin wohnt. Dort findet er allerdings heraus, dass diese bereits einen Andern hat. Gitarrist und Komponist Pertti Kurikka feiert seinen Geburtstag und ist sauer darüber, dass seine Bandkollegen nicht auftauchen, und Bassist Sami Helle unterstützt eine attraktive finnische Politikerin. Die Behinderungen werden dabei gar nicht so stark thematisiert, der Film zeigt einfach ein pralles Leben. Dabei gibt es viel zu lachen (wobei der Film hier immer stark auf des Messers Schneide balanciert, und manchmal droht, seine Protagonisten bloßzustellen), aber es gibt auch ernste, traurige Momente. Am Ende überwiegt aber die Freude daran, diesen vier Punks dabei zuzusehen, wie sie sich durchs Leben schlagen. Und man kann über ihre direkte Art schmunzeln, ungefiltert Wahrheiten zu verbreiteten. Zitat Kari Aalto: „Frauen sind großartige, göttliche Geschöpfe. Wenn sie gute Laune haben. Wenn sie schlechte Laune haben, sind sie nicht zu gebrauchen“.
Der letzte Film des Tages – im Cinemaxx – war dann eine gänzlich andere Angelegenheit. Leider brauchte der Vorführer drei Anläufe, bis der Film endlich im korrekten Bildformat wiedergegeben werden konnte. Das tat dem Spaß aber keinen Abbruch.
„Violet & Daisy“ beginnt wie ein Tarantino/Rodriguez-Verschnitt. Statt Jackson/Travolta (Tarantino) haben wir hier zwei ausgesprochen süße Girlies als Profikiller, die auch schon mal in Nonnentracht (Rodriguez) auftreten, um ihre Opfer platt zu machen. Es wird viel geschossen und geblutet, wobei die beiden Mädels immer einen netten Spruch auf den Lippen haben. Kurz darauf tritt noch Rodriguez-Spezi Danny Trejo als Boss der Beiden auf und man befürchtet schon, jetzt geht es endgültig in die Rip-Off-Richtung. Doch bereits Trejos Kurzauftritt überrascht. Bestens aufgelegt, und weit weg von seinem sonstigen Image, liefert er eine durchweg sympathische Darstellung ab. Auch die beiden zuckersüßen Mädels wissen zu gefallen. Nicht nur die großartige Saoirse Ronan, die bereits als Kinderdarstellerin in „Abbitte“ und als Hauptdarstellerin in „In meinem Himmel“ Außergewöhnliches leistete, sondern auch TV-Serien-Star Alexis Bledel (aus den „Gilmore Girls“), liefern eine überzeugende und erfrischende Leistung ab. Das Highlight des Filmes ist aber James Gandolfini, der dem Film mit einer mitreißend warmherzigen und melancholischen Darstellung seinen Stempel aufdrückt. Dankenswerterweise wird sein Charakter nicht durch irgendwelche „cleveren“ und „raffinierten“ Plotwendungen verraten. Überhaupt ist „Violet & Daisy“ trotz aller Absurditäten sehr gradlinig erzählt. Alles andere hätte auch die sanfte Melancholie des Filmes zerstört. Erstlingsregisseur Geoffrey Fletcher, der gleich mit seinem ersten Drehbuch für „Precious“ einen Oscar gewann, beweist hier sehr viel Fingerspitzengefühl. Angelegt ist der Film als eine Art Drei-Personen-Kammerspiel und man könnte sich das Ganze auch sehr gut als Theaterstück vorstellen. „Violet & Daisy“ ist absolut empfehlenswert und ein würdiger Abschluss für meinen ersten Tag in Oldenburg.
Da der Film 10 Minuten später als gewohnt anfing und aufgrund der bereits erwähnten technischen Probleme zu Beginn, habe ich es dann leider nicht mehr zu Buddy Giovinazzos „A Night of Nightmares“ geschafft, den ich auch gerne gesehen hätte. Stattdessen ging es dann durch die Oldenburger Nacht direkt ins Hotel.