Filmtagebuch: „Filmforum Bremen“ unterwegs – Filmfestival Warschau Teil 1

Wie nun schon öfters erwähnt, war ich in der letzten Woche auf Tour im Ausland. Genauer gesagt in Warschau beim 26. Internationalen Filmfestival. Da der Grund meiner Reise nicht allein das Filmfest, sondern durchaus auch „privater“ Natur war, wusste ich von Anfang an, dass ich diesmal nicht rund um die Uhr im Kino sitzen würde können. Mein Ziel war es daher in sieben Tagen auch mindestens sieben Filme zu sehen. Zehn wäre das Optimum gewesen, geschafft habe ich letztendlich neun. Was auch nicht so schlecht ist, wie ich finde.

Das 10-tägige Internationale Filmfest Warschau findet seit 1985 immer im Oktober statt. Es wurde damals als „Warschauer Filmwoche“ von Studenten ins Leben gerufen, von 1990-1999 firmierte es unter dem Namen „Warsaw Film Festival“ und seit 2000 heißt es nun endgültig „Warsaw International Filmfestival“. Fand das Festival bis vor Kurzem noch in verschiedenen, altehrwürdigen Kinos statt, so besaß es in diesem Jahr (das Kinosterben und der Multiplex-Wahn macht auch im Osten nicht halt) nur noch zwei Abspielstätten. Diese sind allerdings durchaus repräsentativ: Die „Kinoteka“ im Warschauer Wahrzeichen, dem „Kulturpalast„, und dem brandneuen, Ende 2007 eröffneten, Multiplex-Kino „Multikino“ im Einkaufszentrum Złote Tarasy (Goldene Terrassen).

Die "Kinoteka" im Kulturpalast

Das "Multikino" im Einkaufszentrum Złote Tarasy

„Mein“ Warschauer Filmfest begann am Sonntag mit dem französischen Roadmovie „Robert Mitchum is dead„. Einem sehr durchschnittlichen Film, dessen Regie-Duo Olivier Babinet und Fred Kihn offensichtlich zu viele Jim-Jarmusch- und Aki-Kaurismäki-Filme gesehen haben. Denn an diese beiden Großen ihrer Zunft erinnert die Bildkomposition und die Atmosphäre des Filmes. Aus „Dead Man“ hatte man sich z.B. die Figur des geheimnisvollen „Nobodys“ entliehen, der hier ein Farbiger mit langen Fingernägeln ist, welcher ein merkwürdiges Moog-ähnliches Instrument spielt. Von Kaurismäki übernahm man die zeitlose Ausstattung und die sehnsuchtsvoll tönende Rockabilly-Musik. Aber irgendwie fügt sich das alles nicht zusammen, denn im Gegensatz zu den beiden Vorbildern sind die Figuren hier ständig am Quatschen und die angestrebte traumhafte Stimmung will sich nicht wirklich einstellen. Wobei der Film nicht gänzlich ohne seine Meriten ist.


So ist er durchaus sympathisch und vor allem die parodistische Version des „Midnight Sun„-Festivals (eigentlich in Finnland beheimatet, hier aber in ein von Polen gedoubeltes Norwegen platziert) machte schon Spaß. Allein die Geschichte ist zu verquast, überambitioniert und endet in einem verkopften Schluss, welcher sich einem nur halbwegs erschließt, wenn der Regisseur ihn erklärt – was nie für einen Film spricht.

Da der Film fast ausschließlich in Polen (welches u.a. Paris, Deutschland und Norwegen doubeln musste) und mit polnischer Crew gedreht wurde, war diese auch fast komplett bei der Aufführung anwesend und stand danach für Fragen zur Verfügung. Alles nette, sympathische Leute – schade, dass der Film nicht besser war.

Am nächsten Tag sah ich dann die bulgarische Produktion „Hunting Down Small Predators„, der erste Film des bulgarischen TV-Schauspielers Cvetodar Markov, die mir sehr gut gefiel. Die Inhaltsangabe im Programm-Katalog (der – im Gegensatz zum kostenlosen Programmheft – netterweise auf Polnisch UND Englisch gehalten ist) klang sehr nach Teenie-Problem-Film, was mich erst abgehalten hatte in diesen Film zu gehen. Umso überraschter war ich, als er als harter Gangsterfilm mit sehr Erwachsenen Hauptfiguren begann. Da vermutete ich mich erst einmal im falschen Film. Die Gruppe Teenies taucht dann aber auch relativ flott auf und damit ändert sich auch der grimmige Ton des Filmes in eine leichte, manchmal fast komödiantische Gangart. Im Grunde erzählt der film zwei Geschichten. Einmal die eines drogenabhängigen Ex-Gangsters, der sich nun als Sicherheitsmann in einer Bar verdingt und durch einen unglücklichen Zufall und die Intrige eines Gangsterbosses in tödliche Schwierigkeiten gerät und zum anderen die einer Gruppe jugendlicher, die das Leben nehmen wie es kommt und gut gelaunt in den Tag hinein leben und die eines Tages ein leicht kommunikations-gestörter Junge unter ihre Fittiche nehmen. Diese beiden Handlungsstränge berühren sich während des Filmes immer nur kurz und peripher und auch wenn die Zusammenführung am Schluss vorhersehbar ist, verfehlt sie ihre Wirkung nicht. Vor allem aber ist dem Film hoch anzurechnen, dass er sich nicht seinen non-linear aneinander montierten Handlungsfäden nie verheddert und das Kunststück vollbringt aus zwei auch von Tonfall her so unterschiedlichen Geschichten ein kohärentes Ganzes zu machen. Hat mir gefallen.

Am dritten Tag ging’s dann nach Spanien. Der Film „Rabia“ von Sebastián Cordero behandelte ein Thema, welches mich schon seit meiner Kindheit fasziniert: Was ist, wenn in deinem Haus noch jemandes Fremdes wohnt, ohne dass du es weißt. Ein kolumbianischer Immigrant tötet im Affekt seinen Vorarbeiter und versteckt sich daraufhin in dem großen Herrenhaus, in welchem seine Freundin als Hausmädchen arbeitet. Ohne das es jemand weiß, beobachtet er von seinem Versteck aus seine Freundin und die Familie. Ein starkes Szenario, indem der „Held“ die Rolle des Publikums einnimmt und von Außen in die Abgründe der feinen Familie blickt. Allerdings hätte man hieraus weitaus mehr machen können, als es „Rabia“ tut. Bald schon konzentriert der Film sich wieder auf die Leiden des Eindringlings und wenn der Film zu Ende ist, fragt man sich, was das denn nun alles sollte. War nicht schlecht, aber, wie gesagt, ich war etwas enttäuscht.

Am vierten Tag hatte ich mich wahnsinnig auf den neuen Film von Jan Sverák, „Kookie„, gefreut. Nun waren am Informationspunkt schon Warntafeln angebracht, dass dieser Film mit „Lektor“ gezeigt werde. Der „Lektor“ ist eine polnische Institution, die sich eigentlich allen Nicht-Polen einfach nicht erschließt. Der „Lektor“ ist ein Sprecher, der ALLE Personen synchronisiert. Egal ob Vater, Mutter oder Kind. Alle Texte werden von einer monotonen Stimmen auf polnisch über die Originaltonspur gesprochen. Normalerweise wird der „Lektor“ nur im TV eingesetzt – im Kino laufen alle filme normalerweise im Original mit Untertiteln. Ich habe einmal versucht einen amerikanischen Film im polnischen TV zu gucken und bin dabei fast wahnsinnig geworden. Die Originaltonspur ist so leise, dass man gerade noch die stimmen hört, aber das Gesagte nur sehr schwer versteht, wenn dann noch der „Lektor“ drüber spricht kann man sich gar nicht mehr konzentrieren und hat das Gefühl es brüllt einem ständig jemand ins Ohr. Die Polen schwören aber auf diese Methode und meinen, das wäre dann als ob man einem Schauspieler in einer fremden Sprache zuhört und ihn trotzdem auf magische Weise verstehen kann. Quasi wie der berühmte Babelfisch. Ich glaube aber, dafür muss man damit aufgewachsen sein. Wie dem auch sei, ich hatte mich extra noch zweimal erkundigt, ob der Film trotz des Lektors auch englische Untertitel haben würde. Zweimal wurde mir gesagt: „Yes, of course“. Als der Film dann anfing, hatte ich zwar schöne Bilder und den Lektor im Ohr… aber keine Untertitel. Was für ein Mist! Also habe ich schnell meine sieben Sachen gepackt und bin zum Filmfestival-Personal. Dort wurde ich sehr höflich und professionell empfangen. Man könne sich das auch nicht erklären, eigentlich hätten alle Filme englische Untertitel und ich könnte selbstverständlich meine Karte zurückgeben. Das tat ich dann auch und tauschte sie gegen ein Ticket für den argentinischen Film „The Chosen Heaven“, der eine halbe Stunde später anfing.

The Chosen Heaven„, also der „gewählte Himmel“, war eine schlechte Wahl. Die Zusammenfassung im Programmheft klang gut und spannend. Da ging es um einen Priester der in einem argentinischen Gefängnis mit brutaler Gewalt konfrontiert wird und anfängt an seinen Prinzipien zu zweifeln. Nun, das stimmt schon. Aber der Gefängnis besucht er gerade mal 5 Minuten und danach quält er sich über die Hälfte der Zeit mit seinem Glauben herum und führt theologisch-moralische Streitgespräche mit zwei älteren Priestern, denen ich als theologisch Nicht-Wissender auch nicht besonders gut folgen konnte. Zudem kommt noch dazu, dass mich als Protestant nichts mehr langweilt als katholische Priester, die mit ihrem Glauben ringen. Es sei denn, sie bekommen von einem besessenen Balg Erbsensuppe ins Gesicht gespuckt. Aber davon war hier auch weit und breit nichts zu sehen. Grundsätzlich ging es erst einmal darum, dass die zwei Priester ihren jungen Kollegen in allerlei Diskussionen verwickeln und er versucht standhaft zu bleiben. Dann kurz nach der Hälfte ist plötzlich (und für mich absolut nicht nachvollziehbar) Schluss damit. Der älteste Priester bringt sich fast um und der junge hilft ihm dann spontan das Werk zu vollenden und den Alte zu seinem Boss zu schicken (warum?), wechselt schnell die Klamotten, schnappt sich ein Mädel, welches er aus der Beichte kennt und flieht mit ihr über’s Land. Dann taucht plötzlich der dritte Priester auf, labbert alle voll und dann wird’s wirr. Am Ende gibt es einen Hauch von Kannibalismus und Zoltan, Draculas Bluthund. Keine Ahnung was das sollte. Wahrscheinlich sollte der Film eine Allegorie sein, die bei mir aber mangels Hintergrundwissen und zu schnellen Untertiteln in der Übersetzung verloren gegangen ist. Regisseur Víctor González und Drehbuchautor Huili Raffo waren beide anwesend. Der Drehbuchautor saß ein paar Plätze neben mir, war sichtlich aufgeregt und hyperaktiv. Während des Filmes lachten er und seine Begleitung bei einigen Dialogen so herzerfrischend, was ich das mal als Indiz nehme, dass man dem Film als spanisch-sprechender Katholik vielleicht etwas mehr abgewinnen kann.

Am Abend wurde ich für den oben getätigten Griff ins Klo (okay, so schlimm war es nicht, aber ich möchte jetzt einfach mal polemisch sein) aber wieder entschuldigt. Mit dem irischen Film „Snap“ sah ich den ersten meiner beiden Favoriten beim Festival. Eigentlich wollte ich da gar nicht rein. Im Plan stand bei mir ein kleines Fragezeichen, da der Film zunächst nicht viel versprechend und nach typischen Generations-Konflikt im Arbeitermilieu-Zeugs klang. Um so größer meine Überraschung, als ich schon bald merkte, dass es sich hier um ein kleines Juwel handeltet. In dem Film geht es um eine Mutter, die von einem Kamerateam interviewt wird. Ihr Sohn soll in der Vergangenheit ein schreckliches Verbrechen an einem kleinen Kind begangen haben. Langsam setzt sich aus den Interviewpassagen und Rückblenden das Puzzle zusammen. Wobei es auch am Ende noch genügend blinde Flecken in der Geschichte gibt, die zum Nachdenken anregen und den Film noch lange nach dem Kinobesuch heftig nachwirken lassen. Man merkt, dass das Thema die Regisseurin Carmel Winters, die es zunächst aus Therapieszenarien als Theaterstück entwickelt und erst später zu einem Filmdrehbuch verarbeitet hatte, schon lange beschäftigt. Auch ihr psychologischer Hintergrund wird bei der präzisen Schauspielerführung deutlich. Zudem muss man, neben den wirklich überzeugenden Schauspielern – allen voran die sensationelle Eileen Walsh, auch die Kameraarbeit von Kate McCullough lobend erwähnen, die auf irgendwelche Sperenzien (wie sie bei Debütfilmen immer gerne vorkommen) verzichtet, aber trotzdem starke, intensive Bilder findet. Mein einziger Kritikpunkt wären hier die Szenen während des Interviews, wo die Kamera, um eine subjektive Perspektive und einen „dokumentarischen Stil“ vorzugaukeln, doch ein wenig zu hektisch hin und her wackelt und zoomt. Aber das ist nur ein kleines Detail. Die sympathische Carmel Winters konnte leider nicht persönlich in den Film einführen, da sie eine Stunde im Lift feststeckte. Nach dem Film stand sie dann aber dem Publikum Rede und Antwort. Schade nur, dass nur eine Handvoll Interessierter sitzen geblieben waren. Wahrscheinlich dachten die Meisten, dass sie gar nicht mehr erscheinen würde und sind deshalb nach der Vorstellung gleich raus gelaufen. Ich fand’s schade für die engagierte Künstlerin, die als nächstes Projekt eine Komödie (!) ankündigte. Allerdings mit dunklen Untertönen. Ich bin gespannt 🙂

Fortsetzung folgt…

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Eine Antwort zu Filmtagebuch: „Filmforum Bremen“ unterwegs – Filmfestival Warschau Teil 1

  1. klasse seite, sehr schön aufgezogen, gefällt mir

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