Filmbuch-Rezension: Christian Keßler “Endstation Gänsehaut“

Einen positiven Nebeneffekt hatte die tragische Einstellung der legendären „Splatting Image“ ja. Seitdem veröffentlicht Christian Keßler, der mit seinen Beiträgen in eben jenem Magazin eine ganze Generation an Filmbegeisterten prägte, ein Buch nach dem anderen. Waren die beiden Bände „Wurmparade auf dem Zombiehof“ und „Der Schmelzmann in der Leichenmühle“ mit dem gemeinsamen Untertitel „Vierzig Gründe den Trashfilm zu lieben“ noch relative Selbstgänger, da logische Fortsetzungen der Splatting-Image-Artikel für all diejenigen, die ihren 3-monatlichen Keßler vermissten, so bemerkt man in den letzten beiden Veröffentlichungen „Das versteckte Kino“ und „Endstation Gänsehaut“ eine deutliche Entwicklung.

In der Vergangenheit schrieb Keßler über die Filme, die ihm sehr am Herzen lagen. Dementsprechend gab es relativ wenig Kritik. So lernte man zwar das kennen, was Keßler mochte, doch was seinen Geschmack weniger traf, das wusste man bisher eigentlich nicht. Dies änderte sich schon bei seinem letzten Buch, „Das versteckte Kino“. Doch erst mit „Endstation Gänsehaut“ lernt man Christian Keßler und seinen Filmgeschmack so richtig kennen. Ein Autorenkollege von ihm schrieb anlässlich einer im letzten Jahr erschienen Essay-Sammlung, dies sei sein persönlichstes Buch. Christian Keßler hat solch in den Raum gestellten Superlativen nicht nötig. Er macht einfach. Und so ist man überrascht, dass er mit Vampiren nicht so viel anfangen kann – und er in dem entsprechenden Kapitel einfach mal so beliebte 80er-Vampir-Kracher wie „Lost Boys“ oder „Fright Night“ komplett außen vor lässt. Oder, dass er die kultisch verehrten Filme aus dem britischen Hammer Studio recht differenziert sieht. Und wer jetzt denkt, es würden wieder ein Italo-Kracher nach dem anderen abgefeiert (was auch redundant wäre, bedenkt man, welche zentrale Rolle diese in seiner Splatting-Image-Zeit und kurz danach spielten), dürfte vielleicht enttäuscht sein.

Stattdessen bekommt man viele Filme aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgestellt, die vielen Leser vielleicht noch nicht besonders präsent sind. War Christian Keßler noch vor wenigen Jahren ähnlich häufig an Veröffentlichungen aus dem Italo-Dunstkreis beteiligt, wie heute sein Kollege Prof. Dr. Stiglegger, so hat man heute den Eindruck, dass er das Image des „lustigen Italo-Onkels“ langsam ablegen möchte. Auf der Stelle treten ist ja auch auf die Dauer langweilig und irgendwie hat Christian Keßler zum Thema Euro-Exploitation mittlerweile ja auch schon fast alles gesagt. Umso schöner und spannender, dass gerade „Endstation Gänsehaut“ den mit „Das versteckte Kino“ eingeschlagenen Weg fortsetzt und sich in Gebiete wagt, die für viele Leser wahrscheinlich eher Terra incognita sind. Wobei man auf den typischen, lieb gewonnenen Keßler-Zungenschlag nicht verzichten muss, auch wenn er hier etwas dezenter daherkommt als in den „guten, alten Zeiten“.

Nun aber zum Buch selber. „Endstation Gänsehaut“ ist – wie der Untertitel schon sagt – eine persönliche Reise durch den Horrorfilm und erhebt daher zu keinem Zeitpunkt den Anspruch, einen enzyklopädischen Abriss über das Genre zu bieten oder – Gott bewahre – einen Kanon aufstellen zu wollen. Vielmehr plaudert Keßler über die Filme, die ihn auf seiner Reise durch den Horrorfilm begleitet haben. Ordnet diese dann thematisch und zeitlich. Dabei setzt er die Grenzen seiner Kapitel (über Geister, Vampire, Werwölfe, Mumien, Zombies, Hexen/Religion, verrückte Wissenschaftler, wahnsinnige Killer) nicht so schrecklich eng, und wenn es gerade passt, verirrt sich ein „Satanas – Schloss der blutigen Bestie“ auch mal in das Kapitel über irre Killer (was bei einer weiten Auslegung dieser Schublade auch nicht so ganz verkehrt ist).

Der Ton ist persönlich, niemals belehrend. So als würde man von einem guten Freund an die Hand genommen und durch eine Kunstgalerie (an dieser Stelle seien auch die vielen tollen Filmposter erwähnt, die das Buch farbig illustrieren) geführt, wo er einem mal mehr, mal weniger ausführlich die Exponate vorstellt und erzählt, was er an ihnen so mag – oder warum er sie weniger gelungen hält. Worauf er dabei – anders als z.B. in seinem tollen Italo-Western-Buch „Willkommen in der Hölle“, welches tatsächlich Lexikon-Charakter hat oder insbesondere auch dem grandiosen Pornofilm-Buch „Die läufige Leinwand“– verzichtet, sind zumeist Anekdoten und detaillierten Hintergründe zu Machern und Schauspielern. Trotzdem fühlt man sich am Ende der langen Reise (400 Seiten!) ausgezeichnet unterhalten und informiert. Und hat gewiss die ein oder andere Anregung mitgenommen, um sich hoffentlich auch mal Filmen zu beschäftigen, die vor der eigenen Geburt gedreht wurden.

Christian Keßler “Endstation Gänsehaut – Eine persönliche Reise durch das Horrorkino“, Martin Schmitz Verlag, 400 Seiten, gebunden, farbige Abbildungen, € 29,80

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