Der jederzeit verfügbare Online-Zugriff auf Blogs und Online-Magazine ist praktisch und gut. Doch so manch einer vermisst das Haptische, das gute, alte Papier, welches man Sammeln, liebevoll in Ordnern ablegen und bei Bedarf herausziehen und drin schmökern kann. Gerade bei Freunden des Nicht-Mainstreamfilms scheint diese Tendenz besonders ausgeprägt zu sein. Wucherte hier doch in der Vergangenheit – nur noch übertroffen von den Musikmagazinen – der Sumpf der Fanzines besonders üppig. Leider erscheint dieser Sumpf schon seit vielen Jahren ausgetrocknet. Viele, die in früheren, internetlosen Zeiten ihre Energie in ein Fanzine gesteckt hätten, benutzen heute WordPress oder ähnliche Software, um ihre Gedanken ins Internet zu tragen. Doch im nur scheinbar verdorrten Boden steckt eine Saat, die nun langsam aufs Neue zu Blühen scheint.
Im letztes Jahr stellte ich an dieser Stelle die Zeitschrift „35 Millimeter“ vor und verwies damals schon auf ähnliche Projekte, wie beispielsweise „Der Zombie“. Auffällig ist der hohe Grad an Eigeninitiative und Enthusiasmus für die Sache, welche die Macher hier an den Tag legen. Hinter den Publikationen steckt keine Marketing-Maschine, beworben werden sie vor allem in den sozialen Netzwerken. Auch der Vertrieb wird selber organisiert, von Druck und Layout ganz zu schweigen. Bedenkt man dann, dass diese Hefte kaum Werbung (und wenn, dann zumeist von Nischenlabels, die ebenfalls kein hohes Werbebudget besitzen) beinhalten, dann kann man vor zwei Dingen nur den Hut ziehen: Statt eines zusammen getackerten Fanzines auf Recylingpapier erhält man ein hochwertiges, professionell anmutendes Heft, zu – und das ist das noch größere Wunder – einem sehr humanen Preis. Nehmen wir beispielsweise die neue Veröffentlichung, um dies es hier gehen soll: Das „Wicked Vison Magazin“. Dieses kostet 6,50 Euro. Dafür erhält der Käufer dann ein Heft im DIN-A4-Format, 88 Seiten in Farbe, viel Text und interessante Bilder, die eben nicht – wie bei den „Profis“ – den Eindruck machen, hier soll Platz auf Kosten des Inhalts geschindet werden. Dabei nur ein absolutes Minimum an Werbung und keine mit großformatigen Anzeigen zugekleisterten Seiten. Da nimmt sich der Verkaufspreis beinahe schon läppisch aus.
„Wicked Vision Magazin“ ist der gerade erschienene Print-Ableger der gleichnamigen Internet-Seite, die – laut Eigenangabe – zu „den führenden und ältesten Online-Magazinen im Bereich des phantastischen und unterschlagenen Films“ gehört und seit knapp 15 Jahren „News, Filmberichte, Interviews, Bildvergleiche, Specials und umfangreiche Reviews“ anbietet. Hinter der Online-Seite „Wicked Vision“ steckt Daniel Pereé, der auch für das von Lisa Schmidt herausgegebene Magazin eine Vielzahl von Texten beigesteuert hat. Eine Zeitschrift zu verlegen ist schon recht tollkühn, diese dann aber über drei komplette Ausgabe hinweg nur einem Thema zu widmen, ausgesprochen waghalsig. „Wicked Vision Magazin“ aber geht das Risiko mit Freuden ein. Das Thema der ersten, und der geplanten folgenden zwei Ausgaben lautet H.P. Lovecraft. Zwar berufen sich heutzutage mehr Filme auf den Schriftsteller aus Providence, als auf sein großes Vorbild Poe, doch ich erinnere mich noch gut, dass Lovecraft lange Zeit so etwas wie ein gut gehüteter – wenn auch sehr einflussreicher – Geheimtipp für die Freunde der phantastischen Literatur war. Trotz Filmen wie „From Beyond“ und „Re-Animator“.
Ich kam 1992 erstmals mit Lovecraft in Berührung. Auf den Namen war ich das erste Mal in Stephen Kings von mir förmlich kaputt-gelesenen Sachbuch „Danse Macabre“ aufmerksam geworden. Und als ich im Bremer Bahnhofsbuchhandel das im Suhrkamp-Verlag erschienene Buch „Stadt ohne Namen“ (ich weiß noch genau, wo es stand) entdeckte, war es um mich geschehen. In der Folgezeit klapperte ich mit Wonne alle möglichen Buchläden und Antiquariate ab, um peu a peu alle im Suhrkamp-Verlag erhältlichen Bücher, inklusive der Fragmente, der von Lovecraft überarbeiteten Arbeiten Anderer und den von August Derleth auf Basis von Lovecrafts Notizen entstandenen Geschichten, zusammen zu sammeln. Was einige Zeit in Anspruch nahm. Damals gab es ja noch kein Amazon und die Bücher einfach im Handel zu bestellen, erschien mir zu einfach und Lovecraft nicht angemessen. Auch die Biographie „Der Einsiedler von Providence“ und die Essay-Sammlung „Über Lovecraft“ verleibte ich meiner Sammlung ein und wage zu behaupten, dass ich damals durchaus ein Experte in Sachen Howard Phillips Lovecraft war. Noch heute läuft mir ein wohliger Schauer den Rücken herunter, wenn ich die dunkelrosa und violetten Bücher im Regal stehen sehe. Daher war ich natürlich sehr erfreut, als ich das erste Mal von dem Vorhaben lass, ein Magazin auf den Markt zu bringen, welches sich ausschließlich mit Lovecraft, seinem Werk, den Verfilmungen und den Einfluss Lovecrafts auf die populäre Kultur und Kunst beschäftigte.
Kann das „Wicked Vision Magazin“ meine hohen Erwartungen erfüllen? In einem Wort: Ja. Das Magazin nähert sich dem Phänomen Lovecraft von mehreren Seite und geht dabei weit über ein „normales“ Filmmagazin hinaus, wobei die Verfilmungen selbstverständlich den Schwerpunkt ausmachen. So beginnt das Heft mit einer ausführlichen Biographie Lovecrafts, die auf mehrere Teile angelegt wird. Im ersten Teil beschäftigt sich Jörg Kopetz sehr kompetent mit Lovecrafts Jugend und ersten schriftstellerischen Gehversuche. Später im Heft wird Kopetz dann noch darauf eingehen, warum „Tanz der Teufel“ eben gerade kein Lovecraft-Film ist. Daniel Perée gibt einen kurzen Überblick darüber, was Lovecraft selbst vom Kino hielt, bevor der von zahlreichen Booklets bekannte Pelle Felsch, sich mit der ersten Lovecraft-Verfilmung auseinandersetzt. Dies war 1963 Roger Cormans „Die Folterkammer des Hexenjägers“, der zwar dann Edgar Allan Poe zugeschlagen wurde, tatsächlich aber Lovecrafts „Der Fall Charles Dexter Ward“ in Bilder umsetzte. In Anschluss an den Artikel folgt – und das hätte ich in der Tat nicht erwartet – ein Interview mit dem König der B-Filme höchstselbst: Roger Corman. Dieses dreht sich dann in erster Linie um „Die Folterkammer des Hexenjägers“, aber auch Cormans Einstellung zu Lovecraft.
Überhaupt ist es beeindruckend, dass nicht nur Corman für ein Interview gewonnen werden konnte, sondern auch solche Größen wie Stuart Gordon und Brian Yuzna dem „Wicked Vison Magazin“ Rede und Antwort standen. Dies nötigt mir einigen Respekt ab. Kernstück des Heftes ist eine ausführliche, 11-seitige Besprechung des Filmes „From Beyond“, verfasst von Daniel Perée. Daran anschließend stellt er knapp den mir vollkommen unbekannten Animationsfilm „The Dream-Quest of Unknown Kadath“ vor. Oliver Nöding bespricht die beiden Teile von „The Unnamable“, wobei überraschenderweise gerade ihm ein kleiner Faux-pas unterläuft, wenn er Lovecrafts Kurzgeschichte „The Unnamable“ mit „The Outsider“ (Inspiration für Stuart Gordons „Castle Freak“) verwechselt. Daniel Perée geht dann noch einmal auf die wohl bekannteste Lovecraft-Verfilmung („Re-Animator“) ein, bevor er noch einen kurzen Verriss von Ivan Zuccons Low-Budget-C-Film „The Darkness Beyond“ folgen lässt. Merkur Schröder vom Blog „Intergalaktische Filmreisen“ schließt mit dem Low-Budget-Trash-Filmchen „The Call-Girl of Cthulhu“ den Filmteil ab.
Es folgt ein Abdruck von Lovecrafts Kurzgeschichte „From Beyond“, die mit Illustrationen des niederländischen Comiczeichners Erik Kriek bebildert wird. Markus Koppers schreibt über Krieks Comic-Adaptionen einiger Lovecraft-Geschichten, während Daniel Perée ein Interview mit dem Künstler führt. Die folgenden Artikel waren für mich dann von geringerem Interesse. Lisa Schmidt schreibt über den Einfluss Lovecrafts auf die Musik. Der Artikel ist dann – dem Thema bedingt – sehr Heavy-Metal-lastig, was zur Folge hat, dass ich ca. 80% der dort vorgestellten Bands weder kenne, noch unbedingt kennenlernen möchte. Zwar habe ich bis Ende der 90er selber viel diese Musikrichtung gehört, jedoch in den letzten 15 Jahren das Interesse daran weitgehend verloren. Ähnliches gilt für das Interview mit dem Tattoo-Künstler Tommy Lee Wendtner, dessen Kunst mich ebenfalls eher weniger anspricht. Doch dies liegt eben im Auge des Betrachters und insgesamt ist es sehr zu begrüßen, dass auch diese „Nischen“ hier bedient werden. Sehr spannend fand ich dann das abschließende Gespräch zwischen Dr. Marcus Stiglegger und Kai Naumann, die sich über ihre Faszination für Lovecraft unterhalten.
Trotz des beeindruckenden Umfangs mit der sich die erste Ausgabe des „Wicked Vision Magazin“ dem Thema Lovecraft widmet, habe ich noch einige Themen vermisst. Doch wie die Vorschau auf die zweite Ausgabe ankündigt, werden diese bereits in der nächsten Ausgabe nachgeholt, wo dann u.a. der grandiose „The Whisperer in Darkness“ besprochen wird. Und bestimmt findet sich in der dritten Ausgabe noch ein persönlicher Favorit von mir: Huan Vus deutscher Lovecraft-Film „Die Farbe“. Ich bin auf jeden Fall freudig gespannt auf die nächsten Hefte und drücke dem „Wicked Vision Magazin“-Team fest die Daumen, dass sich ihre Mühe und ihr Enthusiasmus auszahlt und noch viele weitere Hefte folgen werden.
Beziehen kann man das Heft direkt auf wicked-vision.com oder im Online-Shop der Zeitschrift „35 Millimeter“.
Hi Marco,
auf den Fehler bin ich schon hingewiesen worden. Keine Ahnung, wie der passieren konnte, da ich von Daniel extra ein PDF bekommen habe. Ob die Story schon in dieser Sammlung falsch überschrieben war oder ich einfach blind die falsche gelesen habe, kann ich leider nicht mehr nachvollziehen. Ärgerlich ist es in jedem Fall, da führt kein Weg dran vorbei.
Viele Grüße
Oliver