Bericht vom 25. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 3

Seit dem letzten Jahr nehme ich ja auch immer noch den Sonntag beim Internationalen Filmfest in Oldenburg mit. Und wie im Vorjahr erwies sich dieser letzte Tag mal wieder als ausgesprochen entspannt. Die Gäste sind schon fast alle abgereist, das Publikum bereitet sich scheinbar auf den nächsten Arbeitstag vor und das Personal ist so wenige Stunden vor dem Ende des Festivals in einer erschöpften, aber glücklichen Stimmung. So wie bei einer tollen Party, wenn die Letzten morgens noch in der Küche rumhängen und sabbeln. Überall herrscht eine wunderbar lockere Atmosphäre. Und wie 2017 hielt dieser letzte Tag für mich sogar noch mein persönliches Highlight des Festivals bereit.

Blue My Mind – Den Film hatte ich erst gar nicht auf dem Schirm, bis ich gesehen habe, dass er auch auf dem Randfilm in Kassel läuft. Was ja durchaus eine gute Empfehlung ist. „Blue My Mind“ ist ein ganz klassischer Coming-Of-Age-Film, der langsam ins Übernatürliche driftet, um die körperliche und geistige Veränderung der pubertierenden Protagonistin, noch einmal deutlich zu unterstreichen. Ihr Gefühl des „Anderseins“ und nicht dorthin zu gehören, wo sie ist. Das ist jetzt auch nichts wirklich Neues und kennt man bereits gut aus diversen z.B. Werwolf-Filmen. Hier wird die junge Protagonistin aber nicht zum Wolf, sondern entwickelt einen seltsamen Heißhunger auf die Fische in Papis Aquarium, ihre Zehe wachsen zusammen und auf den Beinen erscheinen eklige Flecken. Wie gesagt, das kennt man irgendwie alles schon, trotzdem entfaltete der Film bei mir einen ganz gehörigen Sog.

Meine Mitzuschauer mochten den Film zwar auch, empfanden einige Stellen aber zu lang und repetitiv. Das Gefühl stellt sich bei mir gar nicht ein, denn ich war emotional immer ganz nahe dran an der Hauptfigur. Diese wird von der fantastischen Luna Wedler gegeben, die ihre Mia weniger spielte als vielmehr im besten Sinne des Wortes verkörpert. Völlig zu recht hat sie für ihre Performance den Schweizer Filmpreis als beste Schauspielerin gewonnen (daneben gewann „Blue My Mind“ noch in den Kategorien bester Film und bestes Drehbuch).

Ein Preis hätte aber auch Zoë Pastelle Holthuizen als Gianna mehr als verdient. Erst ist sie die Feindin, dann später die beste Freundin von Mia. Sie spielt dabei die leicht asoziale, dominante Bitch, die ihre Freundinnen aus der Outsider-Girls-Clique fest im Griff hat, ebenso perfekt, wie sie das leichte Aufbrechen des Zicken-Panzers zeigt, hinter der Vernetzbarkeit und die Sehnsucht nach Liebe durchschimmern. Der Weg von Aso-Zicke bis zur sich aufopfernden Freundin ist nicht als plötzlicher Bruch, sondern langsame, glaubhafte Entwicklung angelegt. Dass Gianni unterschwellig auch ein homoerotisches Interesse an Mia hegt, wird nicht dick aufgetragen, sondern schwingt ganz natürlich im Hintergrund mit, ohne sich allzu sehr in der Vordergrund zu drängen.

Die ganze Atmosphäre und der Wechsel von realistisch rauen Bildern und sinnlichen Komposition, von der drogengeschwängerten Partywelt der Mädchen-Clique und ihren coolen Mackern hin zu dem phantastischen Inhalt, erinnern stark an „Der Nachtmahr„, was ja eine gute Referenz ist. Mir hat der Film ausgesprochen gut gefallen, ich war immer bei Mia und von ihrem Schicksal tief bewegt. Und die wunderschönen, märchenhaften Schlussbilder waren dann noch das letzte Tüpfelchen auf dem „i“.

Vultures – Island ist ein kalter Ort. Und in Filmen wie „Vultures“ sinkt die Temperatur gleich noch einmal um ein paar Grad. Eine klassische Gangstergeschichte die, wie ich nach dem Film von einem Bekannten lernte, auch schon mal im „Tatort“ abgehandelt wurde. Eine junge, polnische Frau wird als „Maultier“ genutzt und muss Dutzende mit Rauschgift gefüllt Kondome schlucken, um diese von Schweden nach Reykjavik zu schmuggeln. Dummerweise wird ihr auf dem Flug schlecht, und von da an geht alles den Bach runter.

Initiiert wird der Deal von zwei Brüdern. Einer ein respektabler, aber eiskalter Anwalt mit Geldproblemen. Der andere gerade aus dem Knast entlassen und kriminell, aber durchaus mit Herz. Letzterer soll die junge Frau als unsichtbarer Schatten begleiten. Natürlich macht er Fehler, natürlich geht nichts nach Plan. Am Ende muss er sich mit ihr in einem Hotel verstecken, wo sie die Ware auskotzen soll. Aber es kommt nichts raus. Ihr geht es immer schlechter, die Kotz-Prozedur wird immer schmerzhafter, immer quälender. Derweil zieht sich das Netz um Beide zusammen. Weil sie einfach zu viel Fehler gemacht haben, aber auch weil der Zufall es so will. Zum Schluss gibt es nur noch Opfer und ein wahnsinnig zynisches Ende.

„Vultures“ ist hart und ist seinen Figuren gegenüber absolut mitleidlos. Wer einen Fehler macht, wird dafür doppelt und dreifach bestraft. Reykjavik erscheint wie der schrecklichste und trostloseste Platz auf Erden. Hier gibt es keine Hoffnung auf Besserung. Jedes kleine Licht im Dunkeln, wie die Liebe der von Anna Próchniak mehr oder weniger stumm gespielten jungen Polin Sofia zu ihrem Kind, oder das langsam immer stärker werden Verantwortungsgefühl Atils (Baltasar Breki Samper), wird auf brutale Art und Weise ausgeblasen. Am Ende bleibt die Hoffnung, dass es zumindest eine der Figuren hier irgendwie heraus schafft – aber wie soll das gehen? Wenn selbst die Polizei keine Mittel hat, um Gerechtigkeit walten zu lassen.

Fazit: Der diesjährige Jahrgang des Internationalen Filmfests Oldenburg war sehr stark. Richtige Ausfälle gab es keine und der einzige Film, durch den ich mich kämpfen musste hat auf andere – deren Meinung ich schätze – durchaus Eindruck gemacht. Auffällig war für mich zunächst, dass immerhin ein Drittel der von mir gesehenen, starken Filme von Frauen stammte. Kurz nachgerechnet sind das aber immer noch nur drei. Was aber wohl über dem Durchschnitt im Filmgeschäft liegt. Noch ein Grund mehr, den Machern in Oldenburg für ihren ausgezeichneten Geschmack zu danken. Ich freue mich auf jeden Fall schon wieder auf das nächste Jahr.

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