Bericht vom 25. Internationalen Filmfest Oldenburg – Teil 1

Zum nunmehr bereits 25. Mal lud das Internationale Filmfest in Oldenburg ein.  Seit 2009 bin ich jetzt regelmäßig hier zu Gast, und noch nie bin ich enttäuscht nach Hause gekommen. Und so sollte es auch dieses Jahr wieder sein, welches zum entspanntesten Festivals der letzten Jahre wurde. Kein Stress, keine ausverkauften Filme, kein Gehetzte zwischen zwei Spielstätten und interessante, sympathische Gäste. Alles ganz easy und schnell geriet man in einen sehr angenehmen Flow. Unterstützt wurde dies in diesem Jahr auch wieder davon, dass ich mit vielen netten Menschen unterwegs war. Dass die Filme auch durch die Bank gut bis sehr gut waren (nur ein Film gefiel mir weniger, aber da war ich in der Minderheit) war dann natürlich das Sahnehäubchen. Ein in meinen Augen starker Jahrgang.

Los ging es im Casablanca. Mein Lieblingskino in Oldenburg und das mit Abstand bequemste. Leider bin ich hier in der Regel eher selten. Überhaupt verschlug es mich diesmal nur ein einziges Mal in diese Ecke von Oldenburg, den Rest des Festivals verbrachte ich in der Bahnhofstrasse, bequem zwischen Theaterhof und der Kulturetage pendelnd.

Is That You? – Vater, Mutter und Tochter wohnen in einem ärmlichen Haus irgendwo in der kubanischen Wildnis zusammen. Der Mutter ist es verboten das Haus zu verlassen. Ihre Füsse sind mit einem dünnen Band gefesselt, was es ihr unmöglich macht, sich anders als mit Tippelschritten zu bewegen. Der dominante und autoritäre Vater hat grunzenden Sex mit ihr und bestraft jedes kleine Aufbegehren. Die Tochter nimmt dies so hin, fragt den Vater ab und zu, ob die Mutter nicht wieder am Familienleben teilnehmen könne. Sie selber wird vom Vater geliebt und besucht mit ihm Baseballspiele und die Stadt. Als die Mutter einen Fluchtversuch versucht, spitzt sich die Lage zu.

Das kubanisches Familiendrama (eigentlich ein Kammerspiel mit vier Personen) entpuppt sich bald als psychologischer Horrorfilm, der einen immer mehr in den Bann zieht. Er spielt mit den Zutaten des klassischen Geisterfilms, wenn zum Beispiel nur die Schulter des Verstorbenen verschwommen ins Bild ragt, und funktioniert auf dieser Ebene recht gut. Wobei nicht Schrecken und Grusel im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Wirkung, welche die Anwesenheit des Toten auf die Tochter des Hauses haben. Dies ist eine Ebene auf welcher der Film funktioniert.

Auf der zweiten Ebene kann alles Übernatürliche auch ganz der Fantasie der Tochter entspringen. Nach all den Jahren unter dem dominanten Vater, der neben der Strenge aber auch aufrichtige Liebe für seine Tochter empfindet, ist es für sie unmöglich ein Leben ohne dessen Anleitung zu führen und sein Verhalten in Frage zu stellen. Weshalb seine plötzliche Abwesenheit zu dem Herbeifantasieren dieser auch in seiner Abwesenheit noch immer einen starken Einfluss auf sie ausübt. Was zu der dritten, sehr offensichtlichen Metapher-Ebene führt.

Man muss nicht viel Fantasie aufbringen, um das Dreiecks-Verhältnis der Familie als Gleichnis auf das heutige Kuba zu begreifen. Ein Gleichnis, bei dem der Vater die Rolle Castros einnimmt, der mit brutaler Strenge rebellische Tendenzen im Volk unterdrückt und eine mögliche Opposition knebelt (wie die Mutter) und gleichzeitig von einem anderen Teil des Volkes dafür verehrt wird, dass er sich um die Familie kümmert, ihr eine Art Fürsorge und Liebe angedeihen lässt und die jene von ihm aufgestellten, diktatorischen Regeln gar nicht erst in Frage stellen. Am Ende verwandelt sich dann dieser Teil des Volkes in den Despoten und führt sein Werk fort. Auch weil es zeitlebens nichts anderes kennengelernt hat.

Die große Stärke von „Is That You?“ liegt darin, dass es Rudy Riverón Sánchez gelingt mit all diesen Ebenen zu spielen, ohne eine davon über die andere zu stellen. Mann kann den Film also jeweils als Horrorfilm, Psychologisches Drama oder politische Metapher deuten, ohne dass man in einen Interpretationsansatz hinein gedrängt wird. Je nachdem, wie man ihn sehen will, funktioniert er. Was neben der konzentrierten Regie auch an der tollen, sehr jungen Hauptdarstellerin Gabriela Ramos liegt. Wie überhaupt die Darsteller insgesamt einen sehr starken Eindruck hinterlassen. So gelingt es Osvaldo Doimeadiós beispielsweise mit der Figur des Vaters gleichzeitig Ekel, Perversion, Brutalität, Fanatismus, aber auch Zerbrechlichkeit, Liebe und Fürsorge auszudrücken. Tolle Musik auch.

Moderator mit Rudy Riverón Sánchez und Gabriela Ramos

Rudy Riverón Sánchez

Rudy Riverón Sánchez und Gabriela Ramos

Holiday – Man kennt das ja aus diversen Gangsterfilmen. Der große Macker hat immer seine blutjungen Gespielinnen um sich. Der dänisch-niederländische Film einer schwedischen Regisseurin Isabella Eklöf zeigt das Leben einer solchen Gespielin, die mit ihrem älteren Geliebten und dessen Freunden samt Familie in der Türkei Urlaub macht. Dort benehmen sie sich erst einmal wie die Axt im Walde Hängen in Luxusrestaurants ab, feiern Partys, zelebrieren schlechtes Benehmen, prassen mit ihrem Geld herum… und gehen so nebenbei noch ihren Geschäften nach. Unangenehme Menschen von denen man hofft, dass sie einem nicht über den Weg laufen. Für Sascha (gespielt von Victoria Carmen Sonne) ist das aber alles ganz normal. Auch für den restlichen Anhang scheint dieses Verhalten, diese Welt vollkommen normal. Nur manchmal bricht die Erkenntnis der leeren Existenz, die komplette Unterordnung der eigenen Person unter die Wünsche eines anderen für ein bisschen Luxusleben durch. In einer schönen Szene tanzt Sascha allein und selbstvergessen vor einem Spiegel. Allein mit sich. Endlich einmal bei sich. Doch solche Momente sind kurz.

Sascha ist trotz ihrer Schlichtheit ein durchaus komplizierter Charakter. Warum sie sich dieses Leben antut, sich so entpersonalisiert wird schnell klar: Das Geld, der Luxus, der Komfort. Und ein wenig Stolz, dass ein mächtiger Mann sich mit einem abgibt. Aber ist sie kalkulierend? Oder naiv. Wenn sie sich dem niederländischen Skipper nähert, muss ihr bewusst sein, dass sie ihn damit in Lebensgefahr bringt. Sie scheint aber keinerlei Gedanken daran verschwenden. Ist ihr das nicht klar oder egal? Oder ist sie ebenso skrupellos wie ihr Umfeld? Greifen kann man sie da nicht. Dummheit, totale Abgestumpftheit oder die kompromisslose Sucht nach dem Leben in Luxus?

Der toll gefilmt Film plätschert am Anfang etwas vor sich hin. Gewalt und Nacktheit finden eher im Off statt – bis zu dieser einen Szene, die von Null auf 180 geht und sehr explizit eine Vergewaltigung zeigt. Diese erreicht tatsächlich ihre ganze schockierende Wirkung, da man damit überhaupt nicht mehr rechnet. Danach ist man erst einmal bedient. Einige Zuschauer haben wohl auch schimpfend den Saal verlassen, wie die im Foyer wartende Regisseurin bei der Q&A berichtete. Später folgt noch einmal eine äußerst brutale und grafische Szene, die eine ganz ähnliche Wirkung hat. Beide Szenen treffen einen so unvorbereitet, dass man sich dadurch regelrecht durch die Mangel gedreht fühlt. Eine tolle Hauptdarstellerin (Victoria Carmen Sonne, der in ihrer Rolle sehr viel zugemutet wird), die sich immer weiter verdichtende, unangenehme Atmosphäre und das konsequente, wenig beschönigende auf eine Katharsis verzichtende Ende machen den Film sehenswert. Warum sich jemand darauf einlässt, sich erniedrigen und quasi als Ausstellungsstück zu prostituieren wird zwar nie ausdrücklich geklärt, der Film bietet aber viele mögliche Antworten.

Moderator und Isabella Eklöf

Isabella Eklöf

Moderator und Isabella Eklöf

Galvestone – Der immer zuverlässige Ben Foster und Elle Fanning, die scheinbar gefallen an Opfer-Rollen gefunden hat, spielen im mittlerweile vierten Film der Schauspielerin Mélanie Laurent (Shosanna Dreyfus aus „Inglourious Basterds„) groß auf. Ein Killer muss nach einem missglückten Auftrag (um zu verstehen worum es genau ging kann man als Europäer ohne entsprechende Untertitel kaum verstehen, da Ben Foster ordentlich mit texanischen Slang nuschelt) fliehen und nimmt eine junge Frau mit, die er zufällig aus den Händen seiner Widersacher befreit hat. Daraus entwickelt sich zunächst ein typisches Roadmovie, in dem sich beide annähern und – als noch die kleine Schwester der Frau dazu kommt – eine brüchige Ersatzfamilie bilden.

Soweit, so Klischee. Tatsächlich folgt der gut gefilmte Film altbekannten Pfaden, wobei er doch ab und zu guckt, was am Wegesrand steht. Es gibt beispielsweise eine lang aufgebaute Szene, bei der man sich mit der Erfahrung aus 1000 Filmen sicher ist, wie es gleich ablaufen wird, nimmt. Doch dann nimmt sie doch abrupt eine ganz unerwartete Wendung. Trotzdem hat man das Gefühl dieses Geschichte schon oft gesehen zu haben. Auch der Dreh, dass der Killer unter einer tödlichen Lungenkrankheit leidet und weiß, dass seine Tage gezählt sind, ist nichts Neues. Er fügt der Geschichte aber auch keine elementar wichtige Facette hinzu. Auch ohne diesen Kniff – der eh nur dann ausgespielt wird, wenn er dramaturgisch passt – hätte die Geschichte der Selbstfindung und schmerzvollen Rückschau auf das eigene Leben gut funktioniert. Nach einem im wahrsten Sinne des Wortes feurigem Anfang, schaltet der Film einige Gänge zurück und der Aufenthalt in Galvestone, die Tage am Strand und die zaghafte Annäherung wirkt recht gemächlich,. Doch dies ist nur der langsame Anlauf, um dem Zuschauer in den letzten 15 Minuten mit Volldampf in die Eier zu treten und ihn dann am Ende doch aufgewühlt zurück zu lassen.

Cam – Das Cam-Girl (das sind Mädchen, die vor der Webkamera für Pornoseiten eine Show machen) Alice hat den ungeheuren Ehrgeiz von „unter ferner liefen“ im Ranking der Seite auf mindestens Platz 50 zu kommen und dann noch höher. Das funktioniert soweit ganz gut, bis sie eines Tages plötzlich von ihrem Account ausgesperrt ist und eine andere Person namens Lola, die ihr bis aufs Haar gleicht, in denselben Kulissen ihre Show weitermacht. Nun kämpft sie darum, ihre Online-Identität wieder zu bekommen und hinter das Geheimnis dieses merkwürdigen Phänomens zu kommen. Dabei werden unzählige Fäden ausgerollt, was da alles hinter stecken kann. Die Bandbreite geht vom Paranoia-Thriller, über gepflegtes Mystery-Ambiente bis hin zu einer handfesten Geistergeschichte. Doch am Ende wird dann nichts aufgelöst, die Fäden laufen einfach ins Nichts.

Das Ganze erinnert stark an eine „Black Mirror„-Episode, nur eben durch die erwähnten Elemente auf 94 Minuten gestreckt. Interessant wird es immer dann, wenn es darum geht, wie Alices Umfeld auf ihren „Job“ reagiert. Hier hätte die Geschichte des kleinen Bruders, der von seinen Freunden wegen der Tätigkeit seiner Schwester gemobbt wird (die Szene während seiner Geburtstagsfeier ist höchst unangenehm und berührend), ruhig noch mehr Raum einnehmen können. Oder die Geschichte des „Stalkers“, der für seine Internet-Liebe in ihre Stadt gezogen ist hätte mehr ausgearbeitet werden können. Regisseur Daniel Goldhaber entscheidet sich aber dafür, sich ganz auf Alice und ihre geheimnisvolle Doppelgängerin Lola (beide sehr überzeugend gespielt von der TV-Serien-Darstellerin Madeline Brewer) zu konzentrieren.

Das ist auch recht spannend, gut gespielt und visuell sehr okay… nur was den Sex angeht natürlich wieder mit angezogener Handbremse. Warum jemand Geld zahlen soll, die eher lahmen, ungelenken und merkwürdig züchtigen Shows anzusehen, ist mir jetzt nicht klar geworden. Letztendlich ist „Cam“ aber auch wieder eine Metapher. Hier darauf, wie man im Internet eine falsche Persönlichkeit aufbaut, die sich dann verselbstständigt, was dann dazu führt, dass man zunehmend die Kontrolle über dieses artifizielle Wunsch-Abbild seiner selbst verliert. Und auch das Thema Sucht nach Anerkennung in den unpersönlichen Social-Media-Diensten wird angesprochen. Ein durchaus lohnender Film, der aber vielleicht als „Black Mirror“-Folge in konzentrierter Form noch besser funktioniert hätte.

Regisseur Daniel Goldhaber

So endete mein erster Tag auf dem 25. Internationalen Filmfest in Oldenburg und durch die finstere Nacht ging es wieder zurück nach Bremen.

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