Willard Stiles (Bruce Davison) ist ein 27-jähriger, ebenso stiller, wie zurückgezogener Mann, der noch immer bei seiner nicht minder problematischen Mutter (Elsa Lancaster) in einer Villa lebt, welche auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Zudem gibt es im Garten der Villa ein Rattenproblem. Als Willard von seiner Mutter aufgefordert wird, sich um dieses Problem zu kümmern, entwickelt er eine etwas ungesunde Faszination für die pelzigen Nager. Besonders die beiden intelligenten Ratten Sokrates und Ben haben es ihm angetan, und bald schon verbindet Mensch und Nager eine tiefe Freundschaft. Im Berufsleben läuft es für Willard allerdings weniger gut. Er arbeitet in der Firma seines verstorbenen Vaters, welche diesem aber bereits vor Jahren von Mr. Martin (Ernest Borgnine) abgenommen wurde. Mr. Martin duldet Willard zwar in seiner Firma, lässt aber kaum eine Möglichkeit aus, um ihn zu demütigen. Als Willards Rattenfamilie immer größer wird, und er nicht mehr weiß, wie er sie füttern kann, schmiedet er einen Plan, um sich mit Hilfe seiner vierbeinigen Freunde Geld zu beschaffen…
„Willard“ war 1971 der Überraschungs-Hit im amerikanischen Kino und gilt als Wegbereiter des Tierhorrorfilms, der in den 70ern so richtig ins Rollen kam und mit „Der weiße Hai“ seinen Höhepunkt fand. „Willard“s enormer Einfluss und Erfolg verwundert etwas, denn rückblickend entpuppt sich „Willard“ als eher wenig spektakulär. Aber vielleicht liegt dies auch daran, dass sich die Sehgewohnheiten doch stark geändert haben und vor allen Dingen „Willard“s Nachfolger weitaus detailverliebter und brutaler zu Werke gingen. Allerdings sind die Szenen in denen sich gefühlt tausend Ratten aus Willards Keller ergießen wahrlich beeindruckend und dürften bei so manchem Ratten-Phobiker viele schlaflose Nächte verursachen. Generell ist es erstaunlich, was die Ratten-Dompteure hier auf die Beine stellen. Wüsste man es nicht besser, könnte man fast auf CGI tippen, so perfekt verhalten sich die schlecht beleumundeten Nager. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass hier mehr drin gewesen wäre. Denn egal, ob die Ratten nun im Haus hin und her laufen, Türen zernagen oder über Leute herfallen, so richtig bedrohlich und beängstigend wirkt das alles eher weniger.
Besonders die berühmte „Zerreißt ihn“-Szene mit Ernest Borgnine wirkt unfreiwillig komisch, da man deutlich sieht, wie die Ratten in hohen Bogen auf ihn geworfen werden. Und dass es dann nicht zum angekündigten „Zerreißen“ kommt, enttäuscht dann doch ein wenig die Erwartungen. So ist „Willard“ bezüglich seines Horror-Potentials dann doch ein eher harmloser Film. Wo „Willard“ aber punkten kann, ist die Darstellung der Welt in der die Hauptperson lebt und in der ihre Psyche gewaltsam verbogen wird. So ist die größte Horrorszene dann auch jene, in der Willards Mutter (die großartige Elsa Lancaster in einer ihrer letzten Rollen) ihrem Sohn eine Geburtstagsfeier ausrichtet. Da Willard aber keine gleichaltrigen Freunde (geschweige denn Freundinnen) hat, muss er mit den Freunden seiner Mutter feiern. Die dann auch so tun, als seinen sie auf einem Kindergeburtstag und nicht bei einem erwachsenen, 27jährigen Mann. Wie sie da mit ihren Hütchen und Tröten sitzen ist wahrlich gruselig. Wie auch Elsa Lancasters formidable Darstellung der Mutter. Zwischen krankhaftem Behüten, Verlustängsten, egozentrischen „an-sich-binden“ und beginnendem Schwachsinn. Dass solch ein Umfeld nicht zuträglich für ein gesunde geistige Verfassung ist, dürfte jedem klar sein.
Der junge Bruce Davison zeigt dies sehr deutlich. Manchmal allerdings auch überdeutlich, denn er neigt zum Grimassieren und ist häufig einfach zu sehr drüber. Selbstverständlich soll bei der Figur des Willard dieser tiefe Schmerz darüber, dass es ihm verwehrt wird erwachsen zu werden, er von allen Seiten manipuliert, heruntergemacht und unterschätzt wird deutlich werden. Allerdings wählen weder Regisseur Daniel Mann, noch Hauptdarsteller Davison den dezenten Strich, sondern tragen die Farbe mit der ganz groben Rolle auf. Demgegenüber gelingt es dem Profi Ernest Borgnine spielend, jede Szene an sich zu reißen. Denn obwohl sein Mr. Martin ein widerlicher Schmierlappen ist, besitzt er doch dieses übergroße Borgnine-Charisma und viele seiner Entscheidungen sind zwar durchtrieben, aber klug und erst einmal auf den Vorteil der Firma ausgelegt. Und man muss sich fragen, ob man an seiner Stelle nicht den völlig unzuverlässigen Willard – Versprechen an den Vater oder nicht – rausgeworfen hätte. Sondra Locke, die kurze Zeit später zu Clint Eastwoods Muse wurde, hat hier eine nur kleine Rolle, die sie souverän und sympathisch spielt, wobei ihr allerdings nicht viele Möglichkeiten gegeben werden, um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Der größte Kritikpunkt ist aber die biedere Regie von Daniel Mann, die recht altbacken wirkt. Die ganze Welt in der „Willard“ spielt, angefangen mit Kostümen und Kulissen, scheint ein paar Jahre älter zu sein, als man beim Produktionsjahr 1971 erwarten würde. So erinnert „Willard“ dann leider allzu häufig an einen Fernsehfilm aus den 60er Jahren.
„Willard“ ist der zweite Titel der neuen Anolis-Reihe „Der phantastische Film“. Wie beim Vorgänger „Mutant – Das Grauen im All“ ist auch „Willard“ eine vorbildliche Veröffentlichung, an der es nichts zu meckern gibt. Vor allem nicht an dem unglaublich klaren und scharfen Bild. Aber auch der Ton ist ausgesprochen sauber und klar. Wobei der englische Originalton etwas kräftiger und vor allem in den Rattenszenen „geräuschvoller“ daher kommt. Als weitere Tonspur kann man einen unterhaltsamen Audiokommentar mit dem Filmhistoriker Nathaniel Thompson (dessen Internet-Blog ich sehr empfehlen kann) und Hauptdarsteller Bruce Davison. Bruce Davison ist auch in einem interessanten 12-minütigen Interview zu sehen. Weiter geht es mit dem US-Trailer, Radiospots, der Super-8-Fassung (16 Minuten), Werberatschläge und Bildergalerie. Das 28-seitiges Booklet enthält Produktionsnotizen, Aushangfotos, sowie die beiden Texte „Die falschen Freunde“ von Ingo Strecker (der mir ausgesprochen gut gefallen hat und all jene Punkte anspricht, die mir auch aufgefallen waren) und „Königreich der Ratten“ von David Renske, mit dessen cool-rotzigen Stil ich allerdings so meine Probleme hatte.
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