Auch wenn Bremen und Saarbrücken mal eben schlappe 550km trennen, so gibt es zwischen diesen beiden Städten doch einige Gemeinsamkeiten. Bremen ist das kleinste Bundesland, das Saarland das zweitkleinste und was die öffentlichen Gelder angeht, so sind beide Bundesländer ähnlich klamm. Gut, Saarbrücken hat das renommierte Max-Ophül-Festival, aber Bremen hat ja seit letztem Jahr auch ein eigenes, wenn auch sehr regionales Filmfest. Da ist also ein erster Schritt schon getan. Außerdem gibt es sowohl in Bremen als auch Saarbrücken Menschen, die mit viel Herzblut und Eigeninitiative dafür sorgen, dass kulturell etwas passiert in ihrer Stadt. Einer dieser Menschen ist Jörg Mathieu, der vor einigen Tagen bereits zum zweiten Mal in Eigenregie das Cinefonie-Festival in Saarbrücken auf die Beine gestellt hat. Ich kenne Jörg in seiner Eigenschaft als Herausgeber des „35 Millimeter – Retro-Filmmagazin“, bei dem ich vor einigen Wochen die Ehre hatte, zum stellvertretenden Chefredakteur berufen zu werden. Persönlich begegnet sind wir uns leider bisher noch nicht, aber natürlich habe ich ein genaues Auge darauf, was Jörg da in Saarbrücken veranstaltet. Und das nötigt mir nicht nur einigen Respekt ab, sondern dient auch als Inspiration. Gründe genug, um mit Jörg anlässlich des zweiten Cinefonie-Festivals ein Interview zu führen.
Filmforum Bremen: Bereits zum zweiten Mal fand nun in Saarbrücken das Cinefonie-Festival statt. Was kann man sich unter dem Begriff „Cinefonie“ vorstellen?
Jörg Mathieu: Das ist recht einfach zu erklären. Cine kommt von Cinema, und Fonie kommt von Sinfonie. Der Begriff CINEFONIE fasst somit zusammen, was den Besucher auf dem Festival erwartet. Es gibt immer Filme, und es gibt immer Live-Musik. Eine Sinfonie aus Bild und Ton, wenn man so will.
Wie kamst Du auf die Idee für ein solches Festival und wie sah die erste Ausgabe des Cinefonie-Festivals im letzten Jahr aus?
Letzte Jahr war die Veranstaltung ein Experiment um uns selbst einige Fragen zu beantworten. Kommt das Konzept an? Versteht man unsere Idee dahinter? Nimmt es das Publikum an? Wie viel Programm passt in einen Tag usw. usw. Am Ende ging es uns aber auch darum einfach einmal ins kalte Wasser zu springen und loszulegen. Wenn man eine Festivalreihe plant, muss irgendwann ein Einstieg gelingen, und das war für uns der 1. CINEFONIE-TAG. Die Grundidee war es, den Besuchern Kino und mehr zu bieten. Was ist rund um den eigentlichen Film auf der Leinwand noch spannend? So gab es Vorträge, eine kleine Börse, Stummfilme und Live-Musik.
Dieses Jahr war Schwerpunkt des Festivals eine Vincent-Price-Retrospektive. Wie kam es dazu?
Wenn man solche Veranstaltungen plant schwingt immer auch etwas persönliches des Veranstalters mit. Er wird versuchen, Dinge, die im am Herzen liegen, einer breiteren Öffentlichkeit vorzutragen, um sie für seine Sache zu begeistern. So ging es auch mir. Vincent Price ist mein Spezialgebiet, seit ich ein Teenager war. Es war also ein lang gehegter Wunsch eine passende Retrospektive zu machen.
Wenn man ins Programm schaut, sieht man, dass auf dem Cinefonie-Festival sonst eher wenig gezeigte Vincent-Price-Filme liefen. Wie kam es zu dieser Auswahl?
Das hatte eher pragmatische Gründe. Zum einen sollten es nicht die üblichen Horror-Beiträge sein, für die Vincent Price bekannt ist und wofür wir in alle lieben. Ich hielt es für relativ „ausgelutscht“, in dieser Schublade zu präsentieren. Der andere Grund war, welche Filme können wir ohne Probleme und ohne hohe Vorführ- und Kopiekosten zeigen. Letztendlich kostete uns nur einer der gezeigten Filme Geld, dieser dann aber richtig.
Ein Höhepunkt des diesjährigen Cinefonie-Festivals war der Auftritt von Vincent Prices Tochter Victoria. Wie ist es Dir gelungen, sie nach Saarbrücken zu holen?
Das war einfacher als gedacht. Ich nahm unmittelbar nach dem 1. Cinefonie-Tag Kontakt zu ihr auf. Ich beobachte ihre Arbeit rund um ihren Vater schon lange (seit ihrer Biografie 1999) und habe gesehen, dass sie 2015 auch in England war. Ich schrieb Victoria an und fragte sie, ob sie zu uns nach Deutschland kommen würde. Sie sagte sofort ja.
Die Begegnung mit Victoria Price hatte für Dich ja noch weitere Konsequenzen. Magst Du davon erzählen?
Konsequenzen hört sich etwas negativ an. Ich würde es eher mit positiven Auswirkungen umschreiben. Es passierte an diesem Wochenende so viel mehr als das, was die Besucher mitbekommen haben. Auch wenn sie mich bei den Programmabläufen ins Schwimmen brachte, hat sie die Situation aber auch wieder gerettet. Als Entschädigung für einen ausgefallenen Part mit ihr, ging sie mit ca. 15 Besuchern Abendessen. Eine wirklich großartige Geste. Ich war selbst nicht dabei, aber die Teilnehmer waren davon dermaßen begeistert, dass es für sie der Höhepunkt des Festivals wurde. Näher konnte man Victoria in Saarbrücken nicht kommen. Meinen sehr persönlichen Moment mit ihr hatte ich beim Frühstück am Sonntagmorgen, bei dem wir nur zu viert waren. Ich erzählte Victoria, was mir ihr Vater bedeutend. Unbeabsichtigt rührte sie diese Geschichte zu Tränen. Ihren Vater durfte ich nie kennen lernen. Seine Tochter habe ich jedoch erreicht. Plötzlich war es nicht mehr wichtig, ob das Festival ein Erfolg wird oder nicht. Dieser Moment war jede Anstrengung im Vorfeld wert. Victoria und ihr Geschäftspartner und Freund Peter Fuller aus London konnten sich dann für eine weitere Idee von von begeistern und machten mich zum Deutschlandvertreter der VINCENT-PRICE-LEGACY-Familie, welche ein weltweites Netzwerk werden soll. Was für eine Ehre für mich. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Jetzt planen wir gemeinsam für 2018 eine Deutschland-Rundreise die Vincent Prices Reise von 1928 nachreist, mit vielen Stationen, die er damals besucht hat.
Warst Du zufrieden mit dem diesjährigen Cinefonie-Festival? Was ist gut gelaufen, wo siehst Du noch Verbesserungsbedarf?
Wie oben erwähnt könnte ich kaum glücklicher sein über den Verlauf beider Tage, da das Ganze dann auch etwas sehr Nachhaltiges für mich persönlich hatte. Als Kulturschaffender darf man ohnehin nicht gewinnorientiert denken und arbeiten. Man ist also froh, wenn alle entstandenen Kosten auch wieder rein kommen. Das haben wir geradeso geschafft. Es ist ungefähr genau so viel gut gelaufen, wie dann auch schief ging. Noch sehe ich mich selbst auch noch als absoluten Anfänger als Veranstalter solcher Festivals. Ich nutze es zu Zeit also noch als Testphase, um so Erfahrungen zu sammeln. Aus all den Fehlern – z.B. die zu frühe Bekanntgabe der Uhrzeiten und Programmpunkte – werde ich natürlich meine Schlüsse ziehen.
Wie wurde das Festival von den Saarbrückern angenommen? Aus leidvoller eigener Erfahrung weiß ich leider nur zu gut, wie schwer es ist etwas auf die Beine zu stellen, was sich nicht in die enge Arthaus- oder Mainstream-Schublade stecken lässt. Bremen ist das z.B. fast unmöglich.
Das ist in Saarbrücken genau das gleiche Problem wie im Rest des Landes. „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.“ 80% der Besucher kamen nicht aus Saarbrücken. Das wäre uns aber in jeder anderen Stadt wohl genau so gegangen. Dieses Jahr waren wir thematisch aber auch wirklich sehr eng gefasst und mit Vincent Price auch weit abseits vom einem breiten Interesse der Menschen.
Wird es auch eine dritte Ausgabe des Cinefonie-Festivals geben und wenn ja, gibt es schon konkrete Pläne, wie das Festival im nächsten Jahr aussehen wird? Wird es Änderungen geben?
Ja, die gibt es, auch wenn diese sich auch noch ändern könnten. Es müssen sich Dinge ändern, sonst hätten wir nicht dazu gelernt aus den ersten beiden Jahren. Es wird eine dritte Ausgabe geben, ob wir die schon 2017 veranstalten werden muss noch geklärt werden. Eventuell setzen wir wegen der aktuellen Entwicklung auch ein Jahr aus.
Wie sieht es generell mit den Saarbrückern aus? Sind das alle begeisterte Kinogänger oder eher ein hartes Pflaster?
Saarbrücken hat die größte Kinositzplatzdichte in ganz Deutschland. Wir leisten uns den Luxus von 7! Kinos in der Hauptstadt. Da ist vom Studentenkino über kleine Arthaus-Säle bis hin zum großen Multiplex alles zu finden. Die Saarbrücker sind ausgesprochene Kunst- und Kulturfetischisten und für einen Saarbrücker ist alles spannend, was ihn aus den Sofafalten hebt. Wenn man es schafft, ihre Neugier zu wecken, dann kommen sie auch in Scharen. Es ist mit den richtigen Konzepten also eher einfach, in Saarbrücken die Menschen mitzunehmen. Eine Vincent-Price-Retro gehört dazu allerding nicht. (lacht)
Momentan droht ja dem Saarbrücker Kommunalkino das Aus. Du hast eine Initiative zur Rettung des „Filmhauses“ ins Leben gerufen. Wie kam es dazu, dass das Kommunalkino geschlossen werden soll und wie willst Du das verhindern?
Oh!? Hat man das bis nach Bremen vernommen? Kommunale Kinos haben es in ganz Deutschland sehr schwer. Sie schaffen es in der Regel nicht sich selbst über Wasser zu halten und benötigen Zuschüsse vom Land und der Stadt, in Saarbrücken sogar noch aus einem Fördertopf des Bundes. Trotzdem schafft es das Saarbrücker Filmhaus seit 11 Jahren nicht die hohen Kosten, vor allem in der Verwaltung, wieder einzuspielen. Das liegt m.E. vor allem auch an dem gezeigten Programm. Wer zu 90% Filme nur im OMU zeigt, muss sich nicht wundern, wenn nur noch fünf Leute in der Vorstellung sitzen. Das Saarbrücker Filmhaus ist jedoch eine Kinoperle, die den Saarbrückener selbst sehr am Herzen liegt. Man will sie also nicht wegen schlechter Leitung komplett verlieren. Deshalb jetzt unsere Initiative, die auf breite Unterstützung bauen kann. Wir legen der Stadt noch im Oktober ein Konzept vor, wie wir das Filmhaus erhalten wollen. Das kann die Stadt annehmen oder nicht, es ist nur ein Vorschlag. Klar ist aber auch, dass es dieses Kino in seiner jetzigen Form nicht mehr lange geben wird, und es im Frühjahr 2017 vor dem Aus steht. Deshalb ist es wichtig, dass der Druck jetzt von außen kommt um das zu verhindern. Dieses Kino gehört allen Saarbrückern, finanziert durch Steuergelder, das werden sie sich nicht so einfach nehmen lassen.
Neben all diesen Aktivitäten gibst Du seit zwei Jahren auch noch das Filmmagazin „35 Millimeter – Das Retrofilmmagazin“ heraus, welches sich mit der Filmgeschichte 1895 – 1965 beschäftigt. In den nächsten Tagen erscheint bereits die 17. Ausgabe mit dem Thema „Britischer Film“. Hättest Du damals gedacht, dass das Magazin auf dem nicht gerade einfachen und vielfach totgesagten Print-Markt so lange überlebt?
Um ehrlich zu sein, nein. Auf der anderen Seite ist es mit kleiner Auflage und der notwendigen Zahl von Abonnenten auch nicht sehr schwer, sich mit einem Print-Produkt zu halten. Man muss eben kleine Brötchen backen – sehr kleine. Aber auch hier sollte man keine großen Gewinne erwarten. Es steckt am Ende doch sehr viel Individualismus in so einem Projekt. Aber du hast recht, 17 Ausgaben + 3 Sonderausgaben ist schon mal ein guter Anfang.
Was sind Deine nächsten Pläne?
Neben der geplanten Leitung eines Eventhauses samt Kino (das muss nicht das Filmhaus sein) erscheint in den nächsten Wochen auch das erste Buch des 35 Millimeter-Verlags. Auch hier planen wir eine eigene Verlags-Reihe. Ausgabe #1 wird sich rund um den schwedischen Regisseur VICTOR SJÖSTRÖM drehen. 2017 wird es dann ein weiteres Buch in der Reihe geben. Im nächsten Jahr wollen wir dann auch unsere Ideen für Saarbrücken weiter ausbauen und angehen – Stichwort Eventhaus. 2018 kommt dann die erwähnte Vincent-Price-Legacy-Tour und ein weiterer Cinefonie-Tag. Und zwischendurch alle zwei Monate unser kleines aber feines Magazin. Jetzt da ich das schreibe, hört sich das nach einer Menge Arbeit an. (lacht)
Lieber Jörg, ich danke die recht herzlich für das interessante Gespräch.
Die Fotos vom Cinefonie-Festival stammen von Nicole Malter.