Marlon Villar (Arnold Reyes) arbeitet als Fahrer für den korrupten Politiker Changho (Menggie Cobarrubias), der eine ungesunde Schwäche für minderjährige Mädchen hat. Als diese an die Öffentlichkeit dringt, verdächtigt Changho Marlon geplaudert zu haben und entlässt ihn nach vielen Jahren treuer Dienste. Als letzte Amtshandlung holt Marlon noch Changhos Tochter Sophia (Patricia Gayod) und seine eigene Tochter Elvie (Ella Guevara) von der Schule ab. Da passiert die Katastrophe: Marlon gerät in eine Entführung. Sophia wird erschossen und Elvie an ihrer Stelle gekidnappt. Verzweifelt versucht Marlon Sophias Tod zu vertuschen, um die Lösegeldzahlung für Elvie zu sichern. Dabei gerät er schnell ins Visier der Ermittler, die ihn für einen Mittäter halten…
Mit „Graceland“ hat der auf den Philippinen geborene, aber in New York lebende Regisseur Ron Morales seinen zweiten Langfilm abgeliefert. Wie sein Erstling „Santa Mesa“ von 2008 spielt auch dieser wieder auf den Philippinen. Morales hat ein scharfes Gespür für die Missstände in seinem Geburtsland und nimmt auch kein Blatt vor den Mund, was die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen dort angeht. Zwar erreicht er nicht die radikale Wut, die sein Landsmann Khvan in seinem Wutschrei „Mondomanila“ auszudrücken vermochte, doch Morales‘ Blick ist eine ebenso pessimistischer. Keine seiner Figuren taugt zur Identifikation Auch der „Held“ Marlon Villar nicht. Zwar fiebert man anfangs mit ihm mit und erfährt fast schon körperlich sein Verzweiflung, doch auch er ist ein Täter. Denn bei den perversen Taten seines Vorgesetzten schaute er nicht nur weg, sondern war auch direkt daran beteiligt, auch wenn er nicht selber die jungen Mädchen schändet. Doch er sorgte dafür, dass die „Ware“ an den richtigen Ort kommt und dann von dort auch wieder verschwindet. Möglicherweise hat er auch einmal geholfen, eine Leiche verschwinden zu lassen. Marlon mag also ein guter Vater und treusorgender Ehemann sein, doch moralisch hat er sich seinem Umfeld angepasst.
„Graceland“ macht keine Gefangenen. Gleich zu Beginn wird auf das Elend der minderjährigen Mädchen, die Freiwild für reiche Pädophile sind, aufmerksam gemacht. Dabei scheut sich Ron Morales auch nicht, die Opfer nach dem perversen Akt auch nackt zu zeigen (Ron Morales nutzt hier ein Body-Double, was der Szene aber nichts von ihrer verstörenden Wirkung nimmt). Menschenleben zählen in dieser Vorhölle namens Manila nichts. Selbst unschuldige Kinder werden ohne mit den Augen zu zwinkern kaltblütig erschossen. Nach Szenen wie diese muss man erst einmal erst tief durchatmen. Wer immer bei der FSK für eine Freigabe dieses Films „ab 12 Jahren“ zuständig war, muss sehr tief geschlafen haben. Neben oben angeführten Szenen, werden auch die (echten) Kinderbordelle Manilas gezeigt, korrupte Polizisten prügeln auf Verdächtige ein und auch Organhandel wird am Rande thematisiert. Dies alles zwar relativ unblutig, doch die physische und psychische Gewalt in dieser menschenverachtenden Umgebung frisst sich tief ins Bewusstsein. Das ist definitiv kein Stoff, aus dem Kinderträume sein sollten.
Gerade in der ersten Hälfte erzählt Ron Morales eine aufwühlende und sehr gradlinige Geschichte, in der er die Ausweglosigkeit der Situation für den Zuschauer greifbar macht. Man kann Marlons Angst und Verzweiflung beinahe schmecken. Wozu auch der junge Arnold Reyes, der den Marlon spielt, schauspielerisch einen großen Teil beiträgt. Er bleibt jederzeit glaubhaft und überträgt seine Gefühle so intensiv auf den Zuschauer, dass dieser sich bald selber in einem ausweglosen Netz aus Lügen gefangen glaubt. Umso bedauerlicher ist es, dass Ron Morales in seine zuvor simpel, aber ausgesprochen effektiv erzählten Geschichte, gerade in der zweiten Hälfte einige Tricks und überraschende Plotwendungen einbaut, die zwar die Handlung noch ambivalenter machen, dem Film aber insgesamt auch einiges von seiner rohen, unmittelbaren Kraft einbüßen lassen. Insbesondere die Entscheidung aus dem Entführer letztendlich auch „nur“ ein Opfer zu machen, ihm also ein Motiv für seine schreckliche Tat und somit etwas Menschliches, „Gerechtes“, statt nur egoistischer Geldgier, unterzuschieben, ist etwas unglücklich. Denn es erlaubt es dem Zuschauer, sich des Griffes des Filmes zu entziehen. Die Ursache der Gewalt wird „vermenschlicht“ und damit relativiert.
Trotz dieser Kritikpunkte ist Ron Morales ein intensiver, packender Film gelungen, der unter die Haut geht. In vielen Kritiken wird auf die Ähnlichkeit mit den Filmen „Sympathy for Mr. Vengeance“ und Akira Kurosawas „Zwischen Himmel und Hölle“ hingewiesen. Dies mag stimmen, und im Falle Kurosawa hat Morales diesen auch als Inspiration für seinen Film genannt, doch Morales formt daraus etwas ganz Eigenständiges. Etwas sehr „Philippinisches“. Und so nimmt die Hauptstadt Manila in diesem Film beinahe die Rolle eines eigenständigen Charakters an. Morales zeigt die dunklen, hässlichen Seiten. Die von Armut geprägten Viertel der Stadt, die gigantische Müllkippe, die heruntergekommenen Straßen, das Krankenhaus, welches eher an ein Gefängnis erinnert, die Bordelle. Selbst das Büro eines mächtigen Mannes wie Changho sieht recht erbärmlich aus und auch seine Prunkvilla wirkt kalt, ungemütlich und irgendwie ärmlich. Dies mag dem mickrigen Budget geschuldet sein, fügt sich aber nahtlos ins Bild, welches der Film von Manila zeichnet.
Am Ende scheint es dann doch fast so etwas wie ein Funken Hoffnung zu eben. Doch es spricht für Ron Morales, dass er hier nicht den einfachen Weg geht und den Zuschauer auf einer positiven Note entlässt. Sondern dass er auch dies vage hält und sich die Waage des Schicksals durchaus in die eine oder andere Richtung senken kann. Auf der Blu-ray befindet sich noch ein alternatives Ende, welches allerdings ebenso ausgelutscht, wie vorhersehbar ist. Mit dem nun gewählten Schlusspunkt hat Morales nicht nur den richtigen Ton getroffen, sondern er gibt dem Film noch eine weitere – für den, der zwischendrin gut aufgepasst hat – beängstigende Ebene.
In seinem zweiten Spielfilm „Graceland“ zeichnet Ron Morales ein deprimierend-freudloses Bild seines Geburtslandes, den Philippinen. Neben der realistischen Beschreibung einer bis ins Mark korrupten und menschenverachtenden Gesellschaft, in der die Reichen sich alles erlauben können und die Armen zu Handlangern ihrer Verbrechen werden, erzählt Morales auch eine spannende Thriller-Geschichte, die zwar in der zweiten Hälfte durch einige plötzliche Wendungen etwas an Durchschlagskraft einbüßt, den Zuschauer aber bis zum Ende nicht mehr loslässt.
„Graceland“ ist erst die sechste Veröffentlichung des jungen Bremer Labels OFDb Filmworks. Und wie bei den bisherigen Titeln, haben die Macher wie ein gutes Händchen für einen interessanten Film bewiesen. Auch technisch ist nichts an der Blu-ray auszusetzen. Zwar wirkt das Bild etwas blass, doch dies ist eine künstlerische Entscheidung, um die von Armut und Verfall geprägte Umgebung visuell zu entsprechen. Der Ton liegt auf Deutsch und Tagalog mit ausblendbaren, deuuschen Untertiteln vor. Als Bonus gibt es ein Making-Of, welches vor allen Dingen aus Interviews mit dem Regisseur, seinem Kameramann und den beiden amerikanischen Produzenten besteht. Hier wird leider nur auf die schwierigen und zum Teil abenteuerlichen Drehbedingungen und dem täglichen Kampf mit dem geringen Budget eingegangen. Hier hätte ich lieber etwas über die Hintergründe des Filmes und die Beweggründe, gerade dieses Thema so zu verfilmen erfahren. Doch dies bleibt leider außen vor. Möglicherweise wird darauf aber im Audiokommentar (den ich bisher aus zeitlichen Gründen nicht anhören konnte) eingegangen, den Regisseur/Drehbuchautor Ron Morales, die Produzenten Rebecca Lundgren und Sam Rider, Kameramann Sung Rae Cho und Gaffer Blaise Miller bestreiten. Ferner gibt es noch einen Audio-Kurzkommentar mit Sound Mixer Nikola Chapelle und eine Handvoll entfernter Szenen, die dem Film aber auch nichts weiter hinzufügen. Das alternative Ende ist wie oben erwähnt, enttäuschend und dem letztendlich genommenen Ende weit unterlegen.